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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.10.1992
Aktenzeichen: C-191/90
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag verwehren es den mangels Einigung für die Festsetzung der Bedingungen für eine Lizenz unter einer Lizenzbereitschaft zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, unter Berufung auf ihr nationales Recht einem Lizenznehmer die Einfuhr des patentierten Erzeugnisses aus Drittländern zu untersagen, wenn der Patentinhaber das Erzeugnis im Inland herstellt, sie ihm aber zu gestatten, wenn der Patentinhaber sein Patent durch die Einfuhr des Erzeugnisses aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ausnutzt. Eine solche Praxis ist nämlich diskriminierend, indem sie die Patentinhaber, die sich nicht dem Wettbewerb durch Einfuhren aus Drittländern aussetzen wollen, entgegen den Zielen der Gemeinschaft dazu veranlasst, das Erzeugnis im Inland herzustellen und es nicht aus anderen Mitgliedstaaten einzuführen; sie ist nicht für den Schutz der Rechte erforderlich, die den spezifischen Gegenstand des gewerblichen und kommerziellen Eigentums darstellen.

2. Nach den Artikeln 47 und 209 der Beitrittsakte von 1985 kann der Inhaber eines Patents für ein pharmazeutisches Erzeugnis, das in einem Mitgliedstaat zum Patent angemeldet wurde, als dafür in Spanien oder in Portugal Erzeugnispatente nicht erhalten werden konnten, oder sein Rechtsnachfolger das Recht aus diesem Patent geltend machen, um die Einfuhr oder das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses in dem oder den zehn anderen Mitgliedstaaten, in dem oder denen es durch ein Patent geschützt ist, zu verhindern, und zwar auch dann, wenn es von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung von einem Dritten erstmals in Spanien oder Portugal in den Verkehr gebracht wurde. Diese Bestimmungen gestatten es den Behörden der Mitgliedstaaten, die mangels Einigung für die Festsetzung der Bedingungen für eine Lizenz unter Lizenzbereitschaft zuständig sind, einem Lizenznehmer in Abweichung von den Grundsätzen der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag die Einfuhr eines patentierten pharmazeutischen Erzeugnisses aus Spanien und Portugal zu verbieten, wenn sich der Patentinhaber nach nationalem Recht den Einfuhren widersetzen kann und wenn er von der Befugnis der Artikel 47 und 209 Gebrauch macht.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 27. OKTOBER 1992. - GENERICS (UK) LTD UND HARRIS PHARMACEUTICALS LTD GEGEN SMITH KLINE AND FRENCH LABORATORIES LTD. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COURT OF APPEAL (ENGLAND) - VEREINIGTES KOENIGREICH. - PATENTE - ZWANGSLIZENZEN - ARTIKEL 30 UND 36 EWG-VERTRAG. - RECHTSSACHE C-191/90.

Entscheidungsgründe:

1 Der Court of Appeal von England und Wales hat mit Beschluß vom 13. Februar 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juni 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen zur Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag und der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge zur Vorabentscheidung vorgelegt, um bestimmte Praktiken der zuständigen nationalen Behörde bei der Festsetzung von Lizenzbedingungen unter einem Patent mit dem Vermerk "Lizenzbereitschaft" beurteilen zu können.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Smith Kline and French Laboratories Ltd (Klägerin), Inhaberin zweier britischer Patente für das pharmazeutische Erzeugnis Cimetidin, und der Generics UK Ltd sowie der Harris Pharmaceuticals Ltd (Beklagte). In diesem Rechtsstreit geht es um die Einfuhr von Erzeugnissen aus Drittländern sowie aus Spanien und Portugal in das Vereinigte Königreich.

3 Kraft des Patent Acts 1977 (Patentgesetz) wurde den Patenten der Klägerin ab 9. März 1988 der Vermerk "Lizenzbereitschaft" beigefügt.

