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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 25.01.1994
Aktenzeichen: C-212/91
Rechtsgebiete: EWGVtr, RL 76/768, RL 90/121, KosmetikV


Vorschriften:

EWGVtr Art. 177
RL 76/768 Art. 8 Abs. 2
RL 76/768 Art. 9
RL 76/768 Art. 10 Abs. 1
RL 76/768 Anh. II
RL 90/121 Art. 1
KosmetikV § 6a Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Nach Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 76/768 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel in ihrer geänderten Fassung werden die erforderlichen Änderungen zur Anpassung der Anhänge II bis VII der Richtlinie, insbesondere des Anhangs II über Stoffe, deren Verwendung verboten ist, nach Anhörung des Wissenschaftlichen Ausschusses für Kosmetologie auf Antrag der Kommission oder eines Mitgliedstaats beschlossen. Zwar ist dem jeweiligen Wortlaut dieser Bestimmung in den verschiedenen Sprachfassungen und einem Vergleich zwischen diesen nicht eindeutig zu entnehmen, ob die Anhörung des Ausschusses in allen Fällen stattfinden muß, jedoch ergibt eine Prüfung der Rolle des Ausschusses im Rahmen des fraglichen Verfahrens, daß seine Anhörung in allen Fällen obligatorisch ist, da mit ihr sichergestellt werden soll, daß die auf Gemeinschaftsebene getroffenen Maßnahmen notwendig und dem mit der Kosmetikrichtlinie verfolgten Zweck des Gesundheitsschutzes angemessen sind.

Da das Verfahren, nach dem die Zwölfte Richtlinie 90/121 zur Anpassung der Anhänge II, III, IV, V und VI der Richtlinie 76/768 erlassen wurde, wegen fehlender Anhörung des Wissenschaftlichen Ausschusses zu dem Verbot des Stoffes 11 Alpha OHP durch die Zwölfte Richtlinie mit einem wesentlichen Fehler behaftet ist, ist Artikel 1 dieser Richtlinie ungültig, soweit er 11 Alpha OHP und dessen Ester in die "Liste der Stoffe, die in der Zusammensetzung der kosmetischen Mittel nicht enthalten sein dürfen", in Anhang II der Richtlinie 76/768 aufnimmt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 25. JANUAR 1994. - ANGELOPHARM GMBH GEGEN FREIE UND HANSESTADT HAMBURG. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: VERWALTUNGSGERICHT HAMBURG - DEUTSCHLAND. - KOSMETISCHE MITTEL - GUELTIGKEIT DER AUFNAHME EINES STOFFES IN DIE LISTE DER STOFFE, DIE IN DER ZUSAMMENSETZUNG DER KOSMETISCHEN MITTEL NICHT ENTHALTEN SEIN DUERFEN. - RECHTSSACHE C-212/91.

Entscheidungsgründe:

1 Das Verwaltungsgericht Hamburg hat mit Beschluß vom 6. Juni 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 9. August 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, von denen die erste dahin geht, ob ein nationales Gericht daran gehindert ist, eine Bestimmung des nationalen Rechts als ungültig oder nichtig zu betrachten, die nur die Umsetzung einer Richtlinie im Sinne des Artikels 189 Absatz 3 EWG-Vertrag enthält, die zweite dahin, ob, wenn dies nicht der Fall ist, diese Richtlinie unmittelbar gilt, und die dritte dahin, ob Artikel 1 der Zwölften Richtlinie 90/121/EWG der Kommission vom 20. Februar 1990 zur Anpassung der Anhänge II, III, IV, V und VI der Richtlinie 76/768/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel an den technischen Fortschritt (ABl. L 71, S. 40; im folgenden: Zwölfte Richtlinie) gültig ist, soweit er 11-*-Hydroxypregn-4-en-3,20-dion (im folgenden: 11 Alpha OHP) und dessen Ester dem Anhang II dieser Richtlinie ("Liste der Stoffe, die in der Zusammensetzung der kosmetischen Mittel nicht enthalten sein dürfen") anfügt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Angelopharm GmbH (im folgenden: Klägerin) und der Freien und Hansestadt Hamburg über das Recht der Klägerin, ein Setaderm genanntes Erzeugnis herzustellen oder zu vertreiben.

