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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.07.1994
Aktenzeichen: C-17/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 79/112/EWG


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 30
EWG-Vertrag Art. 36
Richtlinie 79/112/EWG Art. 6
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die das Inverkehrbringen von Brot und anderen Bäckereierzeugnissen verbieten, deren Salzgehalt in der Trockenmasse die Hoechstgrenze von 2 % überschreitet, und die auf Erzeugnisse angewandt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, stellen eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag dar.

Soweit sich der betreffende Mitgliedstaat auf allgemeine Überlegungen beschränkt, anstatt auf der Grundlage von relevanten wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellte Daten mitzuteilen, und somit nicht nachweist, daß diese Regelung zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher erforderlich ist und daß sie nicht die Grenze dessen überschreitet, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, kann die Regelung nicht gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag als durch den Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt angesehen werden.

2. Unter der Geltung der Richtlinie 79/112 über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln, die nur die erste Stufe eines Harmonisierungsprozesses auf diesem Gebiet darstellte, war ein Mitgliedstaat, der die in Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich vorgesehene Angabe des spezifischen Namens oder der EWG-Nummer der in Anhang II der Richtlinie aufgeführten Zutaten zwingend vorgeschrieben hatte, berechtigt, sich unter Berufung auf das zwingende Erfordernis des Verbraucherschutzes dem Inverkehrbringen eines Erzeugnisses aus einem anderen Mitgliedstaat, der von der in Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und nur die Angabe der Klasse "Konservierungsstoff" verlangt hatte, zu widersetzen.

Denn eine solche Ablehnung fiel zwar grundsätzlich unter das Verbot des Artikels 30 EWG-Vertrag, wurde jedoch durch das genannte Erfordernis gerechtfertigt, soweit sie nicht ausser Verhältnis zu den angestrebten Zielen stand und die Einfuhr von in anderen Mitgliedstaaten rechtmässig hergestellten und in Verkehr gebrachten Erzeugnissen nur so wenig wie möglich behinderte, da die blosse Angabe der Klasse "Konservierungsstoff" insbesondere wegen der Vielzahl der Konservierungsstoffe, die den betreffenden Erzeugnissen zugesetzt werden können, unzureichend ist und da die Etikettierung eines der Mittel ist, die den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft am wenigsten beschränken.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 14. JULI 1994. - STRAFVERFAHREN GEGEN J.J.J. VAN DER VELDT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RECHTBANK VAN EERSTE AANLEG GENT - BELGIEN. - VERBOT DES INVERKEHRBRINGENS VON BROT UND ANDEREN BAECKEREIERZEUGNISSEN, DEREN KOCHSALZGEHALT HOEHER ALS 2 % IST - VERPFLICHTUNG, BEI DER ETIKETTIERUNG BESTIMMTE ANGABEN ZU MACHEN - ARTIKEL 30 UND 36 EWG-VERTRAG UND RICHTLINIE 79/112/EWG. - RECHTSSACHE C-17/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die Rechtbank van eerste aanleg Gent hat mit Urteil vom 15. Januar 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Januar 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag sowie der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 33, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Strafverfahren, das gegen Herrn van der Veldt wegen des Verkaufs von Brot, dessen Salzgehalt dem belgischen Recht nicht entsprochen habe, auf dem belgischen Markt und wegen Verstosses gegen die Verpflichtung, auf dem Etikett von Bäckereierzeugnissen den spezifischen Namen oder die EWG-Nummer des verwendeten Konservierungsstoffes anzugeben, durchgeführt wird.

3 Aus den von Herrn van der Veldt beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen geht hervor, daß die Firma Hema België, für die Herr van der Veldt als Leiter eines Geschäfts in Gent tätig ist, praktisch alle ihre Erzeugnisse, u. a. das Brot und die anderen Bäckereierzeugnisse, aus den Niederlanden einführt.

4 Kontrollen, die am 8. September und 29. November 1988 von der Lebensmittelaufsicht durchgeführt wurden und Proben im Geschäft in Gent verkaufter Erzeugnisse betrafen, zeigten, daß das Brot Salz in einer Menge von 2,11 % bis 2,17 % enthielt, während die belgische Königliche Verordnung vom 2. September 1985 über Brot und andere Bäckereierzeugnisse (Belgisch Staatsblad vom 7. November 1985), die zur Durchführung des Gesetzes vom 24. Januar 1977 zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher in bezug auf Lebensmittel und andere Erzeugnisse (Belgisch Staatsblad vom 8. April 1977) erlassen worden war, nur einen Salzgehalt von 2 % gestattet. Ausserdem enthielt die Verpackung der streitigen Erzeugnisse die Angabe "Konservierungsstoff" und nicht, wie es die ebenfalls zur Durchführung des vorerwähnten Gesetzes vom 24. Januar 1977 erlassene belgische Königliche Verordnung vom 13. November 1986 (Belgisch Staatsblad vom 2. Dezember 1986) verlangt, die Angabe des spezifischen Namens oder der EWG-Nummer der verwendeten Zutat, nämlich "Propionsäure" oder "E 280".

