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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 09.12.2003
Aktenzeichen: C-224/03
Rechtsgebiete: Verfahrensordnung


Vorschriften:

Verfahrensordnung Art. 92 § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Beschluss des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 9. Dezember 2003. - Italienische Republik gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Übergang von der EGKS-Regelung zur EG-Regelung - Feststellungsantrag - Unzuständigkeit des Gerichtshofes. - Rechtssache C-224/03.

Parteien:

In der Rechtssache C-224/03

Italienische Republik, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von M. Fiorilli, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch L. Pignataro und A. Whelan als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Feststellung, dass gemäß Artikel 97 KS seit dem 24. Juli 2002 die Befugnisse und die Zuständigkeit der Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf den Gebieten, die gemäß dem EGKS-Vertrag der Hohen Behörde zugewiesen waren, mit der Folge erloschen sind, dass jede von dieser auf den genannten Gebieten bereits oder künftig erlassene Maßnahme, die nicht Gegenstand einer neuen Vereinbarung der Vertragsstaaten ist, als null und nichtig anzusehen ist,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richterin F. Macken und des Richters K. Lenaerts (Berichterstatter),

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgenden

Beschluss

Entscheidungsgründe:

1 Die Italienische Republik hat mit Klageschrift, die am 16. Mai 2003 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, beantragt, festzustellen, dass gemäß Artikel 97 KS seit dem 24. Juli 2002 die Befugnisse und die Zuständigkeit der Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf den Gebieten, die gemäß dem EGKS-Vertrag der Hohen Behörde zugewiesen waren, mit der Folge erloschen sind, dass jede von dieser auf den genannten Gebieten bereits oder künftig erlassene Maßnahme, die nicht Gegenstand einer neuen Vereinbarung der Vertragsstaaten ist, als null und nichtig anzusehen ist.

Rechtlicher Hintergrund

2 Der EGKS-Vertrag ist gemäß seinem Artikel 97 am 23. Juli 2002 ausgelaufen.

3 Am 18. Juni 2002 hat die Kommission eine Mitteilung über bestimmte Aspekte der Behandlung von Wettbewerbsfällen nach Auslaufen des EGKS-Vertrags (ABl. C 152, S. 5, im Folgenden: Mitteilung) erlassen.

4 In Randnummer 1 dieser Mitteilung erklärt die Kommission, dass das Auslaufen des EGKS-Vertrags am 23. Juli 2002 grundsätzlich [bedeutet], dass auf die Sektoren, die bis dahin unter den EGKS-Vertrag sowie die Verfahrensregeln und das übrige aus dem EGKS-Vertrag abgeleitete Recht fallen, ab dem 24. Juli 2002 die Regeln des EG-Vertrags sowie die Verfahrensregeln und das übrige aus dem EG-Vertrag abgeleitete Recht Anwendung finden".

5 Der Zweck der Mitteilung ist gemäß deren Randnummer 2

- die Zusammenfassung der wichtigsten, sich aus dem Übergang zu der EG-Regelung ergebenden Änderungen in Bezug auf das geltende materielle und formelle Recht für die Wirtschaftsbeteiligten und die Mitgliedstaaten, soweit sie vom EGKS-Vertrag und seinen einschlägigen sekundären Rechtsvorschriften betroffen sind...;

- die Erläuterung, wie die Kommission bestimmte Fragen zu behandeln beabsichtigt, die durch den Übergang von der EGKS-Regelung zu der EG-Regelung in Bezug auf das Kartellrecht, die Fusionskontrolle und die Kontrolle staatlicher Beihilfen aufgeworfen werden...".

6 Die Randnummer 31 der Mitteilung gehört zu dem Abschnitt über bestimmte, den Übergang von der EGKS-Regelung zur EG-Regelung betreffende Fragen und lautet:

Stellt die Kommission bei Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft auf Vereinbarungen in einem unter den EGKS-Vertrag fallenden Bereich einen Verstoß fest, so sind unabhängig vom Zeitpunkt der Anwendung die materiellen Rechtsvorschriften anwendbar, die bei Eintreten der Fakten, die den Verstoß darstellen, in Kraft waren. In jedem Fall gilt für das Verfahren nach Auslaufen des EGKS-Vertrags das EG-Recht."

