Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.05.2001
Aktenzeichen: C-223/99
Rechtsgebiete: Richtlinie 92/50/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 92/50/EWG Art. 1 Buchst. b Unterabs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Nach Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge ist eine Einrichtung des öffentlichen Rechts eine Einrichtung, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfuellen, die nicht gewerblicher Art sind, die Rechtspersönlichkeit besitzt und die in enger Abhängigkeit vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts steht.

Die erste Voraussetzung liegt bei einer Einrichtung nicht vor, deren Zweck in der Durchführung von Tätigkeiten besteht, die darauf gerichtet sind, Messeveranstaltungen, Ausstellungen und sonstige vergleichbare Vorhaben auszurichten, die keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, deren Geschäftsführung aber an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten ist, und die in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig wird.

( vgl. Randnrn. 25, 43 und Tenor )


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 10. Mai 2001. - Agorà Srl und Excelsior Snc di Pedrotti Bruna & C. gegen Ente Autonomo Fiera Internazionale di Milano und Ciftat Soc. coop. arl. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia - Italienn. - Öffentliche Dienstleistungsaufträge - Begriff des öffentlichen Auftraggebers - Einrichtung des öffentlichen Rechts. - Verbundene Rechtssachen C-223/99 und C-260/99.

Parteien:

In den verbundenen Rechtssachen C-223/99 und C-260/99

betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) in den bei diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten

Agorà Srl

gegen

Ente Autonomo Fiera Internazionale di Milano,

und

Excelsior Snc di Pedrotti Bruna & C.

gegen

Ente Autonomo Fiera Internazionale di Milano,

Ciftat soc. coop. arl

vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. La Pergola sowie der Richter M. Wathelet, D. A. O. Edward, P. Jann (Berichterstatter) und L. Sevón,

Generalanwalt: S. Alber

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Agorà Srl, vertreten durch L. Tamos und C. Piana, avvocati,

- der Excelsior Snc di Pedrotti Bruna & C., vertreten durch E. Brambilla, avvocatessa,

- des Ente Autonomo Fiera Internazionale di Milano, vertreten durch M. Bassani und A. Tizzano, avvocati,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Nolin als Bevollmächtigten im Beistand von M. Moretto, avvocato,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Agorà Srl, vertreten durch L. Tamos, des Ente Autonomo Fiera Internazionale di Milano, vertreten durch M. Bassani und F. Sciaudone, avvocato, und der Kommission, vertreten durch M. Nolin im Beistand von M. Moretto, in der Sitzung vom 30. November 2000,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Januar 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia hat mit Beschlüssen vom 26. und 27. November 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juni und 13. Juli 1999, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1, nachfolgend: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen der Agorà Srl (nachfolgend: Agorà) und der Excelsior Snc di Pedrotti Bruna & C. (nachfolgend: Excelsior) einerseits und dem Ente Autonomo Fiera Internazionale di Milano (Selbstverwaltungskörperschaft für die Internationale Messe Mailand, nachfolgend: Ente Fiera) andererseits, bei denen es u. a. darum geht, ob Letzterer ein öffentlicher Auftraggeber im Sinn der Richtlinie ist.

Rechtlicher Rahmen

3 Artikel 1 der Richtlinie bestimmt:

Im Sinne dieser Richtlinie

...

b) gelten als ,öffentliche Auftraggeber... der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen bestehen.

Als ,Einrichtung des öffentlichen Rechts gilt jede Einrichtung,

- die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfuellen, die nicht gewerblicher Art sind, und

- die Rechtspersönlichkeit besitzt und

- die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.

Die Verzeichnisse der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und der Kategorien solcher Einrichtungen, die die in Unterabsatz 2 dieses Buchstabens genannten Kriterien erfuellen, sind in Anhang I der Richtlinie 71/305/EWG enthalten. Diese Verzeichnisse sind so vollständig wie möglich und können nach dem Verfahren gemäß Artikel 30b der Richtlinie 71/305/EWG revidiert werden;

..."

