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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 30.04.2002
Aktenzeichen: C-181/01 P
Rechtsgebiete: EG-Satzung, EWG/EAGBeamtStat,


Vorschriften:

EG-Satzung Art. 49
EWG/EAGBeamtStat Art. 73
Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten Art. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Begriffe der Übernahme eines Risikos oder des Verschuldens ergeben sich nicht aus der Definition des Unfalls in Artikel 2 Absatz 1 der Regelung zur Sicherung der Beamten bei Unfällen und Berufskrankheiten. Ihre Anwendung auf einen Einzelfall steht daher der Qualifizierung eines auf äußerer Einwirkung beruhenden Ereignisses als Unfall nicht entgegen, sondern führt lediglich zum Ausschluss eines Unfalls im Sinne der genannten Regelung von der in Artikel 73 des Statuts vorgesehenen Deckung.

( vgl. Randnr. 21 )


Beschluss des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 30. April 2002. - N gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Rechtsmittel - Beamte - Soziale Sicherheit - Artikel 73 des Statuts - Begriff des Unfalls - Weigerung, eine HIV-Infektion als Unfall anzuerkennen. - Rechtssache C-181/01 P.

Parteien:

In der Rechtssache C-181/01 P

N, Beamter der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, wohnhaft in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigter: G. Durazzo, avvocato,

Rechtsmittelführer,

betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (Fünfte Kammer) vom 13. Februar 2001 in der Rechtssache T-2/00 (N/Kommission, Slg. ÖD 2001, I-A-37 und II-135) wegen Aufhebung dieses Urteils,

andere Verfahrensbeteiligte:

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Currall als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin F. Macken sowie der Richter C. Gulmann (Berichterstatter) und J.-P. Puissochet,

Generalanwalt: L. A. Geelhoed

Kanzler: R. Grass

nach Anhörung des Generalanwalts,

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Der Rechtsmittelführer hat mit Rechtsmittelschrift, die am 25. April 2001 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung und den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 13. Februar 2001 in der Rechtssache T-2/00 (N/Kommission, Slg. ÖD 2001, l-A-37 und 11-135, im Folgenden: angefochtenes Urteil) eingelegt, mit dem das Gericht seine Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission, mit der diese sich geweigert hat, die Infektion des Rechtsmittelführers mit HIV (Human Immunodeficiency Virus) als Unfall im Sinne des Artikels 73 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Statut) und des Artikels 2 der Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten (im Folgenden: Unfallregelung) anzuerkennen, sowie auf Ersatz seines immateriellen Schadens abgewiesen hat.

Sachverhalt und Vorgeschichte des Rechtsstreits

2 Sachverhalt und Vorgeschichte des Rechtsstreits werden in den Randnummern 10 bis 30 des angefochtenen Urteils wie folgt geschildert:

10 Der Kläger, Beamter der Kommission, teilte der Verwaltung mit Schreiben vom 9. Februar 1996 mit, dass kurz zuvor durchgeführte klinische Untersuchungen ergeben hätten, dass er sich mit HIV (Human Immunodeficiency Virus) infiziert habe. Dem Schreiben waren eine Unfallerklärung vom 6. Februar 1996 sowie eine ärztliche Bescheinigung von Dr. Vandercam beigefügt.

11 Mit diesem Schreiben beantragte der Kläger, nach dessen Ansicht seine Infektion als Unfall im Sinne von Artikel 2 der Unfallregelung anzusehen war, Artikel 73 des Statuts auf ihn anzuwenden und ihm gemäß Artikel 2 der Unfallregelung oder, bis zur Anerkennung seiner Erkrankung als Unfallfolge, gemäß Artikel 72 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Statuts, der sich auf besonders schwere Krankheiten bezieht, seine Arztkosten zu 100 % zu erstatten.

...

16 Mit Entscheidung vom 4. Juni 1996 wurde dem Kläger gemäß Artikel 72 Absatz 1 des Statuts die Erstattung seiner Arztkosten in Höhe von 100 % bewilligt.