Zum Verfahren

7 Die Italienische Republik hat mit Klageschrift, die am 16. Mai 2003 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

8 Mit besonderem Schriftsatz, der am 18. Juli 2003 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Kommission gemäß Artikel 91 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Die Italienische Republik hat zu dieser Einrede am 1. Oktober 2003 ihre Erklärungen eingereicht.

Anträge der Parteien

9 Die Italienische Republik beantragt, festzustellen, dass gemäß Artikel 97 KS seit dem 24. Juli 2002 die Befugnisse und die Zuständigkeit der Kommission der Europäischen Gemeinschaften auf den Gebieten, die gemäß dem EGKS-Vertrag der Hohen Behörde zugewiesen waren, mit der Folge erloschen sind, dass jede von dieser auf diesen Gebieten bereits oder künftig erlassene Maßnahme, die nicht Gegenstand einer neuen Vereinbarung der Vertragsstaaten ist, als null und nichtig anzusehen ist.

10 Die Kommission beantragt mit ihrer Einrede der Unzulässigkeit,

- die Klage für unzulässig zu erklären;

- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

11 Die Italienische Republik beantragt in ihren Erklärungen zur Einrede der Unzulässigkeit, diese zurückzuweisen.

Zur Zulässigkeit

12 Die Kommission macht geltend, dass die Klage offensichtlich unzulässig sei.

13 Sie begründet diese Auffassung damit, dass die Italienische Republik vom Gerichtshof eine Feststellung begehre, obwohl er dazu nur im Rahmen der Artikel 226 EG bis 228 EG, 238 EG und 239 EG befugt sei, die im vorliegenden Fall nicht einschlägig seien.

14 Im Hinblick auf Artikel 230 EG trägt sie vor, dass der Erlass von reinen Feststellungsurteilen dem Gerichtshof nach diesem Artikel nicht gestattet sei. Nach ständiger Rechtsprechung umfasse die Zuständigkeit des Gemeinschaftsrichters nach Artikel 230 EG weder eine Befugnis, Feststellungen zu treffen (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichts vom 10. Februar 1994 in der Rechtssache T-468/93, Frinil/Kommission, Slg. 1994, II-33, Randnrn. 36 f.), noch eine Befugnis, einem Gemeinschaftsorgan gegenüber Anordnungen zu erlassen (vgl. u. a. Beschluss des Gerichtshofes vom 26. Oktober 1995 in den Rechtssachen C-199/94 P und C-200/94 P, Pevasa und Inpesca/Kommission, Slg. 1995, I-3709, Randnr. 24, und Urteil vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache C-5/93 P, DSM/Kommission, Slg. 1999, I-4695, Randnr. 36).

15 Die Italienische Republik entgegnet, die Kommission habe nach Erlass der Mitteilung die Entscheidung C (2002) 5087 endg. vom 17. Dezember 2002 in einem Verfahren nach Artikel 65 KS (COMP/37.956 - Bewehrungsrundstahl) erlassen, in der sie festgestellt habe, dass die italienischen Stahlunternehmen an gegen Artikel 65 KS verstoßenden Kartellen beteiligt gewesen seien, und mit der sie diesen Unternehmen Geldbußen in Höhe von insgesamt 85 Millionen Euro auferlegt habe. Da die Vertragsstaaten des EGKS-Vertrags keine Vereinbarung über den Übergang von der EGKS-Regelung zur EG-Regelung im Bereich des Schutzes des Wettbewerbs getroffen hätten, stelle der Erlass einer derartigen Entscheidung einen Ermessensmissbrauch der Kommission dar.