3 Setaderm ist ein Erzeugnis, das den durch Androgene oder Erbanlagen bedingten Haarausfall verhindern soll. Es enthält 11 Alpha OHP. Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg vom 2. Dezember 1986 (OVG Bf VI 38/85) ist Setaderm ein kosmetisches Mittel.

4 Die Klägerin produzierte und vertrieb Setaderm seit Januar 1983. Aufgrund der Stellungnahme des Bundesgesundheitsamts vom 28. August 1984, wonach 11 Alpha OHP und seine Ester den Hormonhaushalt beim Mann beeinflussten und somit gesundheitsschädigend sein könnten, wurde die Verwendung von 11 Alpha OHP bei der Herstellung kosmetischer Mittel durch Artikel 1 der Neunten Verordnung zur Änderung der Kosmetik-Verordnung vom 20. März 1985 (BGBl. I S. 586) in der Bundesrepublik Deutschland verboten. Nach § 6a Absatz 1 der Kosmetik-Verordnung in seiner geänderten Fassung durften kosmetische Mittel, die 11 Alpha OHP enthielten, bis zum 31. Dezember 1986 hergestellt und bis zum 31. Dezember 1987 in den Verkehr gebracht werden.

5 Aufgrund dieser Bestimmungen stellte die Klägerin am 31. Dezember 1987 den Vertrieb von Setaderm ein. Sie erhob jedoch beim Verwaltungsgericht Hamburg Klage auf Feststellung, daß sie berechtigt sei, Setaderm auch nach diesem Zeitpunkt herzustellen und zu vertreiben.

6 Vor dem nationalen Gericht machte die Klägerin im wesentlichen geltend, 11 Alpha OHP gefährde die Gesundheit nicht, so daß seine Verwendung bei der Herstellung kosmetischer Mittel nicht verboten werden dürfe.

7 Das Verwaltungsgericht Hamburg ordnete am 8. Februar 1990 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an, um festzustellen, welche Auswirkungen 11 Alpha OHP auf die Gesundheit habe.

8 Der vom Verwaltungsgericht Hamburg bestellte Sachverständige gab sein Gutachten am 12. Oktober 1990 ab. Nach diesem Gutachten geht von 11 Alpha OHP keine Gefährdung der Gesundheit aus, es habe jedoch auch keine nachgewiesene Wirkung auf den Haarwuchs.

9 Zwischenzeitlich war die Verwendung von 11 Alpha OHP und seiner Ester bei der Herstellung kosmetischer Mittel durch die Zwölfte Richtlinie verboten worden. Nach Artikel 2 dieser Richtlinie ist das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die diesen Wirkstoff enthalten, ab 1. Januar 1991 und deren Lieferung an den Endverbraucher ab 31. Dezember 1991 verboten.

10 Die Vorschriften der Zwölften Richtlinie wurden in der Bundesrepublik Deutschland mit der Siebzehnten Verordnung zur Änderung der Kosmetik-Verordnung vom 21. März 1990 (BGBl. I S. 589) umgesetzt.

11 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts, das die Schlußfolgerungen des von ihm bestellten Sachverständigen für überzeugend hält, verstösst die deutsche Regelung, soweit sie die Verwendung von 11 Alpha OHP bei der Herstellung kosmetischer Mittel verbiete, gegen § 26 in Verbindung mit § 32 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes vom 15. August 1974 (BGBl. I S. 1945).

12 Es hat jedoch Zweifel, ob es die deutsche Regelung insoweit für ungültig erachten könne, da dann die Bestimmungen der Zwölften Richtlinie, die das gleiche Verbot enthielten, keine Wirkung mehr im innerstaatlichen Recht entfalteten.