Die Ausgangsverfahren

4 Der Ente Fiera wurde Anfang des vergangenen Jahrhunderts als Komitee gegründet und 1922 in eine juristische Person des Privatrechts umgewandelt. Artikel 1 seiner Satzung bestimmte in der für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung:

1. Zweck des Ente Autonomo Fiera Internazionale di Milano... ist die Durchführung und Unterstützung von Tätigkeiten aller Art, die darauf gerichtet sind, Messeveranstaltungen, Kongressaktivitäten oder sonstige Vorhaben auszurichten, mit denen zum Wohle des Handels die Präsentation der Herstellung von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen und gegebenenfalls deren Absatz gefördert wird. Der Ente verfolgt keine Gewinnerzielungsabsicht und übt im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeiten aus. Er wird nach den Grundsätzen des Codice civile tätig.

2. Die Geschäftsführung des Ente ist an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten.

3. Der Ente kann alle Geschäfte tätigen, die ihm nicht durch Gesetz oder seine Satzung untersagt sind, einschließlich Finanzgeschäften, der Aufnahme von Darlehen und der Stellung kaufmännischer Mobiliar- oder Immobiliarsicherheiten zur Erreichung seines Zweckes; er kann darüber hinaus Gesellschaften oder Einrichtungen gründen, die einen gleichartigen, ähnlichen oder mit seinem eigenen Zweck zusammenhängenden Zweck verfolgen, und er kann sich an solchen Gesellschaften und Einrichtungen beteiligen oder Anteile hieran übernehmen."

5 Nach Artikel 3 der Satzung in der im entscheidungserheblichen Zeitraum geltenden Fassung hat der Ente mit den Einnahmen aus der Ausübung seiner Tätigkeit, aus der Geschäftsführung, einschließlich der außerordentlichen, und aus der Verwaltung seines Vermögens sowie mit den Beiträgen von Einrichtungen und Personen für die Erreichung des Zweckes, zu dem er gegründet wurde, Sorge zu tragen".

Sachverhalt in der Rechtssache C-223/99

6 Agorà beantragte mit Schreiben vom 2. Dezember 1997, das am 24. Dezember 1997 ergänzt wurde, beim Ente Fiera, ihr gemäß Artikel 25 des Gesetzes Nr. 241 vom 7. August 1990 betreffend die Neuregelung des Verwaltungsverfahrens und des Zugangsrechts zu Verwaltungsunterlagen (GURI Nr. 192 vom 18. August 1990, S. 7) die in einer Bekanntmachung eines Auftrags vom 2. August 1997 genannten Unterlagen über ein Verfahren zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrags über die Miete von Ausstattungsteilen und Einrichtungskomponenten für Empfangszonen und Informationsstände zu übermitteln.

7 Mit Entscheidung vom 5. Januar 1998 verweigerte der Ente Fiera die Übermittlung der betreffenden Unterlagen mit der Begründung, er sei nicht an die Transparenzgebote gemäß der Regelung für öffentliche Aufträge gebunden.

8 Agorà focht diese Entscheidung beim Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia an, das ihrer Klage mit Urteil vom 3. März 1998 stattgab.

9 Auf ein Rechtsmittel des Ente Fiera stellte die Sechste Abteilung des italienischen Consiglio di Stato mit Entscheidung vom 8. Juli 1998 einen Mangel fest, der das gesamte Verfahren im ersten Rechtszug beeinträchtige, und verwies deshalb die Sache an das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia zurück.

10 Mit am 19. Oktober 1998 zugestelltem Schriftsatz beantragte Agorà bei diesem Gericht erneut die Übermittlung der Unterlagen und trug vor, dass zur Frage der Anwendbarkeit der Regelung für öffentliche Dienstleistungsaufträge auf den Ente Fiera der Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen sei.