4 Nach den nationalen Bestimmungen über Patente mit einem solchen Vermerk, insbesondere nach Artikel 46 des Patentgesetzes, hat jedermann ohne weiteres Anspruch auf eine Lizenz an dem Patent zu Bedingungen, die entweder vertraglich oder mangels Einigung vom Comptroller General of Patents (Comptroller) festgesetzt werden.

5 Nach der Rechtsprechung des House of Lords kann der Comptroller sich bei der Festsetzung dieser Lizenzbedingungen auf die Bestimmungen der Sections 48(3) und 50(1) des Patentgesetzes stützen, die sich auf Zwangslizenzen beziehen. Diese Bestimmungen erlauben es dem Comptroller, bei der Ausübung seines Ermessens den Umstand zu berücksichtigen, daß das Patent nicht durch Herstellung des Erzeugnisses im Vereinigten Königreich ausgenutzt wird.

6 Unstreitig besteht die Praxis der zuständigen nationalen Behörden darin, auf der Grundlage dieser Bestimmungen dem Lizenznehmer das Recht zu gewähren, das patentierte Erzeugnis aus Drittländern einzuführen, wenn der Patentinhaber das Patent durch Einfuhr des Erzeugnisses in das Vereinigte Königreich aus anderen Mitgliedstaaten ausnutzt, es ihm aber zu versagen, wenn der Patentinhaber das Erzeugnis im Inland herstellt.

7 Entsprechend dem nationalen Recht haben die Beklagten von der Klägerin eine Lizenz unter der Lizenzbereitschaft verlangt, die es ihnen u. a. erlauben sollte, Cimetidin einzuführen. Mangels einer Einigung zwischen den Parteien wurde die Sache zunächst dem Comptroller, dann dem Patents Court vorgelegt.

8 Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Klägerin Cimetidin in Irland als Halbfertigerzeugnis herstellt und die Herstellung im Vereinigten Königreich zu Ende führt, nahm der Patents Court in die Bedingungen der von den Beklagten beantragten Lizenzen eine Klausel auf, die diesen die Einfuhr des Cimetidins als Fertigerzeugnis aus Drittländern sowie aus Spanien und Portugal verbot. Die Gleichsetzung dieser beiden Mitgliedstaaten mit Drittländern wurde auf die Übergangsbestimmungen der Artikel 47 und 209 der Beitrittsakte gestützt, die sich auf bestimmte Patente bezieht. Der Patents Court lehnt es hingegen ab, eine solche Klausel für die Einfuhr von Cimetidin als Halbfertigerzeugnis einzufügen.

9 Auf Rechtsmittel der Klägerin und der Beklagten gegen diese Entscheidung hat der Court of Appeal das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Vorabentscheidungsfragen vorgelegt:

1) Ist es mit den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag vereinbar, daß eine Behörde, die für die Festsetzung der Lizenzbedingungen für ein kraft Gesetzes mit dem Vermerk "Lizenzbereitschaft" versehenes Patent zuständig ist, für die Entscheidung, ob eine solche Lizenz das Recht zur Einfuhr patentierter Erzeugnisse aus Drittstaaten ausserhalb der Gemeinschaft umfassen soll, auf Sections 48(3)(a) und 50(1)(c) des Patents Act 1977 abstellt? Verstösst es gegen Artikel 30 und 36, wenn die Behörde Sections 48(3)(a) und 50(1)(c) regelmässig dahin auslegt, daß Lizenzen für die Einfuhr aus einem anderen Staat zu versagen sind, wenn der Patentinhaber das Patent im Vereinigten Königreich im Wege der Produktion nutzt, daß Lizenzen für die Einfuhr aus einem Drittstaat hingegen zu erteilen sind, wenn der Patentinhaber das Patent durch Einfuhr von in anderen Mitgliedstaaten der EWG hergestellten Erzeugnissen nutzt?

2 a) Spielt es für die Beantwortung der vorigen Frage eine Rolle, daß Sections 48(3)(a) und 50(1)(c) des Patents Act 1977 auf die Erteilung von Zwangslizenzen anwendbar sind und bestimmen, daß eine Zwangslizenz für ein Patent erteilt werden kann, wenn es im Vereinigten Königreich nicht genutzt wird?