13 Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Hamburg das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Ist das erkennende Gericht daran gehindert, eine nationale Rechtsverordnung als ungültig oder nichtig zu betrachten, wenn und soweit sie nur die Umsetzung einer Richtlinie im Sinne des Artikels 189 Absatz 3 EWG-Vertrag beinhaltet?

2) Wenn dies nicht der Fall ist, gilt dann eine Richtlinie im Sinne des Artikels 189 Absatz 3 EWG-Vertrag unmittelbar?

3) Wenn eine der vorstehenden Fragen zu bejahen ist: Ist das Verbot von 11-Alpha-Hydroxy-pregnen-3,20-dion und dessen Ester in der Zwölften Anpassungs-Richtlinie der EG-Kommission vom 20. Februar 1990 (90/121/EWG) gültig?

14 Die Vorlagefragen beziehen sich auf ein Erzeugnis, das vom vorlegenden Gericht als "kosmetisches Mittel" qualifiziert wird. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß dem Gerichtshof in der Rechtssache C-112/89 (Upjohn, Urteil vom 16. April 1991, Slg. 1991, I-1703) Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt worden waren, mit denen geklärt werden sollte, ob ein Erzeugnis, das - wie Setaderm - zur Bekämpfung des natürlichen Haarausfalls bestimmt ist, als "Arzneimittel" im Sinne der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369) oder als "kosmetisches Mittel" im Sinne der Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. L 262, S. 169; im folgenden: Kosmetikrichtlinie) anzusehen ist.

15 Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt (Urteil Upjohn, a. a. O., Randnrn. 21 bis 23), daß der Begriff des "Arzneimittels" im Sinne der Richtlinie 65/65 alle Stoffe einschließt, die eine Auswirkung auf die Körperfunktionen im eigentlichen Sinn haben können, nicht aber die Stoffe, die, wie bestimmte kosmetische Mittel, zwar auf den menschlichen Körper einwirken, sich aber nicht nennenswert auf den Stoffwechsel auswirken und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflussen. Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, daß es Sache des nationalen Gerichts ist, von Fall zu Fall die erforderlichen Qualifizierungen vorzunehmen, wobei es die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Erzeugnisses, so wie sie beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Kenntnisse festgestellt werden können, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung und seine Bekanntheit bei den Verbrauchern zu berücksichtigen hat. In diesem Urteil (Randnr. 33) hat der Gerichtshof ferner ausgeführt, daß jedes Erzeugnis, das der Definition des Arzneimittels in Artikel 1 Nr. 2 der Richtlinie 65/65 entspricht, der mit dieser Richtlinie getroffenen Regelung und nicht derjenigen über kosmetische Mittel unterworfen werden muß.

16 Die Vorlagefragen sind vorbehaltlich dieser Ausführungen zu prüfen, deren Zweckdienlichkeit und Folgen für das Ausgangsverfahren das mit diesem Verfahren befasste vorlegende Gericht zu beurteilen hat.

17 Das vorlegende Gericht fragt, ob es die Rechtmässigkeit einer nationalen Rechtsverordnung, der Siebzehnten Verordnung zur Änderung der Kosmetik-Verordnung vom 21. März 1990, prüfen darf, mit der ein in einer Gemeinschaftsrichtlinie vorgesehenes Verbot, nämlich das in der Zwölften Richtlinie vorgesehene Verbot von 11 Alpha OHP, in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist und deren Bestimmungen mit denen der Richtlinie im wesentlichen übereinstimmen.

18 Die ersten beiden Fragen des Verwaltungsgerichts Hamburg sind für das Ausgangsverfahren nur dann von Bedeutung, wenn die fraglichen Richtlinienbestimmungen gültig sind. Bestimmungen einer Gemeinschaftsrichtlinie können nämlich der Beurteilung der Anwendung der nationalen Verordnung durch das vorlegende Gericht dann nicht entgegenstehen, wenn sie ungültig und damit im Ausgangsverfahren nicht anwendbar sind. Daher ist zunächst zu prüfen, ob - gemäß der dritten Frage des vorlegenden Gerichts - die Bestimmungen des Artikels 1 der Zwölften Richtlinie gültig sind, durch die 11 Alpha OHP und seine Ester in die "Liste der Stoffe, die in der Zusammensetzung der kosmetischen Mittel nicht enthalten sein dürfen", in Anhang II der mehrmals geänderten Kosmetikrichtlinie aufgenommen wurden; danach ist - gemäß der ersten und der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts - zu untersuchen, welche Folgen das Bestehen einer gültigen und mit der nationalen Regelung sachlich übereinstimmenden Richtlinie für die Entscheidung des Rechtsstreits durch das vorlegende Gericht hat.

