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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.05.1992
Aktenzeichen: C-190/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 82/501/EWG


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 189 Abs. 3
Richtlinie 82/501/EWG Art. 3
Richtlinie 82/501/EWG Art. 4
Richtlinie 82/501/EWG Art. 5 Abs. 1 Buchst. b
Richtlinie 82/501/EWG Art. 5 Abs. 1 Buchst. c
Richtlinie 82/501/EWG Art. 5 Abs. 3
Richtlinie 82/501/EWG Art. 8 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht verlangt nicht notwendigerweise, daß ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in einer ausdrücklichen besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden; je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Rahmen genügen, wenn er tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, daß - soweit die Richtlinie Ansprüche des einzelnen begründen soll - die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

2. Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c dritter Gedankenstrich der Richtlinie 82/501 über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Betreiber gehalten sind, den zuständigen Behörden eine Mitteilung vorzulegen, die u. a. die Angabe des Namens der Person oder der Stelle enthält, die befugt ist, Alarm- und Gefahrenabwehrpläne durchzuführen und die zuständigen Behörden zu alarmieren, ist dahin auszulegen, daß er sich nicht nur auf den rechtlich für die Sicherheit, namentlich für die Sicherheit ausserhalb der Anlage, Verantwortlichen bezieht, sondern auch auf denjenigen, der damit betraut ist, diese Sicherheit im tatsächlichen Sinn zu verwirklichen, also in der Praxis bei einem Unfall die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 20. MAI 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH DER NIEDERLANDE. - VERTRAGSVERLETZUNG - EWG-RICHTLINIE - UNVEREINBARE NATIONALE RECHTSVORSCHRIFTEN. - RECHTSSACHE C-190/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission hat mit Klageschrift, die am 14. Juni 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß es nicht alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der Richtlinie 82/501/EWG des Rates vom 24. Juni 1982 über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten (ABl. L 230, S. 1; im folgenden: die Richtlinie), insbesondere den Artikeln 3, 4, 5 Absatz 1 Buchstaben b und c und Absatz 3, 8 Absatz 1 und 10 Absätze 1 und 2, nachzukommen.

2 Die Richtlinie betrifft die Verhütung schwerer Unfälle, die durch bestimmte Industrietätigkeiten verursacht werden könnten, sowie die Begrenzung der Unfallfolgen für Mensch und Umwelt.

3 Artikel 3 der Richtlinie bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten legen die erforderlichen Bestimmungen fest, damit der Betreiber bei allen in Artikel 1 definierten Industrietätigkeiten gehalten ist, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die schwere Unfälle verhüten und deren Folgen für Mensch und Umwelt begrenzen sollen."

4 Artikel 4 der Richtlinie lautet:

"Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Betreiber gehalten ist, gegenüber der zuständigen Behörde im Hinblick auf die Überprüfungen nach Artikel 7 Absatz 2 jederzeit nachzuweisen, daß er die vorhandenen Gefahren schwerer Unfälle festgestellt, geeignete Sicherheitsmaßnahmen getroffen und die auf dem Betriebsgelände beschäftigten Personen über die Sicherheitsvorkehrungen unterrichtet und entsprechend ausgebildet und ausgerüstet hat."

5 Gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit der Betreiber gehalten ist, den zuständigen Behörden eine Mitteilung vorzulegen, die u. a. folgende Angaben enthalten muß:

"a)...

b) Informationen über die Anlagen:

-...

- Hoechstzahl der auf dem Betriebsgelände beschäftigten und insbesondere der gefährdeten Personen,

-...

c) Informationen über mögliche schwere Unfallsituationen:

-...

-...

- Name der Person und ihrer Stellvertreter bzw. zuständige Stelle, die mit der Sicherheit beauftragt und befugt sind, die Alarm- und Gefahrenabwehrpläne durchzuführen und die zuständigen Behörden gemäß Artikel 7 zu alarmieren."

Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 82/501 bestimmt:

"Die in Absatz 1 vorgesehene Mitteilung ist regelmässig auf den neuesten Stand zu bringen, um insbesondere neuen technischen Erkenntnissen im Bereich der Sicherheit sowie der Entwicklung der Erkenntnisse in der Gefahrenbeurteilung Rechnung zu tragen."

6 Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie lautet:

"Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß die Personen, die von einem schweren Unfall aufgrund einer mitgeteilten Industrietätigkeit im Sinne von Artikel 5 betroffen werden könnten, in geeigneter Weise über die Sicherheitsmaßnahmen und das Verhalten im Falle eines Unfalls unterrichtet werden."

7 Artikel 10 Absätze 1 und 2 der Richtlinie bestimmt:

"(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Betreiber im Falle eines schweren Unfalls

a) die zuständigen Behörden im Sinne von Artikel 7 umgehend unterrichtet;

b) ihnen, sobald sie ihm bekannt sind,

- die Umstände des Unfalls,

- die eingesetzten oder angefallenen gefährlichen Stoffe im Sinn von Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe d),

- die verfügbaren Angaben zur Beurteilung der Auswirkungen des Unfalls auf den Menschen und die Umwelt,

- die eingeleiteten Sofortmaßnahmen

mitteilt;

c) sie über die Maßnahmen unterrichtet, die vorgesehen sind, um

- mittel- und langfristig die Auswirkungen des Unfalls zu beseitigen und

- zu verhindern, daß sich dieser Unfall wiederholt.

(2) Die Mitgliedstaaten beauftragen die zuständigen Behörden,

a) sich zu vergewissern, daß die sich als notwendig erweisenden Sofortmaßnahmen sowie mittel- und langfristigen Maßnahmen ergriffen werden;

b) falls möglich, die zur Vervollständigung der Analyse des schweren Unfalls erforderlichen Informationen einzuholen und gegebenenfalls Empfehlungen auszusprechen."

8 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission die Rügen der Nichtumsetzung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b zweiter Gedankenstrich und Absatz 3 sowie des Artikels 10 Absatz 2 der Richtlinie zurückgenommen. Aufrechterhalten werden also die Rügen, die die Artikel 3, 4, 5 Absatz 1 Buchstabe c dritter Gedankenstrich, 8 Absatz 1 und 10 Absatz 1 der Richtlinie betreffen.

9 Das Königreich der Niederlande macht geltend, die im niederländischen Recht vorgesehenen Verpflichtungen stuenden im Einklang mit der Richtlinie. So genügten dem Artikel 3 der Richtlinie:

- die Artikel 2 und 17 Absatz 1 der Hinderwet von 1952 (Stbl. 1981, 401; Gesetz über störende, gesundheitsschädliche oder gefährliche Einrichtungen);

- die Bestimmungen der Wet inzake de luchtverontreiniging vom 26. November 1970 (Stbl. 1970, 580; Gesetz über die Luftverschmutzung);

- der Inrichtingenbesluit artikel 19, eerste lid, Wet inzake de luchtverontreiniging (Stbl. 1972, 294; Durchführungsverordnung zu Artikel 19 Absatz 1 des Gesetzes über die Luftverschmutzung);

- die Artikel 1, 12 und 13 der Brandweerwet von 1985 (Stbl. 1985, 87; Gesetz über die Brandbekämpfung) und der Besluit bedrijfsbrandweren (Stbl. 1990, 80; Verordnung über Betriebsfeuerwehren) sowie

- Artikel 2 der Wet milieugevaarlijke stoffen (Stbl. 1985, 639; Gesetzt über umweltgefährdende Stoffe).

Dem Artikel 4 der Richtlinie genügten:

- die Artikel 2 Absatz 1, 5 und 30 ff. der Hinderwet sowie

- Artikel 2 des Hinderbesluit von 1953, in der geänderten Fassung von 1988 (Stbl. 1988, 433; Verordnung über störende, gesundheitsschädliche oder gefährliche Einrichtungen).

