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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 08.06.1999
Aktenzeichen: C-198/97
Rechtsgebiete: EGV, Richtlinie 76/160/EWG


Vorschriften:

EGV Art. 226
Richtlinie 76/160/EWG Art. 4 Abs.1
Richtlinie 76/160/EWG Art. 6 Abs.1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Das Kollegialprinzip, dem die Tätigkeit der Kommission unterliegt, beruht auf der Gleichheit der Mitglieder der Kommission bei der Mitwirkung an der Entscheidungsfindung und besagt, daß die Entscheidungen gemeinsam beraten werden und daß alle Mitglieder des Kollegiums politisch gemeinsam verantwortlich sind. Jedoch sind die Förmlichkeiten, die zu beachten sind, damit das Kollegialprinzip tatsächlich eingehalten wird, je nach Art und Rechtswirkungen der erlassenen Akte verschieden. So bewirkt eine mit Gründen versehene Stellungnahme lediglich, daß die Kommission berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, den Gerichtshof anzurufen. Auch ändert die Entscheidung, den Gerichtshof anzurufen, nicht aus sich heraus die streitige Rechtslage.

Das Kollegium muß daher über den Beschluß der Kommission, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, als auch über den Beschluß, eine Vertragsverletzungsklage zu erheben, gemeinschaftlich beraten und die Elemente, auf die diese Beschlüsse gestützt sind, müssen den Mitgliedern des Kollegiums zur Verfügung stehen. Dagegen braucht das Kollegium nicht selbst den Wortlaut der Rechtsakte, durch die diese Beschlüsse umgesetzt werden, und ihre endgültige Ausgestaltung zu beschließen.

2 Die Richtlinie 76/160 über die Qualität der Badegewässer, die in Artikel 4 Absatz 1 die Verpflichtung der Mitgliedstaaten ausspricht, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß ihre Gewässer den in der Richtlinie festgelegten physikalisch-chemischen und mikrobiologischen Werten binnen zehn Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie entsprechen, verpflichtet die Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, daß die vorgeschriebenen Ergebnisse innerhalb der gesetzten Frist erreicht werden, ohne daß sie sich - von den in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen abgesehen - auf besondere Umstände berufen könnten, um die Nichterfuellung dieser Verpflichtung zu rechtfertigen.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 8. Juni 1999. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 76/160/EWG - Qualität der Badegewässer - Zulässigkeit einer Klage nach Artikel 226 EG (früher Artikel 169) - Mit Gründen versehene Stellungnahme - Beachtung des Grundsatzes der kollegialen Verantwortlichkeit der Kommission - Unterbliebene Durchführung der Artikel 4 Absatz 1 und 6 Absatz 1 der Richtlinie 76/160/EWG. - Rechtssache C-198/97.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die bei der Kanzlei des Gerichtshofes am 23. Mai 1997 eingegangen ist, nach Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) eine Klage auf Feststellung erhoben, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 4 Absatz 1 und 6 Absatz 1 der Richtlinie 76/160/EWG des Rates vom 8. Dezember 1975 über die Qualität der Badegewässer (ABl. 1976, L 31, S. 1) verstossen hat, daß sie in den alten Ländern nicht die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, daß die Qualität der Badegewässer binnen zehn Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie am 10. Dezember 1975 den gemäß Artikel 3 festgelegten Grenzwerten entspricht, und die vorgeschriebenen Probenahmen nicht mit der im Anhang festgelegten Mindesthäufigkeit durchgeführt hat.

2 Gemäß Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie, u. a. geändert durch die Richtlinie 91/692/EWG des Rates vom 23. Dezember 1991 zur Vereinheitlichung und zweckmässigen Gestaltung der Berichte über die Durchführung bestimmter Umweltschutzrichtlinien (ABl. L 377, S. 48), betrifft diese "die Qualitätsanforderungen an Badegewässer mit Ausnahme von Wasser für therapeutische Zwecke und Wasser für Schwimmbecken".

3 Mit der Richtlinie wird nach ihrer ersten Begründungserwägung der Schutz der Umwelt und der Volksgesundheit durch die Herabsetzung der Verunreinigung der Badegewässer bezweckt. Im Anhang der Richtlinie sind mikrobiologische und chemisch-physikalische Parameter aufgeführt und Leitwerte und zwingende Werte für sie bestimmt, anhand deren die Mitgliedstaaten Grenzwerte für ihre Badegewässer festzulegen haben.