17 Mit Schreiben vom 17. Juni 1996 teilte der Leiter des Referats IX.B.5 (Referat 5, ,Kranken- und Unfallversicherung, der Direktion B, ,Rechte und Pflichten, der Generaldirektion ,Personal und Verwaltung [GD IX] der Kommission), dem Kläger mit, er könne seinem Antrag auf Anwendung von Artikel 73 des Statuts nicht entsprechen.

18 Am 29. August 1996 erhob der Kläger Beschwerde gegen diese Entscheidung.

19 Mit Schreiben vom 7. November 1966 teilte die Anstellungsbehörde dem Kläger mit, die Entscheidung vom 17. Juni 1966 sei aufgehoben worden.... Weiter hieß es dort, ihm werde der Entwurf einer Entscheidung zugestellt, die möglicherweise anerkennen werde, dass das fragliche Ereignis auf einen Unfall zurückgehe, und unter diesen Umständen sei seine Beschwerde gegenstandslos geworden.

20 Am 18. November 1996 wurde dem Kläger der Entwurf einer Entscheidung übermittelt, in der es abgelehnt wurde, seine HIV-Infektion als Unfall im Sinne von Artikel 73 des Statuts und der Unfallregelung anzusehen. Dieser Entwurf war auf die Stellungnahme von Dr. Dalem vom 18. Oktober 1996 gestützt.

...

22 Mit Schreiben vom 10. Januar 1997 beantragte der Kläger die Anhörung des Ärzteausschusses.

...

24 Der Bericht des Ärzteausschusses vom 4. Dezember 1998 stellt u. a. fest:

,Da es sich um einverständliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen handelt, die ein Verhalten praktizieren, das mit dem anerkannten Risiko einer Übertragung des HI-Virus verbunden ist, sind, auch wenn die HIV-Infektion vielleicht im Zusammenhang mit dem Riss eines Kondoms bei dem passiven Geschlechtsverkehr im Februar 1995 stattgefunden hat, zwei Mitglieder des Ärzteausschusses der Meinung, dass diese Infektion aus ärztlicher Sicht aus folgenden Gründen nicht als ,Unfall angesehen werden kann:

- Eine freiwillig vorgenommene sexuelle Handlung kann nicht als ein ,auf äußerer Einwirkung beruhendes plötzliches oder gewaltsames oder außergewöhnliches Ereignis betrachtet werden, ,das eine Beeinträchtigung der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit des Beamten zur Folge hat. Im Problembereich der Infektion mit einem Krankheitserreger auf sexuellem Wege fällt lediglich die Vergewaltigung unter diesen Begriff;

- da [der Kläger] während des gleichen Zeitraums noch andere Sexualpartner hatte, kann, selbst wenn ein Kondom verwendet wurde, nicht bescheinigt werden, dass die gegenwärtige Erkrankung tatsächlich (und ausschließlich) auf den sexuellen Kontakt mit dem beschuldigten Partner zurückzuführen ist. Ein weiterer (unbemerkter oder vom Patienten nicht mitgeteilter) Kondomriss kann zu einem anderen Zeitpunkt stattgefunden und zu der Infektion geführt haben.

Um die Infektion mit der in Rede stehenden Episode in Verbindung bringen zu können, hätte während der auf diese Episode folgenden Stunden ein HIV-Test (der negativ hätte ausfallen müssen) durchgeführt und [der Kläger] mindestens drei Monate in regelmäßigen Abständen auf Seropositivität untersucht werden müssen. Dieses Verfahren wird in Fällen versehentlicher Injektionen mit infizierten Nadeln angewandt. Da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem in Rede stehenden Ereignis und der HIV-Infektion nicht mit Sicherheit nachweisbar ist, ist es a fortiori unmöglich, dieses Ereignis als ,Unfall anzusehen.

25 Abschließend stellt der Ärzteausschuss fest:

,Nach Anhörung [des Klägers] und Prüfung aller in seinem Besitz befindlichen Unterlagen einschließlich der Kopien der verschiedenen ärztlichen Berichte und Schreiben an den behandelnden Arzt ist der Ärzteausschuss mehrheitlich, mit zwei von drei Stimmen (Prof. N. Clumeck und Dr. J. Dalem), der Auffassung, dass die auf das HIV zurückzuführende Erkrankung [des Klägers] nicht als ,Unfall angesehen werden kann. Es handelt sich um ein Ereignis des Privatlebens, das bei einverständlichen sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen eingetreten ist, ebenso wie die anderen durch Geschlechtsverkehr übertragbaren Erkrankungen, die in der Vorgeschichte des Patienten aufgetreten sind.

