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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.03.2000
Aktenzeichen: C-178/97
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, Verordnung (EWG) Nr. 574/72


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 14a Nr. 1 Buchst. a
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 14c
Verordnung (EWG) Nr. 574/72 Art. 11a
Verordnung (EWG) Nr. 574/72 Art. 12a Abs. 7
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Der Begriff "Arbeit" in Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 in ihrer durch die Verordnung Nr. 2001/83 und danach durch die Verordnung Nr. 3811/86 geänderten und aktualisierten Fassung, wonach eine Person, die gewöhnlich eine selbständige Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt, und die eine Arbeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausführt, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet, erfaßt jede - im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte - Arbeitsleistung.

Diese Auslegung ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der betreffenden Bestimmung, da dem Begriff "Arbeit" gemeinhin allgemeine Bedeutung zukommt, die ohne Unterschied eine im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte Arbeitsleistung bezeichnet. Zum anderen entspricht sie der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung, da der Rat den Begriff "Arbeit" dem Begriff "Dienstleistung" vorgezogen hat, den die Kommission vorgeschlagen hatte, um ihre Anwendung allein auf den Fall der Durchführung einer selbständigen Arbeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu beschränken. (vgl. Randnrn. 16, 21, 23, 28, Tenor 1)

2 Die gemäß Artikel 11a der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte E-101-Bescheinigung, die bescheinigt, daß der betreffende Selbständige für einen bestimmten Zeitraum, während dessen er im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Arbeit ausführt, den Rechtsvorschriften des Herkunftsmitgliedstaats unterstellt bleibt, bindet, solange sie nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt worden ist, den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in den sich der Selbständige zur Ausführung einer Arbeit begibt, wie auch die Person, die Leistungen dieses Selbständigen in Anspruch nimmt.

Allerdings muß der zuständige Träger des Mitgliedstaats, der diese Bescheinigung ausgestellt hat, deren Richtigkeit überprüfen und sie gegebenenfalls zurückziehen, wenn der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem der Selbständige eine Arbeit ausführt, Zweifel an der Richtigkeit des der Bescheinigung zugrunde liegenden Sachverhalts und demnach der darin gemachten Angaben insbesondere deshalb geltend macht, weil diese den Tatbestand des Artikels 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 nicht erfuellten.

Im übrigen spricht nichts dagegen, daß die E-101-Bescheinigung gegebenenfalls Rückwirkung entfaltet. (vgl. Randnrn. 43, 48, 53, 54, 57, Tenor 2 und 3)


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 30. März 2000. - Barry Banks u. a. gegen Theatre royal de la Monnaie. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal du travail de Bruxelles - Belgien. - Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Anwendbares Recht - Tragweite der E-101-Bescheinigung. - Rechtssache C-178/97.

Parteien:

In der Rechtssache C-178/97

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Tribunal du travail Brüssel (Belgien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Barry Banks u. a.

gegen

Théâtre Royal de la Monnaie,

Beteiligte:

Colin Appleton und Christopher Davies,

Mark Curtis

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a und 14c der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Artikel 11a und 12a Absatz 7 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) und danach durch die Verordnung (EWG) Nr. 3811/86 des Rates vom 11. Dezember 1986 (ABl. L 355, S. 5) geänderten und aktualisierten Fassung

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward sowie der Richter L. Sevón, C. Gulmann, J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und P. Jann,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- von Herrn Banks u. a., vertreten durch Solicitor M. J. S. Renouf und Rechtsanwalt B. Blanpain, Brüssel,

- des Théâtre Royal de la Monnaie, vertreten durch Rechtsanwältin S. Capiau, Brüssel,

- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,

- der französischen Regierung, vertreten durch M. Perrin de Brichambaut, Direktor für Rechtsangelegenheiten im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, und C. Chavance, Sekretär für auswärtige Angelegenheiten in der Direktion für Rechtsangelegenheiten dieses Ministeriums, als Bevollmächtigte,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch J. G. Lammers, stellvertretender Rechtsberater im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Wolfcarius, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Banks u. a., vertreten durch M. J. S. Renouf und Rechtsanwalt B. Blanpain, des Théâtre Royal de la Monnaie, vertreten durch Rechtsanwältin S. Capiau, der deutschen Regierung, vertreten durch C.-D. Quassowski, der französischen Regierung, vertreten durch C. Chavance, der irischen Regierung, vertreten durch A. O'Caoimh, SC, der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra, Rechtsberater im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Barrister M. Hoskins, und der Kommission, vertreten durch M. Wolfcarius, in der Sitzung vom 22. Oktober 1998,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. November 1998,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal du travail Brüssel hat mit Beschluß vom 21. April 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Mai 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a und 14c der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, (im folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) und der Artikel 11a und 12a Absatz 7 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (im folgenden: Verordnung Nr. 574/72) in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) und danach durch die Verordnung (EWG) Nr. 3811/86 des Rates vom 11. Dezember 1986 (ABl. L 355, S. 5) geänderten und aktualisierten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Banks, acht weiteren Opernsängern und einem Dirigenten, unterstützt von drei weiteren Künstlern, (im folgenden: Kläger) und dem Théâtre Royal de la Monnaie Brüssel (im folgenden: TRM) wegen Beiträgen, die das TRM gemäß dem belgischen allgemeinen System der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer von den Gagen der Kläger einbehalten hat.

3 Die Kläger sind Bühnenkünstler britischer Staatsangehörigkeit. Sie wohnen im Vereinigten Königreich, wo sie gewöhnlich erwerbstätig sind, und unterliegen als Selbständige dem britischen System der sozialen Sicherheit. Sie wurden vom TRM in den Jahren 1992 bis 1995 für Auftritte in Belgien engagiert. Die Engagements der Künstler beliefen sich mit einer Ausnahme - hier umfaßte der Leistungszeitraum vier Monate und sechs Tage - auf jeweils weniger als drei Monate.

4 Das TRM behielt von den Gagen die Beiträge ein, die aufgrund des Anschlusses der Kläger an das belgische allgemeine System der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer geschuldet waren. Dieser Einbehalt erfolgte aufgrund von Artikel 3 Absatz 2 der Königlichen Verordnung vom 28. November 1969 zur Durchführung des Gesetzes vom 27. Juni 1969 zur Änderung der Arrêté-loi vom 28. Dezember 1944 über die soziale Sicherheit derjenigen, die dem System der sozialen Sicherheit der im Lohn- oder Gehaltsverhältnis stehenden Arbeitnehmer angehören (Moniteur belge vom 5. Dezember 1969), der dieses System auf Bühnenkünstler erstreckt hat. Die Verträge der Kläger sahen diesen Einbehalt ausdrücklich vor.

5 Im Laufe ihres Engagements oder im Laufe des Verfahrens vor dem vorlegenden Gericht legten die Kläger jeweils eine vom britischen Ministerium für soziale Sicherheit gemäß Artikel 11a der Verordnung Nr. 547/72 ausgestellte E-101-Bescheinigung vor, aus der hervorging, daß sie selbständig sind, während ihres Engagements beim TRM eine selbständige Tätigkeit ausüben werden und während dieser Zeit gemäß Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 weiterhin den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs über soziale Sicherheit unterstellt bleiben werden. Nach der genannten Bestimmung unterliegt eine Person, die eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt und die eine Arbeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausführt, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet.

6 Die Kläger erhoben beim Tribunal du travail Brüssel Klage gegen ihren Anschluß an das belgische System der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer mit dem Antrag, das TRM zur Erstattung der gezahlten Beiträge, zuzüglich gesetzlicher Zinsen, zu verurteilen. Sie machten geltend, sie unterlägen gemäß Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 weiterhin nur den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs, da sie gewöhnlich im Vereinigten Königreich eine selbständige Tätigkeit ausübten und in Belgien weniger als zwölf Monate gearbeitet hätten. Sie trugen außerdem vor, das TRM wie auch das belgische Office national de sécurité sociale (im folgenden: ONSS) müßten die vom britischen Ministerium für soziale Sicherheit ausgestellten E-101-Bescheinigungen beachten.

7 Das TRM vertrat die Meinung, daß die belgischen Rechtsvorschriften aufgrund von Artikel 14c Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar seien, wonach eine Person, die im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten gleichzeitig eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis und eine selbständige Tätigkeit ausübe, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliege, in dessen Gebiet sie ihre Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübe. Ferner sei es verpflichtet, sich an die Entscheidung des ONSS zu halten, das sich weigere, britischen Selbständigen ausgestellte E-101-Bescheinigungen zu berücksichtigen. Zudem seien diese Bescheinigungen, deren Rückwirkung zweifelhaft sei, größtenteils erst im Laufe des Engagements der Künstler oder im Laufe des Verfahrens vor dem Tribunal du travail Brüssel ausgestellt und ihm zugeleitet worden.

