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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.05.1990
Aktenzeichen: C-169/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 36
EWG-Vertrag Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 14 der Richtlinie 79/409 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, der den Mitgliedstaaten zugesteht, strengere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, als sie in der Richtlinie vorgesehen sind, gilt nur für Zugvogelarten oder bedrohte Arten; daher haben die Mitgliedstaaten für die anderen erwähnten Vogelarten alle erforderlichen Rechts - und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, um der Richtlinie nachzukommen, sind aber, soweit es sich nicht um Arten handelt, die auf ihrem Gebiet heimisch sind, nicht befugt, strengere Schutzmaßnahmen zu erlassen.

Ein Einfuhr - und Vermarktungsverbot für eine Vogelart, die weder eine Zugvogelart noch bedroht im Sinne dieser Richtlinie ist und die nicht im Gebiet des gesetzgebenden Mitgliedstaats, sondern in demjenigen eines anderen Mitgliedstaats heimisch ist, in dem ihre Bejagung sowohl nach dieser Richtlinie als auch nach dem nationalen Recht gestattet ist, verstösst daher gegen die Richtlinie und kann nicht nach Artikel 36 EWG gerechtfertigt sein, da es sich um einen Bereich handelt, der Gegenstand einer abschließenden Harmonisierung war.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 23. MAI 1990. - STRAFVERFAHREN GEGEN GOURMETTERIE VAN DEN BURG BV. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HOGE RAAD - NIEDERLANDE. - FREIER WARENVERKEHR - VERBOT DER EINFUHR VON VOEGELN. - RECHTSSACHE C-169/89.

Entscheidungsgründe:

1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 25. April 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Mai 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen die Gefluegelhandlung Gourmetterie Van den Burg BV.

2 Im Jahre 1984 beschlagnahmten mit der Überwachung der Einhaltung des niederländischen Gesetzes über die Vögel ( Vogelwet ) betraute Aufsichtsbeamte in den Geschäftsräumen der Van den Burg BV ein totes Schottisches Moorschneehuhn. Die Van den Burg BV wurde sodann verurteilt wegen Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetz, das den Schutz von in Europa wild lebenden Vögeln bezweckt. Mit Berufung und Kassationsbeschwerde machte sie geltend, daß das beschlagnahmte Schottische Moorschneehuhn im Vereinigten Königreich gemäß Artikel 6 Absätze 2 und 3 in Verbindung mit Anhang III Teil 1 Nr. 2 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten ( ABl. L 103, S. 1 ) rechtmässig getötet worden sei.

3 Der Hoge Raad, der letztinstanzlich über diesen Rechtsstreit zu befinden hat, hat festgestellt, daß Artikel 7 der Vogelwet den betreffenden Vogel vom niederländischen Markt fernhalte und daß die Anwendung dieses Gesetzes eine Handelsbeschränkung für einen jagdbaren britischen Vogel darstelle, der im Ursprungsland rechtmässig getötet und frei vermarktet werden könne. Soweit es sich auch auf die Einfuhr und das Halten von toten Schottischen Moorschneehühnern erstrecke, habe das Verbot in der Vogelwet den Charakter einer Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Artikels 30 EWG-Vertrag. Die Entscheidung über die Kassationsbeschwerde hänge daher von der Frage ab, ob das umstrittene Verbot als eine Maßnahme angesehen werden könne, die im Sinne von Artikel 36 EWG-Vertrag aus Gründen des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Tieren gerechtfertigt sei.

4 Der Hoge Raad hat daraufhin folgende Frage vorgelegt :

"Kann das gemäß Artikel 7 der Vogelwet von 1936 in den Niederlanden geltende Verbot, im Vereinigten Königreich ohne Verstoß gegen dort geltendes Recht erlegte und auf diese Weise getötete Schottische Schneehühner einzuführen und zu halten, als ein Verbot angesehen werden, das im Sinne von Artikel 36 EWG-Vertrag aus Gründen des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Tieren gerechtfertigt ist, wenn dabei

einerseits berücksichtigt wird, daß für Schottische Schneehühner, die in Anhang III Teil 1 der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 2. April 1979 als die Vogelart 'Lagopus lagopus scoticus' aufgeführt sind, die in Artikel 6 Absatz 2 dieser Richtlinie genannte Ausnahme gilt,

und andererseits, daß das in Artikel 7 der Vogelwet enthaltene Verbot der Erhaltung des Vogelbestands und insbesondere dem Schutz aller in Europa wild lebenden Vogelarten dient, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen, unter die jedoch die Schottischen Schneehühner nicht fallen?"

5 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

6 Die Frage des vorliegenden Gerichts betrifft im wesentlichen die Auslegung des Artikels 36 EWG-Vertrag, wonach der Grundsatz des freien Warenverkehrs Einfuhrverboten und -beschränkungen nicht entgegensteht, die aus Gründen des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Tieren gerechtfertigt sind.

