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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.07.1991
Aktenzeichen: C-208/90
Rechtsgebiete: Richtlinie 79/7/EWG vom 19.12.1978, EWGV


Vorschriften:

Richtlinie 79/7/EWG vom 19.12.1978
EWGV Art. 189 Abs. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Solange eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt wurde, sind die einzelnen nicht in die Lage versetzt worden, in vollem Umfang von ihren Rechten Kenntnis zu erlangen. Dieser Zustand der Unsicherheit für die einzelnen dauert auch nach dem Erlaß eines Urteils an, in dem der Gerichtshof die Ansicht vertreten hat, daß der betroffene Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie nicht nachgekommen ist, selbst wenn der Gerichtshof festgestellt hat, daß die eine oder andere Bestimmung der Richtlinie hinreichend genau und unbedingt ist, um vor den nationalen Gerichten in Anspruch genommen werden zu können.

Nur die ordnungsgemässe Umsetzung der Richtlinie beendet diesen Zustand der Unsicherheit, und erst mit dieser Umsetzung wird die Rechtssicherheit geschaffen, die erforderlich ist, um von den einzelnen verlangen zu können, daß sie ihre Rechte geltend machen.

Hieraus folgt, daß sich der säumige Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemässen Umsetzung der Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen kann, die ein einzelner zum Schutz der ihm durch die Bestimmungen dieser Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben hat, und daß eine Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem Zeitpunkt beginnen kann.

2. Solange ein Mitgliedstaat die Bestimmungen der Richtlinie 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit nicht ordnungsgemäß in seine interne Rechtsordnung umgesetzt hat, hindert das Gemeinschaftsrecht die zuständigen Behörden dieses Staates daran, sich auf die nationalen Verfahrensvorschriften über Klagefristen gegenüber einer Klage zu berufen, die ein einzelner gegen sie vor den nationalen Gerichten zum Schutz der durch Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie unmittelbar verliehenen Rechte erhoben hat.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 25. JULI 1991. - THERESA EMMOTT GEGEN MINISTER FOR SOCIAL WELFARE UND ATTORNEY GENERAL. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HIGH COURT - IRLAND. - GLEICHBEHANDLUNG AUF DEM GEBIET DER SOZIALEN SICHERHEIT - LEISTUNGEN BEI INVALIDITAET - UNMITTELBARE WIRKUNG UND NATIONALE KLAGEFRISTEN. - RECHTSSACHE C-208/90.

Entscheidungsgründe:

1 Der irische High Court hat mit Beschluß vom 22. Juni 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Juli 1990, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, mit der er im wesentlichen zu erfahren wünscht, ob ein Mitgliedstaat, der die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24; im folgenden: die Richtlinie) nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, einen einzelnen mit der Begründung, die nationalen Klagefristen seien abgelaufen, daran hindern kann, Klage mit dem Ziel zu erheben, Rechte zu wahren, die der Betroffene aus Bestimmungen dieser Richtlinie herleitet, die hinreichend klar und unbedingt sind, um vor den nationalen Gerichten in Anspruch genommen werden zu können.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Theresa Emmott einerseits sowie dem irischen Minister for Social Welfare und dem Attorney General von Irland andererseits, in dem es um zusätzliche Leistungen der sozialen Sicherheit geht, die Frau Emmott aufgrund von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie fordert.

3 Diese Bestimmung verbietet jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere was die Berechnung der Leistungen einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen betrifft. Nach Artikel 5 hatten die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung unvereinbaren Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden. Artikel 8 verpflichtete die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, um der Richtlinie binnen sechs Jahren nach ihrer Bekanntgabe, das heisst vor dem 23. Dezember 1984, nachzukommen.

4 Die Richtlinie wurde in irisches Recht durch den Social Welfare (No 2) Act vom 16. Juli 1985 umgesetzt, dessen Bestimmungen indessen erst zu verschiedenen Zeitpunkten des Jahres 1986 in Kraft getreten sind. Dieses Gesetz, dem keine rückwirkende Kraft zum 23. Dezember 1984 beigelegt wurde, setzte einheitliche Leistungssätze für Männer und Frauen fest und machte den Anspruch auf Zuschläge für unterhaltsberechtigte Erwachsene und Kinder von den gleichen Voraussetzungen abhängig.