8 Das vorlegende Gericht weist in seinem Beschluß zunächst darauf hin, daß der Gerichtshof in den Urteilen vom 30. Januar 1997 in der Rechtssache C-340/94 (De Jaeck, Slg. 1997, I-461) und in der Rechtssache C-221/95 (Hervein und Hervillier, Slg. 1997, I-609) entschieden habe, daß für die Anwendung der Artikel 14a und 14c der Verordnung Nr. 1408/71 unter "Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis" und "selbständiger Tätigkeit" die Tätigkeiten zu verstehen seien, die nach den Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet diese Tätigkeiten ausgeübt würden, als solche angesehen würden.

9 Das vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, daß die Tätigkeit der Kläger nach den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs über die soziale Sicherheit als selbständige Tätigkeit und nach den entsprechenden belgischen Rechtsvorschriften als Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis angesehen werde.

10 Die von den Klägern vertretene Anwendung von Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a setze voraus, daß der Begriff "Arbeit" in dieser Bestimmung eine weite Auslegung erfahre und jede im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte Arbeitsleistung erfasse, die zwölf Monate nicht überschreite.

11 Anderenfalls könnte Artikel 14c der Verordnung Nr. 1408/71 auf die Kläger anwendbar sein. Das hätte zum Ergebnis, daß jene gemäß Artikel 14d dieser Verordnung mit ihrer gesamten Berufstätigkeit nur den belgischen Rechtsvorschriften unterlägen, da sie eine Tätigkeit ausübten, die in Belgien als im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt angesehen werde. Jedoch könnten die Kläger angesichts der kurzen Dauer ihrer Tätigkeit in Belgien keine im belgischen System vorgesehene Leistung in Anspruch nehmen.

12 Das Tribunal du travail Brüssel hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Erfaßt der Begriff "Arbeit" in Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 jede - im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte - Arbeitsleistung, deren Dauer zwölf Monate nicht überschreitet?

b) Falls der Begriff "Arbeit" im Sinne von Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a ausschließlich selbständige Tätigkeit bedeutet, bestimmt sich dieser Begriff dann anhand des Rechts der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die selbständige Tätigkeit gewöhnlich ausgeübt wird, oder anhand des Rechts der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die "Arbeit" ausgeführt wird?

2. Welche Zeiteinheit ist bei der Würdigung des Begriffes "gleichzeitig" in Artikel 14c der Verordnung Nr. 1408/71 zugrunde zu legen, oder anhand welcher Kriterien ist dieser Begriff zu bestimmen?

3. a) i) Ist der Vordruck E 101, dessen Ausstellung insbesondere in den Artikeln 11a und 12a Absatz 7 der Verordnung Nr. 2001/83 vorgesehen ist, in bezug auf die Rechtswirkungen, die er bescheinigt, bindend

- für den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in dem die zweite Tätigkeit ausgeübt wird;

- für die Person, der der Arbeitnehmer, der eine Tätigkeit im Gebiet der beiden Mitgliedstaaten ausübt, die Leistungen erbringt?

ii) Falls diese Frage bejaht wird, wie lange besteht diese Bindungswirkung?

b) Entfaltet der Vordruck E 101 Rückwirkung, soweit die Zeiten, die er bescheinigt, vor seiner Ausstellung oder seiner Vorlage liegen?

Zur ersten Frage

13 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff "Arbeit" in Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 jede - im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte - Arbeitsleistung erfaßt. Für den Fall, daß sich diese Bestimmung nur auf eine selbständige Tätigkeit bezieht, fragt das Gericht, ob der Charakter der betreffenden Arbeit anhand der Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Person eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich ausübt, oder anhand der entsprechenden Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats zu bestimmen ist, in dem die Arbeit ausgeführt wird.

14 Artikel 13, die erste Bestimmung des Titels II - Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften - der Verordnung Nr. 1408/71, bestimmt in Absatz 1, daß vorbehaltlich des Artikels 14c Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen.

15 Gemäß Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung Nr. 1408/71 gilt, soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, daß eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt.

16 Nach Artikel 14a - Sonderregelung für andere Personen als Seeleute, die eine selbständige Tätigkeit ausüben - der Verordnung Nr. 1408/71 gelten vom Grundsatz des Artikels 13 Absatz 2 Buchstabe b die folgenden Ausnahmen und Besonderheiten. Gemäß Absatz 1 Buchstabe a unterliegt eine Person, die gewöhnlich eine selbständige Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt und die eine Arbeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausführt, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet.