7 Es steht fest, daß die fragliche nationale Maßnahme ein Einfuhrverbot darstellt und daß das Schottische Moorschneehuhn eine Vogelart ist, die im Gebiet der Niederlande nicht vorkommt.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 36 EWG-Vertrag ( siehe zuletzt das Urteil vom 14. Juni 1988 in der Rechtssache 29/87, Dansk Denkavit, Slg. 1988, 2982 ) folgt, daß eine Richtlinie, die eine vollständige Harmonisierung der nationalen Vorschriften enthält, die Berufung eines Mitgliedstaats auf diesen Artikel ausschließt.

9 Zum Grad der Harmonisierung, der mit der Richtlinie 79/409 erreicht wurde, ist zu bemerken, daß der Vogel, um den es hier geht, in dem Mitgliedstaat, in dem er heimisch ist, zwar gemäß Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Richtlinie bejagt werden darf, daß in Artikel 14 den Mitgliedstaaten aber zugestanden wird, strengere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, als sie in der Richtlinie vorgesehen sind. Die Richtlinie enthält daher eine abschließende Regelung der Befugnisse der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Erhaltung der wild lebenden Vogelarten.

10 Somit ist der Umfang der den Mitgliedstaaten in Artikel 14 der Richtlinie zugestandenen Befugnisse zu bestimmen. Hierfür ist zu untersuchen, welches die Hauptkriterien sind, von denen sich der Gemeinschaftsgesetzgeber auf diesem Gebiet hat leiten lassen.

11 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 27. April 1988 in der Rechtssache 252/85 ( Kommission/Frankreich, Slg. 1988, 2243 ) ausgeführt hat, wird mit der Richtlinie 79/409 in erster Linie den Zugvogelarten ein besonderer Schutz gewährt, die der dritten Begründungserwägung der Richtlinie zufolge ein gemeinsames Erbe der Gemeinschaft darstellen. In zweiter Linie, bezueglich der am meisten bedrohten Vogelarten, bestimmt die Richtlinie, daß auf die in Anhang I aufgeführten Arten besondere Schutzmaßnahmen anzuwenden sind, um ihr Überleben und ihre Vermehrung sicherzustellen.

12 Aus dieser allgemeinen Schutzrichtung der Richtlinie 79/409 folgt, daß die Mitgliedstaaten gemäß dem Artikel 14 strengere Maßnahmen ergreifen können, um einen noch wirksameren Schutz der obengenannten Vogelarten sicherzustellen. Für die anderen in der Richtlinie 79/409 erwähnten Vogelarten haben die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Rechts - und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, um der Richtlinie nachzukommen, sind aber, soweit es sich nicht um Arten handelt, die auf ihrem Gebiet heimisch sind, nicht befugt, strengere Schutzmaßnahmen zu erlassen, als sie in der Richtlinie vorgesehen sind.

13 Sodann ist festzustellen, daß das Schottische Moorschneehuhn weder eine Zugvogelart noch eine der im Anhang I der Richtlinie aufgeführten besonders bedrohten Arten ist.

14 Auch in der Verordnung ( EWG ) Nr. 3626/82 des Rates vom 3. Dezember 1982 zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft ( ABl. L 384, S. 1 ) wird das Schottische Moorschneehuhn nicht als gefährdete Art im Sinne dieses Übereinkommens genannt.

15 Nach alledem gibt Artikel 14 der Richtlinie einem Mitgliedstaat nicht die Befugnis, mittels eines Einfuhr - und Vermarktungsverbots einer bestimmten Art, die weder eine Zugvogelart noch bedroht ist, einen weitergehenden Schutz zu gewähren, als er im Recht des Mitgliedstaats vorgesehen ist, in dessen Gebiet der betreffende Vogel heimisch ist, wenn dessen Recht mit der Richtlinie 79/409 in Einklang steht.

16 Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß Artikel 36 EWG-Vertrag in Verbindung mit der Richtlinie 79/409 des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten kein Einfuhr - und Vermarktungsverbot für eine Vogelart rechtfertigt, die weder eine Zugvogelart noch bedroht im Sinne dieser Richtlinie ist und die nicht im Gebiet des gesetzgebenden Mitgliedstaats, sondern in demjenigen eines anderen Mitgliedstaats heimisch ist, in dem ihre Bejagung sowohl nach dieser Richtlinie als auch nach dem Recht dieses anderen Mitgliedstaats gestattet ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Strafverfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )

auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 25. April 1989 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Artikel 36 EWG-Vertrag in Verbindung mit der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten rechtfertigt kein Einfuhr - und Vermarktungsverbot für eine Vogelart, die weder eine Zugvogelart noch bedroht im Sinne dieser Richtlinie ist und die nicht im Gebiet des gesetzgebenden Mitgliedstaats, sondern in demjenigen eines anderen Mitgliedstaats heimisch ist, in dem ihre Bejagung sowohl nach dieser Richtlinie als auch nach dem Recht dieses anderen Mitgliedstaats gestattet ist.

Ende der Entscheidung

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