Ein Mitglied des Ausschusses (Dr. P. Joppart) ist demgegenüber der Auffassung, die HIV-Infektion entspreche sehr wohl der Definition des Unfalls und gehe auf ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches und außergewöhnliches Ereignis zurück, das eine Beeinträchtigung der körperlichen und seelischen Unversehrtheit [des Klägers] zur Folge gehabt habe.

...

28 Mit Schreiben vom 15. März 1999 stellte die Anstellungsbehörde dem Kläger ihre Entscheidung zu, ihren Entwurf vom 18. November 1996 als endgültig anzusehen (im Folgenden: streitige Entscheidung). Die Schlussfolgerungen des Ärzteausschusses sowie sein endgültiger Bericht waren diesem Schreiben beigefügt.

29 Am 10. Juni 1999 erhob der Kläger gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts Beschwerde gegen die streitige Entscheidung. Am 15. Juni 1999 reichten die Anwälte des Klägers in seinem Namen eine Beschwerde ein. Die Kommission ging davon aus, dass die Beschwerde vom 15. Juni 1999 eine Ergänzung der Beschwerde vom 10. Juni 1999 darstellte.

30 Am 22. September 1999 fand eine dienststellenübergreifende Sitzung statt. Die Beschwerde wurde mit dem Kläger am 7. Januar 2000 zugestellter Entscheidung zurückgewiesen."

Das angefochtene Urteil

3 Mit am 10. Januar 2000 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift beantragte der Kläger insbesondere, die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären sowie die Kommission zu verurteilen, ihm die Arzthonorare zu erstatten, die er zur Durchführung der streitigen Entscheidung beglichen hatte, und seinen immateriellen Schaden zu ersetzen.

4 Das Gericht hat den Antrag auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung in den Randnummern 36 bis 70 des angefochtenen Urteils insbesondere aus folgenden Gründen zurückgewiesen:

36 Der Kläger stützt seine Klage auf einen einzigen Grund, nämlich auf einen Verstoß gegen Artikel 2 der Unfallregelung. Dieser Klagegrund gliedert sich in drei Teile: erstens Rechtsirrtum hinsichtlich des geforderten ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem schadenstiftenden Ereignis und der äußeren Einwirkung, auf der es beruht, zweitens Rechtsirrtum bezüglich der Definition der Merkmale eines Unfalls und drittens offensichtlicher Beurteilungsfehler bei der Anwendung dieser Merkmale. Die Parteien haben ferner Ausführungen zur Auslegung des Berichts des Ärzteausschusses gemacht.

...

Zum einzigen Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 2 der Unfallregelung

45 Bevor die einzelnen Teile des vom Kläger geltend gemachten Klagegrundes geprüft werden, ist der Bericht des Ärzteausschusses auszulegen.

46 Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, der Unfall, den er erlitten habe, bestehe im Riss eines Kondoms, der im Verlauf sexueller Handlungen im Februar 1995 erfolgt sei und bei dem das das HIV enthaltende Sperma oder Blut mit seinem Organismus in Berührung gekommen sei. Hierzu trägt er vor, der Ärzteausschuss habe in seinem Bericht in der Tat festgestellt, dass seine Infektion die Folge eines Kondomrisses sei, gleichgültig, ob es sich um den im Februar 1995 erfolgten oder um einen anderen Riss handele.

47 Der Ärzteausschuss führt in seinem Bericht zu den Begleitumständen der Infektion des Klägers aus:

,[Der Kläger] datiert den Vorgang der HIV-Infektion auf den Beginn des Jahres 1995 (wahrscheinlich Februar), als bei einem passiven Verkehr mit einem gelegentlichen Partner das Kondom gerissen sei. Für den gleichen Zeitraum berichtet der Patient von aktiven, passiven oder oralen sexuellen Kontakten mit anderen gelegentlichen Partnern, wobei im Fall der oralen Kontakte nicht regelmäßig ein Kondom verwendet worden sei.