Dem Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c dritter Gedankenstrich der Richtlinie genügten:

- die Artikel 14 und 26 der Hinderwet und

- die Artikel 2 Absatz 1 und 4 Absatz 1 Buchstabe a des Besluit inzake risico' s van zware ongevallen (Stbl. 1988, 432; Verordnung über die Gefahren schwerer Unfälle).

Die niederländische Regierung räumt dagegen ein, daß Artikel 8 Absatz 1 und Artikel 10 Absatz 1 nicht in niederländisches Recht umgesetzt worden seien.

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Artikel 3 der Richtlinie

11 Artikel 2 der Hinderwet stellt ein allgemeines Verbot auf, ohne Genehmigung Einrichtungen zu schaffen oder zu betreiben, die eine Gefahr, einen Schaden oder eine Belästigung ausserhalb dieser Einrichtung verursachen können, oder solche Einrichtungen zu erweitern oder zu verändern oder die dort angewandten Arbeitsweisen zu verändern. Der Leiter der Einrichtung ist verpflichtet, jede Änderung der Einrichtung oder der Arbeitsweisen der für die Genehmigung solcher Änderungen zuständigen Behörde, dem Inspecteur und dem Districtshoofd (Leiter der Bezirksbehörde) sowie den Provinzbehörden und den Behörden der Gemeinde, in der die Einrichtung ganz oder teilweise belegen ist, mitzuteilen. Gemäß Artikel 17 Absatz 1 der Hinderwet werden mit der Genehmigung die Auflagen verbunden, die erforderlich sind, um Gefahren, Schäden oder Belästigungen ausserhalb der Einrichtung zu verhüten oder zu begrenzen. Diese Auflagen können insbesondere die Verpflichtung umfassen, in der Auflage angegebene Maßnahmen zu treffen, um die Gefahren, Schäden oder Belästigungen zu verhüten oder zu begrenzen, die Verpflichtung, nach einer bestimmten Methode Messungen durchzuführen, um festzustellen, ob die Einrichtung Gefahren, Schäden oder Belästigungen ausserhalb der Anlage verursacht oder verursachen kann, und die Verpflichtung, die Ergebnisse dieser Messungen den zuständigen Behörden mitzuteilen.

12 Die Wet inzake de luchtverontreiniging sieht auch eine bestimmte Anzahl von Maßnahmen zur Verhütung und Begrenzung der Luftverschmutzung vor, die durch die in der Durchführungsverordnung zu Artikel 19 Absatz 1 dieses Gesetzes genannten Einrichtungen verursacht werden. Gemäß Artikel 42 dieses Gesetzes sind, wenn infolge eines ungewöhnlichen Vorfalls in der Einrichtung die Luft so stark verschmutzt ist oder verschmutzt zu werden droht, daß eine erhebliche Gesundheitsgefährdung oder eine unerträgliche Belästigung oder ein schwerer Schaden zu befürchten ist, unverzueglich die angemessenen Maßnahmen zu treffen, um diesen Zustand zu beenden. Der Vorfall und die getroffenen Maßnahmen sind unverzueglich dem Bürgermeister der Gemeinde, in dem die Einrichtung ganz oder hauptsächlich belegen ist, mitzuteilen; diese Verpflichtungen treffen den Leiter der Einrichtung sowie das Sicherheitspersonal.

13 Die Artikel 1, 12 und 13 der Brandweerwet in Verbindung mit dem Besluit bedrijfsbrandweren verpflichten einerseits die Gemeindebehörden und andererseits die Leiter der Einrichtungen, die eine besondere Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen können, eine Feuerwehr einzurichten. Die Betriebsfeuerwehr muß den vom Gemeindevorstand aufgestellten personellen und materiellen Erfordernissen entsprechen. Der Leiter einer Einrichtung muß dafür sorgen, daß die Betriebsfeuerwehr die Anweisungen befolgt, die hierzu von der aufgrund einer Rechtsvorschrift mit der tatsächlichen Leitung der Bekämpfung von Bränden und anderen Gefahren innerhalb der Einrichtung betrauten Person erteilt werden.

