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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.11.1999
Aktenzeichen: C-209/97
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 515/97/EWG, EGV


Vorschriften:

Verordnung Nr. 515/97/EWG
EGV Art. 308
EGV Art. 95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Verordnung Nr. 515/97 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemässe Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung wurde rechtswirksam auf der Grundlage von Artikel 235 des Vertrages (jetzt Artikel 308 EG) erlassen, da Artikel 100a des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG) im vorliegenden Fall nicht heranzuziehen ist.

Dieser Rechtsakt führt nämlich in den genannten Bereichen eine Regelung ein, die im ganzen eindeutig die Betrugsbekämpfung zum Ziel und zum Inhalt hat, so daß sie dem Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft gilt. Dieser Schutz ergibt sich nicht aus der Errichtung der Zollunion, sondern ist ein eigenständiges Ziel, das im System des Vertrages seinen Platz im Fünften Teil über die Organe der Gemeinschaft, Titel II (Finanzvorschriften), gefunden hat und nicht im Dritten Teil über die Politiken der Gemeinschaft, zu denen die Zoll- und die Agrarpolitik gehören. Da Artikel 209a des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 280 EG) in seiner beim Erlaß der genannten Verordnung geltenden Fassung das angestrebte Ziel nannte, ohne jedoch der Kommission die Befugnis zur Schaffung eines Systems wie des in Rede stehenden zu verleihen, war der Rückgriff auf Artikel 235 des Vertrages gerechtfertigt.

Zwar sieht diese Verordnung darüber hinaus die Schaffung eines "Zollinformationssystem" genannten automatisierten Informationssystems vor, jedoch reicht der blosse Umstand, daß ein solches System nicht eingeführt werden kann, ohne daß auf Gemeinschaftsebene harmonisierte Grundsätze auf dem Gebiet des Schutzes personenbezogener Daten auf einzelstaatlicher Ebene in Kraft sind, nicht aus, um die Anwendbarkeit des Artikels 100a zu begründen, da eine solche Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nur ein Nebeneffekt dieser Regelung ist.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 18. November 1999. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Rat der Europäischen Union. - Verordnung (EG) Nr. 515/97 - Rechtsgrundlage - Artikel 235 EG-Vertrag (jetzt Artikel 308 EG) oder Artikel 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG). - Rechtssache C-209/97.

Entscheidungsgründe:

1 Mit Klageschrift, die am 2. Juni 1997 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 173 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) die Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemässe Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung (ABl. L 82, S. 1; im folgenden: angefochtene Verordnung) beantragt.

2 Die angefochtene Verordnung hebt in ihrem Artikel 52 die Verordnung (EWG) Nr. 1468/81 des Rates vom 19. Mai 1981 (ABl. L 144, S. 1) auf, die auf die Artikel 43 EWG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 37 EG) und 235 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 308 EG) gestützt war.

3 Die Verordnung Nr. 1468/81 war ihrerseits durch die Verordnung (EWG) Nr. 945/87 des Rates vom 30. März 1987 (ABl. L 90, S. 3) geändert worden, die ebenfalls die Artikel 43 und 235 des Vertrages zur Rechtsgrundlage hatte.

4 Wie aus der dritten und der vierten Begründungserwägung der angefochtenen Verordnung hervorgeht, war der Gemeinschaftsgesetzgeber der Auffassung, daß sich das durch die Verordnung Nr. 1468/81 eingerichtete Verfahren zwar bewährt habe, daß es jedoch angesichts der gewonnenen Erfahrung vollständig ersetzt werden müsse.

5 Zu diesem Zweck legte die Kommission dem Rat am 23. Dezember 1992 einen Verordnungsvorschlag vor, der die Artikel 43, 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG) und 113 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 133 EG) zur Rechtsgrundlage hatte. Im Lauf der Verhandlungen im Rat zog die Kommission Artikel 113 des Vertrages zurück, da die den Rückgriff auf diesen Artikel rechtfertigende Bestimmung des Vorschlags gestrichen wurde. Artikel 100a des Vertrages wurde vom Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig als Rechtsgrundlage gestrichen und gemäß dem Verfahren nach Artikel 189a Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 250 Absatz 1 EG) durch Artikel 235 des Vertrages ersetzt. Der Rat zog somit die Artikel 43 und 235 des Vertrages als Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung heran.