48 Der Ärzteausschuss hat diese Auskünfte in seiner Sitzung vom 11. August 1998 eingeholt, in deren Verlauf der Kläger zu den genauen Begleitumständen seiner Infektion gehört wurde. Nach Auffassung des Gerichts ist es in diesem Zusammenhang nicht angebracht, dem Antrag des Klägers stattzugeben, ihm den Beweis, insbesondere durch Zeugenaussagen, dafür zu gestatten, dass der Ärzteausschuss es unterlassen habe, im Anschluss an die Anhörung des Klägers und an dessen Ausführungen zu den Begleitumständen der Infektion die Unvollständigkeit seiner Unfallerklärung zu berücksichtigen.

49 Der Ärzteausschuss führt in seinem Bericht ferner aus:

,Da es sich um einverständliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen handelt, die ein Verhalten praktizieren, das mit dem anerkannten Risiko einer Übertragung des HI-Virus verbunden ist, sind, auch wenn die HIV-Infektion vielleicht im Zusammenhang mit dem Riss eines Kondoms bei dem passiven Geschlechtsverkehr im Februar 1995 stattgefunden hat, zwei Mitglieder des Ärzteausschusses der Meinung, dass diese Infektion aus ärztlicher Sicht aus folgenden Gründen nicht als ,Unfall angesehen werden kann:

...

- da [der Kläger] während des gleichen Zeitraums noch andere Sexualpartner hatte, kann, selbst wenn ein Kondom verwendet wurde, nicht bescheinigt werden, dass die gegenwärtige Erkrankung tatsächlich (und ausschließlich) auf den sexuellen Kontakt mit dem beschuldigten Partner zurückzuführen ist. Ein weiterer (unbemerkter oder vom Patienten nicht mitgeteilter) Kondomriss kann zu einem anderen Zeitpunkt stattgefunden und zu der Infektion geführt haben.

50 Aus diesen Ausführungen geht aber hervor, dass der Ärzteausschuss entgegen der Behauptung des Klägers nicht angenommen hat, dass nur ein Kondomriss die Ursache der Infektion sein könne, sondern sich damit begnügt hat, einen solchen Riss als eine der möglichen Ursachen anzusehen.

51 Zwar erwägt der Ärzteausschuss im Hinblick auf die Ausführungen des Klägers über die Begleitumstände seiner Infektion, denen zufolge diese durch den Kondomriss im Februar 1995 bewirkt worden sei, die Möglichkeit, dass ein solcher Riss bei einem anderen Geschlechtsverkehr eingetreten sein könnte; das ändert jedoch nichts daran, dass sich die genauen Begleitumstände der Infektion bei einem Geschlechtsverkehr nach Ansicht des Ärzteausschusses und unter Berücksichtigung der sexuellen Anamnese des Klägers nicht bestimmen lassen.

52 Da der Ärzteausschuss somit nicht feststellen konnte, dass die Infektion des Klägers auf eine als Unfall anzusehende Ursache zurückzuführen war, durfte sich die Kommission die rechtliche Beurteilung des Ausschusses zu Eigen machen, nämlich dass, ,da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem in Rede stehenden Ereignis und der HIV-Infektion nicht mit Sicherheit nachweisbar ist, es a fortiori unmöglich ist, dieses Ereignis als ,Unfall anzusehen.

Zum ersten Teil des Klagegrundes: Rechtsirrtum hinsichtlich des geforderten ursächlichen Zusammenhangs

53 Der Kläger macht geltend, da der Ärzteausschuss angenommen habe, dass die Infektion auf einen Kondomriss zurückgehe, sei es nicht erforderlich gewesen, genau zu ermitteln, bei welchem Geschlechtsverkehr dieser Riss entstanden sei.

54 Wie jedoch bereits festgestellt, hat der Ärzteausschuss nicht angenommen, dass die HIV-Infektion des Klägers notwendigerweise bei einem Kondomriss erfolgt sei.