3) Verstösst es im Hinblick auf die Verträge über den Beitritt Spaniens und Portugals zur EWG und das Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache 434/85 (Allen & Hanburys Limited/Generics (UK) Limited, Slg. 1988, 1245) gegen Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag, wenn die zuständige Behörde bei der Festsetzung der Bedingungen einer Lizenz unter einer Lizenzbereitschaft an einem Patent für ein pharmazeutisches Erzeugnis eine Bedingung aufnimmt, die die Einfuhr dieses Erzeugnisses aus Spanien oder Portugal einschränkt?

10 Weitere Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen finden sich im Sitzungsbericht, auf den verwiesen wird. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Die erste und die zweite Frage

11 Die ersten beiden Fragen gehen dahin, ob die Behörden der Mitgliedstaaten, die mangels Einigung für die Festsetzung der Bedingungen für eine Lizenz unter einer Lizenzbereitschaft zuständig sind, ohne Verstoß gegen Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag unter Berufung auf nationales Recht wie die Sections 48(3) und 50(1) des Patentgesetzes einem Lizenznehmer unter einer Lizenzbereitschaft die Einfuhr des patentierten Erzeugnisses aus Drittländern untersagen dürfen, wenn der Patentinhaber das Erzeugnis im Inland herstellt, sie ihm aber gestatten dürfen, wenn der Patentinhaber sein Patent durch Einfuhr aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ausnutzt.

12 Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 18. Februar 1992 in der Rechtssache C-30/90 (Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1992, I-829) festgestellt, daß die Sections 48 und 50 des Patentgesetzes gegen Artikel 30 EWG-Vertrag verstossen, indem sie den Fall, daß die Nachfrage auf dem Inlandsmarkt durch Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten als dem Vereinigten Königreich befriedigt wird, den Fällen gleichstellen, in denen eine Zwangslizenz wegen unzureichender Ausübung des Patents erteilt werden kann.

13 In jenem Urteil hat der Gerichtshof jedoch nicht die hier aufgeworfene Frage erörtert, ob die zuständigen Behörden unter Berufung auf die genannten nationalen Bestimmungen bei der Entscheidung, ob dem Lizenznehmer unter einer Lizenzbereitschaft die Einfuhr des Erzeugnisses aus Drittländern gestattet wird oder nicht, ohne Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht berücksichtigen können, in welchem Mitgliedstaat der Patentinhaber das Erzeugnis herstellt.

14 Die Kommission und die Klägerin tragen vor, wenn nationale Behörden den Inhalt der Lizenzbedingungen unter einer Lizenzbereitschaft hinsichtlich der Einfuhr aus Drittländern nach Maßgabe des Ortes der Herstellung des Erzeugnisses durch den Patentinhaber bestimmten, so behindere eine solche Praxis wegen ihres diskriminierenden Charakters den Handel zwischen Mitgliedstaaten und verstosse daher gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag.

15 Das Vereinigte Königreich trug in seinen schriftlichen Erklärungen vor, die Bestimmungen des EWG-Vertrages über den freien Warenverkehr könnten einer Praxis nationaler Behörden nicht entgegengehalten werden, die nur Einfuhren aus Drittländern betreffe. In der mündlichen Verhandlung hat das Vereinigte Königreich jedoch unter Berufung auf das Urteil vom 18. Februar 1992 in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich, das nach der Einreichung der schriftlichen Erklärungen erging, den diskriminierten Charakter dieser Praxis und ihre Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zugestanden.

16 Die Beklagten machen geltend, daß es den innergemeinschaftlichen Handel nicht beeinträchtigen und damit nicht gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag verstossen könne, wenn einem Lizenznehmer die Einfuhr des patentierten Erzeugnisses aus Drittländern gestattet werde.

