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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.10.2007
Aktenzeichen: C-179/06
Rechtsgebiete: Richtlinie 92/43/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 92/43/EWG Art. 6 Abs. 3
Richtlinie 92/43/EWG Art. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

4. Oktober 2007

"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 92/43/EWG - Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen - Umweltverträglichkeitsprüfung"

Parteien:

In der Rechtssache C-179/06

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 5. April 2006,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Recchia als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Fiengo, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters E. Juhász, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter G. Arestis und J. Malenovský,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21 Juni 2007,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 7 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) verstoßen hat, dass die Gemeinde von Altamura und die Regione Puglia ab Dezember 2000 eine Änderung des Bebauungsplans genehmigt haben, die eine Reihe von industriellen Bauvorhaben betrifft, die erhebliche Auswirkungen auf das besondere Schutzgebiet (im Folgenden: BSG) und Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung (im Folgenden: GGB) IT 9120007 Murgia Alta haben können, ohne vorher zumindest in Bezug auf die Auswirkungen auf das besondere Schutzgebiet eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt zu haben.

Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen

2 Die Richtlinie 92/43 hat zum Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der EG-Vertrag Geltung hat, beizutragen.

3 In Art. 4 der Richtlinie 92/43 sind das Verfahren zur Schaffung des in ihrem Art. 3 vorgesehenen Netzes "Natura 2000" und die Ausweisung der besonderen Schutzgebiete durch die Mitgliedstaaten geregelt.

4 Art. 6 der Richtlinie 92/43 nennt die Erhaltungsmaßnahmen für die genannten Gebiete:

"...

(2) Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

..."

5 Art. 7 der Richtlinie 92/43 bestimmt, dass die Verpflichtungen nach ihrem Art. 6 Abs. 2 bis 4, was die nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 103, S. 1) zu besonderen Schutzgebieten erklärten oder nach Art. 4 Abs. 2 derselben Richtlinie als solche anerkannten Gebiete anbelangt, ab dem Datum für die Anwendung der Richtlinie 92/43 bzw. danach ab dem Datum, zu dem das betreffende Gebiet von einem Mitgliedstaat entsprechend der Richtlinie 79/409 zum besonderen Schutzgebiet erklärt oder als solches anerkannt wird, an die Stelle der Pflichten treten, die sich aus Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 79/409 ergeben.

Das Gebiet von Murgia Alta

6 1998 wurde das Gebiet von Murgia Alta als BSG im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/409 (Code IT 9120007) eingestuft. Es gehört zur biogeografischen mediterranen Region und hat eine Fläche von 143 152 ha.

7 In diesem BSG leben viele in Anhang I der Richtlinie 79/409 aufgeführte Vögel, insbesondere die größte Population des Rötelfalkens (Falco naumanni) in Italien.

8 Zwei in Anhang I der Richtlinie 92/43 erwähnte prioritäre Lebensräume liegen in dem genanntem BSG: der Lebensraum 6210 "Naturnahe Kalk-Trockenrasen und deren Verbuschungsstadien (Festuco-Brometalia)" und der Lebensraum 6220 "Mediterrane Trockenrasen der Thero-Brachypodietea" sowie die in Anhang II der Richtlinie 92/43 aufgeführte prioritäre Pflanze "Stipa austroitalica Martinovsky".

9 Das Gebiet von Murgia Alta wird in dem Formular, das gemäß der Entscheidung 97/266/EG der Kommission vom 18. Dezember 1996 über das Formular für die Übermittlung von Informationen zu den im Rahmen von NATURA 2000 vorgeschlagenen Gebieten (ABl. 1977, L 107, S. 1) erstellt wurde, folgendermaßen beschrieben:

"Allgemeine Gebietsmerkmale

Lebensraumklassen Anteil (%)

Heide, Gestrüpp, Macchia und Garrigue, Phrygana 20,00

Trockenrasen, Steppen 65,00

Immergrüner Laubwald 15,00

Insgesamt 100

Andere Gebietsmerkmale

Ansprechende Landschaft mit leichten Hügeln und Senken in Form von Dolinen mit durch Blasen und Abgründen gekennzeichneten Verkarstungen der Oberfläche. Das Substrat besteht aus kreideartigem Kalkstein, im Allgemeinen bedeckt von Calcareniten aus dem Pleistozän. Das Bioklima ist südmediterran.