5 Am 12. Dezember 1986 erließ der Minister for Social Welfare jedoch die Social Welfare (Preservation of Rights) (No 2) Regulations 1986 (Statutory Instrument Nr. 422 von 1986). Diese Regulations behielten übergangsweise die Gewährung regelmässiger Ausgleichszahlungen verheirateten Männern vor, die infolge des Inkrafttretens des Gesetzes vom 16. Juli 1985 ihren Anspruch auf einen automatischen Zuschlag zu den sozialrechtlichen Leistungen für unterhaltsberechtigte Erwachsene eingebüsst hatten. Die Geltungsdauer dieser Übergangsbestimmungen wurde wiederholt verlängert, jedenfalls bis zum 2. Januar 1989.

6 In einem früheren Rechtsstreit, der von zwei verheirateten Frauen anhängig gemacht worden war, die von denselben Beklagten die gleichen Leistungen der sozialen Sicherheit forderten, wie sie verheirateten Männern, die sich in der gleichen familiären Lage befanden, gewährt wurden, hat der Gerichtshof, der vom irischen High Court um Vorabentscheidung ersucht worden war, für Recht erkannt, daß Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie seit dem 23. Dezember 1984 in Anspruch genommen werden konnte, um die Anwendung aller mit ihm unvereinbaren innerstaatlichen Vorschriften auszuschließen, und daß bei Fehlen von Maßnahmen zur Durchführung dieser Bestimmung Frauen Anspruch haben auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer, die sich in der gleichen Lage befinden (Urteil vom 24. März 1987 in der Rechtssache 286/85, McDermott und Cotter, Slg. 1987, 1453).

7 Mit seinem Urteil vom 13. März 1991 in der Rechtssache C-377/89 (Cotter und McDermott, Slg. 1991, I-1155), ergangen auf Vorlage des irischen Supreme Court, der mit neuen Anträgen derselben Klägerinnen befasst worden war, hat der Gerichtshof entschieden, daß Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, daß verheiratete Frauen Anspruch auf die gleichen Leistungszuschläge und Ausgleichszahlungen haben, wie sie verheirateten Männern in den gleichen Familienverhältnissen gewährt werden, selbst wenn dies zu Doppelzahlungen führt oder gegen das im irischen Recht niedergelegte Verbot der ungerechtfertigten Bereicherung verstösst.

8 Unter Randnummer 24 des vorerwähnten Urteils hat der Gerichtshof ausgeführt, daß die Richtlinie keine Ausnahme von dem in Artikel 4 Absatz 1 niedergelegten Grundsatz der Gleichbehandlung vorsieht, die die Verlängerung der diskriminierenden Wirkungen früherer nationaler Vorschriften erlauben würde, so daß ein Mitgliedstaat nach dem 23. Dezember 1984 keine Ungleichbehandlungen fortbestehen lassen darf, die darauf zurückzuführen sind, daß die Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs auf Ausgleichszahlungen bereits vor diesem Tag galten. Dabei ist es unerheblich, daß sich diese Ungleichbehandlungen aus Übergangsbestimmungen ergeben.

9 Frau Emmott ist verheiratet und hat unterhaltsberechtigte Kinder. Seit dem 2. Dezember 1983 bezog sie aufgrund der irischen sozialrechtlichen Vorschriften Leistungen bei Invalidität. Bis zum 18. Mai 1986 erhielt sie diese Leistungen nur zu dem geringeren Satz, der seinerzeit für alle verheirateten Frauen galt. Aufgrund von Änderungen der irischen Rechtsvorschriften wurden die ihr gewährten Leistungen dreimal angepasst: Ab 19. Mai 1986 erhielt sie Leistungen zu dem für Männer und Frauen geltenden Satz, jedoch ohne Zuschläge für unterhaltsberechtigte Kinder. Erst vom 17. November 1986 an wurden ihr diese Zuschläge gewährt. Schließlich wurde ihr im Juni 1988 rückwirkend zum 28. Januar 1988 eine Invaliditätsrente bewilligt, die zu dem im Normalfall für Männer und Frauen geltenden individuellen Satz berechnet worden war, zuzueglich eines Zuschlags für unterhaltsberechtigte Kinder.