Zur Gültigkeit der Richtlinie

19 Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Bestimmungen der Zwölften Richtlinie, die 11 Alpha OHP beträfen, seien wegen Verstosses gegen wesentliche Formvorschriften und Vorschriften des Gemeinschaftsrechts für ungültig zu erklären.

20 Zum ersten Punkt macht die Klägerin insbesondere geltend, der Wissenschaftliche Ausschuß für Kosmetologie müsse nach Artikel 8 Absatz 2 der Kosmetikrichtlinie zu allen Änderungen der Anhänge II bis VII der Kosmetikrichtlinie gehört werden, er sei aber zur Aufnahme von 11 Alpha OHP und dessen Ester in den Anhang II der Richtlinie nicht gehört worden.

21 Nach Ansicht der Kommission, der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs schreibt Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie dagegen eine Anhörung des Ausschusses nur vor, wenn ein Mitgliedstaat oder die Kommission dies beantragten, was im vorliegenden Fall nicht geschehen sei.

22 Um die Tragweite dieses Vorbringens beurteilen zu können, ist eine Darstellung der Verfahrensregelung zweckmässig, zu der Artikel 8 Absatz 2 der Kosmetikrichtlinie gehört.

23 Artikel 9 der Kosmetikrichtlinie sieht die Einsetzung eines Ausschusses für die Anpassung der Richtlinien zur Beseitigung der technischen Handelshemmnisse auf dem Sektor der kosmetischen Mittel an den technischen Fortschritt vor, der in der Kosmetikrichtlinie als "Ausschuß" bezeichnet wird, aus Vertretern der Mitgliedstaaten besteht und bei dem ein Vertreter der Kommission den Vorsitz führt.

24 Artikel 10 der Kosmetikrichtlinie bestimmt in seiner geänderten Fassung:

"(1) Wird auf das in diesem Artikel festgelegte Verfahren Bezug genommen, so befasst der Vorsitzende den Ausschuß von sich aus oder auf Antrag des Vertreters eines Mitgliedstaats.

(2) Der Vertreter der Kommission unterbreitet dem Ausschuß einen Entwurf der in Aussicht genommenen Maßnahmen. Der Ausschuß nimmt zu diesem Entwurf innerhalb einer Frist Stellung, die der Vorsitzende nach Maßgabe der Dringlichkeit der betreffenden Frage bestimmen kann. Die Stellungnahme kommt mit einer Mehrheit von 54 Stimmen zustande, wobei die Stimmen der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags gewogen werden. Der Vorsitzende nimmt an der Abstimmung nicht teil.

(3) a) Die Kommission trifft die in Aussicht genommenen Maßnahmen, wenn sie der Stellungnahme des Ausschusses entsprechen.

b) Entsprechen die in Aussicht genommenen Maßnahmen nicht der Stellungnahme des Ausschusses oder ist keine Stellungnahme ergangen, so schlägt die Kommission dem Rat unverzueglich die zu treffenden Maßnahmen vor.

Der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit.

c) Hat der Rat nach Ablauf einer Frist von drei Monaten, nachdem der Vorschlag übermittelt worden ist, keinen Beschluß gefasst, so werden die vorgeschlagenen Maßnahmen von der Kommission getroffen."

25 Artikel 8 Absatz 2 der Kosmetikrichtlinie bestimmt in seiner geänderten Fassung:

"Nach dem... Verfahren [des Artikels 10 der Richtlinie] werden - nach Anhörung des Wissenschaftlichen Ausschusses für Kosmetologie auf Antrag der Kommission oder eines Mitgliedstaats - die erforderlichen Änderungen zur Anpassung der Anhänge II bis VII an den technischen Fortschritt beschlossen."