Güte und Bedeutung

Durch das ausgedehnte trockene Kalkplateau charakterisierte Subregion mit dem Monte Caccia, 679 m, als höchster Erhebung. Es handelt sich vor allem um ein Hochplateau aus Kalkstein. Es ist eines der größten Substeppengebiete Italiens mit einer krautigen Vegetation aufgrund der Festuco-Brometalia. Das Gebiet hat eine besonders reichhaltige Flora mit ungefähr 1 500 Arten. Was die Vogelfauna angeht, wurden etwa 90 nistende Arten gezählt. Damit rangiert dieses Gebiet in der Region hinter Gargano an zweiter Stelle. Die Restwälder sind überwiegend durch Quercus pubescens gekennzeichnet, oft zusammen mit Fraxinus ornus. Es gibt auch einige Exemplare von Quercus cerris und Quercus frainetto.

Verletzlichkeit

Verfallserscheinungen sind hauptsächlich im Felsabbau des Kalksubstrats zu sehen, das anschließend durch mechanische Einflüsse zu Staub zerfällt. So werden weite Gebiete mit Substeppenvegetation durch die Bepflanzung neuer Gebiete zerstört. Der Vorgang geht oft auch mit Trockenmauern und anderen Formen von Begrenzungen einher mit der erheblichen Gefahr einer hydrogeologischen Katastrophe. Wiederholte Brände im Zusammenhang mit dem vorherrschenden Getreideanbau. Schaffung von Zweitwohnungen an den touristisch attraktivsten Standorten. Verwendung der dafür nicht geeigneten Karstvertiefungen zum Abladen fester städtischer und sonstiger Abfälle."

Sachverhalt

10 Am 27. Dezember 2000 genehmigte die Gemeinde von Altamura mit einer Reihe von Entscheidungen ihres Gemeinderats Programmvereinbarungen im Sinne von Art. 27 des Gesetzes Nr. 142 vom 8. Juni 1990 über die Organisation der örtlichen Autonomie (GURI Nr. 135 vom 12. Juni 1990, Supplemento ordinario) zu rund einhundert industriellen Bauvorhaben, von denen ein großer Teil im BSG und GGB von Murgia Alta liegt. Diese Vereinbarungen betrafen u. a. 34 Gelände mit einer Fläche von 60 ha, die im Rahmen des Projekts des Consorzio di Sviluppo Murgiano vorgesehen waren, und 11 Standorte mit einer Fläche von 8 ha, die im Rahmen des Projekts des Consorzio San Marco vorgesehen waren. Die genannten Vereinbarungen wurden später durch ein Dekret der Giunta regionale (Regionalregierung) der Regione Puglia genehmigt.

11 Um die Beschäftigung in industriellen und gewerblichen Produktionseinheiten zu fördern, können die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden bei der Giunta regionale den Erlass einer Programmvereinbarung beantragen, um die Verwirklichung von Vorhaben zu ermöglichen, die sofort zu einem hohen Beschäftigungsstand führen.

12 Die Unterzeichnung einer Programmvereinbarung, die der Genehmigung durch die Giunta regionale bedarf, ist nur dann zulässig, wenn der geltende Bebauungsplan kein Gebiet mit spezifischer Bestimmung vorsieht, die für die durchzuführenden Arbeiten umsetzbar und rechtswirksam ist, oder wenn es notwendig ist, bestehende Gebietsgrenzen überschreitende Strukturen, die nicht für industrielle oder gewerbliche Tätigkeiten bestimmt sind, zu erweitern.