6 Die angefochtene Verordnung legt gemäß Artikel 1 die Voraussetzungen fest, unter denen die in den einzelnen Mitgliedstaaten mit der Durchführung der Zoll- und der Agrarregelung betrauten Verwaltungsbehörden mit den Behörden der anderen Mitgliedstaaten sowie mit der Kommission zusammenarbeiten, um die Einhaltung dieser Regelungen im Rahmen eines Gemeinschaftssystems zu gewährleisten.

7 Zu diesem Zweck enthält die Verordnung in den Titeln I und II Vorschriften über die Amtshilfe auf Antrag (Artikel 4 bis 12) und die Amtshilfe ohne Antrag (Artikel 13 bis 16). Die Titel III und IV sind den Beziehungen zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und der Kommission (Artikel 17 und 18) sowie den Beziehungen zu Drittländern gewidmet (Artikel 19 bis 22).

8 Titel V (Artikel 23 bis 41) besteht aus acht Kapiteln. Kapitel 1 sieht die Schaffung eines "Zollinformationssystem" (ZIS) genannten automatisierten Informationssystems vor, das den Erfordernissen der Verwaltungsbehörden, die mit der Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung beauftragt sind, sowie den Erfordernissen der Kommission entspricht (Artikel 23 Absatz 1). Zweck des ZIS ist es nach Artikel 23 Absatz 2, "die Verhinderung, Ermittlung und Bekämpfung von Handlungen, die der Zoll- oder der Agrarregelung zuwiderlaufen, zu unterstützen und hierfür durch eine raschere Verbreitung von Informationen die Effizienz von Kooperations- und Kontrollmaßnahmen der zuständigen Behörden... zu steigern". Nach Absatz 3 dieser Bestimmung können die Zollbehörden der Mitgliedstaaten die technische Infrastruktur des ZIS im Rahmen der Zusammenarbeit im Zollwesen nach Artikel K.1 Nummer 8 des Vertrages über die Europäische Union nutzen (die Artikel K bis K.9 des Vertrages über die Europäische Union wurden durch die Artikel 29 EU bis 42 EU ersetzt). Schließlich bestimmt Absatz 6, daß die Mitgliedstaaten und die Kommission als "ZIS-Partner" am ZIS teilnehmen.

9 Titel V Kapitel 2 bis 8 der angefochtenen Verordnung enthält Vorschriften über Organisation und Betrieb des ZIS. So besteht das ZIS nach Artikel 24 aus einer zentralen Datenbank, die über Terminals von allen Mitgliedstaaten und der Kommission aus zugänglich ist und ausschließlich die für den Zweck des ZIS nach Artikel 23 Absatz 2 erforderlichen Daten einschließlich personenbezogener Daten umfasst. Gemäß Artikel 29 Absatz 1 ist der unmittelbare Zugang zu den im ZIS enthaltenen Daten den von jedem Mitgliedstaat benannten einzelstaatlichen Behörden sowie den von der Kommission benannten Dienststellen vorbehalten.

10 Titel V Kapitel 5 ist speziell dem Schutz personenbezogener Daten gewidmet. Nach Artikel 34 Absatz 1 der angefochtenen Verordnung verabschieden die ZIS-Partner, die personenbezogene Daten vom ZIS erhalten oder darin speichern wollen, spätestens bis zum Beginn der Geltung dieser Verordnung die einzelstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder im Fall der Kommission die intern anwendbaren Regeln, die den Schutz der Rechte und der Freiheiten des einzelnen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gewährleisten.

11 Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 29. September 1997 ist die französische Regierung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden. Mit Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 1. Dezember 1997 ist das Parlament als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

12 Die Kommission stützt ihre Klage auf den einzigen Klagegrund der Ungeeignetheit der gewählten Rechtsgrundlage. Ihrer Auffassung nach hätte der Rat die angefochtene Verordnung auf die Artikel 43 und 100a des Vertrages stützen müssen und nicht auf die Artikel 43 und 235.

13 Nach ständiger Rechtsprechung muß sich im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juni 1991 in der Rechtssache C-300/89, Kommission/Rat, sog. Titandioxid-Urteil, Slg. 1991, I-2867, Randnr. 10, und vom 25. Februar 1999 in den Rechtssachen C-164/97 und C-165/97, Parlament/Rat, Slg. 1999, I-1139, Randnr. 12).