17 Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 15. Juni 1976 in der Rechtssache 51/75 (EMI Records, Slg. 1976, 811) ausgeführt hat, betreffen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag nur Einfuhrbeschränkungen beim Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Die für die Festsetzung der Lizenzbedingungen unter einer Lizenzbereitschaft zuständigen Behörden können daher dem Lizenznehmer die Einfuhr des patentierten Erzeugnisses aus einem Drittland ohne Verstoß gegen die genannten Bestimmungen des EWG-Vertrages gewähren oder versagen.

18 Bei der Ausübung der ihnen damit zugestandenen Befugnisse hinsichtlich der Einfuhr aus Drittländern dürfen diese Stellen sich hingegen nicht auf Kriterien stützen, die wegen ihres diskriminierenden Charakters den Handel zwischen den Mitgliedstaaten unter Verstoß gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag beeinträchtigen können.

19 Nach der vom vorlegenden Gericht in Bezug genommenen Praxis der nationalen Behörden kann dem Lizenznehmer die Einfuhr des patentierten Erzeugnisses aus Drittländern gestattet werden, wenn der Patentinhaber das Erzeugnis nicht in dem Mitgliedstaat der Patenterteilung herstellt, sondern es aus anderen Mitgliedstaaten einführt. In diesem Fall kann dem Patentinhaber aus der Einfuhr aus Drittländern ein Wettbewerb erwachsen, dem er nicht ausgesetzt wäre, wenn er das Patent durch Herstellung im Inland ausnutzte.

20 Eine solche Praxis ist diskriminierend, denn sie veranlasst die Patentinhaber dazu, das Erzeugnis im Inland herzustellen und es nicht aus anderen Mitgliedstaaten einzuführen. Sie ist damit geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern und stellt damit eine Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmässige Einfuhrbeschränkungen im Sinne des Artikels 30 EWG-Vertrag dar (Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5).

21 Nach Artikel 36 EWG-Vertrag sind Einfuhrverbote und -beschränkungen aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums nur unter der Voraussetzung zulässig, daß sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.

22 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes lässt Artikel 36 Ausnahmen von dem fundamentalen Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb des Gemeinsamen Marktes zum Schutze des gewerblichen und kommerziellen Eigentums nur insoweit zu, als diese Ausnahmen zur Wahrung der Rechte gerechtfertigt sind, die den spezifischen Gegenstand dieses Eigentums ausmachen (Urteil vom 17. Oktober 1990 in der Rechtssache C-10/89, HAG GVF, Slg. 1990, I-3711, Randnr. 12).

23 Auf dem Gebiet der Patente besteht der spezifische Gegenstand des gewerblichen Eigentums insbesondere darin, dem Patentinhaber das ausschließliche Recht, eine Erfindung im Hinblick auf die Produktion und das erste Inverkehrbringen industrieller Erzeugnisse entweder selbst oder durch Lizenzvergabe an Dritte zu verwerten, sowie das Recht, sich gegen jede Zuwiderhandlung zur Wehr zu setzen, zu sichern (Urteil vom 18. Februar 1992 in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnr. 21).

24 Im vorliegenden Fall gibt es im Hinblick auf den spezifischen Gegenstand des Patents keinen Grund, der die von den nationalen Behörden vorgenommene unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte. Diese Behandlung beruht denn auch nicht auf den spezifischen Anforderungen des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, sondern auf dem Bemühen, entsprechend dem nationalen Recht die Erzeugung im fraglichen Mitgliedstaat zu fördern.

25 Eine solche Überlegung, die zur Folge hat, daß die Ziele der Gemeinschaft, wie sie insbesondere in Artikel 2 EWG-Vertrag genannt und in Artikel 3 näher ausgeführt sind, unterlaufen werden, kann jedoch nicht als Rechtfertigung für eine Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten dienen (Urteil vom 18. Februar 1992 in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnr. 30).

