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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.09.1990
Aktenzeichen: C-228/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, GZT


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
GZT Vorschrift 3 zu Kapitel 99
GZT Tarifnummer 99.01
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Als Paperweights bezeichnete, mit zwei - oder dreidimensionalen Motiven verzierte Glaskugeln mit einer Standfläche, die von bekannten Glaskünstlern in begrenzter Stückzahl vollständig mit der Hand hergestellt und signiert werden, sind für die Zwecke der Tarifierung als Gegenstände, die den Charakter einer Handelsware haben, anzusehen und daher nach ihrer Beschaffenheit zu tarifieren. Denn der Umstand, daß einem Gegenstand ein künstlerischer Charakter zugeschrieben werden kann, hat nicht zwangsläufig dessen Zuordnung zu Kapitel 99 des Gemeinsamen Zolltarifs zur Folge. Diese Zuordnung ist nach der Vorschrift 3 zu Kapitel 99 für Gegenstände, die nach ihrer äusseren Gestaltung vergleichbaren, industriell oder handwerklich hergestellten Erzeugnissen ähneln, mit denen sie im Wettbewerb stehen können, ausgeschlossen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 18. SEPTEMBER 1990. - FIRMA FARFALLA FLEMMING & PARTNER GEGEN HAUPTZOLLAMT MUENCHEN-WEST. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG : FINANZGERICHT MUENCHEN - DEUTSCHLAND. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - TARIFNUMMERN 70.13, 99.01 UND 99.03 - PAPERWEIGHTS. - RECHTSSACHE C-228/89.

Entscheidungsgründe:

1 Das Finanzgericht München hat mit Beschluß vom 26. April 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juli 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Tarifnummern 70.13, "Glaswaren zum Ausschmücken von Wohnungen und zu ähnlichen Zwecken", 99.01, "Gemälde, vollständig mit der Hand geschaffen", und 99.03, "Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, aus Stoffen aller Art", des Anhangs der Verordnungen ( EWG ) Nr. 3000/80 des Rates vom 28. Oktober 1980 und ( EWG ) Nr. 3300/81 des Rates vom 16. November 1981 zur Änderung der Verordnung ( EWG ) Nr. 950/68 über den Gemeinsamen Zolltarif ( ABl. 1980, L 315, S. 1, und ABl. 1981, L 335, S. 1 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Firma farfalla Flemming und Partner und dem Hauptzollamt München-West über die Tarifierung von Paperweights, die die Firma in der Zeit vom 4. Mai 1981 bis 30. April 1982 aus den Vereinigten Staaten von Amerika in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt hatte.

3 Aus den Akten des vorlegenden Gerichts geht hervor, daß es sich bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Paperweights um Glaskugeln mit farbigen Motiven handelt, die auf ihrer Unterseite eine Standfläche aufweisen. Die farbigen Motive bestehen entweder aus Bildern, die auf das noch glühende Glas mit einem Spachtel aufgetragen und mit einer dünnen Glasschicht überzogen werden, oder aus dreidimensionalen Gebilden, die zunächst hergestellt und sodann im Inneren der Glaskugel eingeschlossen werden. Sowohl die Glaskugeln als auch die Motive wurden von amerikanischen Glaskünstlern vollständig mit der Hand hergestellt. Aufgrund dieses manuellen Herstellungsverfahrens fällt jedes Einzelstück unterschiedlich aus; doch stellt der Künstler jeweils Serien von nach Grösse, Motiv und Art der Ausführung gleichartigen Paperweights her. Jedes Einzelstück wird vom Künstler signiert, und sein Verkaufspreis liegt zwischen 35 und 300 USD, auf den je nach abgenommener Menge Rabatte gewährt werden.

4 Die Firma farfalla beantragte die Abfertigung dieser Waren zum freien Verkehr, wobei sie diese als "Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, aus Stoffen aller Art", im Sinne der Tarifnummer 99.03 des GZT anmeldete, die Zollfreiheit vorsieht.

5 Das Hauptzollamt wies die Waren dagegen der Tarifnummer 70.13, "Glaswaren zum Ausschmücken von Wohnungen und zu ähnlichen Zwecken", zu, wonach ein Zoll zu erheben ist.

6 Die Firma farfalla erhob gegen diese Entscheidung Klage vor dem Finanzgericht München, mit der sie geltend machte, die Paperweights seien der Tarifnummer 99.03 des GZT zuzuweisen, da es sich um Originalkunstwerke handele, die von berühmten Glaskünstlern mit der Hand geschaffen würden und von Sammlern und Museen gesucht seien. Da diese Paperweights keinen Gebrauchswert hätten und nie als Briefbeschwerer benutzt würden, seien sie weder als kunstgewerbliche Gegenstände noch als Handelswaren anzusehen und könnten daher nicht der Tarifnummer 70.13 des GZT zugewiesen werden.

7 Hilfsweise trug die Firma farfalla vor dem nationalen Gericht vor, daß die Paperweights unter die Tarifnummer 99.01, "Gemälde, vollständig mit der Hand geschaffen", fielen, da die Farben genauso wie auf einer Leinwand mittels eines Spachtels auf die Glaskugeln aufgetragen würden, wobei allein der Untergrund, der aus Glas bestehe, sich von der herkömmlichen Malerei unterscheide.