13 In der Zeit von 1998 bis 2001 beantragten zahlreiche Unternehmen bei der Gemeinde Altamura Programmvereinbarungen für industrielle oder gewerbliche Zwecke. Einige dieser Programmvereinbarungen setzten eine Änderung des allgemeinen Bebauungsplans voraus. Die aufgrund der genannten Anträge eingeleiteten Verfahren umfassten keine Phase für eine allgemeine Programmerstellung, wohl aber verschiedene Verfahren zur Änderung des genannten Plans.

14 Die regionale Verwaltung prüfte, ob die Projekte des Consorzio di Sviluppo Murgiano einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden mussten. Für andere Projekte wie die des Consorzio San Marco verneinte sie dagegen die Notwendigkeit einer solchen Prüfung. Gestützt auf die erwähnten Vereinbarungen erteilte die Gemeinde Altamura einige Baugenehmigungen.

Vorverfahren

15 Die Kommission forderte die Italienische Republik mit Schreiben vom 9. Juli 2004 gemäß Art. 226 EG auf, sich zu der Situation in dem fraglichen Gebiet im Hinblick auf die in Art. 6 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 7 der Richtlinie 92/43 genannten Verpflichtungen zu äußern.

16 Die Italienische Republik antwortete darauf mit Schreiben vom 14. Oktober 2004 und 9. Juni 2005, denen als Anlagen Schreiben des Umweltministers beigefügt waren.

17 Danach sandte die Kommission der Italienischen Republik am 13. Juli 2005 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, mit der sie diesen Mitgliedstaat aufforderte, binnen zwei Monaten ab Zugang dieses Schreibens die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Stellungnahme nachzukommen.

18 Die Italienische Republik antwortete auf diese Stellungnahme mit zwei weiteren ministeriellen Schreiben mit Datum vom 3. und 7. Oktober 2005.

19 Da die Kommission die Situation nach wie vor für unbefriedigend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

20 Die Kommission trägt vor, die in den betreffenden Programmvereinbarungen vorgesehenen Tätigkeiten könnten erhebliche Auswirkungen auf das fragliche Gebiet haben und bei keiner von ihnen sei eine Verträglichkeitsprüfung im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 durchgeführt worden.

21 Die einzelnen Verwaltungsentscheidungen, mit denen diese Vorgänge genehmigt worden seien, verstießen gegen Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43, weil die vorgesehenen Eingriffe keiner Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen worden seien, obwohl sie auf das BSG und GGB Murgia Alta erhebliche Auswirkungen haben könnten.

22 Die Rechtsnatur der Programmvereinbarungen und der daraus resultierenden Rechtsakte sei in Anbetracht der den Mitgliedstaaten gemäß dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen unerheblich.

23 Außerdem grenzten die von den fraglichen Projekten betroffenen Gebietsteile aneinander, so dass erhebliche Gesamtauswirkungen möglich seien.

24 Es spiele auch keine Rolle, dass die Gemeinde Altamura nur eine begrenzte Anzahl von Baugenehmigungen erteilt habe, dass im Jahr 2003 keine Baugenehmigung erteilt worden sei, dass die anderen Bauanträge einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen worden seien und dass hinsichtlich der Gebiete, für die bereits Einrichtungen geplant seien, gerade ein Auftrag zur Erstellung einer Gesamtbeurteilung laufe.

25 Zudem sei nichts vorgetragen worden, um das Fehlen einer Verträglichkeitsprüfung zu rechtfertigen, und es seien keine Informationen übermittelt worden, um nachzuweisen, dass die fraglichen industriellen und gewerblichen Bauvorhaben keine erheblichen Auswirkungen auf das Schutzgebiet haben könnten.

26 Die Italienische Republik trägt vor, dass eine Programmvereinbarung weder ein Rechtsakt zur Festlegung einer Rechtslage noch ein Verwaltungsakt oder ein Vertrag, sondern ein Verfahrensabschnitt sei, in dessen Rahmen juristische Personen des öffentlichen Rechts und natürliche Personen vorab die zur Erreichung eines Ziels einzuhaltenden Verhaltensweisen und Verpflichtungen festlegten. Für die tatsächliche Durchführung der in den Programmvereinbarungen vorgesehenen Arbeiten, um die es in der Klage gehe, bedürfe es demnach weiterer Maßnahmen der Verwaltung.