10 Alsbald nach der am 24. März 1987 erfolgten Verkündung des vorerwähnten Urteils des Gerichtshofes in der Rechtssache 286/85 begann Frau Emmott einen Schriftwechsel mit dem Minister for Social Welfare mit dem Ziel, mit Wirkung vom 23. Dezember 1984 den gleichen Leistungsbetrag zu erhalten wie verheiratete Männer in der gleichen Lage.

11 Mit Schreiben vom 26. Juni 1987 antwortete der Minister, da über die Richtlinie immer noch vor dem High Court gestritten werde, könne über ihren Anspruch nicht entschieden werden; dieser würde geprüft werden, sobald dieses Gericht sein Urteil erlassen habe.

12 Mit Beschluß vom 22. Juli 1988 erteilte der High Court Frau Emmott die Erlaubnis, Klage auf gerichtliche Überprüfung zu erheben, um in den Genuß der Leistungen zu gelangen, die ihr seit dem 23. Dezember 1984 unter Verstoß gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie nicht ausbezahlt worden seien, nämlich zusätzlicher Leistungen bei Invalidität zu dem angemessenen individuellen Satz, Zuschläge für unterhaltsberechtigte Erwachsene und Kinder sowie Ausgleichszahlungen. Diese Erlaubnis wurde jedoch unbeschadet des Rechts der Beklagten erteilt, sich auf die Nichteinhaltung der Klagefrist zu berufen.

13 Die insoweit maßgebende Bestimmung ist Order 84, Rule 21 (1) der Rules of the Superior Courts 1986. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

"Anträge auf Erlaubnis zur Erhebung einer Klage sind unverzueglich zu stellen, in jedem Fall innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem die Klagegründe zutage getreten sind, oder innerhalb von sechs Monaten, wenn die Klage im Wege der Aktenanforderung [' certiorari' ] betrieben wird, es sei denn, daß nach Ansicht des Gerichts triftige Gründe dafür bestehen, die Frist, innerhalb deren der Antrag gestellt werden kann, zu verlängern."

14 Die beteiligten nationalen Behörden machten in der Tat geltend, daß die Verspätung, mit der die Klägerin die Gerichte befasst habe, dem Erfolg ihrer Klage im Wege stehe. Dementsprechend hat der High Court mit Beschluß vom 22. Juni 1990 dem Gerichtshof nachstehende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist das Urteil des Gerichtshofes vom 24. März 1987 in der Rechtssache 286/85 (Norah McDermott und Ann Cotter/Minister for Social Welfare; Slg. 1987, 1453), in dem der Gerichtshof auf die ihm gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vom High Court vorgelegten Fragen in Auslegung des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 wie folgt geantwortet hatte:

"1) Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 des Rates vom 19. Dezember 1978 über das Verbot jeglicher Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Bereich der sozialen Sicherheit, konnte, solange die Richtlinie nicht durchgeführt war, seit dem 23. Dezember 1984 in Anspruch genommen werden, um die Anwendung aller mit dieser Bestimmung unvereinbaren innerstaatlichen Vorschriften auszuschließen.

2) Bei Fehlen von Maßnahmen zur Durchführung des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie haben Frauen Anspruch auf Anwendung der gleichen Regelung wie Männer, die sich in der gleichen Lage befinden, wobei diese Regelung, solange die Richtlinie nicht durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem bleibt",

dahin auszulegen, daß es gegen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstösst, wenn sich die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats gegenüber einer vor einem nationalen Gericht erhobenen und auf Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie gestützten Klage einer verheirateten Frau auf Gleichbehandlung und Ausgleichszahlungen wegen angeblich dadurch erlittener Diskriminierung, daß für Männer in der gleichen Lage geltende Vorschriften auf sie nicht angewendet worden seien, auf nationale Verfahrensvorschriften über die Klageerhebung, insbesondere auf Fristvorschriften, berufen, um einen solchen Ausgleich zu beschränken oder zu verweigern?

15 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens, des dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

16 Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. namentlich Urteile vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, und vom 9. November 1983 in der Rechtssache 199/82, San Giorgio, Slg. 1983, 3595), ist es mangels einer Gemeinschaftsregelung auf diesem Gebiet Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für die Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht ungünstiger sind als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen, und nicht so ausgestaltet sind, daß sie die Ausübung der Rechte, die die Gemeinschaftsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen.