17 Die Kläger, das TRM, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission, denen sich in der Sitzung die irische Regierung angeschlossen hat, sind der Auffassung, daß sich der Begriff "Arbeit" in Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 auf jede - im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte - Arbeitsleistung erstrecken müsse. Diese Auslegung sei durch den sehr weiten Sinn geboten, der diesem Begriff in der Umgangssprache zukomme. Die Kläger und die Kommission machen außerdem geltend, daß sich die Verwendung dieses Begriffes aus einer wohlbedachten Entscheidung des Rates beim Erlaß der Verordnung (EWG) Nr. 1390/81 vom 12. Mai 1981 zur Ausdehnung der Verordnung Nr. 1408/71 auf die Selbständigen und ihre Familienangehörigen (ABl. L 143, S. 1) ergebe. Denn die Kommission habe in ihrem ursprünglichen Vorschlag wie in ihrem geänderten Vorschlag für die Verordnung anstelle des Begriffes "Arbeit" den Begriff "Dienstleistung" verwendet und damit die Anwendung der Bestimmung allein auf den Fall beschränken wollen, daß ein Selbständiger im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine selbständige Arbeit ausübe.

18 Für den Fall, daß der Gerichtshof zu der Auffassung gelangen sollte, der Begriff "Arbeit" erfasse ausschließlich selbständig geleistete Arbeit, vertreten die Kläger, das TRM und die Regierung des Vereinigten Königreichs die Ansicht, daß der Charakter der betreffenden Arbeit anhand der Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit des Mitgliedstaats zu bestimmen sei, in dem der Betroffene gewöhnlich seine selbständige Tätigkeit ausübe. Gestützt auf die Urteile De Jaeck sowie Hervein und Hervillier ist die Kommission demgegenüber der Ansicht, daß sich diese Beurteilung nach den Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit des Mitgliedstaats richte, in dem die Arbeit ausgeführt werde.

19 Die deutsche, die französische und die niederländische Regierung tragen vor, der Begriff "Arbeit" erfasse ausschließlich selbständig geleistete Arbeit, wobei die Bestimmung ihres Charakters anhand der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorzunehmen sei, in dem die Arbeit ausgeführt werde. Diese Auslegung ergebe sich zunächst bereits aus der Überschrift des Artikels 14a der Verordnung Nr. 1408/71. Sie stehe überdies im Einklang mit den entsprechenden Bestimmungen des Titels II für Arbeitnehmer und Seeleute im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, die zur Ausführung einer Arbeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats oder an Bord eines Schiffes, das unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats fahre, entsandt würden. Für diese Arbeitnehmer und Seeleute würden nämlich nur dann weiterhin allein die Rechtsvorschriften ihres Herkunftsmitgliedstaats gelten, wenn sie eine Arbeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausführten.

20 Der von den Klägern, der irischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission vertretenen Auslegung des Begriffes "Arbeit" ist zu folgen.

21 Diese Auslegung ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut des Artikels 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71. Denn dem Begriff "Arbeit" kommt gemeinhin allgemeine Bedeutung zu, die ohne Unterschied eine im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte Arbeitsleistung bezeichnet. Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a unterscheidet sich insoweit von Artikel 14b Nummer 2, wonach eine Person, die gewöhnlich eine selbständige Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats oder an Bord eines Schiffes, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, ausübt und eine Arbeit an Bord eines Schiffes ausführt, das unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats fährt, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt, soweit diese Person diese Arbeit für eigene Rechnung ausführt.

22 Zwar gilt Artikel 14a der Verordnung Nr. 1408/71 gemäß seiner Überschrift für andere Personen als Seeleute, die eine selbständige Tätigkeit ausüben. Daraus läßt sich jedoch nicht ableiten, daß die in Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a genannte Arbeit notwendig selbständig sein müsse. Denn in diesem Artikel bezeichnet der Begriff "selbständige Arbeit" die Tätigkeit, die die betreffende Person gewöhnlich im Gebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten ausübt, und nicht die gelegentliche Leistung, die sie außerhalb dieses Mitgliedstaats oder dieser Mitgliedstaaten ausführt.