27 Die gesetzlichen Vorschriften zur Förderung der Beschäftigung dürften von den Umweltschutzregeln nicht abweichen. Nach dem italienischen Recht fielen die BSG und die GGB jedoch unter eine Regelung, die der für Parks und andere Naturschutzgebiete geltenden restriktiven rechtlichen Regelung sehr ähnlich sei.

28 Die Gemeinde Altamura habe - teilweise im Zusammenhang mit der Erweiterung bestehender Betriebe - nur eine begrenzte Zahl von Baugenehmigungen für Einzelprojekte erteilt, von denen sich einige auf für Industrieanlagen vorgesehene Gebiete bezögen. Seit Juni 2003 sei keine weitere Baugenehmigung mehr erteilt worden, und für die vom Consorzio di Sviluppo Murgiano und vom Consorzio San Marco vorgeschlagenen Projekte sei keine Genehmigung erteilt worden.

29 Nur fünfzehn Projekte seien tatsächlich durchgeführt worden. Diese beträfen verschiedene Teile des Gebiets und unterlägen anderen Durchführungsmodalitäten, ob es sich nun um Neuanlagen oder um Erweiterungen handele. Die einzelnen Projekte grenzten nicht aneinander, und es gebe für sie auch keinen allgemeinen Plan oder einen Plan für das Gebiet. Einige von ihnen seien einer Verträglichkeitsprüfung unterzogen worden, während für andere verschiedene Genehmigungen im Hinblick auf Umwelt- und Landschaftsaspekte erteilt worden seien.

30 Die Gemeinde Altamura sei bereit, für sämtliche Projekte eine umfassende Verträglichkeitsprüfung durchzuführen und Initiativen zur Milderung etwaiger Umweltauswirkungen zu fördern.

31 Alle Verfahren betreffend Anträge zur Errichtung von Betrieben in der Gemeinde Altamura seien ausgesetzt worden, bis die Ergebnisse der wissenschaftlichen Prüfung der Umweltverträglichkeit der fraglichen Projekte vorlägen.

Würdigung durch den Gerichtshof

32 Zunächst ist festzustellen, dass die Vorschrift, deren Verletzung die Kommission geltend macht, Teil eines komplexen Gefüges von Vorschriften ist, die, wie sich aus dem dritten und dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 92/43 ergibt, die Festlegung und die Verwaltung der zum europäischen Netz "Natura 2000" gehörenden Gebiete zum Ziel haben.

33 Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 sieht die Verpflichtung vor, Pläne oder Projekte, die ein geschütztes Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, einer angemessenen Prüfung auf Verträglichkeit zu unterziehen (vgl. Urteil vom 7. September 2004, Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, C-127/02, Slg. 2004, I-7405, Randnr. 40).

34 Der Gerichtshof hat in Randnr. 43 des genannten Urteils festgestellt, dass die in Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 vorgesehenen Umweltschutzmaßnahmen ausgelöst werden, wenn die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr besteht, dass Pläne oder Projekte das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen.

35 Zum letztgenannten Kriterium hat er in den Randnrn. 46 bis 48 desselben Urteils hinzugefügt, dass die Erheblichkeit der Auswirkung von Plänen oder Projekten, wie sich aus Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 92/43 in Verbindung mit deren zehntem Erwägungsgrund ergibt, im Hinblick auf die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu prüfen ist. Besteht keine Gefahr, dass Pläne oder Projekte, obwohl sie sich auf das Gebiet auswirken, die für dieses festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen, so sind sie folglich nicht geeignet, das in Rede stehende Gebiet erheblich zu beeinträchtigen. Die Beurteilung einer solchen Gefahr ist namentlich im Licht der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des von diesen Plänen oder Projekten betroffenen Gebiets zu beurteilen.