4 Gemäß Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie legen die Mitgliedstaaten für alle Badegebiete oder für jedes einzelne Badegebiet die auf Badegewässer anwendbaren Werte fest, wobei diese Werte nicht weniger streng sein dürfen als die in Spalte I des Anhangs angegebenen Werte.

5 Nach Artikel 4 der Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß die Qualität der Badegewässer binnen zehn Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie den gemäß Artikel 3 festgelegten Grenzwerten entspricht. Für die Bundesrepublik Deutschland ist diese Frist am 10. Dezember 1985 abgelaufen.

6 Gemäß Artikel 6 der Richtlinie sind die zuständigen Behörden zur Durchführung von Probenahmen verpflichtet, deren Mindesthäufigkeit im Anhang festgelegt wird.

7 Artikel 8 der Richtlinie bestimmt:

"Abweichungen von dieser Richtlinie sind zulässig:

a) bei bestimmten Parametern, die im Anhang mit (0) gekennzeichnet sind, wenn aussergewöhnliche meteorologische oder geographische Verhältnisse vorliegen;

b) wenn die Badegewässer eine natürliche Anreicherung mit bestimmten Stoffen über die im Anhang festgelegten Grenzwerte hinaus erfahren.

...

Nimmt ein Mitgliedstaat eine Abweichung vor, so teilt er der Kommission dies unverzueglich unter Angabe der Gründe und der Dauer mit."

8 Nach Artikel 12 der Richtlinie setzen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie binnen zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen, und setzen die Kommission hiervon unverzueglich in Kenntnis.

9 Mit Schreiben vom 26. Juli 1989 forderte die Kommission die Bundesrepublik Deutschland auf, sich zur Nichteinhaltung einiger ihr nach der Richtlinie obliegender Verpflichtungen zu äussern; sie beanstandete, daß die Bundesrepublik für die verschiedenen, unter die Richtlinie fallenden Badegewässer keine Grenzwerte festgelegt habe (Artikel 3), daß sie nur etwa 110 Badegewässer ausgewiesen habe, obwohl in der Bundesrepublik wesentlich mehr Badegewässer die objektiven Kriterien des Artikels 1 der Richtlinie erfuellten, daß sie nicht für die Einhaltung der von der Richtlinie vorgesehenen Werte gesorgt habe (Artikel 4) und daß sie der Kommission unzureichende Berichte übermittelt habe, die weder der Kommission die Prüfung ermöglichten, ob die Vorschriften der Richtlinie in der Praxis auch eingehalten würden, noch eine objektive Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Qualität der Badegewässer in der Bundesrepublik gestatteten (Artikel 13).

10 Am 17. November 1989 richtete die Bundesrepublik Deutschland eine Mitteilung an die Kommission, in der sie angab, erstens hätten die Länder mit Ausnahme der Stadtstaaten Bremen und Hamburg durch Verwaltungsvorschriften die Anwendung der Richtlinie für alle Badegewässer verbindlich festgelegt, zweitens seien in einigen Ländern (Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) Maßnahmen zur Sanierung der Badegewässer geplant oder bereits ergriffen worden und schließlich bestätigten die Berichte der Bundesrepublik Deutschland, daß die Probenahmen - wie von der Richtlinie gefordert - vierzehntägig oder alle vier Wochen erfolgten.

11 Am 22. Juni 1994 richtete die Kommission an die Bundesrepublik Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie zum einen ausführte, daß es - wie die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Mitteilung vom 17. November 1989 eingeräumt habe - in den Ländern Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein Grenzwertüberschreitungen gegeben habe, die durch die Berichte für die folgenden Jahre (zuletzt 1993) bestätigt worden seien, und die Bundesrepublik somit ihre Verpflichtung aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie verletzt habe. Zum anderen vertrat die Kommission die Auffassung, die Bundesrepublik Deutschland habe sich nicht an die im Anhang der Richtlinie vorgesehenen Mindesthäufigkeit der Probenahme gehalten und somit ihre Verpflichtung aus Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie verletzt. Die Kommission forderte die Bundesrepublik Deutschland demzufolge auf, binnen zwei Monaten die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Verpflichtungen aus der Richtlinie nachzukommen.