11 In seinem Vorlagebeschluss führt das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia aus, dass die Geltung der von Agorà behaupteten Verpflichtung des Ente Fiera, die Transparenzgebote zu beachten, davon abhänge, ob dieser als öffentlicher Auftraggeber einzustufen sei. Dazu verweist es einerseits auf das Urteil Nr. 353 vom 21. April 1995 des Consiglio di Stato sowie auf sein eigenes Urteil Nr. 1365 vom 17. November 1995, nach denen der Ente Fiera eine Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des Artikels 1 Buchstabe b der Richtlinie sei, und andererseits auf das Urteil Nr. 1267 vom 16. September 1998, mit dem der Consiglio di Stato seine Rechtsprechung geändert und entschieden habe, dass der Ente Fiera eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe.

Sachverhalt in der Rechtssache C-260/99

12 Mit Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 29. Juli 1997 veröffentlichte der Ente Fiera eine beschränkte Ausschreibung für die Reinigung seines Messegeländes für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1998 mit einer Verlängerungsmöglichkeit für zwei Jahre.

13 Excelsior beteiligte sich am Ausschreibungsverfahren für vier der fünf ausgeschriebenen Einheiten. Nach Abschluss des Verfahrens wurde die Einheit Nr. 3 an das Konsortium Miles vergeben. Im weiteren Verlauf kündigte der Ente Fiera jedoch unter Berufung auf eine schwere Vertragsverletzung des Konsortiums den mit diesem geschlossenen Vertrag. Danach wurde die betreffende Einheit vorübergehend für die Zeit vom 13. Februar bis zum 30. Juni 1998 an die Ciftat soc. coop. arl (nachfolgend: Ciftat) vergeben. Am 7. März 1998 wurde im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften eine neue Ausschreibung für die Einheit Nr. 3 für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1998 mit einer Verlängerungsmöglichkeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1999 und vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2000 veröffentlicht.

14 Mit am 10. und 11. April 1998 zugestellter Klage focht Excelsior beim vorlegenden Gericht die vorübergehende Vergabe der Einheit Nr. 3 an Ciftat und die im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 7. März 1998 veröffentlichte Neuausschreibung für diese Einheit an.

15 Vor diesem Hintergrund hat das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende, in beiden Rechtssachen gleichlautende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Lässt sich der Begriff der Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/50/EWG vom 18. Juni 1992 auf den Ente Autonomo Fiera Internazionale di Milano anwenden?

16 Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 14. September 1999 sind die beiden Rechtssachen C-223/99 und C-260/99 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage in der Rechtssache C-223/99

17 Der Ente Fiera macht vorab geltend, die in der Rechtssache C-223/99 vorgelegte Frage sei unzulässig, da es im Ausgangsverfahren um die Anwendung der italienischen Transparenzvorschriften und nicht um die Anwendung der Regelung über öffentliche Aufträge gehe. Die etwaige Einordnung des Ente Fiera als Einrichtung des öffentlichen Rechts habe folglich keine Auswirkungen auf das Ausgangsverfahren, das das Zugangsrecht zu Verwaltungsunterlagen betreffe.

18 Insoweit genügt der Hinweis, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der durch Artikel 234 EG geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. u. a. Urteil vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59).

19 Hier hat das vorlegende Gericht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es die Auslegung von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie für seine Entscheidung darüber für erforderlich hält, ob der Ente Fiera die nationalen Transparenzvorschriften zu beachten hat, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind.

20 Der Gerichtshof kann es aber nur ablehnen, über eine von einem nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage zu befinden, wenn offensichtlich ist, dass die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteil Bosman, Randnr. 61).

21 Daraus folgt, dass die Vorlagefrage in der Rechtssache C-223/99 zulässig ist.

Zur Vorlagefrage

22 So wie die Vorlagefrage vom vorlegenden Gericht formuliert ist, betrifft sie die Anwendung des Begriffes der Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinn des Artikels 1 Buchstabe b der Richtlinie auf eine bestimmte Einrichtung, nämlich den Ente Fiera.

23 Im Rahmen der in Artikel 234 EG festgelegten Aufgabenverteilung ist es Sache des nationalen Gerichts, die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wurden, auf einen konkreten Fall anzuwenden (vgl. Urteile vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-320/88, Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I-285, Randnr. 11, und vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-107/98, Teckal, Slg. 1999, I-8121, Randnr. 31).

