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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.05.1993
Aktenzeichen: C-193/91
Rechtsgebiete: Sechste Richtlinie


Vorschriften:

Sechste Richtlinie Art. 6 Abs. 2 Buchst. a
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern schließt die Besteuerung der privaten Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, bei dessen Lieferung der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer abziehen konnte, aus, soweit diese Verwendung Dienstleistungen umfasst, die der Steuerpflichtige von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands ohne die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat.

Soweit die genannte Bestimmung diesen Ausschluß vorsieht, kann sich ein Steuerpflichtiger vor den nationalen Gerichten auf sie berufen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 25. MAI 1993. - FINANZAMT MUENCHEN III GEGEN GERHARD MOHSCHE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESFINANZHOF - DEUTSCHLAND. - MEHRWERTSTEUER - BESTEUERUNG DER PRIVATEN VERWENDUNG EINES DEM UNTERNEHMEN DIENENDEN FAHRZEUGS. - RECHTSSACHE C-193/91.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 18. April 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juli 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ° Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: die Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich anläßlich einer Klage des Gerhard Mohsche (im folgenden: Kläger) gegen den Bescheid des Finanzamts München III (im folgenden: Finanzamt) über die Festsetzung der Umsatzsteuer für 1983.

3 1983 nutzte der Kläger, ein Werkzeugbauunternehmer, einen seinem Unternehmen zugeordneten Personenkraftwagen für private Zwecke. Bei der Festsetzung der für 1983 geschuldeten Umsatzsteuer bezog das Finanzamt in die Besteuerungsgrundlage einen Betrag für die Abschreibung des Personenkraftwagens und einen Anteil an bestimmten Kosten der Nutzung und der Wartung des Fahrzeugs ein.

4 Der Kläger erhob gegen den Bescheid des Finanzamts Klage beim Finanzgericht München. Das Finanzgericht entschied, daß das Finanzamt die Abschreibung des Personenkraftwagens zu Recht in die Besteuerungsgrundlage eingerechnet habe, daß es jedoch einige der für die Wartung oder Nutzung des Fahrzeugs entstandenen Kosten, insbesondere Garagenmiete, Kraftfahrzeugsteuer, Versicherung und Parkgebühren, nicht in die Besteuerungsgrundlage hätte einbeziehen dürfen, da der Kläger für sie Mehrwertsteuer weder entrichtet noch abgezogen habe.

5 Das Finanzamt legte gegen das Urteil Revision zum Bundesfinanzhof ein, der gewisse Zweifel hegt, ob § 1 Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe b des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie richtig umsetze. Der Bundesfinanzhof hat daher das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über folgende Fragen entschieden hat:

1) Enthält Artikel 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der privaten Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, bei dessen Lieferung der Steuerpflichtige die Umsatzsteuer abziehen konnte, ein Verbot der Besteuerung, soweit diese Verwendung auch Dienstleistungen umfasst, die der Steuerpflichtige von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands ohne Vorsteuerabzugsmöglichkeit in Anspruch genommen hat?

2) Falls Frage 1 bejaht werden sollte: Kann sich ein Steuerpflichtiger vor den nationalen Gerichten auf dieses Verbot berufen?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Die erste Frage

7 Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie lautet wie folgt:

"Dienstleistungen gegen Entgelt werden gleichgestellt:

a) Die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat".

8 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt sich aus der Systematik der Sechsten Richtlinie, daß Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a die Nichtbesteuerung eines zu privaten Zwecken verwendeten Betriebsgegenstands verhindern will und demgemäß die Besteuerung der privaten Nutzung eines solchen Gegenstands nur dann verlangt, wenn er zum Abzug der Steuer berechtigt hat, mit der er beim Erwerb belastet war (Urteil vom 27. Juni 1989 in der Rechtssache 50/88, Kühne, Slg. 1989, 1925, Randnr. 8).

9 Eine solche Besteuerung eines Betriebsgegenstands, der nicht zum Abzug des Restbetrags der Steuer berechtigt hat, würde nämlich zu einer Doppelbesteuerung führen, die dem Grundsatz der Steuerneutralität zuwiderliefe, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem, in das sich die Sechste Richtlinie einfügt, zugrunde liegt (Urteil Kühne, a. a. O., Randnr. 10).