26 Die Beklagten tragen vor, die diskriminierende Praxis sei erforderlich, um abträgliche Folgen für den Wettbewerb und die Verbraucher zu vermeiden, die sich aus dem Fehlen gemeinsamer Vorschriften für Patente ergäben. Zur Illustration machen sie geltend, im Ausgangsfall könnten sie in anderen Mitgliedstaaten als dem Vereinigten Königreich, in denen die Klägerin Inhaberin von Patenten sei, keinen Anspruch auf Lizenzen unter einer Lizenzbereitschaft geltend machen. Ohne Ermächtigung der britischen Behörden zur Einfuhr des Cimetidin aus Drittländern seien sie gezwungen, dieses Erzeugnis ausschließlich im Vereinigten Königreich unter Bedingungen zu erzeugen, die ihnen nicht erlaubten, ein Erzeugnis auf den Markt zu bringen, das mit dem von der Klägerin zu geringeren Kosten in Irland hergestellten konkurrieren könnte.

27 Dem ist nicht zu folgen. Negative Folgen des unterschiedlichen Rechts der Mitgliedstaaten und des Fehlens gemeinsamer Patentregeln für die Wirtschaft und die Verbraucher können nämlich keinesfalls diskriminierende nationale Praktiken rechtfertigen, die gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag verstossen.

28 Aus diesen Gründen ist auf die ersten beiden Fragen wie folgt zu antworten: Die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag verwehren es den mangels Einigung für die Festsetzung der Bedingungen für eine Lizenz unter einer Lizenzbereitschaft zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, unter Berufung auf ihr nationales Recht einem Lizenznehmer die Einfuhr des patentierten Erzeugnisses aus Drittländern zu untersagen, wenn der Patentinhaber das Erzeugnis im Inland herstellt, sie ihm aber zu gestatten, wenn der Patentinhaber sein Patent durch die Einfuhr des Erzeugnisses aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ausnutzt.

Zur dritten Frage

29 Mit der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Artikel 47 und 209 der Akte über den Beitritt Spaniens und Portugals es den Behörden der Mitgliedstaaten, die mangels Einigung für die Festsetzung der Bedingungen für eine Lizenz unter einer Lizenzbereitschaft zuständig sind, erlauben, einem Lizenznehmer unter Berufung auf diese Bestimmungen und gegebenenfalls in Abweichung von den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag die Einfuhr eines patentierten pharmazeutischen Erzeugnisses aus Spanien und Portugal zu verbieten.

30 Die Artikel 42 und 202 der Beitrittsakte beseitigen unter stillschweigender Verweisung auf die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag mit Wirkung ab 1. Januar 1986 die mengenmässigen Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen sowie jede Maßnahme gleicher Wirkung zwischen der Gemeinschaft und den zwei neuen Mitgliedstaaten.

31 Demgemäß sind die Grundsätze, die der Gerichtshof auf der Grundlage der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag entwickelt hat, auf den Handel zwischen der Gemeinschaft und den beiden neuen Mitgliedstaaten anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes darf der Inhaber eines vom Recht eines Mitgliedstaats geschützten gewerblichen und kommerziellen Eigentums dieses Recht nicht dazu verwenden, sich der Einfuhr eines Erzeugnisses zu widersetzen, das von ihm selbst oder mit seinem Einverständnis rechtmässig auf den Markt eines anderen Mitgliedstaats gebracht wurde. Aus diesem Grundsatz hat der Gerichtshof insbesondere abgeleitet, daß der Erfinder oder seine Rechtsnachfolger sich nicht zu dem Zweck auf ein Patent im ersten Mitgliedstaat berufen können, die Einfuhr eines von ihnen in einem anderen Mitgliedstaat, in dem dieses Erzeugnis nicht patentierbar war, in den Verkehr gebrachten Erzeugnisses zu verhindern (Urteil vom 14. Juli 1981 in der Rechtssache 187/80, Merck, Slg. 1981, 2063, Randnrn. 12 und 13).

