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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 29.11.1990
Aktenzeichen: C-182/89
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 3626/82/EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 169
EWGV Art. 5
EWGV Art. 189
VO Nr. 3626/82/EWGV Art. 10
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 3626/82 zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft sieht für die zuständigen Behörden zwei Möglichkeiten vor, Einfuhrgenehmigungen zu erteilen, nämlich wenn es offensichtlich ist, daß die Entnahme des Exemplars aus der Natur der Erhaltung der Arten nicht schadet und die Ausdehnung des Verbreitungsgebiets der betreffenden Populationen einer Art nicht ungünstig beeinflusst, oder wenn der Antragsteller dies glaubhaft darlegt.

Die positive Stellungnahme der nationalen wissenschaftlichen Behörde des Einfuhrlandes - von der keine Vorschrift der Verordnung die Erteilung der Einfuhrgenehmigung abhängig macht - allein berechtigt nicht zu der Schlußfolgerung, daß die in der genannten Vorschrift aufgestellten Voraussetzungen erfuellt sind; sie stellt nur einen von mehreren Faktoren dar, die berücksichtigt werden können.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 29. NOVEMBER 1990. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN FRANZOESISCHE REPUBLIK. - EINFUHR VON FELLEN VON GROSSKATZEN AUS BOLIVIEN - ANWENDUNG DES WASHINGTONER UEBEREINKOMMENS IN DER GEMEINSCHAFT. - RECHTSSACHE C-182/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission hat mit Klageschrift, die am 25. Mai 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung ( EWG ) Nr. 3626/82 des Rates vom 3. Dezember 1982 zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft ( ABl. L 384, S. 1 ) sowie aus den Artikeln 5 und 189 EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie im Februar 1986 für mehr als 6 000 aus Bolivien stammende Felle freilebender Katzen der Arten Felis geoffroyi und Felis wiedii Einfuhrgenehmigungen erteilt hat. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission den auf die Verletzung der Artikel 5 und 189 EWG-Vertrag gestützten Klagegrund zurückgenommen.

2 Das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft ( CITES ) vom 3. März 1973 ( ABl. 1982, L 384, S. 7 ) regelt den internationalen Handel mit bestimmten Arten von Tieren und Pflanzen sowie mit ohne weiteres erkennbaren Teilen dieser Tiere oder Pflanzen und ohne weiteres erkennbaren Erzeugnissen daraus. Während des im vorliegenden Rechtsstreit maßgebenden Zeitraums waren freilebende Katzen der Arten Felis geoffroyi und Felis wiedii in Anhang II des Übereinkommens aufgeführt. Dieser Anhang enthält Arten, die von der Ausrottung bedroht werden können, wenn der Handel mit ihnen nicht einer strengen Regelung unterworfen wird, damit eine mit ihrem Überleben unvereinbare Nutzung verhindert wird.

3 Die genannte Verordnung Nr. 3626/82 wurde erlassen, um für eine einheitliche Handhabung der handelspolitischen Maßnahmen zu sorgen, die gemäß den CITES-Bestimmungen anzuwenden sind. Bei einigen Arten, zu denen die betreffenden freilebenden Katzen gehören, ergreift die Verordnung strengere Schutzmaßnahmen, als im Übereinkommen vorgesehen. Zur Zeit der streitigen Geschehnisse war die Einfuhr von Felis geoffroyi und Felis wiedii in die Gemeinschaft gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung von der Vorlage einer Einfuhrgenehmigung abhängig, die unter den Voraussetzungen des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung erteilt wurde.

4 Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b erster Gedankenstrich der Verordnung lautet :

"Die Einfuhrgenehmigung nach Artikel 3 Absatz 2 wird nur dann erteilt, wenn

- offensichtlich ist oder der Antragsteller glaubhaft darlegt, daß die Entnahme des Exemplars aus der Natur der Erhaltung der Arten nicht schadet und die Ausdehnung des Verbreitungsgebietes der betreffenden Populationen einer Art nicht ungünstig beeinflusst..."

5 Am 6. Februar 1986 erteilten die zuständigen französischen Behörden Einfuhrgenehmigungen für Felle freilebender Katzen der betreffenden Arten. Diese Genehmigungen beziehen sich auf Ausfuhrgenehmigungen, die am 5. August 1985 von den bolivianischen Behörden erteilt worden waren. Die Kommission ist der Auffassung, daß die Einfuhrgenehmigungen zu Unrecht erteilt worden seien, weil die Voraussetzungen des genannten Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe b seinerzeit nicht erfuellt gewesen seien.

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Zur Begründung ihrer Auffassung stützt sich die Kommission auf den tatsächlichen Zusammenhang, in dem die Entscheidung der französischen Behörden ergangen ist. Nach Darstellung der Kommission handelt es sich bei diesen tatsächlichen Umständen insbesondere um folgende :

- Die Anwendung des Übereinkommens in Bolivien wurde auf der Konferenz der Parteien des Übereinkommens vom 22. April bis 3. Mai 1985 in Buenos Aires erörtert. Die Vertragsparteien stellten einen bedeutenden, von diesem Land ausgehenden illegalen Handel mit von dem Übereinkommen erfassten Erzeugnissen sowie das Vorhandensein einer grossen Zahl von falschen Ausfuhr - oder Wiederausfuhrgenehmigungen fest. Die auf diese Erörterungen zurückgehenden Begründungserwägungen der Entschließung vom 30. April 1985 bringen die Besorgnis bestimmter, insbesondere einiger an Bolivien angrenzender Länder zum Ausdruck, die ihre freilebenden Tiere und Pflanzen unmittelbar bedroht sahen. In dieser Entschließung wurde daher den Vertragsparteien empfohlen, keine Sendungen von CITES-Exemplaren mit bolivianischen Begleitpapieren oder der Ursprungsbezeichnung Bolivien mehr zu akzeptieren, bis die Regierung dieses Landes der Konferenz der CITES-Parteien oder dem ständigen CITES-Ausschuß nachgewiesen habe, daß sie alle ihr zu Gebote stehenden Maßnahmen ergriffen habe, um eine angemessene Anwendung des Übereinkommens sicherzustellen. Auf seiner Tagung vom 28. Oktober bis 1. November 1985 vertrat der ständige CITES-Ausschuß die Auffassung, daß die in der Zwischenzeit von der bolivianischen Regierung ergriffenen Maßnahmen signifikant seien. Er forderte daher das CITES-Sekretariat auf, den Vertragsparteien, die die Einfuhr von Exemplaren aus Bolivien untersagt hatten, zu empfehlen, eine Aussetzung dieses Verbotes in Erwägung zu ziehen.

