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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 01.12.1998
Aktenzeichen: C-200/97
Rechtsgebiete: EGV, EGKS-Vertrag, Entscheidung 96/434/EG, Entscheidung 96/515/EGKS, Entscheidung 97/754/EGKS


Vorschriften:

EGV Art. 234
EGV Art. 92
EGKS-Vertrag Art. 4 c
Entscheidung 96/434/EG
Entscheidung 96/515/EGKS
Entscheidung 97/754/EGKS
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Es ist allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung übernehmen muß, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen.

2 Der Begriff "Beihilfe" im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag bezieht zwangsläufig die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln finanzierten Vorteile sowie diejenigen ein, die eine zusätzliche Belastung für den Staat oder die für diesen Zweck benannten oder errichteten Einrichtungen darstellt.

Die eventuelle Einbusse an Steuererträgen, die sich für den Staat durch das - auf Ministerialdekret beruhende - absolute Verbot von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen und die Aussetzung der Zinsen auf alle Schulden des betroffenen Unternehmens sowie durch die entsprechende Verringerung der Gewinne der Gläubiger aus der Anwendung einer nationalen Regelung, die vom allgemeinen Konkursrecht abweicht, auf in Schwierigkeiten befindliche Grossunternehmen ergeben soll, kann als solche nicht die Qualifizierung dieser Regelung als Beihilfe rechtfertigen. Eine derartige Folge ist nämlich jeder gesetzlichen Regelung immanent, die den Rahmen für die Beziehungen zwischen einem zahlungsunfähigen Unternehmen und der Gesamtheit seiner Gläubiger festlegt.

Dagegen stellt sich die Anwendung einer solchen Regelung auf ein Unternehmen im Sinne des Artikels 80 EGKS-Vertrag als Gewährung einer nach Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag verbotenen staatlichen Beihilfe dar, wenn feststeht, daß diesem Unternehmen

- erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre, oder

- eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter Abgabensatz, eine Befreiung von der Pflicht zur Zahlung von Geldbussen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder teilweiser tatsächlicher Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf die ein anderes zahlungsunfähiges Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte erheben können.

In beiden Fällen kann nämlich eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand im Vergleich zu derjenigen entstehen, die sich aus der Anwendung der normalen konkursrechtlichen Vorschriften ergeben hätte.

Im übrigen erfuellt die betreffende Regelung, unter Berücksichtigung der Art der von ihr erfassten Unternehmen und des Umfangs des Ermessens, das den nationalen Behörden eingeräumt ist, wenn sie einem einer derartigen Regelung unterstellten zahlungsunfähigen Unternehmen erlauben, seine Tätigkeit fortzusetzen, die Voraussetzung der Spezifizität, die eines der Merkmale des Begriffes der staatlichen Beihilfe ist.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 1. Dezember 1998. - Ecotrade Srl gegen Altiforni e Ferriere di Servola SpA (AFS). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Corte suprema di Cassazione - Italien. - Staatliche Beihilfen - Begriff - Ohne Übertragung öffentlicher Mittel gewährte Vergünstigung - Zahlungsunfähige Unternehmen - Artikel 92 EG-Vertrag - Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag. - Rechtssache C-200/97.

Entscheidungsgründe:

1 Die Corte suprema di cassazione hat mit Beschluß vom 10. Februar 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Mai 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 92 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Ecotrade Srl (im folgenden: Ecotrade), einer auf dem Gebiet des Handels mit Stahlerzeugnissen tätigen Kapitalgesellschaft, und der Altiforni e Ferriere di Servola SpA (im folgenden: AFS), einer Stahlproduzentin, über einen Betrag von 149 108 190 LIT, den letztere der Ecotrade für eine Stahllieferung schuldet.

3 Da diese Schuld nicht beglichen wurde, ordnete der Pretore Triest mit vollstreckbarem Beschluß vom 30. Juli 1992 die Überweisung einer Forderung der AFS gegen eine Bank in Höhe des geschuldeten Betrages an Ecotrade an.