14 Artikel 2 der Wet milieugevaarlijke stoffen bestimmt, daß jeder, der von Berufs wegen einen Stoff oder ein Präparat herstellt, einem anderen zur Verfügung stellt, in die Niederlande einführt oder dort verwendet und der weiß oder Grund zu der Annahme hat, daß diese Tätigkeiten eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen, verpflichtet ist, alles zu unternehmen, was vernünftigerweise von ihm verlangt werden kann, um diese Gefahren so weit wie möglich zu begrenzen.

15 Die Kommission macht geltend, die in Artikel 3 der Richtlinie enthaltene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den Betreibern vorzuschreiben, die notwendigen Maßnahmen zur Verhütung schwerer Unfälle und zur Begrenzung von deren Folgen für Mensch und Umwelt zu ergreifen, sei nicht erfuellt. Diese allgemeine Verpflichtung hätte ihrer Ansicht nach nämlich durch eine für die zuständigen nationalen Behörden zwingende Rechtsvorschrift durchgeführt werden müssen. Artikel 17 der Hinderwet räume den niederländischen Behörden ein Ermessen sowohl hinsichtlich der Erteilung von Genehmigungen für die in Frage stehenden Industrieanlagen als auch hinsichtlich der Festlegung des Inhalts und des fakultativen oder zwingenden Charakters der mit der Genehmigung verbundenen Auflagen ein.

16 Die niederländische Regierung führt aus, Artikel 17 Absatz 1 Satz 1 der Hinderwet verpflichte die zuständigen Behörden, die Genehmigungen zu erteilen und mit diesen die Auflagen zu verbinden, die erforderlich seien, um Gefahren, Schäden oder Belästigungen ausserhalb der Anlage zu verhüten oder zu begrenzen. Die Aufzählung einiger konkreter Maßnahmen in Artikel 17 Absatz 1 Satz 2 diene der Illustrierung und ändere nichts an dem zwingenden Charakter der in Satz 1 aufgestellten Verpflichtung, die sich überdies auf "Gefahren, Schäden oder Belästigungen" beziehe und so einen weiteren Anwendungsbereich habe als Artikel 3 der Richtlinie, der lediglich "schwere Unfälle" betreffe. Die niederländische Regierung macht auch geltend, die Verhütung oder die Begrenzung der Gefahren schwerer Unfälle durch individuelle zwingende Genehmigungen mit Auflagen, die an die Art und die konkrete Situation der Einrichtung angepasst seien, sei wirksamer als eine allgemeine Vorschrift, die sowieso im Einzelfall konkretisiert werden müsse. Schließlich werde Artikel 3 der Richtlinie auch durch die Wet inzake de luchtverontreiniging, die Brandweerwet, den Besluit bedrijfsbrandweren und die Wet milieugevaarlijke stoffen durchgeführt.

17 Nach ständiger Rechtsprechung (siehe insbesondere Urteil vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache C-59/89, Kommission/Deutschland, Slg. I-2607, Randnr. 18) verlangt die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise, daß ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in einer ausdrücklichen besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden; je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Rahmen genügen, wenn er tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, daß - soweit die Richtlinie Ansprüche des einzelnen begründen soll - die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

18 Das Ziel der Richtlinie 82/501 besteht insbesondere darin, daß die erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um schwere Unfälle, die durch bestimmte Industrietätigkeiten verursacht werden könnten, zu verhüten und die Folgen solcher Unfälle zu begrenzen. Gemäß Artikel 1 der Richtlinie sind Industrietätigkeiten alle Tätigkeiten in Industrieanlagen gemäß Anhang I, einschließlich der Transporte innerhalb des Betriebs für betriebsinterne Zwecke und der dazugehörigen Lagerungen innerhalb des Betriebs, bei denen ein gefährlicher Stoff oder mehrere gefährliche Stoffe eingesetzt werden oder anfallen können und bei denen die Gefahr eines schweren Unfalls bestehen kann (Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a erster Gedankenstrich). Hieraus folgt, daß der Geltungsbereich dieser Verpflichtung sehr weit ist und ihre Durchführung das Bestehen oder den Erlaß einer Gesamtheit von Vorschriften erfordert, die alle diese Tätigkeiten abdeckt und gewährleistet, daß jeder Betreiber gehalten ist, die auf die Art der betreffenden Industrietätigkeit abgestimmten Maßnahmen zu treffen, um schwere Unfälle zu verhüten und deren Folgen für Mensch und Umwelt zu begrenzen.