12 In ihrer Antwort vom 28. Oktober 1994 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme führte die deutsche Regierung aus, daß die Überschreitungen bestimmter Grenzwerte auf der grossen Schwankungsbreite der Untersuchungsmethoden bei den mikrobiologischen Parametern beruhten und daß dies keine Einstufung der betroffenen Badegewässer als "nicht konform" rechtfertige. Bei bedeutenden Grenzwertüberschreitungen würden durch die zuständigen Landesbehörden die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet, um die Badegewässerqualität nachhaltig zu verbessern.

13 Im Hinblick auf Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie räumte die deutsche Regierung bestimmte Versäumnisse ein, wies jedoch darauf hin, daß die Beachtung der Mindesthäufigkeit der Probenahmen durch entsprechende Vorschriften der Länder künftig gewährleistet sei.

14 Mit Schreiben vom 16. November 1995 unterrichtete die Kommission die deutsche Regierung von ihrer Absicht, den Gerichtshof anzurufen, wenn die Bundesrepublik nicht innerhalb von sechs Monaten detaillierte Sanierungspläne für diejenigen Badegewässer vorlege, deren Qualität nicht den nach Maßgabe der Richtlinie festgelegten Grenzwerten entspreche, und in diesen Plänen die Gründe für die Nichteinhaltung dieser Werte und den zu erwartenden Zeitpunkt der Übereinstimmung mit der Richtlinie angebe.

15 Mit Schreiben vom 5. Juni 1996 antwortete die deutsche Regierung, sie habe alle nötigen Maßnahmen getroffen, um die durch die Richtlinie festgesetzten Grenzwerte einzuhalten. Zwar werde im Bericht der Kommission zur Badesaison 1994 eine grosse Zahl von Badegewässern als "nicht konform" eingestuft, doch bestehe kein Anlaß zu Sanierungsmaßnahmen, da es sich um Grenzwertüberschreitungen handele, für die trotz behördlicher Nachprüfung keine äusseren Ursachen erkennbar gewesen und die Grenzwertüberschreitungen bei der unverzueglich genommenen Nachprobe nicht bestätigt worden seien. Ferner hätten die Grenzwertüberschreitungen für den Parameter "gesamtcoliforme Bakterien" nicht berücksichtigt werden dürfen, da wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt hätten, daß mit den in der Richtlinie enthaltenen Vorgaben für die Analysen eine Unterscheidung, ob gesamtcoliforme Bakterien aus der natürlichen Umwelt oder aus fäkalverunreinigtem Abwasser stammten, nicht möglich sei.

16 Die Kommission hielt diese Antwort nicht für ausreichend, da sie zum einen keine Begründung dafür enthalte, warum die Probenahmenhäufigkeit weiterhin unzureichend sei und zum anderen die Angabe konkreter Daten über das bereitgestellte jährliche Budget und die Aussage, ab wann mit der Konformität der Badegewässer mit der Richtlinie zu rechnen sei, fehle, und hat daher die vorliegende Klage erhoben.

Zur Zulässigkeit

17 Die deutsche Regierung ist der Auffassung, die Klage sei unzulässig, da die Kommission bei der Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme und die Erhebung der vorliegenden Klage gegen das in Artikel 163 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 219 Absatz 2 EG) und Artikel 1 ihrer Geschäftsordnung (ABl. 1993, L 230, S. 15) niedergelegte Kollegialprinzip verstossen habe.

18 Das Kollegialprinzip verlange, daß die Entscheidung gemeinsam beraten werde, was voraussetze, daß das Kollegium bei der Sitzung sowohl den verfügenden Teil der Entscheidung als auch deren Begründung kenne. Die Kommission könne aber nicht nachweisen, daß dieses Prinzip im vorliegenden Fall beachtet worden sei.