23 Diese Auslegung des Artikels 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 entspricht der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung. Sie wurde durch die Verordnung Nr. 1390/81 in die Verordnung Nr. 1408/71 eingefügt, die diese Verordnung auf die Selbständigen und ihre Familienangehörigen ausgedehnt hat. Nun hatte die Kommission in ihrem ursprünglichen Vorschlag zur Anpassung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. 1978, C 14, S. 9) wie in ihrem geänderten Vorschlag (ABl. 1978, C 246, S. 2) anstelle des Begriffes "Arbeit" den Begriff "Dienstleistung" verwendet und damit die Anwendung dieser Bestimmung allein auf den Fall der Durchführung einer selbständigen Arbeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats beschränken wollen. Daher spricht alles dafür, daß der Rat den Begriff "Arbeit" in der Absicht verwendet hat, auch den Fall einer Arbeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis unter diese Bestimmung zu fassen.

24 Die deutsche und die niederländische Regierung haben allerdings ausgeführt, daß eine Auslegung des Begriffes "Arbeit", die nicht auf selbständige Tätigkeiten beschränkt sei, schwerwiegende Folgen haben könne. Eine solche Auslegung laufe darauf hinaus, es jedermann zu ermöglichen, sich dem System der sozialen Sicherheit für Selbständige eines Mitgliedstaats, in dem die Beiträge niedrig seien, mit dem einzigen Ziel anzuschließen, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um dort für ein Jahr eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben, ohne die im letztgenannten Staat geltenden höheren Beiträge zu entrichten.

25 Dem ist nicht zu folgen. Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 verlangt zunächst, daß der Betroffene "gewöhnlich" eine selbständige Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt. Das setzt voraus, daß die betreffende Person üblicherweise nennenswerte Tätigkeiten in dem Mitgliedstaat verrichtet, in dem sie wohnt (vgl. entsprechend zu Artikel 14 Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 zur Entsendung von Arbeitnehmern Urteil vom 10. Februar 2000 in der Rechtssache C-202/97, FTS, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 45). Sie muß daher in dem Zeitpunkt, in dem sie sich auf die fragliche Bestimmung berufen möchte, ihre Tätigkeit bereits seit einiger Zeit ausgeübt haben. Ferner muß sie während der Zeit, in der sie eine Arbeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausführt, in ihrem Herkunftsstaat weiterhin die Voraussetzungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit unterhalten, um diese bei ihrer Rückkehr fortsetzen zu können.

26 Wie der Generalanwalt in Nummer 59 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, erfolgt die Beibehaltung einer solchen Infrastruktur im Herkunftsmitgliedstaat beispielsweise durch die Benutzung von Büroräumen, die Entrichtung von Beiträgen an das System der sozialen Sicherheit, die Zahlung von Steuern, den Besitz einer Gewerbeerlaubnis und einer Umsatzsteuernummer oder auch die Eintragung bei Handelskammern und Berufsverbänden.

27 Zudem setzt die Anwendung des Artikels 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 voraus, daß die Person, die eine selbständige Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine "Arbeit", d. h. eine bestimmte Aufgabe, ausführt, deren Inhalt und Dauer im voraus festgelegt sind und deren Nachweis durch die Vorlage entsprechender Verträge möglich sein muß.

28 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß der Begriff "Arbeit" in Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 jede - im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte - Arbeitsleistung erfaßt.

Zur zweiten Frage

29 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts betrifft die Auslegung des Begriffes "gleichzeitig" in Artikel 14c der Verordnung Nr. 1408/71.

30 Nach dem Vorlagebeschluß setzt die Anwendung des Artikels 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 im Ausgangsverfahren voraus, daß der dort verwendete Begriff "Arbeit" sich auf jede - im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte - Arbeitsleistung bezieht und daß die zweite Frage nur für den Fall gestellt wurde, daß diese Bestimmung im vorliegenden Fall nicht anwendbar wäre.

31 Angesichts der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage daher nicht beantwortet zu werden.

Zum ersten Teil der dritten Frage

32 Mit dem ersten Teil seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die gemäß den Artikeln 11a und 12a Absatz 7 der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte E-101-Bescheinigung sowohl den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in dem die Arbeit ausgeführt wird, als auch die Person bindet, die Leistungen von mit dieser Bescheinigung ausgestatteten Selbständigen in Anspruch nimmt. Falls diese Frage bejaht wird, fragt das vorlegende Gericht danach, wie lange diese Bescheinigung ihre Bindungswirkung entfaltet.