4 Am 28. August 1992 teilte AFS Ecotrade mit, daß sie durch Ministerialdekret vom 23. Juli 1992 nach dem Gesetz Nr. 95/79 vom 3. April 1979 (GURI Nr. 94 vom 3. April 1979; im folgenden: Gesetz Nr. 95/79) der Sonderverwaltung unterstellt und ihr die Fortsetzung des Betriebs erlaubt worden sei; sie verlangte von ihr die Rückzahlung des fraglichen Betrages, da die Vollstreckung wegen dieser Forderung gegen Artikel 4 des Gesetzes Nr. 544/81 vom 2. Oktober 1981 (GURI Nr. 272 vom 3. Oktober 1981; im folgenden: Gesetz Nr. 544/81) verstosse, der nach Eröffnung des Verfahrens der Sonderverwaltung Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen verbiete.

5 Am 4. Oktober 1992 erhob Ecotrade beim Tribunale Triest Klage auf Feststellung, daß die Rückzahlungsklage von AFS unbegründet sei, da sie auf ein Ministerialdekret gestützt sei, das mit dem Gemeinschaftsrecht betreffend staatliche Beihilfen unvereinbar sei.

6 Mit Urteil vom 23. Oktober 1993 wies das Tribunale die Klage von Ecotrade ab und gab der Rückzahlungsklage von AFS statt.

7 Diese Entscheidung wurde durch Urteil der Corte d'appello Triest vom 27. Januar 1996 bestätigt. Ecotrade legte hiergegen Rechtsmittel bei der Corte suprema di cassazione ein.

8 Das Gesetz Nr. 95/79 führt das Verfahren der Sonderverwaltung für in Schwierigkeiten befindliche Grossunternehmen ein.

9 Nach Artikel 1 Absatz 1 dieses Gesetzes kann dieses Verfahren auf Unternehmen angewandt werden, die seit mindestens einem Jahr wenigstens 300 Arbeitnehmer beschäftigen und gegenüber Kreditunternehmen, Vorsorgeeinrichtungen und Einrichtungen der sozialen Sicherheit oder Gesellschaften, an denen der Staat die Mehrheit des Kapitals hält, Schulden in Höhe von 80 444 Milliarden LIT oder mehr haben, die mehr als das Fünffache des eingezahlten Kapitals der Gesellschaft ausmachen.

10 Nach Artikel 1a dieses Gesetzes ist das Verfahren auch anwendbar, wenn sich die Zahlungsunfähigkeit aus der Pflicht ergibt, an den Staat, öffentliche Einrichtungen oder Gesellschaften, bei denen der Staat die Mehrheit des Kapitals hält, im Zusammenhang mit der Rückforderung rechtswidriger oder mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbarer Beihilfen oder im Rahmen von für technologische Innovationen und Forschungstätigkeiten gewährten Finanzierungen Beträge zurückzuzahlen, die sich auf mindestens 50 Milliarden LIT, entsprechend mindestens 51 % des eingezahlten Kapitals, belaufen.

11 Um der Sonderverwaltung unterstellt zu werden, muß das Unternehmen nach Artikel 2 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 95/79 aufgrund des Konkursgesetzes oder wegen nicht erfolgter Zahlung von wenigstens drei Monatsgehältern gerichtlich für zahlungsunfähig erklärt worden sein. Der Industrieminister kann dann nach Anhörung des Finanzministers ein Dekret erlassen, durch das das Unternehmen der Sonderverwaltung unterstellt wird, und dem Unternehmen unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen erlauben, seine Tätigkeit während eines Zeitraums von höchstens zwei Jahren, der im Einverständnis mit dem interministeriellen Ausschuß für die Koordinierung der Industriepolitik (im folgenden: CIPI) um höchstens zwei weitere Jahre verlängert werden kann, fortzusetzen.

12 Der Sonderverwaltung unterstellte Unternehmen unterliegen den allgemeinen Vorschriften des Konkursgesetzes, soweit das Gesetz Nr. 95/79 oder spätere Gesetze keine ausdrücklichen Ausnahmen vorsehen. So kann das zahlungsunfähige Unternehmen im Fall der Sonderverwaltung ebensowenig wie in demjenigen des normalen Liquidationsverfahrens nicht über seine Aktiva verfügen; diese dienen grundsätzlich der Gläubigerbefriedigung; die Zinsen auf die bestehenden Schulden werden ausgesetzt; gegen die Vermögensgegenstände des betroffenen Unternehmens dürfen keine anderen Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt oder fortgesetzt werden. Im Unterschied zum normalen Konkursverfahren erstreckt sich jedoch im Falle der Sonderverwaltung die Aussetzung jeglicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Artikel 4 des Gesetzes Nr. 544/81 auch auf Steuerschulden sowie auf Zwangsgelder, Zinsen und Zuschläge bei verspäteter Zahlung der Körperschaftsteuer.