26 Dem jeweiligen Wortlaut des Artikels 8 der Kosmetikrichtlinie in den verschiedenen Sprachfassungen und einem Vergleich zwischen diesen ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob die Anhörung des Ausschusses in allen Fällen stattfinden muß. Der Aufbau des Satzes sowie die in den einzelnen Sprachfassungen der Richtlinie benutzten Wendungen und Begriffe lassen nämlich zwei Auslegungen dieses Artikels zu. Er kann dahin ausgelegt werden, daß der Wissenschaftliche Ausschuß nur zusammentritt, wenn die Kommission oder ein Mitgliedstaat dies wünscht. Er kann jedoch auch dahin ausgelegt werden, daß es zwar Sache der Kommission oder der Mitgliedstaaten ist, den Antrag auf Zusammentreten des Ausschusses zu stellen, daß dessen Anhörung jedoch in allen Fällen obligatorisch ist.

27 Diese Ungewißheit hinsichtlich der Bedeutung des Artikels 8 Absatz 2 der Kosmetikrichtlinie wird noch verstärkt, wenn man die Formulierung dieses Artikels mit ähnlichen Formulierungen in den Artikeln 8a Absatz 3 und 10 Absatz 1 dieser Richtlinie vergleicht.

28 Obwohl Artikel 8 Absatz 2 wie auch Artikel 8a Absatz 3 der Kosmetikrichtlinie auf die Richtlinie 82/368/EWG des Rates vom 17. Mai 1982 zur zweiten Änderung der Richtlinie 76/768/EWG (ABl. L 167, S. 1) zurückgehen und vergleichbare Beschlußverfahren mit Beteiligung des Wissenschaftlichen Ausschusses eingeführt haben, enthalten diese beiden Vorschriften in bezug auf die Anhörung dieses Ausschusses nicht in allen Sprachfassungen der Richtlinie die gleiche Formulierung. Bestimmte Sprachfassungen der beiden Artikel - wie die deutsche und die niederländische - verwenden die gleiche Formulierung, während andere Sprachfassungen - wie die englische, die französische und die griechische - unterschiedliche Formulierungen verwenden. Die in der dänischen Fassung gewählten Formulierungen weichen in ihrem Wortlaut sogar erheblich voneinander ab. So heisst es in Artikel 8 Absatz 2: "efter at Det videnskabelige udvalg for Kosmetologi paa foranledning af Kommissionen eller en medlemsstat har väret hört" und in Artikel 8a Absatz 3: "og, saafremt Kommissionen eller en medlemsstat önsker det, efter samraad med Det videnskabelige udvalg for Kosmetologi". Somit lässt sich selbst dann, wenn man davon ausgeht, daß die Anhörung des Wissenschaftlichen Ausschusses im Rahmen des Artikels 8a Absatz 3 fakultativ ist, in Ermangelung eines Hinweises in den Begründungserwägungen oder den übrigen Bestimmungen der Richtlinie 82/368 nicht sagen, ob der Gemeinschaftsgesetzgeber Artikel 8 Absatz 2 und Artikel 8a Absatz 3 insoweit den gleichen Inhalt geben wollte.

29 Artikel 10 Absatz 1 der Kosmetikrichtlinie seinerseits betrifft die Anhörung des nach Artikel 9 dieser Richtlinie eingesetzten Ausschusses für die Anpassung der Richtlinien an den technischen Fortschritt. Angesichts der Systematik des Artikels 10 ist offensichtlich, daß die Anhörung dieses Ausschusses obligatorisch ist. Zur Festlegung der Voraussetzungen für die Befassung dieses Ausschusses hat der Gemeinschaftsgesetzgeber jedoch die gleichen Ausdrücke oder Wendungen wie in den Artikeln 8 Absatz 2 und 8a Absatz 3 gewählt, da er eine Anhörung dieses Ausschusses durch Befassung durch den Vertreter der Kommission oder auf "Antrag" eines Mitgliedstaats vorgesehen hat.