14 Zum Ziel der angefochtenen Verordnung führt die Kommission aus, diese sei auf ein ordnungsgemässes Funktionieren der Zollunion und somit des Binnenmarktes gerichtet, was den Rückgriff auf Artikel 100a des Vertrages rechtfertige. Im übrigen sei der Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft im Sinne von Artikel 209a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 280 EG), also die Betrugsbekämpfung, kein eigenständiges Ziel, sondern ergebe sich aus der Errichtung der Zollunion.

15 Das Parlament macht geltend, daß die angefochtene Verordnung über den blossen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft hinausgehe. Die Begründung beziehe sich nämlich in vielerlei Hinsicht auf die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes im Sinne von Artikel 100a des Vertrages zum Gegenstand hätten.

16 Zum Inhalt der angefochtenen Verordnung führt die Kommission aus, sie umfasse die Verbesserung der gegenseitigen Amtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemässe Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung sowie die Schaffung einer zentralen Datenbank im Rahmen des ZIS, die den Mitgliedstaaten und den zuständigen Dienststellen der Kommission zugänglich sei. Artikel 100a des Vertrages sei die Rechtsgrundlage für die verstärkte Zusammenarbeit, da diese eine echte Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften erfordere. Zur Schaffung des ZIS führt die Kommission aus, das ZIS selbst sei zwar nicht dazu bestimmt, die Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu bewirken, jedoch stehe fest, daß es ohne deren Harmonisierung nicht funktionieren könne.

17 Hilfsweise trägt die Kommission vor, daß, auch wenn im Hinblick auf die Schaffung des ZIS der Rückgriff auf Artikel 235 des Vertrages erforderlich gewesen sein sollte, die Vorschriften über die Amtshilfe auf bzw. ohne Antrag gleichwohl auf Artikel 100a des Vertrages hätten gestützt werden müssen. Es stelle sich somit die Frage einer möglichen doppelten Rechtsgrundlage. Nach dem Titandioxid-Urteil sei in einem solchen Fall allein Artikel 100a heranzuziehen.

18 Nach Auffassung des Parlaments kann der Umstand, daß eine Verordnung über die Errichtung eines in den Dienst der gegenseitigen Amtshilfe gestellten Instruments (Datenbank), die sich in den Rahmen des Binnenmarktes einfüge, ausserdem dazu diene, den Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu bekämpfen, nicht die Rechtsgrundlage ändern; diese sei Artikel 100a des Vertrages.

19 Der Rat führt demgegenüber aus, anders als die angefochtene Verordnung habe die Verordnung Nr. 1468/81 das ordnungsgemässe Funktionieren der Zollunion und der gemeinsamen Agrarpolitik zum Ziel gehabt, das eine enge Zusammenarbeit der einzelstaatlichen Verwaltungen erfordert habe. Ziel der angefochtenen Verordnung sei hingegen die Betrugsbekämpfung im Rahmen der Zollunion und der gemeinsamen Agrarpolitik, die eine Zusammenarbeit zwischen diesen Verwaltungen erfordere. Der in Artikel 209a des Vertrages normierte Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft ergebe sich nicht aus der Errichtung der Zollunion, sondern sei ein eigenständiges Ziel.

20 Zum Inhalt der angefochtenen Verordnung führt der Rat aus, sie entspreche dem Ziel des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, da sie Regeln für die Organisation eines Systems der Betrugsbekämpfung schaffe, das auch die Freiheitsrechte beachte; beide Aspekte seien untrennbar miteinander verbunden. Was die Betrugsbekämpfung angehe, sei das neue System administrativer Natur, stelle eine Gemeinschaftseinrichtung dar und bezwecke, den operationellen Charakter der Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Zollwesens zu stärken. Da dieses System über die blosse Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens hinausgehe, sei der Rückgriff auf Artikel 235 des Vertrages geboten gewesen, weil die Befugnis, die Artikel 209a in seiner zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verordnung geltenden Fassung der Gemeinschaft verliehen habe, keine ausreichende Grundlage für einen solchen Rechtsakt gewesen sei.