13 Nach Artikel 2a des Gesetzes Nr. 95/79 kann der Staat für Schulden, die die unter Sonderverwaltung gestellten Gesellschaften zur Finanzierung der laufenden Verwaltung und zur Wiederinbetriebnahme und Fertigstellung von Anlagen, Gebäuden und betrieblichen Einrichtungen eingehen, unter den durch Dekret des Schatzministers nach Zustimmung des CIPI festgesetzten Bedingungen und Modalitäten ganz oder teilweise eine Bürgschaft übernehmen.

14 Im Rahmen der Sanierung dürfen unter den im Gesetz Nr. 95/79 vorgesehenen Modalitäten sämtliche Betriebsstätten des zahlungsunfähigen Unternehmens verkauft werden. In diesem Fall unterliegt die vollständige oder teilweise Übertragung des Eigentums an dem Unternehmen nach Artikel 5a dieses Gesetzes einer pauschalen Registersteuer in Höhe von einer Million LIT.

15 Ferner sind die unter Sonderverwaltung gestellten Unternehmen nach Artikel 3 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 19/87 vom 6. Februar 1987 (GURI Nr. 32 vom 9. Februar 1987) von der Zahlung der im Falle der Nichtzahlung der Sozialabgaben verhängten Geldbussen und Zwangsgelder befreit.

16 Wird einem unter Sonderverwaltung gestellten Unternehmen gestattet, seine Tätigkeit fortzusetzen, so muß der hierfür bestellte Verwalter nach Artikel 2 zweiter Gedankenstrich des Gesetzes Nr. 95/97 einen geeigneten Verwaltungsplan aufstellen, dessen Vereinbarkeit mit den Grundlinien der staatlichen Industriepolitik vom CIPI geprüft wird, bevor der Industrieminister ihn genehmigt. Auch Entscheidungen wie diejenigen über die Restrukturierung, den Verkauf der Aktiva, die Liquidation oder die Beendigung des Sonderverwaltungszeitraums müssen von diesem Minister gebilligt werden.

17 Erst nach Ablauf des Sonderverwaltungszeitraums können die Gläubiger des dieser Verwaltung unterstellten Unternehmens durch Liquidation seiner Aktiva oder aus seinen neuen Gewinnen ganz oder teilweise befriedigt werden. Nach den Artikeln 111 und 212 des Konkursgesetzes werden die durch die Sonderverwaltung und die Fortführung des Betriebes des Unternehmens verursachten Kosten einschließlich der eingegangenen Schulden aus der Konkursmasse gezahlt, mit Vorrang vor den bei der Eröffnung des Verfahrens der Sonderverwaltung bestehenden Forderungen.

18 Das Verfahren der Sonderverwaltung wird nach einem Vergleich, der endgültigen Aufteilung der Aktiva, der völligen Tilgung der Schulden, bei unzureichenden Aktiva oder nach Rückgewinnung der Fähigkeit des Unternehmens, seine Verpflichtungen zu erfuellen, und somit nach Wiedereintritt einer ausgeglichenen Finanzlage beendet.

19 Das Gesetz Nr. 95/79 ist Gegenstand einer Reihe von Entscheidungen der Kommission gewesen.

20 Zum einen hat die Kommission im Hinblick auf das Gesetz Nr. 95/79 als Ganzes ein Schreiben nach Artikel 93 Absatz 1 EG-Vertrag an die italienische Regierung gerichtet, in dem sie feststellte, die streitige Regelung falle in vielfacher Hinsicht unter Artikel 92 ff. des Vertrages, und die Regierung aufforderte, ihr alle Fälle der Anwendung dieses Gesetzes im voraus zu melden, damit diese im Rahmen der für Beihilfen an in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen geltenden Regelung geprüft werden könnten (Schreiben E 13/92 vom 30. Juli 1992, ABl. 1994, C 395, S. 4).

21 Die italienischen Behörden haben auf die Aufforderung der Kommission geantwortet, zu einer vorherigen Unterrichtung seien sie nur in den Fällen der Gewährung der staatlichen Bürgschaft nach Artikel 2a des betreffenden Gesetzes bereit. Die Kommission hat daraufhin beschlossen, das Verfahren des Artikels 93 Absatz 2 EG-Vertrag zu eröffnen.