19 Hierzu ist festzustellen, daß der Gerichtshof im Urteil vom 29. September 1998 in der Rechtssache C-191/95 (Kommission/Deutschland, Slg. 1998, I-5449, Randnrn. 48 bis 50) ein ähnliches Vorbringen der deutschen Regierung zu den Voraussetzungen des Erlasses von mit Gründen versehenen Stellungnahmen durch die Kommission geprüft hat. In diesem Urteil hat der Gerichtshof zunächst festgestellt, daß das Kollegialprinzip, dem die Tätigkeit der Kommission unterliegt, auf der Gleichheit der Mitglieder der Kommission bei der Mitwirkung der Entscheidungsfindung beruht und namentlich besagt, daß die Entscheidungen gemeinsam beraten werden und daß alle Mitglieder des Kollegiums politisch gemeinsam verantwortlich sind. Der Gerichtshof hat dann ausgeführt, daß die Förmlichkeiten, die zu beachten sind, damit das Kollegialprinzip tatsächlich eingehalten wird, je nach Art und Rechtswirkungen der erlassenen Akte verschieden sind. Eine mit Gründen versehene Stellungnahme bewirkt lediglich, daß die Kommission berechtigt, aber nicht verplichtet ist, den Gerichtshof anzurufen. Auch ändert die Entscheidung, den Gerichtshof anzurufen, nicht aus sich heraus die streitige Rechtslage.

20 Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, daß das Kollegium sowohl über den Beschluß der Kommission, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, als auch über den Beschluß, eine Vertragsverletzungsklage zu erheben, gemeinschaftlich beraten muß und daß die Elemente, auf die diese Beschlüsse gestützt sind, den Mitgliedern des Kollegiums daher zur Verfügung stehen müssen. Dagegen hat der Gerichtshof angenommen, daß das Kollegium nicht selbst den Wortlaut der Rechtsakte, durch die diese Beschlüsse umgesetzt werden, und ihre endgültige Ausgestaltung zu beschließen braucht. Die Kommission hatte daher die sich aus dem Kollegialprinzip ergebenden Regeln eingehalten.

21 In der vorliegenden Rechtssache ergibt sich aus den Dokumenten, die dem Kollegium bei der Sitzung vorgelegen haben, in der die Entscheidung über die mit Gründen versehene Stellungnahme getroffen worden ist, und die von der Kommission auf Aufforderung des Gerichtshofes vorgelegt worden sind, daß alle für die Beschlußfassung der Mitglieder dienlichen Elemente diesen zur Verfügung standen, als das Kollegium beschloß, die mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, und als es den Vorschlag billigte, die vorliegende Klage zu erheben. Das Kollegialprinzip ist daher beachtet worden.

22 Die Unzulässigkeitsrüge ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Begründetheit

Zur Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie

23 Die Kommission macht geltend, es ergebe sich insbesondere aus dem letzten Gemeinschaftsjahresbericht zur Badesaison 1995, daß ein grosser Teil der deutschen Badegewässer den in der Richtlinie festgelegten zwingenden Werten nicht entspreche. So genügten zum einen 11,9 % der 446 Küstenbadegewässer und zum anderen 10,3 % der 1 822 Binnenbadegewässer diesen Werten nicht.

24 Die deutsche Regierung weist zunächst darauf hin, daß sich die Klage nur auf Verstösse hinsichtlich der Badegewässer in den alten Ländern beziehe, während die Zahlen im Bericht von 1995 alle Länder beträfen und im übrigen überholt seien, so daß sie durch die richtigen Zahlen der Datenbank der Gemeinschaften ersetzt werden müssten.

25 Gestützt auf die letztgenannten Zahlen trägt die deutsche Regierung vor, in den alten Ländern seien von den 1 770 als Badegewässer im Sinne der Richtlinie ausgewiesenen Badestellen 180 in der Datenbank als nicht der Richtlinie konform eingestuft worden. Die 27 weiteren Badegewässer, die nach Auffassung der Kommission zu den 180 genannten hinzuzurechnen seien (d. h. 3 Badegewässer mehr für Baden-Württemberg und 24 mehr für Niedersachsen) gehörten zu den nicht ausreichend beprobten Badegewässern, die erst in dem Bericht für 1996 in die Kategorie "konform" eingestuft worden seien.

26 Was die 180 oben genannten Badegewässer angehe, seien 14 dieser Gewässer (oder wenn man vom Badegewässer Itzehö absehe, zumindest 13) irrtümlich als nicht konform eingestuft worden, und bei den verbleibenden 166 Badegewässern liege nur in 81 Fällen eine Grenzwertüberschreitung vor (oder unter Einbeziehung der Badestelle Stein Neustein bei 82 Badegewässern), während bei den 85 übrigen Badegewässern kein Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie gegeben sei.

