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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.06.1993
Aktenzeichen: C-183/91
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 93 Abs. 2 Unterabs. 2
EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Mitgliedstaat, an den eine aufgrund von Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 1 des Vertrages erlassene Entscheidung gerichtet ist, kann die Gültigkeit dieser Entscheidung nicht mehr anläßlich der in Unterabsatz 2 dieser Bestimmung genannten Klage in Frage stellen, wenn die in Artikel 173 Absatz 3 des Vertrages vorgesehene Frist abgelaufen ist.

Bei dieser Sach- und Rechtslage kann ein Mitgliedstaat zur Verteidigung gegen die Klage wegen Vertragsverletzung nur noch geltend machten, daß es ihm völlig unmöglich gewesen sei, die Entscheidung richtig durchzuführen.

2. Die Verpflichtung zur Rückforderung einer für rechtswidrig erklärten staatlichen Beihilfe ist die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit durch die Kommission und kann als solche nicht davon abhängen, in welcher Form die Beihilfe gewährt worden ist.

Wenn eine Beihilfe in Form einer Steuerbefreiung gewährt worden ist, deren Rechtswidrigkeit ordnungsgemäß festgestellt worden ist, kann der zur Rückforderung dieser Beihilfe verpflichtete Mitgliedstaat nicht geltend machen, daß die Rückforderung absolut unmöglich sei, weil sie nur in Form einer gegen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstossenden rückwirkenden Besteuerung erfolgen könnte. Er ist nämlich nur dazu verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, mit denen die durch die Beihilfe begünstigten Unternehmen zur Zahlung von Beträgen in Höhe der ihnen rechtswidrigerweise gewährten Steuerbefreiung verpflichtet werden.

3. Zwar ist nicht auszuschließen, daß sich der Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe gegenüber deren Rückforderung ausnahmsweise auf Umstände berufen kann, aufgrund deren sein Vertrauen in die Ordnungsmässigkeit der Beihilfe geschützt ist. Doch kann sich kein Mitgliedstaat, dessen Behörden eine Beihilfe unter Verletzung des Verfahrens des Artikels 93 des Vertrages gewährt haben, unter Berufung auf das schutzwürdige Vertrauen der Begünstigten der Verpflichtung entziehen, die notwendigen Maßnahmen zur Durchführung einer Entscheidung der Kommission zu ergreifen, durch die die Rückforderung der Beihilfe angeordnet wird. Andernfalls würde den Artikeln 92 und 93 des Vertrages insoweit jede praktische Wirkung genommen, als sich die nationalen Behörden so auf ihr eigenes rechtswidriges Verhalten stützen könnten, um die Wirksamkeit von nach diesen Bestimmungen des Vertrages erlassenen Entscheidungen der Kommission auszuschalten.

4. Ein Mitgliedstaat, der bei der Durchführung einer Entscheidung, mit der die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt worden ist, auf unvorhergesehene und unvorhersehbare Schwierigkeiten stösst oder sich über Folgen, die von der Kommission nicht beabsichtigt sind, klar wird, kann diese Probleme der Kommission zur Beurteilung vorlegen und dabei geeignete Änderungen der fraglichen Entscheidung vorschlagen. In einem solchen Fall müssen die Kommission und der Mitgliedstaat gemäß dem Grundsatz, daß den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit obliegen, wie er namentlich dem Artikel 5 des Vertrages zugrunde liegt, redlich zusammenwirken, um die Schwierigkeiten unter vollständiger Beachtung der Bestimmungen des Vertrages, insbesondere derjenigen über die Beihilfen, zu überwinden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 10. JUNI 1993. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - STAATLICHE BEIHILFEN - BEFREIUNG VON EINER STEUER AUF AUSFUHREINNAHMEN - ERSTATTUNG. - RECHTSSACHE C-183/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 15. Juli 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie der Entscheidung 89/659/EWG der Kommission vom 3. Mai 1989 nicht nachgekommen ist, die die Beihilfen betrifft, die den Ausfuhrunternehmen in Form einer Befreiung von der ° durch die Ministerialverfügung E 3789/128 vom 15. März 1988 eingeführten ° einmaligen Sondersteuer für den den Ausfuhrerlösen entsprechenden Teil der Gewinne gewährt wurden (ABl. L 394, S. 1).

2 Durch die vom Finanzminister der Griechischen Republik am 15. März 1988 erlassene Ministerialverfügung E 3789/128 wurde eine einmalige Sondersteuer auf das Gesamteinkommen bestimmter Unternehmen im Wirtschaftsjahr 1987 eingeführt. Jedoch wurde in Artikel 1 Absatz 2 der Verfügung eine Befreiung für den aus Exporten herrührenden Teil der Gewinne vorgesehen.