30 Zur Beseitigung der Mehrdeutigkeit des Wortlauts des Artikels 8 Absatz 2 der Kosmetikrichtlinie und um beurteilen zu können, ob die Anhörung des Wissenschaftlichen Ausschusses fakultativ oder obligatorisch ist, ist daher auf die Rolle dieses Ausschusses im Rahmen des Verfahrens zur Anpassung der Anhänge II bis VII der Kosmetikrichtlinie abzustellen.

31 Wie u. a. aus den Begründungserwägungen der Richtlinien 76/768, 82/368 und 90/121 hervorgeht, beruhen die Ausarbeitung und die Anpassung der Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der kosmetischen Mittel auf wissenschaftlichen und technischen Beurteilungen, die sich auf die neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung stützen müssen und oft komplexer Natur sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, ob ein Stoff gesundheitsgefährdend ist oder nicht.

32 Wie die Kommission aber vor dem Gerichtshof selbst eingeräumt hat, ist sie nicht in der Lage, diese Beurteilungen selbst vorzunehmen. So konnte sie weder darlegen, aus welchen Gründen 11 Alpha OHP ein zu verbietender gefährlicher Stoff sei, noch war sie in der Lage, die Schlußfolgerungen des vom Verwaltungsgericht Hamburg bestellten Sachverständigen innerhalb der ihr vom Gerichtshof gesetzten Frist zu würdigen, obwohl diese Frist erst sehr lange nach dem Erlaß des Verbots von 11 Alpha OHP in der Zwölften Richtlinie wie auch der Vorlage des Gutachtens des Sachverständigen abgelaufen ist.

33 Der nur aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission zusammengesetzte Ausschuß für die Anpassung der Richtlinien an den technischen Fortschritt ist ebensowenig zu dieser Beurteilung in der Lage. Dieser Ausschuß muß nämlich, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs in ihren mündlichen Ausführungen vor dem Gerichtshof hervorgehoben hat, bei der Prüfung wissenschaftlicher und technischer Fragen rein tatsächlich und unabhängig davon, ob dies in einer besonderen Vorschrift vorgesehen ist, durch von den Mitgliedstaaten entsandte Sachverständige unterstützt werden.

34 Aufgabe des Wissenschaftlichen Ausschusses ist es demgegenüber, die Gemeinschaftsbehörden bei der Beantwortung wissenschaftlicher und technischer Fragen zu unterstützen, um es ihnen zu ermöglichen, in umfassender Sachkenntnis die notwendigen Anpassungsmaßnahmen zu beschließen.

35 Aus den Begründungserwägungen des Beschlusses 78/45/EWG der Kommission vom 19. Dezember 1977 zur Einsetzung eines Wissenschaftlichen Ausschusses für Kosmetologie (ABl. 1978, L 13, S. 24) geht nämlich hervor, daß der Wissenschaftliche Ausschuß - der aus hochqualifizierten Persönlichkeiten aus Fachgebieten zusammengesetzt ist, die für die Kosmetologie von Bedeutung sind, wie Medizin, Toxikologie, Biologie oder Chemie - geschaffen wurde, um der Kommission die Mitarbeit zuteil werden zu lassen, die zur Prüfung komplexer wissenschaftlicher und technischer Fragen notwendig ist, die bei der Ausarbeitung und Anpassung der Gemeinschaftsvorschriften für kosmetische Mittel aufgeworfen werden.

36 Wie die Kommission vor dem Gerichtshof eingeräumt hat, lässt sich durch die Anhörung dieses Ausschusses im Rahmen des Verfahrens zur Anpassung der Anhänge der Kosmetikrichtlinie gewährleisten, daß die Maßnahmen wissenschaftlich fundiert sind, daß sie dem neuesten Stand der wissenschaftlichen und technischen Forschung Rechnung tragen und daß nur dann Verbote ausgesprochen werden, wenn dies für die öffentliche Gesundheit erforderlich ist.