16 In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass der Gerichtshof dafür zuständig sei, im Interesse der Mitgliedstaaten und des Funktionierens der Gemeinschaft dafür zu sorgen, dass die Kommission die ihr zugewiesenen Befugnisse nicht überschreite. Im vorliegenden Fall habe die Kommission ihre Absichten, nachdem sie diese in der Mitteilung zum Ausdruck gebracht habe, durch Entscheidungen verwirklicht, die zum einen zeigten, dass sie ohne eine vorherige Vereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten Befugnisse für sich in Anspruch genommen habe, und zum anderen Auswirkungen auf die Interessen der mit einer Sanktion belegten Unternehmen hätten.

17 In Anbetracht eines solchen Ermessensmissbrauchs habe der betroffene Mitgliedstaat keine andere Möglichkeit, als die Vollstreckungsklausel zu verweigern, die gemäß Artikel 256 EG bei einer Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung der Kommission erforderlich sei, mit der einer natürlichen oder einer juristischen Person eine finanzielle Verpflichtung auferlegt werde. Mit einer solchen Weigerung hätte sich die Italienische Republik jedoch der Gefahr einer Klage durch die Kommission wegen Verstoßes gegen die in Artikel 256 EG vorgesehene Verpflichtung ausgesetzt, was die Frage des Umfangs der gerichtlichen Überprüfung einer derartigen Weigerung aufgeworfen hätte.

18 Im Übrigen gehe es der Italienischen Republik im vorliegenden Fall nicht um die Nichtigerklärung von Einzelentscheidungen wegen Unzuständigkeit, sondern um die Lösung eines Konflikts in Bezug auf verfassungsrechtliche Kompetenzen. Das einzige Mittel hierzu bestehe darin, die von der Kommission behauptete Zuständigkeit im Rahmen des EGKS-Vertrags zu bestreiten, die ihr nach diesem Vertrag nicht zustehe. In formaler Hinsicht sei die Mitteilung lediglich eine Absichtserklärung und stelle daher keinen Ermessensmissbrauch dar. Ferner bezögen sich die Einzelfallentscheidungen aber auf konkrete Fälle und könnten von einem Mitgliedstaat als Träger allgemeiner Interessen nicht angefochten werden.

19 Ist der Gerichtshof für eine Klage offensichtlich unzuständig, so kann er gemäß Artikel 92 § 1 seiner Verfahrensordnung nach Anhörung des Generalanwalts, ohne das Verfahren fortzusetzen, durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist.

20 Im vorliegenden Fall ist zu betonen, dass die Italienische Republik mit ihrer Klage ein Urteil des Gerichtshofes begehrt, mit dem festgestellt wird, dass die Kommission seit dem 24. Juli 2002 zum Erlass von Maßnahmen im Sinne des EGKS-Vertrags in Bereichen unzuständig ist, die nicht Gegenstand einer Vereinbarung der Vertragsstaaten des EGKS-Vertrags sind, durch die dessen Geltungsdauer zur Regelung des Übergangs von der EGKS-Regelung zur EG-Regelung vorübergehend verlängert würde. Aus den Erklärungen der Italienischen Republik zur Einrede der Unzulässigkeit ergibt sich eindeutig, dass sie selbst eine Auslegung ihrer Klage dahin ausschließt, dass diese auf die Nichtigerklärung der Mitteilung und der von der Kommission nach dem 23. Juli 2002, gestützt auf den EGKS-Vertrag, erlassenen Einzelfallentscheidungen wie die im Sinne der Randnummer 15 dieses Beschlusses genannte gerichtet sei.

21 Eine solche Klage entspricht jedoch keiner der Klagearten, für die der Gerichtshof zuständig ist.

22 Daraus folgt, dass der Gerichtshof für eine Entscheidung über die bei ihm von der Italienischen Republik erhobene Klage offensichtlich unzuständig ist und dass diese Klage demzufolge als offensichtlich unzulässig abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

beschlossen:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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