19 Die nationalen Vorschriften, auf die die niederländische Regierung verweist, haben ebenso wie die Richtlinie das Ziel, daß konkrete und angemessene Maßnahmen getroffen werden, um schwere Unfälle und deren eventuelle Folgen ausserhalb der Einrichtung zu vermeiden.

20 Erstens sieht die Hinderwet nämlich ein System von vorherigen zwingenden Genehmigungen vor, mit denen die Auflagen verbunden werden, die erforderlich sind, um Gefahren, Schäden oder Belästigungen zu verhüten oder zu begrenzen.

21 Zweitens ist auch die Genehmigung, die die Wet inzake de luchtverontreiniging für Industrieanlagen vorschreibt, die eine Luftverschmutzung verursachen können, mit konkreten Auflagen verbunden, die auf die betreffende Tätigkeit abstellen.

22 Schließlich verpflichtet Artikel 2 der Wet milieugevaarlijke stoffen jede Person, die Tätigkeiten verrichtet, die Gefahren für Mensch und Umwelt mit sich bringen können, Maßnahmen zu treffen, um diese Gefahren zu begrenzen; die Vorschrift genügt somit den Anforderungen des Artikels 3 der Richtlinie.

23 Die Durchführung des Artikels 3 der Richtlinie ist demgemäß durch zwingende und spezifische nationale Rechtsvorschriften gewährleistet, die den Verpflichtungen des Königreichs der Niederlande aus Artikel 189 EWG-Vertrag genügen.

Artikel 4 der Richtlinie

24 Gemäß Artikel 5 der Hinderwet ist mit dem Genehmigungsantrag für die Errichtung, den Betrieb, die Erweiterung oder die Änderung einer Einrichtung eine grosse Zahl von in Artikel 2 des Hinderbesluit vorgesehenen Unterlagen einzureichen, die Sicherheitsmaßnahmen zur Feststellung und Verhütung von Gefahren schwerer Unfälle betreffen. Die Artikel 30 ff. der Hinderwet bestimmen, daß die Beamten, die mit der Kontrolle der Anwendung dieses Gesetzes betraut sind, Zugang zu den Geschäftsbüchern und den Örtlichkeiten in der Einrichtung haben, soweit dies zur Erfuellung ihrer Aufgabe vernünftigerweise erforderlich ist, und daß der Betreiber und sein Personal dabei zur Mitwirkung verpflichtet sind.

25 Nach Auffassung der Kommission hat der Betreiber gemäß Artikel 4 der Richtlinie die allgemeine und ständige Verpflichtung, jederzeit nachweisen zu können, daß er die bestehenden Gefahren schwerer Unfälle im Einklang mit der Entwicklung der Technik und der Produktion festgestellt hat. Die Tatsache, daß der Betreiber mit seinem Genehmigungsantrag u. a. einen Bericht über die Sicherheit ausserhalb der Anlage vorlege, sei zur Erfuellung dieser Verpflichtung nicht hinreichend. Im übrigen entsprächen die Artikel 30 ff. der Hinderwet Artikel 4 der Richtlinie deshalb nicht, weil sie nur die Kontrollen hinsichtlich der in dem Genehmigungsantrag enthaltenen Angaben und der mit der Genehmigung verbundenen Auflagen beträfen.

26 Die niederländische Regierung macht geltend, Artikel 4 der Richtlinie enthalte keinerlei Verpflichtung für den Betreiber, jederzeit nachweisen zu können, daß er die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung schwerer Unfälle getroffen habe. Das Vorbringen der Kommission hierzu würde Artikel 6 der Richtlinie jeden Sinn nehmen. Jedenfalls sähen die Artikel 30 ff. der Hinderwet eine ständige Informationspflicht hinsichtlich der zur Begründung des Genehmigungsantrags gemachten Angaben und hinsichtlich der in die Genehmigung aufgenommenen Auflagen vor, so daß das niederländische Recht in Übereinstimmung mit Artikel 4 der Richtlinie stehe.