36 Um festzustellen, ob die gegen die Italienische Republik erhobene Rüge begründet ist, ist die sich aus Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 ergebende, in den vorstehenden Randnummern erläuterte Verpflichtung in den Rahmen der von der Kommission gemäß Art. 226 EG erhobenen Vertragsverletzungsklage zu stellen.

37 In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens Sache der Kommission ist, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Ihr obliegt es, dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte zu liefern, die es ihm ermöglichen, das Vorliegen der Vertragsverletzung zu prüfen, wobei sie sich nicht auf irgendeine Vermutung stützen kann (vgl. Urteil vom 14. Juni 2007, Kommission/Finnland, C-342/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 Außerdem ist die der Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens obliegende Beweislast unter Berücksichtigung der Art der den Mitgliedstaaten mit den Richtlinien auferlegten Verpflichtungen und der mit diesen Richtlinien angestrebten Ziele zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juni 2002, Kommission/Frankreich, C-60/01, Slg. 2002, I-5679, Randnr. 25).

39 In Bezug auf Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 ist es also Sache der Kommission, nachzuweisen, dass ein Plan oder ein Projekt im Licht der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des betroffenen Gebiets geeignet ist, dieses Gebiet im Hinblick auf die dafür festgelegten Erhaltungsziele erheblich zu beeinträchtigen.

40 Bei den Maßnahmen, gegen die sich die Klage richtet, ist zur Beurteilung der Begründetheit der Klage zwischen den einzelnen Programmvereinbarungen und den Arbeiten zu unterscheiden, die nach Erteilung der Baugenehmigung durch die Gemeinde Altamura durchgeführt wurden.

41 Erstens ist zu den Programmvereinbarungen, die sich in unterschiedlichen Ausarbeitungsstadien befinden, und in Anbetracht des Vorbringens der Beklagten, dass diese Vereinbarungen nicht die rechtlichen Merkmale eines Plans oder Projekts im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 hätten, festzustellen, dass sich die Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen Verstoßes gegen die in der genannten Vorschrift aufgeführten Verpflichtungen nicht darauf beschränken kann, das bloße Bestehen derartiger Vereinbarungen geltend zu machen. Sie muss vielmehr auch hinreichend konkrete Anhaltspunkte für die Feststellung vorbringen, dass diese Vereinbarungen über die Stufe von Vorüberlegungen der Verwaltung hinausgehen und hinsichtlich der Planung ein solches Maß an Präzision aufweisen, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist.

42 Ohne dass es erforderlich wäre, die Tragweite der streitigen Programmvereinbarungen und der sich aus ihnen ergebenden rechtlichen Folgen zu klären, ist aber festzustellen, dass die Kommission, indem sie auf derartige Vereinbarungen lediglich hingewiesen hat, keine hinreichend genauen Anhaltspunkte vorgebracht hat, um dem Gerichtshof die Feststellung zu ermöglichen, dass es sich um Maßnahmen handelt, die das fragliche Gebiet im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 erheblich beeinträchtigen könnten.

43 Was zweitens die durchgeführten Arbeiten und die Punkte angeht, auf die sich die Beweislast bezüglich der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bezieht, hat die Kommission dem Gerichtshof keine genauen Angaben über den geografischen Ort und den Umfang der erstellten Bauten in Bezug auf das Gebiet gemacht. Im Übrigen hat sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass sie über diese Angaben nicht verfüge.

44 Die Kommission hat auch weder Angaben über die technische Natur der fraglichen Arbeiten gemacht noch erläutert, inwiefern die genannten Arbeiten im Licht der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des Gebiets geeignet sein sollen, dieses erheblich zu beeinträchtigen.

45 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Kommission ihrer Beweispflicht bezüglich der behaupteten Vertragsverletzung nicht nachgekommen ist.

46 Daher ist die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Italienischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten.

Ende der Entscheidung

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