55 Da der Kläger seine Rüge somit auf eine irrige Prämisse stützt, greift der erste Teil des Klagegrundes ins Leere.

56 Der erste Teil des Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil des Klagegrundes: Rechtsirrtum in Bezug auf die Merkmale eines Unfalls

57 Der Kläger trägt vor, die in den Artikeln 4 und 7 der Unfallregelung enthaltenen Begriffe des übernommenen Risikos und des Verschuldens hätten nichts mit der in Artikel 2 dieser Regelung niedergelegten Definition des Unfalls zu tun und der Ärzteausschuss hätte sie daher nicht anwenden dürfen.

58 Es ist daran zu erinnern, dass der Ärzteausschuss in seinem Bericht auch darauf hinweist, dass es sich vorliegend um ,einverständliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen handelt, die ein Verhalten praktizieren, das mit dem anerkannten Risiko einer Übertragung des HI-Virus verbunden ist, und dass eine ,freiwillig vorgenommene sexuelle Handlung nicht als Unfall angesehen werden könne (siehe die einschlägigen Auszüge oben in Randnr. 24).

59 Zwar ergeben sich, wie der Kläger vorträgt, die Begriffe der Übernahme eines Risikos und des Verschuldens nicht aus der in Artikel 2 Absatz 1 der Unfallregelung niedergelegten Definition des Unfalls. Ihre Anwendung auf einen Einzelfall steht daher der Qualifizierung eines auf äußerer Einwirkung beruhenden Ereignisses als Unfall nicht entgegen, sondern kann lediglich dazu führen, dass ein Unfall im Sinne der genannten Regelung von der in Artikel 73 des Statuts vorgesehenen Deckung ausgeschlossen ist.

60 Da der Ärzteausschuss jedoch festgestellt hat, dass sich die genauen Begleitumstände der Infektion nicht ermitteln ließen, ist die Frage nach dem Vorliegen eines risikobehafteten oder vorsätzlichen Verhaltens des Klägers in Ermangelung eines identifizierbaren Unfalls unerheblich. Das Vorbringen des Klägers ist daher irrelevant.

61 Auf jeden Fall stellt die Verwendung der Ausdrücke ,übernommenes Risiko und ,freiwillig vorgenommene sexuelle Handlung durch den Ärzteausschuss eine allgemeine Bewertung dar, die lediglich die Freiwilligkeit des Geschlechtsverkehrs betonen soll, auf den sich der Kläger beruft.

62 Der zweite Teil des Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

Zum dritten Teil des Klagegrundes: offensichtlicher Beurteilungsfehler bei der Anwendung der Merkmale eines Unfalls

63 In seinen Schriftsätzen macht der Kläger in erster Linie geltend, die Tatsache, dass er sich bei einem Geschlechtsverkehr infiziert habe, bei dem das Kondom gerissen sei, stelle einen Unfall im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Unfallregelung dar. In der mündlichen Verhandlung hat er jedoch vorgetragen, der Kondomriss könne nicht für sich allein als Unfall im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Unfallregelung angesehen werden. Vielmehr machten der Riss und die Infektion zusammen den Unfall aus.

64 Wie aber bereits ausgeführt, hat der Ärzteausschuss festgestellt, dass nicht der Schluss gezogen werden könne, dass sich der Kläger notwendigerweise im Zusammenhang mit einem Kondomriss infiziert habe.

65 Das Vorbringen, der Riss des Kondoms bei einer sexuellen Handlung erfuelle die Merkmale eines Unfalls im Sinne von Artikel 2 Absatz 1, greift daher ins Leere."

5 Das Gericht hat außerdem in den Randnummern 71 bis 80 des angefochtenen Urteils den Schadensersatzantrag des Klägers zurückgewiesen.

Das Rechtsmittel

6 Mit seinem Rechtsmittel, das er auf vier Gründe stützt, beantragt der Rechtsmittelführer, das angefochtene Urteil aufzuheben und den im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Anträgen stattzugeben.