27 Erstens antwortet die deutsche Regierung in bezug auf 14 Badegewässer, die aufgrund von nicht korrigierten Fehlern bei der Datenerhebung (Schaumbildung durch Auflösung von Algen und nicht durch Tenside) und bei der Datenübermittlung irrtümlich als nicht richtlinienkonform eingestuft worden seien, auf eine diesbezuegliche Frage des Gerichtshofes, daß das Badegewässer Itzehö nicht seit 1993, sondern erst seit 1996 geschlossen sei, weswegen seine Qualifizierung als nicht richtlinienkonformes Gewässer für das Jahr 1995 richtig sei. Die zutreffenden Daten für 13 Badegewässer sowie der Antrag auf Berichtigung für das Jahr 1995 würden der zuständigen Dienststelle der Kommission zugeleitet.

28 Zweitens macht die deutsche Regierung in bezug auf die 85 Badegewässer, bei denen ihrer Ansicht nach kein Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie gegeben ist, geltend, bei 46 dieser Badegewässer sei die einzige Grenzwertüberschreitung, die seit 1992 festgestellt worden sei, nämlich die von 1995, als eine Art "Ausreisser" aufzufassen, so daß die Forderung nach kostenintensiven Sanierungsmaßnahmen gegen den Verhältnismässigkeitsgrundsatz verstieße. Ausserdem könne eine solche Forderung nicht erfuellt werden, weil die Ursache trotz intensiver Nachforschung nicht habe ermittelt werden können.

29 Die deutsche Regierung räumt ein, in einem Fall (Badestelle Stein Neustein) von den 10 von der Kommission in diesen 46 Badegewässern festgestellten Fällen habe es zahlreiche Verstösse gegeben, in den neun übrigen Fällen habe es aber entgegen der Behauptung der Kommission keinen Verstoß von 1992 bis 1994 und 1996 gegeben. Demnach gebe es 45 Badegewässer, in denen es einen Verstoß nur 1995 gegeben habe und die daher Ausnahmen darstellten. Jede andere Auslegung, wie z. B. diejenige, die die Kommission vertrete, würde eine 100%ige Beachtung der Grenzwerte implizieren, was die Richtlinie nicht vorschreibe. Nach Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie könnten 5 % bis 10 % der Probenahmen ausser acht gelassen werden; dies stelle eine Ausgestaltung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes dar. Da die Badesaison 15 bis 17 Wochen pro Jahr umfasse und die Entnahme von Proben alle zwei Wochen zu neun Proben pro Saison führe, würde bereits ein einziger Ausreisser den festgesetzten Grenzwert von 10 % überschreiten.

30 Bei sieben der 85 Badegewässer seien weitergehende Sanierungsmaßnahmen nicht möglich und unvereinbar mit dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz. Fünf dieser sieben Gewässer hätten ein Einzugsgebiet, das über die deutschen Grenzen hinausgehe, und trotz der von der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten Maßnahmen entsprächen diese Gewässer nicht den Grenzwerten. Es handele sich daher um einen Fall materieller Unmöglichkeit im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 14. Juli 1993 in der Rechtssache C-56/90, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1993, I-4109, Randnr. 46). Bei einem anderen dieser sieben Gewässer (Riedsee Leeheim) gehe die Hauptursache auf Wasservögel zurück, und bei einem siebten Gewässer (Hausen, Donau beim Campingplatz) hänge die Ursache mit geographischen Verhältnissen zusammen, wobei Artikel 8 Buchstabe a der Richtlinie in diesem Zusammenhang eine Abweichung vorsehe. Was das letztgenannte Gewässer angeht, hat die deutsche Regierung jedoch auf eine Frage des Gerichtshofes geantwortet, daß die Nichtbeachtung des Grenzwertes der Richtlinie im Jahre 1995 auf die Überschreitung eines Parameters zurückzuführen sei, der nicht unter die aussergewöhnlichen Verhältnisse des Artikels 8 Buchstabe a der Richtlinie falle, und hat somit ihre ursprüngliche Auffassung nur für die sechs anderen Gewässer aufrechterhalten.

31 In bezug auf 32 der 85 Badegewässer vertritt die deutsche Regierung die Auffassung, daß sechs dieser 32 Gewässer 1996 und 1997 nicht mehr als Badegewässer einzustufen gewesen seien, und da bei den übrigen 26 Gewässern, bei denen 1996 keine Grenzwertüberschreitungen mehr festgestellt worden seien, Maßnahmen ergriffen worden seien, liege kein Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie mehr vor.