33 Artikel 11a der Verordnung Nr. 574/72 sieht u. a. vor, daß der Träger, den die zuständige Behörde desjenigen Mitgliedstaats bezeichnet, dessen Rechtsvorschriften gemäß Artikel 14a Nummer 1 der Verordnung Nr. 1408/71 weiterhin anzuwenden sind, eine Bescheinigung darüber ausstellt, daß und bis zu welchem Zeitpunkt diese Rechtsvorschriften weiterhin für den Selbständigen gelten. Kommt Artikel 14c Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendung, so stellt nach Artikel 12a Absatz 7 der Verordnung Nr. 574/72 der von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet eine Person selbständig tätig ist, bezeichnete Träger dieser eine Bescheinigung darüber aus, daß diese Rechtsvorschriften für sie gelten. Da Artikel 14c im Ausgangsverfahren jedoch aus den in den Randnummern 29 bis 31 dieses Urteils angegebenen Gründen nicht einschlägig ist, ist es nicht erforderlich, Artikel 12a Absatz 7 der Verordnung Nr. 574/72 zu prüfen.

34 Mit dem zur entscheidungserheblichen Zeit geltenden Beschluß Nr. 130 vom 17. Oktober 1985 über die zur Durchführung der Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 erforderlichen Vordrucke (E 001; E 101 bis 127; E 201 bis 215; E 301 bis 303; E 401 bis 411) (ABl. 1986, L 192, S. 1) legte die in den Artikeln 80 und 81 der Verordnung Nr. 1408/71 genannte Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaften für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (im folgenden: Verwaltungskommission) u. a. für die Bescheinigung nach Artikel 11a der Verordnung Nr. 574/72 eine "E-101-Bescheinigung" genannte Musterbescheinigung fest.

35 Die Kläger, das TRM, die irische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs vertreten die Auffassung, daß die E-101-Bescheinigung, solange sie der ausstellende Träger nicht zurückgezogen habe, gegenüber den zuständigen Trägern der anderen Mitgliedstaaten Bindungswirkung entfalte. Denn andernfalls würde das Funktionieren der in Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 niedergelegten Konfliktlösungsregeln gefährdet. Die Regierung des Vereinigten Königreichs meint, diese Bescheinigung binde auch diejenigen, die Arbeitnehmer einstellten, die im Besitz dieser Bescheinigung seien. Dagegen trägt das TRM hierzu vor, daß diese an die Anweisungen des zuständigen Trägers des Mitgliedstaats gebunden seien, dem sie angehörten.

36 Die deutsche, die französische und die niederländische Regierung sowie die Kommission verweisen darauf, daß in Titel II der Verordnung Nr. 1408/71 festgelegt sei, welche Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit auf Arbeitnehmer anwendbar seien. Es sei jedoch nicht auszuschließen, daß der zuständige Träger, der die E-101-Bescheinigung ausgestellt habe, aufgrund eines unzutreffenden Sachverhalts oder anhand einer fehlerhaften Beurteilung zur Anwendung seiner eigenen Rechtsvorschriften gekommen sei. Somit hätten, auch wenn die E-101-Bescheinigung einen wichtigen Hinweis auf die anwendbaren Rechtsvorschriften darstelle, die zuständigen Träger der anderen Mitgliedstaaten das Recht, gegebenenfalls zu einem anderen Ergebnis zu gelangen.

37 In einem solchen Fall haben nach Ansicht der deutschen und der niederländischen Regierung die Träger der anderen Mitgliedstaaten das Recht, die E-101-Bescheinigung unberücksichtigt zu lassen. Dagegen verweist die Kommission auf die Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Trägern der Mitgliedstaaten. Weigere sich der ausstellende Träger, der von einem anderen Träger geäußerten Bitte auf Rücknahme nachzukommen, sei es daher dessen Sache, die nationalen Gerichte mit diesem Streit zu befassen.

38 Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG) verpflichtet den ausstellenden Träger, den Sachverhalt, der für die Bestimmung der im Bereich der sozialen Sicherheit anwendbaren Rechtsvorschriften maßgebend ist, ordnungsgemäß zu beurteilen und damit die Richtigkeit der in der E-101-Bescheinigung aufgeführten Angaben zu gewährleisten (vgl. Urteil FTS, Randnr. 51).