24 Dem Gerichtshof kommt es dagegen zu, aus den gesamten vom nationalen Gericht gemachten Angaben, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen gemeinschaftsrechtlichen Elemente herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Streitgegenstands einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 20. März 1986 in der Rechtssache 35/85, Tissier, Slg. 1986, 1207, Randnr. 9).

25 Daher ist zum einen festzustellen, dass die Frage die Auslegung von Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie betrifft, wonach eine Einrichtung des öffentlichen Rechts eine Einrichtung ist, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfuellen, die nicht gewerblicher Art sind, die Rechtspersönlichkeit besitzt und die in enger Abhängigkeit vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts steht.

26 Die in dieser Vorschrift genannten drei Tatbestandsmerkmale müssen dabei gleichzeitig vorliegen (Urteil vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-44/96, Mannesmann Anlagenbau Austria u. a., Slg. 1998, I-73, Randnr. 21).

27 Aus den beiden Vorlagebeschlüssen geht zum anderen hervor, dass der Ente Fiera nach Ansicht des nationalen Gerichts jedenfalls zwei dieser drei Merkmale erfuellt und dass sich das Gericht nur die Frage stellt, ob diese Einrichtung zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfuellen, die nicht gewerblicher Art sind.

28 Ferner ergibt sich aus Artikel 1 der Satzung des Ente Fiera, dass sein Zweck die Durchführung und Unterstützung von Tätigkeiten aller Art ist, die darauf gerichtet sind, Messeveranstaltungen, Kongressaktivitäten oder sonstige Vorhaben auszurichten, mit denen zum Wohle des Handels die Präsentation der Herstellung von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen und gegebenenfalls deren Absatz gefördert wird.

29 Wie die Kommission geltend macht, wird eine solche Tätigkeit auf internationaler Ebene von verschiedenen Marktbeteiligten ausgeübt, die in den großen Städten der einzelnen Mitgliedstaaten niedergelassen sind und miteinander im Wettbewerb stehen.

30 Im Übrigen verfolgt der Ente Fiera keine Gewinnerzielungsabsicht, doch ist seine Geschäftsführung an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten.

31 Daraus folgt, dass die Vorabentscheidungsfrage als Frage danach zu verstehen ist, ob eine Einrichtung, deren Zweck in der Durchführung von Tätigkeiten besteht, die darauf gerichtet sind, Messeveranstaltungen, Ausstellungen und sonstige vergleichbare Vorhaben auszurichten, die keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, deren Geschäftsführung aber an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten ist, und die in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig wird, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art im Sinne des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie erfuellt.

32 Zur Beantwortung der so umformulierten Frage ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie zwischen den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art einerseits und den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben gewerblicher Art andererseits unterscheidet (Urteil vom 10. November 1998 in der Rechtssache C-360/96, BFI Holding, Slg. 1998, I-6821, Randnr. 36).

33 Hierzu ist zum einen festzustellen, dass die Tätigkeiten der Ausrichtung von Messeveranstaltungen, Ausstellungen und sonstigen vergleichbaren Vorhaben im Allgemeininteresse liegen.

34 Denn indem der Ausrichter solcher Veranstaltungen Hersteller und Händler an einem Ort zusammenbringt, handelt er nicht nur im besonderen Interesse dieser Personengruppen, denen damit ein Ort zur Förderung des Absatzes ihrer Erzeugnisse und Waren zur Verfügung gestellt wird, sondern er verschafft auch den Verbrauchern, die diese Veranstaltungen besuchen, Informationen, die es ihnen ermöglichen, ihre Wahl unter optimalen Bedingungen zu treffen. Der daraus resultierende Impuls für den Handel kann als im Allgemeininteresse liegend angesehen werden.

35 Zum anderen ist anhand der in den Akten enthaltenen Informationen zu prüfen, ob die betreffenden Aufgaben nichtgewerblicher Art sind.