37 Die von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vertretene Auffassung, die Anhörung des Wissenschaftlichen Ausschusses sei nur dann erforderlich, wenn die Verwendung eines Stoffes bei der Herstellung kosmetischer Mittel zugelassen werden solle, ist nicht haltbar. Zum einen unterscheidet keine Bestimmung der Kosmetikrichtlinie danach, ob es sich bei der geplanten Maßnahme um das Verbot oder um die Zulassung der Verwendung des Stoffes handelt. Zum anderen würde die Kommission gegen die Vorschriften der Kosmetikrichtlinie verstossen, wenn sie die Verwendung eines Stoffes verböte, der angesichts der neuesten Ergebnisse der wissenschaftlichen und technischen Forschung als völlig ungefährlich angesehen werden könnte.

38 Da mit der Anhörung des Wissenschaftlichen Ausschusses sichergestellt werden soll, daß die auf Gemeinschaftsebene getroffenen Maßnahmen notwendig und dem mit der Kosmetikrichtlinie verfolgten Zweck des Gesundheitsschutzes angemessen sind, ist diese Anhörung somit in allen Fällen obligatorisch.

39 Diese Auslegung wird durch die Neufassung des Artikels 8 Absatz 2 durch die Richtlinie 93/35/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur sechsten Änderung der Richtlinie 76/768/EWG (ABl. L 151, S. 32) bestätigt, deren Bestimmungen freilich auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind. Artikel 8 Absatz 2 der Kosmetikrichtlinie in seiner neuen Fassung schreibt die Anhörung des Wissenschaftlichen Ausschusses ohne nähere Angaben vor, so daß es sich hierbei eindeutig um eine zwingende Formvorschrift handelt. Die Begründungserwägungen enthalten jedoch keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Tragweite des Artikels 8 Absatz 2 der Kosmetikrichtlinie in diesem wesentlichen Punkt hätte ändern und insbesondere eine ursprünglich nicht zwingende Formvorschrift zu einer zwingenden hätte machen wollen.

40 In Beantwortung der schriftlichen Fragen des Gerichtshofes hat die Kommission darauf hingewiesen, daß der Wissenschaftliche Ausschuß zwar zu Maßnahmen, die hinsichtlich bestimmter in der Zwölften Richtlinie genannter Stoffe erlassen worden seien, nicht aber zum Verbot von 11 Alpha OHP gehört worden sei.

41 Das Verfahren, nach dem die Zwölfte Richtlinie erlassen wurde, ist demnach mit einem wesentlichen Fehler behaftet, der zur Ungültigkeit der Richtlinie führt, soweit diese die Verwendung von 11 Alpha OHP bei der Herstellung kosmetischer Mittel verbietet.

42 Infolgedessen ist auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, daß Artikel 1 der Zwölften Richtlinie ungültig ist, soweit er 11 Alpha OHP und dessen Ester in die "Liste der Stoffe, die in der Zusammensetzung der kosmetischen Mittel nicht enthalten sein dürfen", in den Anhang II der Kosmetikrichtlinie aufnimmt.

Zur ersten und zur zweiten Vorlagefrage

43 Wie in Randnummer 18 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, sind die erste und die zweite Frage für das Ausgangsverfahren nur dann von Bedeutung, wenn die angewandte Richtlinie gültig ist.

44 In Anbetracht der Antwort auf die dritte Frage erübrigt sich eine Beantwortung der ersten beiden Fragen.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Die Auslagen der deutschen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Verwaltungsgericht Hamburg mit Beschluß vom 6. Juni 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 1 der Zwölften Richtlinie 90/121/EWG der Kommission vom 20. Februar 1990 zur Anpassung der Anhänge II, III, IV, V und VI der Richtlinie 76/768/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel ist ungültig, soweit er 11 Alpha OHP und dessen Ester in die "Liste der Stoffe, die in der Zusammensetzung der kosmetischen Mittel nicht enthalten sein dürfen", aufnimmt.

Ende der Entscheidung

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