5 Die zuletzt genannte Verordnung führt Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 79/112 im belgischen Recht durch, wonach

"°... Zutaten, die zu einer der in Anhang II aufgeführten Klassen gehören, mit dem Namen dieser Klasse bezeichnet werden [müssen], dem der spezifische Name oder die EWG-Nummer zu folgen hat".

Zu den in Anhang II der Richtlinie 79/112 ausdrücklich aufgeführten Klassen zählt die der Konservierungsstoffe.

6 Nach Artikel 22 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 79/112 mussten die Staaten innerhalb von vier Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie ihre Rechtsvorschriften in der Weise ändern, daß das Inverkehrbringen von dieser Richtlinie nicht entsprechenden Erzeugnissen untersagt ist. Abweichend von dieser Regel brauchten jedoch nach Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a die Mitgliedstaaten die Bestimmungen nicht zwingend vorzuschreiben, die die in Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich vorgesehene Angabe des spezifischen Namens oder der EWG-Nummer der Zutaten, die zu einer der in Anhang II aufgeführten Klassen gehörten, betrafen. Die Niederlande machten von dieser Möglichkeit Gebrauch.

7 Diese Wahlmöglichkeit wurde nach den Ereignissen des Ausgangsverfahrens ab 20. Juni 1992 beseitigt, und zwar durch Artikel 2 der Richtlinie 89/395/EWG des Rates vom 14. Juni 1989 zur Änderung der Richtlinie 79/112/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 186, S. 17).

8 Da die streitigen Erzeugnisse in den Niederlanden rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden waren, wo der Salzgehalt von Brot auf 2,5 % begrenzt ist und wo Zusätze nur durch die Angabe "Konservierungsstoff", ein in Anhang II des Algemeen Aanduidingsbesluit (Warenwet) erwähnter Klassenname, bezeichnet werden können, hat es die Rechtbank van eerste aanleg Gent für erforderlich gehalten, vor Erlaß ihres Urteils dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:

1) Ist eine gesetzliche Bestimmung eines Mitgliedstaats, die den Verkauf von Brot mit einem höchsten Salzgehalt in der Trockenmasse von mehr als 2 % verbietet, als mengenmässige Beschränkung oder Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag anzusehen, wenn aufgrund dieser nationalen Maßnahme Brot, das in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig in den Verkehr gebracht worden ist und dessen höchster Salzgehalt in der Trockenmasse mehr als 2,5 % beträgt, bei der Einfuhr in den erstgenannten Mitgliedstaat nicht verkauft werden darf, weil der Salzgehalt die in diesem Staat geltende Hoechstgrenze von 2 % überschreitet?

2) Falls die erste Frage bejaht wird und eine solche Bestimmung gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstösst, kann sich dann der erstgenannte Mitgliedstaat unter den genannten Umständen auf die in Artikel 36 EWG-Vertrag geregelte Ausnahme und den darin vorgesehenen Schutz der öffentlichen Gesundheit berufen, um die Maßnahme aufrechtzuerhalten und das Verbot des Artikels 30 EWG-Vertrag ausser acht zu lassen?

3) Nach Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 33, S. 1) brauchen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen in bezug auf die in Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich vorgesehene Angabe des spezifischen Namens oder der EWG-Nummer der Zutaten, die zu einer der in Anhang II aufgeführten Klassen (u. a. Konservierungsstoffe) gehören, nicht zwingend vorzuschreiben, so daß ein Hinweis auf die allgemeine Klasse genügt.

a) Wenn ein Mitgliedstaat die in Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich vorgesehenen Angaben doch vorgeschrieben hat, darf er dann den Verkauf von in einem anderen Mitgliedstaat, der diese Angaben nach Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a nicht vorgeschrieben hat, rechtmässig in den Verkehr gebrachten Erzeugnissen, die die in dem erstgenannten Mitgliedstaat vorgeschriebenen Angaben nicht enthalten, verbieten? Mit anderen Worten, ist der erstgenannte Mitgliedstaat berechtigt, die betreffenden Erzeugnisse von dem in Artikel 30 EWG-Vertrag vorgesehenen freien Warenverkehr auszuschließen?