10 Daher ist zu prüfen, ob für die Zwecke der Besteuerung der privaten Nutzung eines Betriebsgegenstands, der bereits zum Abzug der Steuer berechtigt hat, mit der sein Erwerb belastet war, neben der eigentlichen Verwendung des Gegenstands auch die dem Steuerpflichtigen entstandenen Kosten für seine Wartung oder Nutzung zu berücksichtigen sind, wenn diese Kosten nicht zum Abzug der entrichteten Vorsteuer durch den Steuerpflichtigen berechtigt haben.

11 Der Wortlaut von Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie enthält keinen Anhaltspunkt dafür, wie der Begriff "Verwendung eines Gegenstands" zu verstehen ist. Für sich genommen kann dieser Wortlaut nämlich entweder eng aufgefasst werden, so daß nur die eigentliche Verwendung eines Gegenstands gemeint ist, oder weit, so daß auch Dienstleistungen und sonstige Kosten im Zusammenhang mit der Verwendung eingeschlossen sind.

12 Die Bundesregierung macht geltend, daß Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie nur verlange, daß der Gegenstand zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben müsse; daher sei die "Verwendung eines Gegenstands" weit zu verstehen, so daß sie alle damit verbundenen Ausgaben unabhängig davon umfasse, ob diese zum Vorsteuerabzug berechtigt hätten.

13 Diese Auffassung ist jedoch mit Sinn und Zweck von Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie unvereinbar. Im Unterschied zu gewöhnlichen Dienstleistungen, die grundsätzlich unabhängig davon steuerpflichtig sind, ob die für ihre Erbringung verwendeten Gegenstände und Dienstleistungen zum Vorsteuerabzug berechtigt haben, ist die private Verwendung eines Gegenstands nämlich nur ausnahmsweise steuerpflichtig.

14 Somit ist der Begriff "Verwendung eines Gegenstands" eng auszulegen; er umfasst nur die Verwendung des Gegenstands selbst. Daher fallen Nebenleistungen im Zusammenhang mit dieser Verwendung nicht unter Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie.

15 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie die Besteuerung der privaten Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, bei dessen Lieferung der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer abziehen konnte, ausschließt, soweit diese Verwendung Dienstleistungen umfasst, die der Steuerpflichtige von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands ohne die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat.

Die zweite Frage

16 Mit seiner zweiten Frage begehrt das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob sich ein Steuerpflichtiger vor den zuständigen nationalen Gerichten auf Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie berufen kann, sofern diese Bestimmung die Besteuerung der privaten Verwendung eines Betriebsgegenstands ausschließt, der bereits zum Abzug der Vorsteuer berechtigt hat, soweit diese Verwendung Dienstleistungen umfasst, die der Steuerpflichtige von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands ohne Vorsteuerabzugsmöglichkeit in Anspruch genommen hat.

17 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (insbesondere Urteil vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81, Becker, Slg. 1982, 53) kann sich ein einzelner auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen innerstaatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften berufen.

18 Wie die Antwort auf die erste Frage ergibt, enthält Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie unter den dort beschriebenen Umständen das Verbot, die private Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Dieses Verbot ist unbedingt; auch hängen seine Erfuellung und seine Wirkungen nicht vom Erlaß irgendeiner Maßnahme der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaats ab. Es ist daher geeignet, in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Bürger unmittelbare Wirkungen zu entfalten.

19 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, daß sich ein Steuerpflichtiger vor den nationalen Gerichten auf Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie insoweit berufen kann, als diese Bestimmung die Besteuerung der privaten Verwendung eines Betriebsgegenstands ausschließt, der bereits zum Abzug der Vorsteuer berechtigt hat, soweit diese Verwendung Dienstleistungen umfasst, die der Steuerpflichtige von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands ohne Möglichkeit zum Abzug der Vorsteuer in Anspruch genommen hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen der Bundesrepublik Deutschland und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 18. April 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 schließt die Besteuerung der privaten Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, bei dessen Lieferung der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer abziehen konnte, aus, soweit diese Verwendung Dienstleistungen umfasst, die der Steuerpflichtige von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands ohne die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat.

2) Ein Steuerpflichtiger kann sich vor den nationalen Gerichten insoweit auf Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie berufen, als diese Bestimmung die Besteuerung der privaten Verwendung eines Betriebsgegenstands ausschließt, der bereits zum Abzug der Vorsteuer berechtigt hat, soweit diese Verwendung Dienstleistungen umfasst, die der Steuerpflichtige von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands ohne Möglichkeit zum Abzug der Vorsteuer in Anspruch genommen hat.

Ende der Entscheidung

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