27 Artikel 4 der Richtlinie begründet für den Betreiber die Verpflichtung, der zuständigen Behörde jederzeit nachweisen zu können, daß er die Gefahren schwerer Unfälle festgestellt und die in dieser Bestimmung genannten Maßnahmen getroffen hat. Diese Verpflichtung ist in das niederländische Recht aufgenommen worden.

28 Gemäß den Artikeln 30 ff. der Hinderwet können nämlich die mit der Durchführung dieses Gesetzes betrauten Beamten jederzeit vom Betreiber Auskünfte zu den zur Begründung des Genehmigungsantrags gemachten Angaben, zu den mit der Genehmigung verbundenen Auflagen und zu den Geschäftsbüchern und anderen die Einrichtung betreffenden Dokumenten verlangen, ferner Ortsbesichtigungen, wenn erforderlich in Begleitung Dritter, vornehmen und schließlich Erzeugnisse oder Proben entnehmen und prüfen, soweit dies vernünftigerweise zur Durchführung der Kontrolle erforderlich ist. Diese Kontrollfunktion, die die Verpflichtung des Betreibers zur Mitwirkung und zur Erteilung der verlangten Auskünfte umfasst, kommt für den Betreiber einer ständigen Auskunftspflicht gleich.

29 Im übrigen haben die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 6 der Richtlinie die geeigneten Maßnahmen zu treffen, damit der Betreiber bei einer Änderung einer Industrietätigkeit, die bedeutende Auswirkungen auf Gefahren schwerer Unfälle haben könnte, u. a. die insbesondere in Artikel 4 dieser Richtlinie genannten Maßnahmen überprüft. Eines der Ziele des Artikels 6 ist es somit, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, den Betreiber zu zwingen, die Gefahren schwerer Unfälle unter Berücksichtigung der Entwicklung festzustellen und die Maßnahmen hinsichtlich der Unterrichtung, der Ausbildung und der Ausrüstung der auf dem Betriebsgelände beschäftigten Personen entsprechend zu verändern, um deren Sicherheit zu gewährleisten.

30 Ebenso sieht Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie vor, daß die in Absatz 1 vorgesehene Mitteilung regelmässig auf den neuesten Stand zu bringen ist, um insbesondere neuen technischen Erkenntnissen im Bereich der Sicherheit sowie der Entwicklung der Erkenntnisse in der Gefahrenbeurteilung Rechnung zu tragen.

31 Da die Kommission keinen Verstoß gegen die in Artikel 5 Absatz 3 und in Artikel 6 der Richtlinie vorgesehenen Aktualisierungsverpflichtungen geltend macht, ist anzunehmen, daß sie anerkennt, daß das niederländische Recht den Zielen dieser beiden Bestimmungen entspricht, und daß sie demgemäß stillschweigend einräumt, daß dieses Recht in Einklang mit den Zielen des Artikels 4 der Richtlinie steht, da die Einhaltung der in den Artikeln 5 Absatz 3 und 6 der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen notwendigerweise die Einhaltung der in den Artikeln 4 und 5 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen voraussetzt.

Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c dritter Gedankenstrich der Richtlinie

32 Die Artikel 14 und 26 der Hinderwet sehen vor, daß die für die Ausübung einer Industrietätigkeit erteilte Genehmigung für den Antragsteller und seine Rechtsnachfolger gilt und daß die für die Erteilung einer solchen Genehmigung zuständige Behörde die mit dieser Genehmigung verbundenen Auflagen ändern oder aufheben kann. Gemäß den Artikeln 2 Absatz 1 und 4 Absatz 1 Buchstabe a des Besluit risico' s zware ongevallen haben die Leiter einer Einrichtung, in der ein gefährlicher Stoff vorhanden ist, der zuständigen Behörde alle fünf Jahre einen Bericht über die Sicherheit ausserhalb der Anlage zu übermitteln, der u. a. eine allgemeine Beschreibung der Einrichtung sowie der dort befindlichen Stoffe und ihrer Eigenschaften umfasst.