b) Darf sich der erstgenannte Mitgliedstaat, wenn Artikel 30 in bezug auf das nicht den Vorschriften entsprechende Erzeugnis seine volle Wirkung behält, auf Artikel 36 EWG-Vertrag berufen, um die Anwendung von Artikel 30 EWG-Vertrag aufgrund der Tatsache auszuschließen, daß auf der Verpackung dieses Erzeugnisses nicht die in Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich vorgesehenen Angaben angebracht sind, die im erstgenannten Mitgliedstaat, aber nicht in dem Mitgliedstaat, in dem das Erzeugnis rechtmässig in den Verkehr gebracht wurde, vorgeschrieben sind?

Zur ersten Frage

9 Mit der ersten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die das Inverkehrbringen von Brot und anderen Bäckereierzeugnissen untersagen, deren Salzgehalt in der Trockenmasse die Hoechstgrenze von 2 % überschreitet, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag darstellen, wenn sie auch für die Einfuhr von Erzeugnissen gelten, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind.

10 Nach ständiger Rechtsprechung ist es in Ermangelung gemeinsamer oder harmonisierter Vorschriften über die Herstellung und das Inverkehrbringen von Brot und anderen Bäckereierzeugnissen Sache der Mitgliedstaaten, alle Vorschriften über die Merkmale der Zusammensetzung, die Herstellung und das Inverkehrbringen dieser Nahrungsmittel für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen, soweit diese Vorschriften nicht geeignet sind, zu Diskriminierungen importierter Erzeugnisse zu führen oder die Einfuhr von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zu behindern (vgl. Urteile vom 19. Februar 1981 in der Rechtssache 130/80, Kelderman, Slg. 1981, 527, und vom 7. Februar 1984 in der Rechtssache 237/82, Jongeneel Kaas, Slg. 1984, 483).

11 Die Ausdehnung der Verpflichtung, einen maximalen Salzgehalt in der Trockenmasse einzuhalten, auf eingeführte Erzeugnisse kann zur Folge haben, daß in dem betreffenden Staat das Inverkehrbringen von Brot und anderen Bäckereierzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Wenn in diesen Staaten nämlich nicht die gleichen Herstellungskriterien vorgeschrieben sind, wird diese Ausdehnung eine Herstellung erfordern, die je nach dem Bestimmungsland des betreffenden Brotes oder Bäckereierzeugnisses unterschiedlich ist, und so den Verkehr der Erzeugnisse, die dort rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, behindern.

12 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die das Inverkehrbringen von Brot und anderen Bäckereierzeugnissen verbieten, deren Salzgehalt in der Trockenmasse die Hoechstgrenze von 2 % überschreitet, und die auf Erzeugnisse angewandt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag darstellen.

Zur zweiten Frage

13 Mit der zweiten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob eine Regelung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag als durch den Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt angesehen werden kann.

14 Die betreffende belgische Regelung ist zur Durchführung des erwähnten Gesetzes vom 24. Januar 1977 erlassen worden, das, wie schon aus seinem Titel hervorgeht, den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezweckt.

15 Da es sich um eine Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenverkehrs handelt, haben die nationalen Behörden darzutun, daß ihre Regelung dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entspricht, d. h., daß sie erforderlich ist, um das angestrebte Ziel, im vorliegenden Fall den Schutz der öffentlichen Gesundheit, zu erreichen.

16 Insoweit beschränkt sich das belgische Gesundheitsministerium in seinem Schreiben vom 6. August 1990 an die Staatsanwaltschaft Gent, das im Schriftsatz von Herrn van der Veldt wörtlich wiedergegeben ist, auf die Erklärung, daß "[die] für die Gesundheitspolitik zuständigen belgischen Behörden... der Meinung [sind], daß die niederländischen Normen zu hoch sind". Das Ministerium führt aus: "Würde man die niederländische Norm zugrunde legen, so würde die tägliche Zufuhr 3,1 g betragen und sich damit für die Durchschnittsbevölkerung, also ohne die grossen Brotverbraucher, um 0,6 g Salz pro Tag erhöhen."