7 Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und dem Kläger die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

8 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach Artikel 119 seiner Verfahrensordnung ein offensichtlich unzulässiges oder offensichtlich unbegründetes Rechtsmittel jederzeit durch Beschluss, der mit Gründen zu versehen ist, zurückweisen kann.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

9 Mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht der Rechtsmittelführer geltend, im Hinblick auf die Akten enthalte die vom Gericht in den Randnummern 50 bis 52 des angefochtenen Urteils vorgenommene Auslegung des Berichts des Ärzteausschusses offensichtlich sachlich unrichtige Feststellungen, die den Inhalt dieses Berichts verfälschten. Entgegen den Ausführungen des Gerichts gehe aus dem Bericht des Ärzteausschusses hervor, dass dieser alle anderen Infektionsursachen als den Riss eines Kondoms ausgeschlossen habe, ob es sich nun um den vom Rechtsmittelführer mitgeteilten oder um einen anderen, vom Ausschuss hypothetisch ins Auge gefassten Riss handele.

10 Insoweit ist daran zu erinnern, dass das Gericht in den Randnummern 45 bis 52 des angefochtenen Urteils den Bericht des Ärzteausschusses insbesondere ausgelegt hat, um die Behauptung des Klägers zu prüfen, der Ausschuss habe tatsächlich angenommen, dass seine Infektion auf einen Kondomriss zurückzuführen sei, ob es sich nun um den im Februar 1995 erfolgten oder um einen anderen Riss gehandelt habe.

11 Das Gericht hat diesen Bericht dahin ausgelegt, dass

- der Ärzteausschuss sich damit begnügt habe, einen Kondomriss als eine der möglichen Ursachen der Infektion in Betracht zu ziehen, und

- sich die genauen Begleitumstände der Infektion dem Ausschuss zufolge angesichts der sexuellen Anamnese des Rechtsmittelführers nicht ermitteln ließen.

12 Dem Gericht kann sicher nicht vorgeworfen werden, dass es mit dieser Auslegung der - in den Randnummern 47 und 49 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen - maßgebenden Stellen des Berichts des Ärzteausschusses den Inhalt dieses Berichts verfälscht habe.

13 Somit ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

14 Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht der Rechtsmittelführer geltend, der Ärzteausschuss hätte sich die Frage stellen müssen, wie die Infektionsrisiken und -wahrscheinlichkeiten bei einem Oralverkehr und einem Verkehr mit Penetration, bei dem das Kondom gerissen sei, zu vergleichen seien. Der Bericht des Ausschusses lasse sich nicht so verstehen, dass er einen verständlichen Zusammenhang zwischen den medizinischen Feststellungen und den gezogenen Schlussfolgerungen herstelle, wie es die Rechtsprechung des Gerichtshofes verlange.

15 Dazu ist zu bemerken, dass dieser Grund, soweit er den Bericht des Ärzteausschusses beanstandet, vom Rechtsmittelführer nicht im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht wurde und somit eine Rüge darstellt, die der Rechtsmittelführer erstmalig im Rechtsmittelverfahren erhoben hat.

16 Nach ständiger Rechtsprechung verbieten es jedoch die Artikel 113 § 2 und 116 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, im Rechtsmittelverfahren neue, in der Klage nicht enthaltene Gründe vorzubringen (u. a. Urteil vom 21. Juni 2001 in den Rechtssachen C-280/99 P bis C-282/99 P, Moccia Irme u. a./Kommission, Slg. 2001, 1-4717, Randnr. 67).

17 Der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist daher unzulässig.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

18 Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe in den Randnummern 57 bis 62 des angefochtenen Urteils den Begriff Unfall" im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Unfallregelung rechtsirrig ausgelegt.

19 Nach Ansicht des Rechtsmittelführers geht aus diesen Randnummern hervor, dass das Gericht, wenn es wie geboten festgestellt hätte, dass der Bericht des Ärzteausschusses den der Infektion zugrunde liegenden Unfall identifiziert habe, zwangsläufig entschieden hätte, dass die Tatsache, dass sich der Rechtsmittelführer freiwillig auf eine risikobehaftete sexuelle Handlung eingelassen habe, ein Grund dafür sei, dass er vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sei. Eine derartige Auslegung könnte sich aber weder auf Artikel 4 noch auf Artikel 7 der Unfallregelung stützen, die Fälle regelten, in denen eine Deckung nach Artikel 73 des Statuts ausgeschlossen sei.

20 Dieser Rechtsmittelgrund setzt voraus, dass dem ersten Rechtsmittelgrund stattgegeben wurde. Das ist jedoch nicht der Fall.