22 Zum anderen hat die Kommission mehrere Entscheidungen betreffend Einzelfälle erlassen:

- die Entscheidung 96/434/EG vom 20. März 1996 (ABl. L 180, S. 31), in der die Kommission die Vorschriften des Gesetzes Nr. 80/93, nach denen das Verfahren der Sonderverwaltung bei Unternehmen angewendet wird, deren Zahlungsunfähigkeit dadurch bedingt ist, daß sie dem Staat, öffentlichen Einrichtungen oder überwiegend öffentlichen Unternehmen mindestens 51 % der bereitgestellten Mittel, jedoch nicht weniger als 50 Mrd. LIT in Anwendung der Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane gemäß Artikel 92 und 93 EG-Vertrag zurückzahlen müssen. Durch diese Entscheidung erklärte die Kommission die fragliche Beihilfe für weder mit dem Gemeinsamen Markt noch mit dem Funktionieren des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vereinbar und ordnete die Aufhebung der unvereinbaren Vorschriften an;

- die Entscheidung 96/515/EGKS vom 27. März 1996 (ABl. L 216, S. 11), in der die Kommission die Gewährung einer staatlichen Bürgschaft gemäß Artikel 2a des Gesetzes Nr. 95/79 eben an AFS zur Deckung von Verbindlichkeiten in Höhe von 26,5 Mrd. LIT ohne Berechnung einer Provision als Beihilfe im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag qualifizierte. Durch diese Entscheidung erklärte die Kommission die fragliche Beihilfe für rechtswidrig und mit dem Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl unvereinbar und gab Italien auf, sie zurückzufordern;

- die Entscheidung 97/754/EGKS vom 30. April 1997 (ABl. L 306, S. 25), in der die Kommission die Gewährung einer Reihe von Maßnahmen, die der Firma Ferdofin Srl im Rahmen der Anwendung des Gesetzes Nr. 95/79 zugutekamen - insbesondere die Aussetzung der Zahlung erheblicher Schulden gegenüber einigen öffentlichen Einrichtungen - als Beihilfe im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag qualifizierte. Durch diese Entscheidung erklärte die Kommission die fragliche Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl unvereinbar und gab den italienischen Behörden auf, die geleisteten Beihilfen zurückzufordern und die Anwendung des Gesetzes Nr. 95/79 im Zusammenhang mit den von Ferdofin Siderurgica Srl nicht gezahlten Schulden gegenüber Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen auszusetzen.

23 Aufgrund dessen hat das vorlegende Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Die Auslegung folgender Vorschriften erscheint unklar:

1. Artikel 92 des Vertrages: Die alternative Nennung "staatlicher" oder "aus staatlichen Mitteln gewährter" Beihilfen kann zu der Annahme führen, daß auch staatliche Maßnahmen als Beihilfen anzusehen sind, die zwar keine Gewährung staatlicher Gelder vorsehen, jedoch mittels eines speziellen Verfahrens zu demselben Ergebnis führen, als wenn staatliche Mittel bereitgestellt würden.

2. Die angeführte Entscheidung [E 13/92]: Das [...] Ergebnis, zu dem diese gelangt, beruht auf der Prämisse, daß das Gesetz Nr. 95/79 "in vieler Hinsicht unter Artikel 92 ff. EG-Vertrag fällt".

Daher erscheint es zweifelhaft, ob eine aufgrund des angeführten Gesetzes Nr. 95/79 erlassene staatliche Maßnahme nach dem Vertrag und der angeführten Entscheidung der Kommission als Beihilfe angesehen werden kann, wenn sie vorsieht, daß

a) grosse Unternehmen nicht den normalen Konkursverfahren unterliegen, und

b) diese Befreiung mit der Fortsetzung des Betriebes des Unternehmens einhergeht.

Hierbei ist zu berücksichtigen, daß nach Artikel 4 des (in das Gesetz Nr. 544/81 umgewandelten) italienischen Decreto-legge Nr. 414 vom 31. Juli 1981 "Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung... nach Erlaß des Beschlusses über die Eröffnung des Sonderverwaltungsverfahrens weder eingeleitet noch fortgesetzt werden [dürfen]".