32 Drittens trägt die deutsche Regierung in bezug auf die restlichen 81 Badegewässer (4,5 % aller Badegewässer oder unter Einbeziehung der Badestelle Stein Neustein 82 Badegewässer, d. h. 4,6 %), für die sie eine Grenzwertüberschreitung einräumt, vor, daß die Bedeutung dieses Verstosses eine Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland wegen Verstosses gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie nicht rechtfertige, da bei einer solchen Zahl von Fällen davon auszugehen sei, daß die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts zum Teil aufgrund von nicht vorhersehbaren Faktoren nicht eingehalten worden seien.

33 Zunächst ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland, wie die deutsche Regierung selbst anerkennt, den in der Richtlinie festgelegten Grenzwerten bei den 81 in Randnummer 32 dieses Urteils genannten Gewässern, den drei in den Randnummern 29 und 32 bzw. 27 und 30 dieses Urteils genannten Gewässern Stein Neustein, Itzehö und Hausen, Donau beim Campingplatz, und den in Randnummer 31 dieses Urteils genannten 32 Badegewässern nicht entsprochen hat. Was die letztgenannten Gewässer angeht, kann der Verstoß dadurch, daß diese Gewässer ihre Stellung als Badegewässer verloren haben oder daß Sanierungsmaßnahmen getroffen worden sind, nicht abgestellt werden.

34 Sodann stellt auch ein einziger Fall einer Grenzwertüberschreitung in 46 Gewässern in einer einzigen Saison, nämlich im Jahre 1995, der in Randnummer 29 dieses Urteils genannt wird, einen Verstoß gegen die Richtlinie dar.

35 Zum einen ist es daher entgegen der Behauptung der deutschen Regierung nicht ausreichend, daß alle vernüftigerweise möglichen Maßnahmen ergriffen werden, da die Richtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß die Badegewässer den in der Richtlinie festgesetzten Grenzwerten entsprechen, und zwar innerhalb einer Frist, die länger ist als die für die Durchführung der Richtlinie vorgesehene Frist, um es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, dieser Anforderung zu genügen (Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnrn. 42 und 44). Die Richtlinie verpflichtet also die Mitgliedstaaten, für die Erreichung bestimmter Ziele Sorge zu tragen; diese können sich - von den in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen abgesehen - nicht auf besondere Umstände berufen, um die Nichterfuellung dieser Verpflichtung zu rechtfertigen (siehe Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnr. 43, und Urteil vom 12. Februar 1998 in der Rechtssache C-92/96, Kommission/Spanien, Slg. 1998, I-505, Randnr. 28). Die deutsche Regierung beruft sich, was die genannten Gewässer angeht, auf keine dieser Ausnahmen.

36 Zum anderen ist dem Vorbringen der deutschen Regierung, daß in Anbetracht der Kürze der Badesaison die in der Richtlinie festgelegten Verpflichtungen praktisch zu 100 % zu erfuellen seien, da eine einzige Probe, bei der sie nicht beachtet würden, für eine Überschreitung der in Artikel 5 der Richtlinie festgelegten Werte ausreiche, nicht zu folgen. Die Richtlinie legt nämlich keine Mindesthäufigkeit für die Entnahme von Proben fest und hindert die Mitgliedstaaten daher in keiner Weise daran, die Zahl der Probenahmen zu erhöhen und dadurch den Anteil zu verringern, den die Proben ausmachen, die die festgelegten Bedingungen nicht erfuellen.

37 Hinsichtlich der in Randnummer 25 dieses Urteils genannten 27 übrigen Badegewässer, die nach dem Vorbringen der deutschen Regierung im Bericht der Kommission für die Saison 1995 als nicht ausreichend beprobt angesehen werden und die nach Angabe der Kommission in der Datenbank als nicht richtlinienkonform aufgeführt sind, genügt die Feststellung, daß die deutsche Regierung selbst einräumt, daß diese Gewässer in zweierlei Hinsicht nicht richtlinienkonform waren, nämlich aufgrund der Tatsache, daß einige Grenzwerte überschritten waren und daß die im Anhang der Richtlinie aufgeführten physikalischen und chemischen Parameter 8, 9 und 10 nicht ausreichend geprüft wurden.