33 Nach Auffassung der Kommission ermöglichen es diese Bestimmungen, den für die Sicherheit rechtlich Verantwortlichen festzustellen, nicht jedoch die vor Ort zuständige Stelle, an die sich die Behörden bei einem Unfall wenden können.

34 Die niederländische Regierung führt aus, der allgemeine Zusammenhang der Hinderwet und insbesondere deren Artikel 14 und 26 sowie Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a des Besluit inzake risico' s zware ongevallen ermöglichten es, den Inhaber einer Genehmigung festzustellen, der dafür verantwortlich sei, daß alle gesetzlichen Verpflichtungen einschließlich derjenigen über die Sicherheit ausserhalb der Anlage beachtet würden. Der Genehmigungsinhaber sei für die Sicherheit zuständig, er verfüge dabei über eine gewisse Entscheidungsbefugnis und stimme somit mit der zuständigen Person oder Stelle im Sinne des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe c dritter Gedankenstrich der Richtlinie überein. Das niederländische Recht entspreche somit dieser Bestimmung.

35 Hierzu ist festzustellen, daß die in Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c dritter Gedankenstrich der Richtlinie vorgesehene Mitteilung den Namen der Person oder Stelle enthalten muß, die befugt ist, die Alarm- und Gefahrenabwehrpläne durchzuführen und die zuständigen Behörden zu alarmieren. Dies setzt eine tatsächliche Zuständigkeit dafür voraus, in der Praxis bei einem Unfall die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Die Bestimmung bezieht sich also nicht nur auf den rechtlich für die Sicherheit, namentlich für die Sicherheit ausserhalb der Anlage, Verantwortlichen, sondern auch auf denjenigen, der damit betraut ist, diese Sicherheit im tatsächlichen Sinn zu verwirklichen.

36 Die von der niederländischen Regierung genannten Vorschriften ermöglichen nicht die Kenntnis der Person, die bei einem Unfall befugt ist, die Alarm- und Gefahrenabwehrpläne durchzuführen und die zuständigen Behörden zu alarmieren.

37 Die Rüge der Kommission hinsichtlich der Durchführung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe c dritter Gedankenstrich der Richtlinie ist demgemäß begründet.

Artikel 8 Absatz 1 und 10 Absatz 1 der Richtlinie

38 Die niederländische Regierung verweist darauf, daß Rechtsvorschriften in Vorbereitung seien, um die Durchführung der Artikel 8 Absatz 1 und 10 Absatz 1 der Richtlinie zu gewährleisten; sie bestreitet jedoch nicht, daß diese Bestimmungen nicht in niederländisches Recht umgesetzt worden sind.

39 Hierzu genügt die Feststellung, daß bis zum Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, keine für die Durchführung dieser Bestimmungen erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind.

40 Somit ist die Klage der Kommission hinsichtlich der Artikel 8 Absatz 1 und 10 Absatz 1 der Richtlinie begründet.

41 Es ist demgemäß festzustellen, daß das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß es nicht innerhalb der festgesetzten Frist alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c dritter Gedankenstrich, Artikel 8 Absatz 1 und Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie 82/501/EWG des Rates vom 24. Juni 1982 über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten nachzukommen.

Kostenentscheidung:

Kosten

42 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

43 Da das Königreich der Niederlande nur teilweise unterlegen ist und die Kommission ihre Klage teilweise zurückgenommen hat, sind jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Königreich der Niederlande hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß es nicht innerhalb der festgesetzten Frist alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c dritter Gedankenstrich, Artikel 8 Absatz 1 und Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie 82/501/EWG des Rates vom 24. Juni 1982 über die Gefahren schwerer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten nachzukommen.

2) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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