21 Außerdem ist dieser Rechtsmittelgrund auf eine offensichtlich falsche Auslegung des angefochtenen Urteils gestützt. In Randnummer 59 hat sich das Gericht nämlich das Vorbringen des Rechtsmittelführers zu Eigen gemacht, als es feststellte, dass sich die Begriffe der Übernahme eines Risikos oder des Verschuldens nicht aus der Definition des Unfalls in Artikel 2 Absatz 1 der Unfallregelung ergäben und dass ihre Anwendung auf einen Einzelfall daher der Qualifizierung eines auf äußerer Einwirkung beruhenden Ereignisses als Unfall nicht entgegen stehe, sondern lediglich zum Ausschluss eines Unfalls im Sinne der genannten Regelung von der in Artikel 73 des Statuts vorgesehenen Deckung führe.

22 Das Gericht hat jedoch unter Hinweis auf die Feststellung des Ärzteausschusses, dass sich die genauen Begleitumstände der Infektion nicht ermitteln ließen, zu Recht angenommen, dass die Frage, ob ein risikobehaftetes oder vorsätzliches Verhalten des Rechtsmittelführers vorliege, nicht entscheidungserheblich sei. Entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelführers hat sich das Gericht somit in keiner Weise zu der Frage geäußert, ob sein Verhalten einen Grund für den Ausschluss der Deckung nach Artikel 73 bilde.

23 Der zweite Rechtsmittelgrund ist infolgedessen als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund

24 Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht hätte zu der Frage Stellung nehmen müssen, ob der Riss eines Kondoms einen Unfall im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Unfallregelung darstelle. Unter Hinweis auf den ersten Rechtsmittelgrund, wonach das Gericht die Schlussfolgerungen des Ärzteausschusses verfälscht habe, trägt er vor, die Ausführungen des Gerichts in den Randnummern 64 und 65 des angefochtenen Urteils, nach denen im vorliegenden Fall die Behauptung, ein Kondomriss bei einer sexuellen Handlung erfuelle die Voraussetzungen eines Unfalls nach Artikel 2 Absatz 1 der Unfallregelung, ins Leere greife, entbehrten der Grundlage.

25 Insoweit ist lediglich festzustellen, dass, wie in den Randnummern 11 und 12 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, das Gericht den Bericht des Ärzteausschusses nicht verfälscht hat, als es in Randnummer 51 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass sich die genauen Begleitumstände der Infektion des Klägers nicht ermitteln ließen.

26 Zu Recht hat daher das Gericht angenommen, dass angesichts dieser Umstände nicht zu der Frage Stellung genommen zu werden brauche, ob ein Kondomriss bei einer sexuellen Handlung die Merkmale eines Unfalls nach Artikel 2 Absatz 1 der Unfallregelung erfuellt.

27 Der dritte Rechtsmittelgrund ist daher als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund

28 Mit seinem vierten Rechtsmittelgrund wirft der Rechtsmittelführer dem Gericht vor, seinen Schadensersatzantrag zurückgewiesen zu haben. Er macht geltend, das Verhalten der Anstellungsbehörde und die Fehler, die sie begangen habe, sei es auch nur dadurch, dass sie den Abschluss des Verfahrens verzögert habe, hätten sich auf ihn psychisch und belastungsmäßig stärker ausgewirkt, als dies bei einer völlig gesunden Person oder bei einer gewöhnlichen dienstrechtlichen Streitigkeit der Fall gewesen wäre.

29 Wie jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes hervorgeht, hat das Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die diesen Antrag speziell stützenden rechtlichen Argumente genau zu bezeichnen (u. a. Beschluss vom 11. Dezember 2001 in der Rechtssache C-301/00 P, Meyer/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).

30 Da der Rechtsmittelführer indessen den Rechtsirrtum, den das Gericht durch die Zurückweisung seines Schadensersatzantrags begangen haben soll, nicht benannt hat, hat er es unterlassen, die beanstandeten Teile des angefochtenen Urteils genau zu bezeichnen.

31 Der vierte Rechtsmittelgrund ist daher als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen.

32 Nach alledem ist das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, die gemäß Artikel 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Rechtsmittelführers in die Kosten beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

beschlossen:

1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Der Rechtsmittelführer trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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