38 Was die sechs in Randnummer 30 dieses Urteils genannten Gewässer angeht, für die die deutsche Regierung eine absolute Unmöglichkeit geltend macht, sind die fünf Badegewässer, deren Einzugsgebiet nach Angabe der deutschen Regierung über die deutschen Grenzen hinausgeht (die 3 "Nied"-Gewässer und die 2 "Rhein"-Gewässer), von dem Gewässer zu unterscheiden, bei dem sie als Hauptgrund für Grenzwertüberschreitungen das Vorhandensein von Wasservögeln anführt (Gewässer "Riedsee").

39 Für die genannten fünf Gewässer hat die deutsche Regierung nicht dargetan, daß die Durchführung anderer Maßnahmen als der bis 1994 bereits getroffenen - insbesondere von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den angrenzenden Staaten - materiell unmöglich war.

40 Für das Badegewässer "Riedsee" hat die Bundesrepublik Deutschland nicht dargetan, daß die 1996 durchgeführte Modernisierung der sanitären Anlagen in Anbetracht der natürlichen und regelmässigen Veränderungen der Population der dort vorhandenen Wasservögel ausreichend war, und hat nicht nachgewiesen, daß es unmöglich war, zusätzliche Sanierungsmaßnahmen durchzuführen.

41 Selbst wenn anzunehmen wäre, daß im Rahmen einer Richtlinie die absolute materielle Unmöglichkeit, die sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen zu erfuellen, die Nichterfuellung rechtfertigen könnte, so hat die Bundesrepublik Deutschland im vorliegenden Fall jedoch nicht nachzuweisen vermocht, daß eine solche Unmöglichkeit gegeben war.

42 Was schließlich die 13 in Randnummer 27 dieses Urteils genannten Badegewässer angeht, bei denen die deutsche Regierung eine unrichtige Einstufung in der Datenbank geltend macht, ist festzustellen, daß die Kommission erstens versichert, daß die Informationen, über die sie verfüge, sämtlich auf Angaben der Bundesrepublik Deutschland beruhten, und zweitens die Behauptung der deutschen Regierung in bezug auf die fehlerhafte Einstufung dieser Gewässer in der Datenbank nicht bestreitet, sondern lediglich Zweifel an dieser Einstufung äussert. Unter diesen Voraussetzungen kann der Verstoß in bezug auf diese Gewässer nicht als nachgewiesen angesehen werden.

43 Mit dieser Einschränkung ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie verstossen hat, daß sie in den alten Ländern nicht die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, daß die Qualität der Badegewässer binnen zehn Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie am 10. Dezember 1975 den gemäß Artikel 3 der Richtlinie festgelegten Grenzwerten entspricht.

Zu Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie

44 Die Kommission trägt vor, aus dem Gemeinschaftsjahresbericht für die Badesaison 1995 ergebe sich, daß 6,5 % der 446 Küstenbadegewässer und 42,5 % der 1 822 Binnenbadegewässer nicht ausreichend untersucht worden seien.

45 Die deutsche Regierung führt aus, den korrigierten Daten sei zu entnehmen, daß von den 1 770 in den alten Ländern registrierten Badegewässern bei 591 tatsächlich nicht ausreichend Proben genommen worden seien.

46 Es ist daher festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie verstossen hat, daß sie die im Anhang der Richtlinie vorgesehene Mindesthäufigkeit der Probenahme nicht beachtet hat.

47 Nach alledem hat die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 4 Absatz 1 und 6 Absatz 1 der Richtlinie verstossen, daß sie in den alten Ländern nicht die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, daß die Qualität der Badegewässer binnen zehn Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie am 10. Dezember 1975 den gemäß Artikel 3 festgelegten Grenzwerten entspricht, und daß sie die Probenahme nicht mit der im Anhang festgelegten Mindesthäufigkeit durchgeführt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

48 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen, und diese mit ihrem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 4 Absatz 1 und 6 Absatz 1 der Richtlinie 76/160/EWG des Rates vom 8. Dezember 1975 über die Qualität der Badegewässer verstossen, daß sie in den alten Ländern nicht die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, daß die Qualität der Badegewässer binnen zehn Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie am 10. Dezember 1975 den gemäß Artikel 3 der Richtlinie festgelegten Grenzwerten entspricht, und die Probenahmen nicht mit der im Anhang festgelegten Mindesthäufigkeit durchgeführt hat.

2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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