32 Die Artikel 47 und 209 der Beitrittsakte lassen jedoch innerhalb gewisser Grenzen ausdrücklich Ausnahmen von den Artikeln 42 und 202 der Beitrittsakte und den sich daraus ergebenden Grundsätzen zu.

33 Nach diesen Ausnahmebestimmungen kann der Inhaber eines Patents für ein pharmazeutisches Erzeugnis, das in einem Mitgliedstaat zum Patent angemeldet wurde, als dafür in Spanien oder in Portugal Erzeugnispatente nicht erhalten werden konnten, oder sein Rechtsnachfolger das Recht aus diesem Patent geltend machen, um die Einfuhr oder das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses in dem oder den zehn anderen Mitgliedstaaten, in dem oder denen es durch ein Patent geschützt ist, zu verhindern, und zwar auch dann, wenn es von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung von einem Dritten erstmals in Spanien oder Portugal in den Verkehr gebracht wurde. Dieses Recht kann bis zum Ende des dritten Jahres, nachdem für das fragliche Erzeugnis in Spanien oder in Portugal die Patentierbarkeit eingeführt wurde, geltend gemacht werden.

34 Nach Auffassung der Klägerin sind die Artikel 47 und 209 der Beitrittsakte in Ermangelung ausdrücklicher entgegenstehender Vorschriften auf die Einfuhren pharmazeutischer Erzeugnisse anwendbar, die von einem Patent mit dem Vermerk "Lizenzbereitschaft" erfasst sind, und rechtfertigen es damit, dem Lizenznehmer abweichend von Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag die Einfuhr der fraglichen Erzeugnisse aus Spanien und Portugal zu untersagen.

35 Nach Auffassung der Kommission, des Königreichs Spanien, des Vereinigten Königreichs sowie der Beklagten sind die Patente mit dem Vermerk "Lizenzbereitschaft" "schwache" Patente, die vom Anwendungsbereich der Ausnahmevorschriften der Artikel 47 und 209 der Beitrittsakte ausgeschlossen sind.

36 Sie stützen ihre Auffassung insbesondere auf das Urteil des Gerichtshofes vom 3. März 1988 in der Rechtssache 434/85 (Allen and Hanburys, Slg. 1988, 1245), nach dem der Inhaber eines solchen Patents nur einen Anspruch auf angemessene Lizenzgebühren habe. Das sagt jenes Urteil jedoch nicht aus.

37 In diesem Urteil untersucht der Gerichtshof, ob das Verbot, in das Vereinigte Königreich ein Erzeugnis einzuführen, das einem Patent mit dem Vermerk "Lizenzbereitschaft" unterliegt, erforderlich ist, um dem Patentinhaber gegenüber Importeuren eben die Rechte zu sichern, die ihm gegenüber Produzenten zustehen, die dieses Erzeugnis im Inland herstellen, und somit unter Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt ist. Nur zur Bestimmung dieser Rechte hat der Gerichtshof festgestellt, nach dem Recht des Vereinigten Königreichs in der Auslegung durch das nationale Gericht verbleibe dem Inhaber eines mit dem Vermerk "Lizenzbereitschaft" versehenen Patents nur ein Anspruch auf angemessene Lizenzgebühren gegenüber dem Lizenznehmer (Randnr. 13). Der Gerichtshof hat somit das Recht des Vereinigten Königreichs nur zur Kenntnis genommen und dem "schwachen Patent" keine gemeinschaftsrechtliche Definition gegeben, aus der gefolgert werden könnte, daß ein Patent mit dem Vermerk "Lizenzbereitschaft" ohne weiteres vom Anwendungsbereich der Artikel 47 und 209 der Beitrittsakte ausgeschlossen ist.

38 Die Auslegung dieser Artikel muß sich an ihrem Wortlaut ausrichten, wonach der Patentinhaber "das Recht aus diesem Patent geltend machen [kann], um die Einfuhr oder das Inverkehrbringen des Erzeugnisses... zu verhindern".