17 Mit derart allgemeinen Überlegungen wird nicht dargetan, daß eine Erhöhung des Salzverbrauchs in dem erwähnten Ausmaß eine wirkliche Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellt. Zwar reicht, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat (vgl. Urteil vom 6. Juni 1984 in der Rechtssache 97/83, Melkunie, Slg. 1984, 2367), das blosse Bestehen einer Gefahr für die Verbraucher aus, um die Rechtsvorschriften als mit den Erfordernissen des Artikels 36 vereinbar anzusehen. Diese Gefahr ist jedoch nicht anhand allgemeiner Überlegungen, sondern auf der Grundlage von relevanten wissenschaftlichen Untersuchungen zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 12. März 1987 in der Rechtssache 178/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227).

18 Da die belgischen Behörden keine wissenschaftlichen Daten mitgeteilt haben, auf die sich der belgische Gesetzgeber für den Erlaß der fraglichen Maßnahmen gestützt hat und die deren Beibehaltung rechtfertigen könnten, haben sie nicht die Gefahr nachgewiesen, die ein Salzgehalt von mehr als 2 % für die öffentliche Gesundheit darstellt.

19 Überdies hätte der belgische Gesetzgeber, anstatt das Inverkehrbringen von Brot und anderen Bäckereierzeugnissen mit einem Salzgehalt von mehr als 2 % zu verbieten und mit Strafsanktionen zu belegen, eine geeignete Etikettierung vorsehen können, die den Verbrauchern die gewünschten Informationen über die Zusammensetzung des Erzeugnisses liefert. Diese Lösung hätte den freien Warenverkehr in geringerem Masse eingeschränkt und zugleich dem Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entsprochen.

20 Aus allen vorstehenden Überlegungen ergibt sich, daß die belgischen Behörden nicht nachgewiesen haben, daß die streitige Regelung zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher erforderlich ist und daß sie nicht die Grenze dessen überschreitet, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Die streitige Regelung entspricht daher nicht dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit.

21 Unter diesen Umständen ist auf die zweite Frage zu antworten, daß eine Regelung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, geeignet ist, den Handelsverkehr zwischen Mitgliedstaaten zu behindern, und nicht gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag als durch den Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt angesehen werden kann.

Zur dritten Frage

22 Mit der dritten Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob unter der Geltung der Richtlinie 79/112 ein Mitgliedstaat, der die in Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich vorgesehene Angabe des spezifischen Namens oder der EWG-Nummer der in Anhang II der Richtlinie aufgeführten Zutaten zwingend vorgeschrieben hatte, berechtigt war, sich unter Berufung auf das zwingende Erfordernis des Verbraucherschutzes oder auf einen der in Artikel 36 EWG-Vertrag genannten Gründe dem Inverkehrbringen eines Erzeugnisses aus einem anderen Mitgliedstaat, der von der in Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und nur die Angabe der Klasse "Konservierungsstoff" verlangt hatte, zu widersetzen.

23 Vorab ist festzustellen, daß das Erfordernis, auf der Verpackung der verkauften Erzeugnisse den spezifischen Namen oder die EWG-Nummer des Konservierungsstoffes anzugeben, zur Folge hat, daß die Einfuhr der gleichen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten, die eine solche Angabe nicht verlangen, schwieriger wird. Infolgedessen fällt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere Urteile vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, und vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78, Rewe, Slg. 1979, 649) ein solches Erfordernis grundsätzlich unter das Verbot des Artikels 30 EWG-Vertrag.

24 Weiter ist daran zu erinnern, daß sich u. a. nach dem Urteil vom 11. Mai 1989 in der Rechtssache 76/86 (Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 1021) aus den Artikeln 30 ff. EWG-Vertrag ergibt, daß eine in Ermangelung gemeinsamer oder harmonisierter Vorschriften erlassene nationale Regelung, die unterschiedslos auf einheimische wie auf solche Produkte Anwendung findet, die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden, in denen sie rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, mit dem Vertrag nur insoweit vereinbar ist, als sie notwendig ist, um Gründen des Gemeinwohls, die in Artikel 36 EWG-Vertrag aufgeführt sind, oder zwingenden Erfordernissen insbesondere des Verbraucherschutzes gerecht zu werden.

25 Schließlich ergibt sich aus dem Urteil vom 5. Oktober 1977 in der Rechtssache 5/77 (Tedeschi, Slg. 1977, 1555), daß der Rückgriff auf Artikel 36 nur dann nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn in Anwendung von Artikel 100 EWG-Vertrag Gemeinschaftsrichtlinien die vollständige Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften vorsehen. Somit ist anzuerkennen, daß, wenn die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf einem bestimmten Gebiet noch nicht verwirklicht ist, diese Rechtsvorschriften die Anwendung des Grundsatzes des freien Warenverkehrs behindern können, soweit die Hindernisse aus einem der in Artikel 36 EWG-Vertrag genannten Gründe oder durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt sind.