Zur Zulässigkeit der Vorabentscheidungsfrage

24 In der mündlichen Verhandlung hat AFS die Erheblichkeit der Vorabentscheidungsfrage mit der Begründung in Frage gestellt, auch wenn sie sofort dem normalen Konkursverfahren unterworfen worden wäre, hätte Ecotrade nicht wegen ihrer Forderung vollstrecken können.

25 Zunächst ist festzustellen, daß es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung übernehmen muß, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59).

26 Dem Vorlagebeschluß ist nicht zu entnehmen, daß das Verbot der Durchführung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen für Ecotrade nicht gegolten hätte, wenn die Anwendung der streitigen nationalen Maßnahmen ausgeschlossen worden wäre, weil sie verbotene staatliche Beihilfen darstellten; dieses Verbot gilt nämlich auch für das normale Konkursverfahren.

27 Allerdings spricht prima facie nichts für die Annahme, daß sich Ecotrade, wenn AFS dem normalen Konkursverfahren unterworfen worden wäre, in einer in jeglicher Hinsicht identischen Situation befunden hätte, insbesondere hinsichtlich ihrer Chancen, ihre Forderungen zumindest teilweise beizutreiben; dies zu beurteilen ist Sache des nationalen Gerichts.

28 Die Vorabentscheidungsfrage muß somit beantwortet werden.

Zur Vorabentscheidungsfrage

29 Vorab ist festzustellen, daß AFS eine Produktionstätigkeit auf dem Gebiet von Kohle und Stahl ausübt und damit ein Unternehmen im Sinne des Artikels 80 EGKS-Vertrag ist. Die vom nationalen Gericht vorgelegte Frage ist daher in den Rahmen des EGKS-Vertrags einzuordnen.

30 Die Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob die Anwendung einer Regelung wie derjenigen des Gesetzes Nr. 95/79, die vom allgemeinen Konkursrecht abweicht, auf ein Unternehmen im Sinne des Artikels 80 EGKS-Vertrag als Maßnahme anzusehen ist, die zur Gewährung einer nach Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag verbotenen staatlichen Beihilfe führen kann.

31 Das Schreiben E 13/92 der Kommission, auf das das vorlegende Gericht Bezug nimmt, stellt, wie sich aus Randnummer 20 des vorliegenden Urteils ergibt, eine blosse Aufforderung an die italienische Regierung nach Artikel 93 Absatz 1 EG-Vertrag dar, alle Anwendungsfälle des Gesetzes Nr. 95/79 zu melden; auf diese Aufforderung folgte die Eröffnung des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag. Dieses Verfahren hatte zum Zeitpunkt des Eingangs des Vorabentscheidungsersuchens noch nicht zu einer endgültigen Entscheidung der Kommission geführt.

32 Nach Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag werden von den Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen oder von ihnen auferlegte Sonderlasten, in welcher Form dies auch immer geschieht, als unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl innerhalb der Gemeinschaft aufgehoben und untersagt.

33 Die am 1. Januar 1992 in Kraft getretene und bis zum 31. Dezember 1996 geltende Entscheidung Nr. 3855/91/EGKS der Kommission vom 27. November 1991 zur Einführung gemeinschaftlicher Vorschriften über Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie (ABl. L 362, S. 57) lässt jedoch die Gewährung von Beihilfen zugunsten der Eisen- und Stahlindustrie in abschließend aufgezählten Fällen, insbesondere Schließungsbeihilfen, zu, sofern sie der Kommission zuvor gemäß Artikel 6 Absatz 2 dieser Entscheidung mitgeteilt worden sind.

34 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ist der Begriff der Beihilfe weiter als der Begriff der Subvention, denn er umfasst nicht nur positive Leistungen wie Subventionen selbst, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (vgl. Urteile vom 23. Februar 1961 in der Rechtssache 30/59, De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, Slg. 1961, 3, 43, und vom 15. März 1994 in der Rechtssache C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994, I-877, Randnr. 13).