39 Der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem die Arbeit ausgeführt wird, würde seine Verpflichtungen zur Zusammenarbeit nach Artikel 5 EG-Vertrag verletzen - und die Ziele der Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 und 11a der Verordnung Nr. 574/72 verfehlen -, wenn er sich nicht an die Angaben in der Bescheinigung gebunden sähe und den Selbständigen zusätzlich seinem eigenen System der sozialen Sicherheit unterstellte (vgl. ebenda, Randnr. 52).

40 Da die E-101-Bescheinigung eine Vermutung dafür begründet, daß der Anschluß des betreffenden Selbständigen an das System der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem er ansässig ist, ordnungsgemäß ist, bindet sie folglich den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in dem dieser Arbeitnehmer eine Arbeit ausführt (ebenda, Randnr. 53).

41 Jede andere Lösung würde den Grundsatz des Anschlusses der Selbständigen an ein einziges System der sozialen Sicherheit sowie die Vorhersehbarkeit des anwendbaren Systems und damit die Rechtssicherheit beeinträchtigen: In Fällen, in denen die Feststellung des anwendbaren Systems schwierig wäre, könnte der zuständige Träger beider betreffender Mitgliedstaaten sein eigenes System der sozialen Sicherheit für anwendbar erklären, was dem betroffenen Selbständigen zum Nachteil gereichte (ebenda, Randnr. 54).

42 Solange also eine E-101-Bescheinigung nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird, hat der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem der Selbständige eine Arbeit ausführt, dem Umstand Rechnung zu tragen, daß dieser bereits dem Recht der sozialen Sicherheit des Staates unterliegt, in dem er ansässig ist; der Träger kann daher den fraglichen Selbständigen nicht seinem eigenen System der sozialen Sicherheit unterstellen (ebenda, Randnr. 55).

43 Allerdings muß der zuständige Träger des Mitgliedstaats, der diese E-101-Bescheinigung ausgestellt hat, deren Richtigkeit überprüfen und die Bescheinigung gegebenenfalls zurückziehen, wenn der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem der Selbständige eine Arbeit ausführt, Zweifel an der Richtigkeit des der Bescheinigung zugrunde liegenden Sachverhalts und demnach der darin gemachten Angaben insbesondere deshalb geltend macht, weil diese den Tatbestand des Artikels 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 nicht erfuellten (ebenda, Randnr. 56).

44 Soweit die betroffenen Träger im Einzelfall namentlich bei der Beurteilung des Sachverhalts und damit der Frage, ob dieser unter Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 fällt, zu keiner Übereinstimmung gelangen, können sie sich an die Verwaltungskommission wenden (ebenda, Randnr. 57).

45 Gelingt es dieser nicht, zwischen den Standpunkten der zuständigen Träger in bezug auf das anwendbare Recht zu vermitteln, steht es dem Mitgliedstaat, in dem der Selbständige eine Arbeit ausführt, - unbeschadet einer in dem Mitgliedstaat der ausstellenden Behörde etwa möglichen Klage - zumindest frei, gemäß Artikel 170 EG-Vertrag (jetzt Artikel 227 EG) ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, so daß der Gerichtshof die Frage des auf diesen Selbständigen anwendbaren Rechts und damit die Richtigkeit der Angaben in der E-101-Bescheinigung prüfen kann (ebenda, Randnr. 58).

46 Demnach bindet die gemäß Artikel 11a der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte E-101-Bescheinigung, solange sie nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt worden ist, den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in den sich der Selbständige zur Ausführung einer Arbeit begibt.

47 Da die E-101-Bescheinigung diesen Träger bindet, gibt es im übrigen auch keinen Grund dafür, daß die Person, die Leistungen dieses Selbständigen in Anspruch nimmt, sich nicht daran halten müßte. Bezweifelt sie die Gültigkeit der Bescheinigung, muß diese Person jedoch den fraglichen Träger davon in Kenntnis setzen.

48 Auf den ersten Teil der dritten Frage ist daher zu antworten, daß die gemäß Artikel 11a der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte E-101-Bescheinigung, solange sie nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt worden ist, den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in den sich der Selbständige zur Ausführung einer Arbeit begibt, wie auch die Person bindet, die Leistungen dieses Selbständigen in Anspruch nimmt.

Zum zweiten Teil der dritten Frage

49 Mit dem zweiten Teil seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die gemäß Artikel 11a der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte E-101-Bescheinigung Rückwirkung entfalten kann, wenn sie sich auf einen Zeitraum erstreckt, der zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung teilweise oder ganz abgelaufen ist.