3 Mit der oben genannten Entscheidung 89/659 wurde festgestellt, daß die unter Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag gewährten Beihilfen rechtswidrig und ausserdem gemäß Artikel 92 Absatz 1 EWG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind; zugleich wurde angeordnet, daß die Regelung über die einmalige Sondersteuer unverzueglich umzugestalten ist (Artikel 1). Ferner verlangte die Kommission, daß die Beihilfen von den Empfängerunternehmen zurückgefordert würden, wobei die Rückzahlung durch Zahlung des nicht erhobenen Teils der Steuer zu erfolgen habe (Artikel 2), und daß ihr über die zum Vollzug der Entscheidung getroffenen Maßnahmen Mitteilung zu machen und ihr ein Bericht über die Höhe der Beihilfen und die zur Rückzahlung verpflichteten Unternehmen zu übermitteln sei (Artikel 3).

4 Die griechische Regierung klagte nicht gegen diese Entscheidung. Sie forderte auch nicht die betreffende Beihilfe zurück. Auf die wiederholten Erkundigungen der Kommission nach dem Vollzug der Entscheidung übermittelten die griechischen Behörden mit Schreiben vom 25. März 1989 und vom 19. März 1990 der Kommission verschiedene Erklärungen, mit denen auf den Ausnahmecharakter der Regelung und die absolute Unmöglichkeit des Vollzugs der Entscheidung hingewiesen wurde. Nach mehreren Zusammenkünften zwischen der Kommission und der griechischen Regierung hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

5 Wegen weiterer Einzelheiten der Vorgeschichte des Rechtsstreits, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

6 Die Kommission trägt vor, es fehle an jeder Maßnahme zur Durchführung der Entscheidung; das Vorliegen einer Vertragsverletzung sei somit unbestreitbar.

7 Die Griechische Republik macht geltend, die Entscheidung der Kommission sei rechtswidrig und ihr Vollzug absolut unmöglich.

8 Es steht fest, daß die Griechische Republik nichts unternommen hat, um die mit der Entscheidung 89/659 verlangte Rückzahlung der Beihilfe herbeizuführen.

9 Ferner steht fest, daß weder die griechische Regierung noch die durch die Befreiung begünstigten Unternehmen eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 EWG-Vertrag gegen die betreffende Entscheidung erhoben haben, so daß diese bestandskräftig geworden ist.

10 Unter diesen Umständen ist die Griechische Republik nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes nach Ablauf der in Artikel 173 Absatz 3 EWG-Vertrag vorgesehenen Frist nicht mehr berechtigt, die Gültigkeit einer nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag an sie gerichteten Entscheidung in Frage zu stellen (Urteile vom 12. Oktober 1978 in der Rechtssache 156/77, Slg. 1978, 1881, und vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 52/84, Slg. 1986, 89, jeweils Kommission/Belgien). Aus dem letztgenannten Urteil geht insbesondere hervor, daß bei dieser Sach- und Rechtslage zur Verteidigung gegen die Klage wegen Vertragsverletzung nur geltend gemacht werden kann, daß es absolut unmöglich gewesen sei, die Entscheidung richtig durchzuführen.

11 Hierzu trägt die griechische Regierung namentlich vor, die Rückforderung müsste notwendigerweise in der Form einer rückwirkenden Abgabenbelastung erfolgen, die nach Artikel 78 Absatz 2 der griechischen Verfassung unzulässig sei. Nach Ansicht der griechischen Regierung ist diese Vorschrift eine Ausprägung der sowohl in der innerstaatlichen Rechtsordnung als auch in der Gemeinschaftsrechtsordnung geltenden allgemeinen Grundsätze, insbesondere der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.

12 Die griechische Regierung macht ausserdem geltend, wegen der finanziellen Geringfügigkeit der Befreiung, wegen der administrativen Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen Gewinnen aus dem innergemeinschaftlichen Handel und Gewinnen aus Exporten in Drittländer sowie wegen der unverhältnismässig hohen Kosten von Rückforderungsmaßnahmen sei die Eintreibung der Steuer unwirtschaftlich und unvernünftig.

13 Soweit die griechische Regierung geltend macht, der Rückforderung der Beihilfe, wie sie durch die Entscheidung der Kommission angeordnet worden ist, stuenden durch die Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannte allgemeine Rechtsgrundsätze entgegen, stellt sie notwendigerweise die Rechtmässigkeit dieser Entscheidung in Frage. Wie aber in Randnummer 10 dieses Urteils dargelegt worden ist, ist die griechische Regierung nicht mehr berechtigt, die Gültigkeit dieser Entscheidung in Frage zu stellen.

14 Überdies sind ihre Argumente zu diesem Punkt auf jeden Fall unbegründet.

15 Mit ihrem Vorbringen, die Rückforderung der Beihilfe könne nur in Form einer gegen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstossenden rückwirkenden Besteuerung erfolgen, verkennt die griechische Regierung nämlich die Folgen, die mit der rechtlichen Qualifizierung der fraglichen Steuerbefreiung als rechtswidrige Beihilfe verbunden sind.