26 Im vorliegenden Fall stellt die Richtlinie 79/112, wie insbesondere aus ihrer ersten und ihrer achten Begründungserwägung hervorgeht, nur die erste Stufe eines Harmonisierungsprozesses dar, der auf die schrittweise Abschaffung aller Hindernisse für den freien Verkehr mit Lebensmitteln abzielt, die sich aus den Unterschieden zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung dieser Erzeugnisse ergeben.

27 Da die im Ausgangsverfahren streitige Bestimmung zudem unterschiedslos auf einheimische und eingeführte Erzeugnisse anwendbar ist, ist zu prüfen, ob sie durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes oder aus einem der in Artikel 36 EWG-Vertrag genannten Gründe gerechtfertigt werden kann.

28 Wie aus der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie 79/112 sowie aus der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie 89/395, die die Angabe des spezifischen Namens oder der EWG-Nummer der Zutaten auf der Verpackung der Lebensmittel zwingend vorschreibt, hervorgeht, soll jede Regelung über die Etikettierung von Lebensmitteln vor allem der Unterrichtung und dem Schutz der Verbraucher dienen. Dies bedeutet auch, daß die Verbraucher die Möglichkeit haben müssen, alle verschiedenen Zutaten, die verwendet wurden, genau zu kennen.

29 Die Verpflichtung, auf der Verpackung von Brot und anderen Bäckereierzeugnissen den spezifischen Namen oder die EWG-Nummer der Konservierungsstoffe anzugeben, setzt diese Anliegen um und zielt damit auf die Gewährleistung des Verbraucherschutzes ab, der in der Rechtsprechung des Gerichtshofes als zwingendes Erfordernis anerkannt worden ist.

30 Eine solche Verpflichtung muß jedoch mit Mitteln erfuellt werden, die nicht ausser Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen und die Einfuhr von in anderen Mitgliedstaaten rechtmässig hergestellten und in Verkehr gebrachten Erzeugnissen nur so wenig wie möglich behindern.

31 Die Anbringung der obligatorischen Angabe des spezifischen Namens oder der EWG-Nummer des Konservierungsstoffes erfuellt diese Anforderungen: Die blosse Angabe der Klasse "Konservierungsstoff" würde sich nämlich insbesondere wegen der Vielzahl der Konservierungsstoffe, die den betreffenden Erzeugnissen zugesetzt werden können, als unzureichend erweisen. Ausserdem hat der Gerichtshof bereits ausgeführt (vgl. Urteil vom 20. Juni 1991 in der Rechtssache C-39/90, Denkavit, Slg. 1991, I-3069, Randnr. 24), daß die Etikettierung eines der Mittel ist, die den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft am wenigsten beschränken.

32 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß unter der Geltung der Richtlinie 79/112 ein Mitgliedstaat, der die in Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich vorgesehene Angabe des spezifischen Namens oder der EWG-Nummer der in Anhang II der Richtlinie aufgeführten Zutaten zwingend vorgeschrieben hatte, berechtigt war, sich unter Berufung auf das zwingende Erfordernis des Verbraucherschutzes dem Inverkehrbringen eines Erzeugnisses aus einem anderen Mitgliedstaat, der von der in Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und nur die Angabe der Klasse "Konservierungsstoff" verlangt hatte, zu widersetzen.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 34 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm von der Rechtbank van eerste aanleg Gent mit Urteil vom 15. Januar 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die das Inverkehrbringen von Brot und anderen Bäckereierzeugnissen verbieten, deren Salzgehalt in der Trockenmasse die Hoechstgrenze von 2 % überschreitet, und die auf Erzeugnisse angewandt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, stellen eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag dar.

2) Eine Regelung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, ist geeignet, den Handelsverkehr zwischen Mitgliedstaaten zu behindern, und kann nicht gemäß Artikel 36 EWG-Vertrag als durch den Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt angesehen werden.

3) Unter der Geltung der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür war ein Mitgliedstaat, der die die in Artikel 6 Absatz 5 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich vorgesehene Angabe des spezifischen Namens oder der EWG-Nummer der in Anhang II der Richtlinie aufgeführten Zutaten zwingend vorgeschrieben hatte, berechtigt, sich unter Berufung auf das zwingende Erfordernis des Verbraucherschutzes dem Inverkehrbringen eines Erzeugnisses aus einem anderen Mitgliedstaat, der von der in Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und nur die Angabe der Klasse "Konservierungsstoff" verlangt hatte, zu widersetzen.

Ende der Entscheidung

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