36 Dazu ist zweckmäßigerweise die Auflistung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts in Anhang I der Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 185, S. 5) in der Fassung der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 199, S. 54) heranzuziehen, auf den Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 verweist. Dieses Verzeichnis ist zwar nicht abschließend, soll aber so vollständig wie möglich sein.

37 Aus diesem Verzeichnis ergibt sich, dass es sich im Allgemeinen um Aufgaben handelt, die zum einen auf andere Art als durch das Anbieten von Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt erfuellt werden und die der Staat zum anderen aus Gründen des Allgemeininteresses selbst erfuellen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte (siehe in diesem Sinn Urteil BFI Holding, Randnrn. 50 und 51).

38 Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass der Begriff der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art Aufgaben nicht ausschließt, die auch von Privatunternehmen erfuellt werden oder erfuellt werden könnten (Urteil BFI Holding, Randnr. 53), er hat aber auch ausgeführt, dass das Vorliegen eines entwickelten Wettbewerbs und insbesondere der Umstand, dass die betreffende Einrichtung auf dem Markt im Wettbewerb steht, darauf hinweisen kann, dass es sich nicht um eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art handelt (Urteil BFI Holding, Randnr. 49).

39 Die Ausrichtung von Messen, Ausstellungen und sonstigen vergleichbaren Vorhaben ist aber eine wirtschaftliche Tätigkeit, die darin besteht, Dienstleistungen auf dem Markt anzubieten. Aus den Akten ergibt sich hier, dass die betreffende Einrichtung diese Dienstleistungen für die Aussteller gegen Entgelt erbringt. Mit ihrer Tätigkeit erfuellt sie wirtschaftliche Bedürfnisse, nämlich zum einen das der Aussteller, die auf diese Weise eine Förderung des Absatzes der von ihnen ausgestellten Waren oder Dienstleistungen erfahren, und zum anderen das der Besucher, sich im Hinblick auf etwaige Kaufentscheidungen zu informieren.

40 Ferner arbeitet die betreffende Einrichtung, auch wenn sie keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, doch nach Artikel 1 ihrer Satzung nach Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien. Da kein Mechanismus zum Ausgleich etwaiger finanzieller Verluste vorgesehen ist, trägt sie selbst das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit.

41 Außerdem liefert auch die Erläuternde Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Regeln des Binnenmarkts auf das Messe- und Ausstellungswesen (ABl. 1998, C 143, S. 2) einen Anhaltspunkt, der den gewerblichen Charakter der Veranstaltung von Messen und Ausstellungen bestätigt. Diese Mitteilung soll u. a. erläutern, wie die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit den Ausrichtern von Messen und Ausstellungen zugute kommen. Aus ihr ergibt sich, dass es sich nicht um Aufgaben handelt, die der Staat im Allgemeinen selbst erfuellen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte.

42 Schließlich spricht auch der Umstand, dass eine Einrichtung wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig wird, was vom nationalen Gericht unter Berücksichtigung ihrer gesamten Tätigkeit sowohl auf internationaler als auch auf nationaler und regionaler Ebene zu prüfen ist, für die Auslegung, dass die Tätigkeit der Ausrichtung von Messen und Ausstellungen nicht das in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie festgelegte Kriterium erfuellt.

43 Folglich ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass eine Einrichtung,

- deren Zweck in der Durchführung von Tätigkeiten besteht, die darauf gerichtet sind, Messeveranstaltungen, Ausstellungen und sonstige vergleichbare Vorhaben auszurichten,

- die keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, deren Geschäftsführung aber an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten ist,

- und die in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig wird,

keine Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

44 Die Auslagen der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia mit Beschlüssen vom 26. und 27. November 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Eine Einrichtung,

- deren Zweck in der Durchführung von Tätigkeiten besteht, die darauf gerichtet sind, Messeveranstaltungen, Ausstellungen und sonstige vergleichbare Vorhaben auszurichten,

- die keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, deren Geschäftsführung aber an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten ist,

- und die in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig wird,

ist keine Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge.

Ende der Entscheidung

Zurück