17 Zwar genügt die Festsetzung angemessener Fristen, nach deren Ablauf Klagen nicht mehr zulässig sind, grundsätzlich diesen beiden Voraussetzungen, doch muß die besondere Natur der Richtlinien berücksichtigt werden.

18 Nach Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag ist die "Richtlinie... für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel". Zwar können die Mitgliedstaaten hiernach die Mittel und Wege zur Sicherung der Durchführung der Richtlinie frei wählen, doch lässt diese Freiheit die Verpflichtung jedes Mitgliedstaats, an den die Richtlinie gerichtet ist, unberührt, im Rahmen seiner nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (vgl. Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83, Von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891).

19 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß die Mitgliedstaaten gehalten sind, tatsächlich für die vollständige Anwendung der Richtlinien in hinreichend bestimmter und klarer Weise Sorge zu tragen, damit die einzelnen, soweit die Richtlinien Rechte für sie begründen sollen, in die Lage versetzt werden, in vollem Umfang von diesen Rechten Kenntnis zu erlangen und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen (vgl. insbesondere Urteil vom 9. April 1987 in der Rechtssache 363/85, Kommission/Italien, Slg. 1987, 1733).

20 Nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn ein Mitgliedstaat nicht die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen getroffen hat oder aber die ergriffenen Maßnahmen nicht der betreffenden Richtlinie entsprechen, hat der Gerichtshof den einzelnen das Recht zuerkannt, sich vor Gericht gegenüber einem säumigen Mitgliedstaat auf eine Richtlinie zu berufen. Diese Mindestgarantie, die sich aus dem zwingenden Charakter der Verpflichtung ergibt, die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinien auferlegt ist, kann einem Mitgliedstaat nicht als Rechtfertigung dafür dienen, daß er es unterlässt, rechtzeitig Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, die zur Erreichung des Ziels der jeweiligen Richtlinie geeignet sind (vgl. Urteil vom 6. Mai 1980 in der Rechtssache 102/79, Kommission/Belgien, Slg. 1980, 1473).

21 Solange nämlich eine Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt wurde, sind die einzelnen nicht in die Lage versetzt worden, in vollem Umfang von ihren Rechten Kenntnis zu erlangen. Dieser Zustand der Unsicherheit für die einzelnen dauert auch nach dem Erlaß eines Urteils an, in dem der Gerichtshof die Ansicht vertreten hat, daß der betroffene Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie nicht nachgekommen ist, selbst wenn der Gerichtshof festgestellt hat, daß die eine oder andere Bestimmung der Richtlinie hinreichend genau und unbedingt ist, um vor den nationalen Gerichten in Anspruch genommen werden zu können.

22 Nur die ordnungsgemässe Umsetzung der Richtlinie beendet diesen Zustand der Unsicherheit, und erst mit dieser Umsetzung wird die Rechtssicherheit geschaffen, die erforderlich ist, um von den einzelnen verlangen zu können, daß sie ihre Rechte geltend machen.

23 Hieraus folgt, daß sich der säumige Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemässen Umsetzung der Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen kann, die ein einzelner zum Schutz der ihm durch die Bestimmungen dieser Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben hat, und daß eine Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem Zeitpunkt beginnen kann.

24 Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß, solange ein Mitgliedstaat die Bestimmungen der Richtlinie 79/7 nicht ordnungsgemäß in seine interne Rechtsordnung umgesetzt hat, das Gemeinschaftsrecht die zuständigen Behörden dieses Staates daran hindert, sich auf die nationalen Verfahrensvorschriften über Klagefristen gegenüber einer Klage zu berufen, die ein einzelner gegen sie vor den nationalen Gerichten zum Schutz der durch Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie unmittelbar verliehenen Rechte erhoben hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Die Auslagen Irlands, der Niederlande, des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem vor dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom irischen High Court mit Beschluß vom 22. Juni 1990 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Solange ein Mitgliedstaat die Bestimmungen der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit nicht ordnungsgemäß in seine interne Rechtsordnung umgesetzt hat, hindert das Gemeinschaftsrecht die zuständigen Behörden dieses Staates daran, sich auf die nationalen Verfahrensvorschriften über Klagefristen gegenüber einer Klage zu berufen, die ein einzelner gegen sie vor den nationalen Gerichten zum Schutz der durch Artikel 4 Absatz 1 dieser Richtlinie unmittelbar verliehenen Rechte erhoben hat.

Ende der Entscheidung

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