- Im Anschluß an die Annahme der vorgenannten Entschließung vom 30. April 1985 richteten die Dienststellen der Kommission am gleichen Tag an die CITES-Vollzugsbehörden in den Mitgliedstaaten ein Fernschreiben, dem zufolge keine Einfuhrgenehmigungen für die betreffenden bolivianischen Exemplare mehr zu erteilen waren.

- Die Einfuhren dieser Exemplare wurden sodann auf die Tagesordnung einer Tagung des CITES-Ausschusses der Gemeinschaft gesetzt, die vom 12. bis 14. November 1985 stattfand. Aus einem Beschlussentwurf für diese Tagung ergibt sich, daß nach den Informationen, über die der Ausschuß seinerzeit verfügte, Bolivien so lange keine Ausfuhrgenehmigungen für Felle der betreffenden freilebenden Katzen erteilen werde, wie nicht die wissenschaftlichen und kommerziellen Daten, die für die Festlegung von Ausfuhrquoten und für die Durchführung anderer, zwischen der bolivianischen Regierung und dem CITES-Sekretariat vereinbarter Maßnahmen notwendig seien, zur Verfügung stuenden.

8 Nach Ansicht der Kommission ergibt sich aus all diesen Umständen, daß die französischen Behörden bei der Erteilung der beanstandeten Einfuhrgenehmigungen im Februar 1986 die Voraussetzungen des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe b der genannten Verordnung Nr. 3626/82 nicht als erfuellt hätten ansehen dürfen.

9 Dieser Ansicht hält die französische Regierung mehrere Argumente entgegen, die im Sitzungsbericht sowie in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 18. Oktober 1990 aufgeführt sind. Die meisten dieser Argumente beruhen auf einer irrigen Deutung des Klagevorbringens der Kommission, das sich nur auf die unrichtige Anwendung des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe b der genannten Verordnung bezieht.

10 Zu diesem Punkt macht die französische Regierung geltend, daß einziger, ausschlaggebender Faktor für die Erteilung der Einfuhrgenehmigungen die positive Stellungnahme der nationalen wissenschaftlichen Behörde des Einfuhrlandes sei, die vorliegend abgegeben worden sei.

11 Dieses Argument ist zurückzuweisen. Keine Vorschrift der Verordnung macht nämlich die Erteilung der Einfuhrgenehmigung von der Stellungnahme einer solchen Behörde abhängig, die also nur einen Faktor - neben anderen - bei der Prüfung der Frage darstellen kann, ob die Kriterien des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe b erfuellt sind.

12 Diese Vorschrift sieht für die zuständigen Behörden zwei Möglichkeiten vor, Einfuhrgenehmigungen zu erteilen, nämlich wenn es offensichtlich ist, daß die Entnahme des Exemplars aus der Natur der Erhaltung der Arten nicht schadet und die Ausdehnung des Verbreitungsgebietes der betreffenden Populationen einer Art nicht ungünstig beeinflusst, oder wenn der Antragsteller dies glaubhaft darlegt.

13 In Anbetracht aller vorstehend aufgeführten und den französischen Behörden bekannten Tatsachen ist davon auszugehen, daß diese Behörden vernünftigerweise nicht zu der Feststellung gelangen konnten, daß es offensichtlich war, daß die Entnahme der betreffenden freilebenden Katzen aus der Natur der Erhaltung der Arten nicht schade und die Ausdehnung ihres Verbreitungsgebietes nicht ungünstig beeinflusse.

14 Ausserdem ergibt sich aus den Akten, daß der Antragsteller der französischen Verwaltung nur Ausfuhrgenehmigungen vorgelegt hat, die von den bolivianischen Behörden am 5. August 1985 erteilt worden waren, d. h. während des Zeitraums, in dem die Anwendung des Übereinkommens in Bolivien ernsthafte Probleme aufwarf. Die französischen Behörden konnten daher nicht mit Recht der Ansicht sein, daß der Antragsteller das Vorliegen der genannten Voraussetzungen glaubhaft dargelegt habe.

15 Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Stellungnahme der französischen wissenschaftlichen Behörde nicht in so hinreichend klaren und positiven Worten abgefasst ist, daß sie eine brauchbare Beurteilungsgrundlage abgeben könnte.

16 Somit ist festzustellen, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b der genannten Verordnung Nr. 3626/82 verstossen hat, daß sie im Februar 1986 für mehr als 6 000 aus Bolivien stammende Felle freilebender Katzen der Arten Felis geoffroyi und Felis wiedii Einfuhrgenehmigungen erteilt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung ( EWG ) Nr. 3626/82 des Rates vom 3. Dezember 1982 zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft verstossen, daß sie im Februar 1986 für mehr als 6 000 aus Bolivien stammende Felle freilebender Katzen der Arten Felis geoffroyi und Felis wiedii Einfuhrgenehmigungen erteilt hat.

2 ) Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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