35 Ferner bezieht der Begriff "Beihilfe" im Sinne von Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag nach dem Vorbild dessen, was der Gerichtshof zu Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag entschieden hat, zwangsläufig die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln finanzierten Vorteile sowie diejenigen ein, die eine zusätzliche Belastung für den Staat oder die für diesen Zweck benannten oder errichteten Einrichtungen darstellt (vgl. Urteile vom 24. Januar 1978 in der Rechtssache 82/77, Van Tiggele, Slg. 1978, 25, Randnrn. 23 bis 25, vom 13. Oktober 1982 in den verbundenen Rechtssachen 213/81 bis 215/81, Norddeutsche Vieh- und Fleischkontor Will u. a., Slg. 1982, 3583, Randnr. 22, vom 17. März 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-72/91 und C-73/91, Sloman Neptun, Slg. 1993, I-887, Randnr. 19, vom 30. November 1993 in der Rechtssache C-189/91, Kirsammer-Hack, Slg. 1993, I-6185, Randnr. 16, und vom 7. Mai 1998 in den verbundenen Rechtssachen C-52/97 bis C-54/97, Viscido u. a., Slg. 1998, I-2629, Randnr. 13).

36 Entgegen dem Vorbringen der Kommission kann die eventuelle Einbusse an Steuererträgen, die sich für den Staat durch das absolute Verbot von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen und die Aussetzung der Zinsen auf alle Schulden des betroffenen Unternehmens sowie durch die entsprechende Verringerung der Gewinne der Gläubiger aus der Anwendung der Regelung über die Sonderverwaltung ergeben soll, als solche nicht die Qualifizierung dieser Regelung als Beihilfe rechtfertigen. Eine derartige Folge ist nämlich jeder gesetzlichen Regelung immanent, die den Rahmen für die Beziehungen zwischen einem zahlungsunfähigen Unternehmen und der Gesamtheit seiner Gläubiger festlegt, ohne daß daraus zwangsläufig auf eine zusätzliche finanzielle Belastung zu schließen wäre, die unmittelbar oder mittelbar zu Lasten der öffentlichen Hand geht und den betroffenen Unternehmen eine bestimme Vergünstigung gewähren soll (vgl. in diesem Sinn Urteil Sloman Neptun, Randnr. 21).

37 Dagegen könnten verschiedene Elemente der durch das Gesetz Nr. 95/79 eingeführten Regelung insbesondere unter Berücksichtigung der Umstände des Ausgangssachverhalts die Feststellung ermöglichen, daß eine durch Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag verbotene Beihilfe vorliegt, wenn die Bedeutung, die ihnen im folgenden beigelegt wird, durch das vorlegende Gericht bestätigt wird.

38 Wie sich aus den Akten ergibt, soll das Gesetz Nr. 95/79 selektiv zugunsten von in Schwierigkeiten befindlichen grossen Industrieunternehmen angewendet werden, die sehr hohe Schulden gegenüber bestimmten Kategorien von Gläubigern, insbesondere aus dem öffentlichen Bereich, haben. Wie der Generalanwalt in Nummer 26 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist es sogar höchstwahrscheinlich, daß der Staat oder öffentliche Einrichtungen zu den Hauptgläubigern des betroffenen Unternehmens zählen.

39 Ferner sind - auch unterstellt, daß beim Erlaß der Entscheidungen des Industrieministers, das in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen unter Sonderverwaltung zu stellen und ihm die Fortführung seiner Tätigkeit zu erlauben, die Interessen der Gläubiger und insbesondere die Möglichkeiten zur Aufwertung der Aktiva des Unternehmens soweit wie möglich berücksichtigt werden - diese Entscheidungen, wie die italienische Regierung in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt hat, auch von dem Bestreben getragen, die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens aus Erwägungen der staatlichen Industriepolitik aufrechtzuerhalten.

40 Unter Berücksichtigung der Art der von der streitigen Regelung erfassten Unternehmen und des Umfangs des Ermessens, das dem Minister eingeräumt ist, wenn er insbesondere einem unter Sonderverwaltung stehenden zahlungsunfähigen Unternehmen erlaubt, seine Tätigkeit fortzusetzen, erfuellt die betreffende Regelung somit die Voraussetzung der Spezifizität, die eines der Merkmale des Begriffes der staatlichen Beihilfe ist (vgl. in diesem Sinn Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-241/94, Frankreich/Kommission, Slg. 1996, I-4551, Randnrn. 23 f.).