21 Die französische Regierung trägt vor, Zweck der angefochtenen Verordnung sei nicht die Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, sondern die Betrugsbekämpfung im Rahmen der Zollunion und der gemeinsamen Agrarpolitik. Die Schaffung des ZIS ziehe zwar die Einführung einiger spezieller Datenschutzvorschriften nach sich, das bedeute jedoch nicht, daß die angefochtene Verordnung die Harmonisierung des Datenschutzes in der Gemeinschaft bezwecke.

22 Um das Ziel der angefochtenen Verordnung zu ermitteln, ist im vorliegenden Fall die Entwicklung der Bestimmungen seit dem Erlaß der Verordnung Nr. 1468/81 bis zur angefochtenen Verordnung zu berücksichtigen.

23 Ziel der Verordnung Nr. 1468/81 war das ordnungsgemässe Funktionieren der Zollunion und der gemeinsamen Agrarpolitik. Zur Erreichung dieses Zieles legte diese Verordnung die Regeln für die gegenseitige behördliche Unterstützung fest, insbesondere um Zuwiderhandlungen gegen die Zoll- und die Agrarregelung zu verhindern und zu ahnden und um alle Aktivitäten zu ermitteln, die im Widerspruch zu diesen Regelungen standen oder zu stehen schienen.

24 Die Änderung der Verordnung Nr. 1468/81 durch die Verordnung Nr. 945/87 war sodann auf die Erwägung gestützt, daß die Bedeutung der Bekämpfung von Betrügereien, die sich auf mehrere Mitgliedstaaten erstrecken, eine Verstärkung der Handlungsmöglichkeiten der Kommission und der Mitgliedstaaten in diesem Bereich rechtfertige.

25 Die angefochtene Verordnung schließlich führt in ihrer ersten Begründungserwägung aus: "Die Betrugsbekämpfung im Rahmen der Zollunion und der gemeinsamen Agrarpolitik erfordert eine enge Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden, die in den einzelnen Mitgliedstaaten mit der Durchführung der in diesen beiden Bereichen erlassenen Vorschriften betraut sind. Sie erfordert auch eine entsprechende Zusammenarbeit zwischen diesen einzelstaatlichen Behörden und der Kommission, die die Aufgabe hat, für die Anwendung des Vertrags und der aufgrund dieses Vertrags getroffenen Bestimmungen Sorge zu tragen. Eine wirksame Zusammenarbeit auf diesem Gebiet verstärkt insbesondere den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft."

26 Die zweite Begründungserwägung der angefochtenen Verordnung bezeichnet es als "somit angebracht, die Regeln festzulegen, nach denen die Amtshilfe, die die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten einander zuteil werden lassen, und die Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission zu erfolgen haben, um eine ordnungsgemässe Anwendung der Zoll- und der Agrarregelung und den Rechtsschutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu gewährleisten, und zwar insbesondere durch die Verhinderung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen gegen diese Regelungen sowie durch die Ermittlung aller Aktivitäten, die im Widerspruch zu diesen Regelungen stehen oder zu stehen scheinen".

27 Ein Vergleich der Verordnungen Nr. 1468/81, Nr. 945/87 und der angefochtenen Verordnung macht deutlich, daß, obwohl der Titel praktisch unverändert geblieben ist, sich das Ziel der Regelung schrittweise weiterentwickelt hat. Bezweckte die Zusammenarbeit nämlich anfänglich insbesondere das Funktionieren der Zoll- und der Agrarregelung, so zielt die zuletzt durch die angefochtene Verordnung eingeführte verstärkte Zusammenarbeit vorrangig auf die Betrugsbekämpfung ab und gilt somit dem Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft.

28 Auch die einschlägigen Vertragsbestimmungen sind weiterentwickelt worden. Nach dem Wortlaut des durch den Vertrag über die Europäische Union eingefügten Artikels 209a ergreifen die Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten, die gleichen Maßnahmen, die sie auch zur Bekämpfung von Betrügereien ergreifen, die sich gegen ihre eigenen finanziellen Interessen richten.

29 Entgegen dem Vorbringen der Kommission ergibt sich der Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft nicht aus der Errichtung der Zollunion, sondern ist ein eigenständiges Ziel, das im System des Vertrages seinen Platz im Fünften Teil über die Organe der Gemeinschaft, Titel II (Finanzvorschriften), gefunden hat und nicht im Dritten Teil über die Politiken der Gemeinschaft, zu denen die Zoll- und die Agrarpolitik gehören.