50 Die Kläger, die deutsche, die französische und die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission schlagen vor, diese Frage zu bejahen. Sie machen u. a. geltend, nach der Verordnung Nr. 574/72 sei es nicht erforderlich, daß die Bescheinigung ausgestellt werde, bevor die Arbeit im Gebiet des zweiten Mitgliedstaats aufgenommen werde.

51 Das TRM vertritt hingegen die Ansicht, daß die verspätete Ausstellung oder Vorlage der E-101-Bescheinigung es der Person, der der betreffende Arbeitnehmer Leistungen erbringe, unmöglich mache, sie rechtzeitig zu berücksichtigen.

52 Zunächst setzt Artikel 11a der Verordnung Nr. 574/72 keine Frist für die Ausstellung der dort genannten Bescheinigung.

53 Außerdem erklärt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats mit der Ausstellung der Bescheinigung nach Artikel 11a nur, daß der betreffende Selbständige für einen bestimmten Zeitraum, während dessen er im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Arbeit ausführt, den Rechtsvorschriften jenes Mitgliedstaats unterstellt bleibt. Eine solche Erklärung aber kann, auch wenn sie besser vor Beginn des betreffenden Zeitraums erfolgt, auch während dieses Zeitraums und sogar nach dessen Ablauf abgegeben werden.

54 Damit spricht nichts dagegen, daß die E-101-Bescheinigung gegebenenfalls Rückwirkung entfaltet.

55 So regelt der Beschluß Nr. 126 der Verwaltungskommission vom 17. Oktober 1985 zur Anwendung des Artikels 14 Absatz 1 Buchstabe a, des Artikels 14a Absatz 1 Buchstabe a und des Artikels 14b Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. 1986, C 141, S. 3), daß der in den Artikeln 11 und 11a der Verordnung Nr. 574/72 genannte Träger verpflichtet ist, eine Bescheinigung über die geltenden Rechtsvorschriften (E-101-Bescheinigung) auszustellen, selbst wenn die Ausstellung dieser Bescheinigung erst nach Beginn der Tätigkeit beantragt wird, die der betreffende Arbeitnehmer und Selbständige im Gebiet des anderen als des zuständigen Staates ausübt.

56 Im übrigen ist der Gerichtshof davon ausgegangen, daß die E-101-Bescheinigung Rückwirkung entfalten kann, als er entschieden hat, daß die den Mitgliedstaaten durch Artikel 17 der Verordnung Nr. 1408/71 eröffnete Möglichkeit, die Anwendung anderer Rechtsvorschriften als der in den Artikeln 13 bis 16 bezeichneten zugunsten eines Arbeitnehmers zu vereinbaren, auch für bereits abgelaufene Zeiträume gilt (Urteile vom 17. Mai 1984 in der Rechtssache 101/83, Brusse, Slg. 1984, 2223, Randnrn. 20 und 21, und vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache C-454/93, Van Gestel, Slg. 1995, I-1707, Randnr. 29). Denn die Artikel 11 und 11a der Verordnung Nr. 574/72 sehen auch in einem solchen Fall die Ausstellung der E-101-Bescheinigung vor.

57 Daher ist auf den zweiten Teil der dritten Frage zu antworten, daß die gemäß Artikel 11a der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte E-101-Bescheinigung Rückwirkung entfalten kann.

Kostenentscheidung:

Kosten

58 Die Auslagen der deutschen, der französischen, der irischen und der niederländischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission, die Erklärungen beim Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Tribunal du travail Brüssel mit Beschluß vom 21. April 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Der Begriff "Arbeit" in Artikel 14a Nummer 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 und danach durch die Verordnung (EWG) Nr. 3811/86 des Rates vom 11. Dezember 1986 geänderten und aktualisierten Fassung erfaßt jede - im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder selbständig erbrachte - Arbeitsleistung.

2. Die gemäß Artikel 11a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in ihrer durch die Verordnung Nr. 2001/83 und danach durch die Verordnung Nr. 3811/86 geänderten und aktualisierten Fassung ausgestellte E-101-Bescheinigung bindet, solange sie nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt worden ist, den zuständigen Träger des Mitgliedstaats, in den sich der Selbständige zur Ausführung einer Arbeit begibt, wie auch die Person, die Leistungen dieses Selbständigen in Anspruch nimmt.

3. Die gemäß Artikel 11a der Verordnung Nr. 574/72 ausgestellte E-101-Bescheinigung kann Rückwirkung entfalten.

Ende der Entscheidung

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