41 Unabhängig von dem vom nationalen Gesetzgeber verfolgten Ziel steht fest, daß die streitige Regelung geeignet ist, die Unternehmen, für die sie gilt, in eine günstigere Lage zu versetzen als andere, indem sie ihnen erlaubt, ihre wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen dies bei Anwendung der normalen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen wäre, da diese entscheidend auf den Schutz der Gläubigerinteressen abstellen. Angesichts des Vorrangs der mit der Fortsetzung der wirtschaftlichen Tätigkeit verbundenen Forderungen könnte die Genehmigung zu ihrer Fortsetzung unter diesen Umständen eine zusätzliche Belastung für die öffentliche Hand mit sich bringen, wenn tatsächlich nachgewiesen wäre, daß der Staat oder öffentliche Einrichtungen zu den Hauptgläubigern des in Schwierigkeiten befindlichen Unternehmens gehören, zumal dieses definitionsgemäß erhebliche Beträge schuldet.

42 Die Anordnung der Sonderverwaltung hat neben der Gewährung der staatlichen Bürgschaft nach Artikel 2a des Gesetzes Nr. 95/79, zu deren vorheriger Mitteilung an die Kommission sich die italienischen Behörden bereit erklärt haben, ferner die Ausdehnung des Verbotes und der Aussetzung jeglicher Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen auf Steuerschulden sowie auf Zwangsgelder, Zinsen und Zuschläge im Fall der verspäteten Zahlung der Körperschaftsteuer, die Befreiung von der Pflicht zur Zahlung der Geldbussen und Zwangsgelder im Falle der Nichtzahlung der Sozialabgaben sowie die Anwendung eines Vorzugssatzes im Falle der vollständigen oder teilweisen Übertragung des Unternehmens - wobei die Übertragung einer pauschalen Registersteuer in Höhe von einer Million LIT unterliegt, während die normale Registersteuer sich auf 3 % des Wertes der übertragenen Gegenstände beläuft - zur Folge.

43 Derartige vom nationalen Gesetzgeber gewährte Vergünstigungen könnten ebenfalls eine zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand in Form einer staatlichen Bürgschaft, eines tatsächlichen Verzichts auf öffentliche Forderungen, einer Befreiung von der Pflicht zur Zahlung von Geldbussen oder anderen Zwangsgeldern oder eines verringerten Abgabensatzes bewirken. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn nachgewiesen wäre, daß die Anordnung der Sonderverwaltung und die Fortsetzung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens tatsächlich nicht zu einer zusätzlichen Belastung für den Staat im Vergleich zu derjenigen geführt haben, die sich aus der Anwendung der normalen konkursrechtlichen Vorschriften ergeben hätte.

44 Die italienische Regierung macht insoweit geltend, die Sonderverwaltung bewirke für den Staat als Steuergläubiger keine grösseren Verluste als die allgemeine Regelung, in deren Rahmen ihm bestimmte Verfahrensprivilegien zustuenden; die Vorschriften, die eine Befreiung von der Pflicht zur Zahlung der Geldbussen und Zwangsgelder wegen verspäteter Zahlung von Sozialabgaben vorsähen, seien nicht mehr gültig. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, diese Behauptungen nachzuprüfen.

45 Aufgrund all dessen ist auf die Vorabentscheidungsfrage zu antworten, daß die Anwendung einer Regelung wie derjenigen des Gesetzes Nr. 95/79, die von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften abweicht, auf ein Unternehmen im Sinne des Artikels 80 EGKS-Vertrag sich als Gewährung einer nach Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag verbotenen staatlichen Beihilfe darstellt, wenn feststeht, daß diesem Unternehmen

- erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre, oder

- eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter Abgabensatz, eine Befreiung von der Pflicht zur Zahlung von Geldbussen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder teilweiser tatsächlicher Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf die ein anderes zahlungsunfähiges Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte erheben können.

Kostenentscheidung:

Kosten

46 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm von der Corte suprema di cassazione mit Beschluß vom 10. Februar 1997 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Anwendung einer Regelung wie derjenigen des Gesetzes Nr. 95/79 vom 3. April 1979, die von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften abweicht, auf ein Unternehmen im Sinne des Artikels 80 EGKS-Vertrag stellt sich als Gewährung einer nach Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag verbotenen staatlichen Beihilfe dar, wenn feststeht, daß diesem Unternehmen

- erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre, oder

- eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter Abgabensatz, eine Befreiung von der Pflicht zur Zahlung von Geldbussen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder teilweiser tatsächlicher Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf die ein anderes zahlungsunfähiges Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte erheben können.

Ende der Entscheidung

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