39 Die Anwendung dieser Bestimmungen setzt somit zunächst voraus, daß das Patent seinem Inhaber das Recht einräumt, sich Einfuhren zu widersetzen. Zwar verbietet das Gemeinschaftsrecht die Ausübung dieser Befugnis, wenn sie besteht, insoweit, als sie unter Verstoß gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigt, doch bestimmt das nationale Recht beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts in Ermangelung einer Angleichung der nationalen Rechte den Schutzbereich eines Patents oder Patenttyps.

40 Es ist also Sache des nationalen Gerichts, im Rahmen der Prüfung, ob diese Voraussetzung erfuellt ist, festzustellen, ob der Schutz des Patents nach nationalem Recht seinem Inhaber das Recht einräumt, sich Einfuhren zu widersetzen.

41 Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck der Artikel 47 und 209 der Beitrittsakte, in einem beschränkten Bereich Ausnahmen von den Gemeinschaftsvorschriften über den freien Warenverkehr zuzulassen, nicht aber neue Rechte zu schaffen, die über den vom Patent nach nationalem Recht gewährten Schutz hinausgehen.

42 Eine weitere Voraussetzung für das Verbot der Einfuhr eines patentierten Erzeugnisses aus Spanien und Portugal schafft der Umstand, daß die Artikel 47 und 209 der Beitrittsakte dem Patentinhaber nur die Befugnis einräumen, sich Einfuhren zu widersetzen. Die Ausnahmebestimmungen sind also nur anwendbar, wenn der Patentinhaber von dieser Befugnis Gebrauch macht. Diese Voraussetzung hat entgegen dem Vorbringen des Königreichs Spanien in seinen schriftlichen Erklärungen nicht zur Folge, daß die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten diese Bestimmungen nicht selbst anwenden dürften. Diese Anwendung ist aber in einem solchen Fall davon abhängig, daß der Patentinhaber seine Absicht zum Ausdruck gebracht hat, von der Befugnis nach den Artikeln 47 und 209 Gebrauch zu machen.

43 Auf die dritte Frage ist somit zu antworten: Die Artikel 47 und 209 der Akte über den Beitritt Spaniens und Portugals gestatten es den Behörden der Mitgliedstaaten, die mangels Einigung für die Festsetzung der Bedingungen für eine Lizenz unter einer Lizenzbereitschaft zuständig sind, einem Lizenznehmer in Abweichung von den Grundsätzen der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag die Einfuhr eines patentierten pharmazeutischen Erzeugnisses aus Spanien und Portugal zu verbieten, wenn sich der Patentinhaber nach nationalem Recht den Einfuhren widersetzen kann und wenn er von der Befugnis der Artikel 47 und 209 Gebrauch macht.

Kostenentscheidung:

Kosten

44 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs, des Königreichs Spanien und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Court of Appeal von England und Wales mit Beschluß vom 13. Februar 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag verwehren es den mangels Einigung für die Festsetzung der Bedingungen für eine Lizenz unter einer Lizenzbereitschaft zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, unter Berufung auf ihr nationales Recht einem Lizenznehmer die Einfuhr des patentierten Erzeugnisses aus Drittländern zu untersagen, wenn der Patentinhaber das Erzeugnis im Inland herstellt, sie ihm aber zu gestatten, wenn der Patentinhaber sein Patent durch die Einfuhr des Erzeugnisses aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ausnutzt.

2) Die Artikel 47 und 209 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge gestatten es den Behörden der Mitgliedstaaten, die mangels Einigung für die Festsetzung der Bedingungen für eine Lizenz unter einer Lizenzbereitschaft zuständig sind, einem Lizenznehmer in Abweichung von den Grundsätzen der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag die Einfuhr eines patentierten pharmazeutischen Erzeugnisses aus Spanien und Portugal zu verbieten, wenn sich der Patentinhaber nach nationalem Recht den Einfuhren widersetzen kann und wenn er von der Befugnis der Artikel 47 und 209 Gebrauch macht.

Ende der Entscheidung

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