30 Seit dem Inkrafttreten des Artikels 209a des Vertrages ist das Ziel des finanziellen Schutzes der Gemeinschaft durch Verordnungen wie die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1) oder Verordnungen konkretisiert worden, mit denen spezielle Regeln eingeführt werden, die nur auf bestimmte Sektoren Anwendung finden.

31 So verhält es sich bei der angefochtenen Verordnung, da der Rat der Ansicht war, daß der Schutz der finanziellen Interessen im Rahmen der Zollunion und der gemeinsamen Agrarpolitik zusätzlich zur allgemein anwendbaren Regelung den Erlaß spezieller Regeln erfordere.

32 Inhaltlich sieht der Rechtsakt ein System der Zusammenarbeit sowohl zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten als auch zwischen diesen und der Kommission vor, in dessen Rahmen sich diese Verwaltungen dadurch gegenseitige Amtshilfe leisten, daß sie nach den durch die angefochtene Verordnung festgelegten Verfahren Auskünfte über Vorgänge erteilen, die der Anwendung der Zoll- oder der Agrarregelung zuwiderlaufen oder zuwiderzulaufen scheinen, oder daß sie geeignete behördliche Ermittlungen durchführen (Titel I bis III der angefochtenen Verordnung). Eine spezielle Infrastruktur, nämlich das ZIS, dessen wesentliche Bestandteile in den Randnummern 8 bis 10 des vorliegenden Urteils wiedergegeben sind, ermöglicht im übrigen einen raschen und systematischen Austausch der der Kommission übermittelten Informationen.

33 Aus dieser Regelung geht hervor, daß sie im ganzen eindeutig die Betrugsbekämpfung im Rahmen der Zollunion und der gemeinsamen Agrarpolitik zum Ziel und zum Inhalt hat, so daß sie dem Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft gilt. Da Artikel 209a des Vertrages in seiner beim Erlaß der angefochtenen Verordnung geltenden Fassung das angestrebte Ziel nannte, ohne jedoch der Gemeinschaft die Befugnis zur Schaffung eines Systems wie des in Rede stehenden zu verleihen, war der Rückgriff auf Artikel 235 des Vertrages gerechtfertigt.

34 Entgegen dem Vorbringen von Kommission und Parlament ist Artikel 100a des Vertrages im vorliegenden Fall nicht heranzuziehen.

35 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Rückgriff auf Artikel 100a nicht gerechtfertigt, wenn die vorzunehmende Handlung nur nebenbei eine Harmonisierung der Marktbedingungen innerhalb der Gemeinschaft bewirkt (vgl. u. a. Urteile vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-70/88, Parlament/Rat, Slg. 1991, I-4529, Randnr. 17, und vom 17. März 1993 in der Rechtssache C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993, I-939, Randnr. 19).

36 Es trifft zwar zu, daß nach der fünfzehnten Begründungserwägung der angefochtenen Verordnung die Mitgliedstaaten, um am Zollinformationssystem teilnehmen zu können, Rechtsvorschriften über die Rechte und Freiheiten des einzelnen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten erlassen müssen und daß sie bis zur Anwendung der einzelstaatlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31) ein Schutzniveau gewährleisten müssen, das auf den in dieser Richtlinie enthaltenen Grundsätzen beruht, doch ist, wie die französische Regierung ausgeführt und die Kommission eingeräumt hat, das ZIS selbst nicht dazu bestimmt, die Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu bewirken.

37 Der blosse Umstand, daß das ZIS nicht eingeführt werden kann, ohne daß auf Gemeinschaftsebene harmonisierte Grundsätze auf dem Gebiet des Schutzes personenbezogener Daten auf einzelstaatlicher Ebene in Kraft sind, und daß die Mitgliedstaaten und die Kommission ein Schutzniveau gewährleisten müssen, das auf den in der Richtlinie 95/46 enthaltenen Grundsätzen beruht, reicht nicht aus, um die Anwendbarkeit des Artikels 100a zu begründen, da eine solche Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nur ein Nebeneffekt dieser Regelung ist.

38 Da somit Artikel 235 des Vertrages die zutreffende Grundlage für den Erlaß der angefochtenen Verordnung bildet, ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung haben das Parlament und die Französische Republik ihre eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des Verfahrens. Das Europäische Parlament und die Französische Republik tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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