16 Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, ist die Aufhebung einer rechtswidrigen Beihilfe durch Rückforderung die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit (siehe u. a. Urteil vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87, Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959, Randnr. 66). Diese Folge kann aber nicht davon abhängen, in welcher Form die Beihilfe gewährt worden ist.

17 Wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um eine Beihilfe handelt, die in Form einer Steuerbefreiung gewährt worden ist, deren Rechtswidrigkeit ordnungsgemäß festgestellt worden ist, lässt sich nicht, wie die Beklagte dies tut, geltend machen, daß die Rückforderung der fraglichen Beihilfe notwendigerweise in Form einer rückwirkenden Besteuerung erfolgen müsse, der als solcher im Hinblick namentlich auf die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts die absolute Unmöglichkeit der Durchführung entgegenstuende. Aufgrund der Entscheidung 89/659 obliegt es den griechischen Behörden lediglich, Maßnahmen zu treffen, mit denen die durch die Beihilfe begünstigten Unternehmen zur Zahlung von Beträgen in Höhe der ihnen rechtswidrigerweise gewährten Steuerbefreiung verpflichtet werden.

18 Zwar ist nicht auszuschließen, daß sich der Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe ausnahmsweise auf Umstände berufen kann, aufgrund deren sein Vertrauen in die Ordnungsmässigkeit der Beihilfe geschützt ist. Doch kann sich kein Mitgliedstaat, dessen Behörden eine Beihilfe unter Verletzung des Verfahrens des Artikels 93 gewährt haben, unter Berufung auf das schutzwürdige Vertrauen der Begünstigten der Verpflichtung entziehen, die notwendigen Maßnahmen zur Durchführung einer Entscheidung der Kommission zu ergreifen, durch die die Rückforderung der Beihilfe angeordnet wird. Andernfalls würde den Artikeln 92 und 93 EWG-Vertrag insoweit jede praktische Wirkung genommen, als sich die nationalen Behörden so auf ihr eigenes rechtswidriges Verhalten stützen könnten, um die Wirksamkeit von nach diesen Bestimmungen erlassenen Entscheidungen der Kommission auszuschalten (Urteil vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-5/89, Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-3437, Randnrn. 16 und 17).

19 Schließlich ist zum sonstigen Vorbringen der griechischen Regierung festzustellen, daß die Tatsache, daß der Mitgliedstaat, an den eine Entscheidung gerichtet ist, gegen eine Klage der hier gegebenen Art nichts anderes geltend machen kann als die absolute Unmöglichkeit, die Entscheidung durchzuführen, nicht ausschließt, daß ein Mitgliedstaat, der bei der Durchführung einer solchen Entscheidung auf unvorhergesehene und unvorhersehbare Schwierigkeiten stösst oder sich über von der Kommission nicht beabsichtigte Folgen klar wird, diese Probleme der Kommission zur Beurteilung vorlegen und dabei geeignete Änderungen der fraglichen Entscheidung vorschlagen kann. In einem solchen Fall müssen die Kommission und der Mitgliedstaat gemäß dem Grundsatz, daß den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen die gegenseitige Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit obliegt, wie er namentlich dem Artikel 5 EWG-Vertrag zugrunde liegt, redlich zusammenwirken, um die Schwierigkeiten unter vollständiger Beachtung der Bestimmungen des Vertrages, insbesondere derjenigen über die Beihilfen, zu überwinden (Urteil in der Rechtssache 52/84, Kommission/Belgien, a. a. O., und Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 94/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 175).

20 Im vorliegenden Fall hat sich die griechische Regierung darauf beschränkt, die Kommission über die mit der Durchführung der Entscheidung verbundenen rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten zu unterrichten, ohne gegenüber den betroffenen Unternehmen irgendwelche Maßnahmen zur Rückforderung der Beihilfe zu ergreifen und ohne der Kommission Modalitäten der Durchführung der Entscheidung vorzuschlagen, die es ermöglicht hätten, die angeführten Schwierigkeiten zu überwinden.

21 Unter diesen Umständen ist festzustellen, daß sich die Beklagte nicht auf eine absolute Unmöglichkeit, die Entscheidung durchzuführen, berufen kann.

22 Nach alledem ist die Vertragsverletzung gemäß dem Antrag der Kommission festzustellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung hat die unterliegende Partei die Kosten zu tragen. Da die Beklagte mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Griechische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß sie der Entscheidung 89/659/EWG der Kommission vom 3. Mai 1989 nicht nachgekommen ist, die die Beihilfen betrifft, die den Ausfuhrunternehmen in Form einer Befreiung von der ° durch die Ministerialverfügung E 3789/128 vom 15. März 1988 eingeführten ° einmaligen Sondersteuer für den den Ausfuhrerlösen entsprechenden Teil der Gewinne gewährt wurden.

2) Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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