8 Das Hauptzollamt machte dagegen geltend, die Paperweights seien Gebrauchsgegenstände und dem Bereich des Kunsthandwerks und nicht dem der Kunst zuzurechnen. Der Gebrauchswert der Paperweights gehe nicht dadurch verloren, daß sie praktisch nicht als Gebrauchsgegenstände verwendet würden. Die Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst im Sinne der Tarifnummer 99.03 des GZT seien im Unterschied zu den fraglichen Gegenständen durch ihre Funktionslosigkeit und Zwecklosigkeit charakterisiert. Die Zuordnung der fraglichen Gegenstände zur Tarifnummer 99.01 scheitere daran, daß die Paperweights nicht mit der Hand gemalt, sondern durch Formen fluessiger und farbiger Glasmassen hergestellt würden.

9 Da das Finanzgericht München der Ansicht war, daß der Rechtsstreit ein Problem der Auslegung der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften aufwerfe, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

1 ) Stellen als Paperweights bezeichnete Glaskugeln mit einer Standfläche, die von anerkannten Glaskünstlern vollständig mit der Hand in der Weise hergestellt werden, daß auf der Oberfläche des noch fluessigen Glases mittels eines Spachtels farbiges Glas in Gestalt bildlicher Darstellungen aufgebracht wird, im Sinne des Zolltarifs Gemälde ( Tarifnummer 99.01 ) oder Bildhauerarbeiten dar?

2 ) Können von anerkannten Künstlern hergestellte und signierte Erzeugnisse der vorstehenden Art und gleichartige Körper, in denen die farbigen Motive ( statt zweidimensional auf der Oberfläche ) dreidimensional in das Innere der Kugel eingearbeitet werden, den Charakter einer Handelsware im Sinne der Vorschrift 3 zu Kapitel 99 haben?

3 ) Bei Bejahung der Frage 2 : Ist der Charakter einer Handelsware zu bejahen, wenn die Erzeugnisse

a ) von den Künstlern auf die gleiche handwerkliche Art hergestellt werden wie gleichartige Glaserzeugnisse, die in Glashütten von Glasbläsern nach Entwürfen von Künstlern in grosser Serie hergestellt werden,

b ) von den Künstlern zwar einzeln, aber in begrenzter kleiner Auflage gleicher Grösse, gleicher Motive und gleicher Ausführung hergestellt werden,

c ) wegen der Art der für die bildlichen und farbigen Darstellungen gewählten Motive Ziercharakter haben und

d ) nach einem einheitlichen Stückpreis je Serie angeboten und verkauft werden, der zwischen 35 und 300 USD liegt und auf den Rabatte gewährt werden,

oder welche sonstigen Kriterien sind für die Bewertung einer Bildhauerarbeit als Handelsware maßgebend?

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Das vorlegende Gericht fragt im wesentlichen, ob als Paperweights bezeichnete, mit zwei - oder dreidimensionalen Motiven verzierte Glaskugeln mit einer Standfläche, die von bekannten Glaskünstlern in begrenzter Stückzahl vollständig mit der Hand hergestellt und signiert werden, für die Zwecke der Tarifierung als Gegenstände, die den Charakter einer Handelsware haben, anzusehen und daher nach ihrer Beschaffenheit zu tarifieren sind oder ob sie als Kunstgegenstände zu Kapitel 99 des GZT gehören. Für diesen letzten Fall möchte das vorlegende Gericht ausserdem wissen, ob die fraglichen Gegenstände als "Gemälde und Zeichnungen, vollständig mit der Hand geschaffen", im Sinne der Tarifnummer 99.01 des GZT oder als "Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, aus Stoffen aller Art", im Sinne der Tarifnummer 99.03 des GZT anzusehen sind.

12 Zur Beantwortung dieser Fragen ist vorab darauf hinzuweisen, daß die Abgrenzung der Tarifnummern nicht auf Eigenschaften abstellen kann, die im wesentlichen nach subjektiven und sich wandelnden Kriterien bestimmt werden, sondern daß objektive Merkmale heranzuziehen sind, auf die der GZT aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit ausgerichtet ist ( siehe Urteile vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 23/77, Westfälischer Kunstverein, Slg. 1977, 1985, Randnr. 3, und vom 13. Dezember 1989 in der Rechtssache C-1/89, Raab, Slg. 1989, 4423, Randnr. 25 ).

13 Wie der Gerichtshof wiederholt ausgeführt hat, ist nämlich das entscheidende Kriterium für die Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Tarifnummern des GZT und in den Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind ( siehe z. B. Urteile vom 10. Oktober 1985 in der Rechtssache 200/84, Daiber, Slg. 1985, 3363, Randnr. 13, und in der Rechtssache 252/84, Collector Guns, Slg. 1985, 3387, Randnr. 10 ).

14 Dazu ist zunächst festzustellen, daß sich aus der Vorschrift 3 zu Kapitel 99 des GZT ergibt, daß Bildhauerarbeiten, die den Charakter einer Handelsware haben, unter anderem Handwerkserzeugnisse, nicht zu diesem Kapitel, "Kunstgegenstände, Sammlungsstücke und Antiquitäten", gehören, sondern nach ihrer Beschaffenheit zu tarifieren sind.

15 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß diese Zuordnung durch den Wortlaut der Tarifnummer 99.01 bestätigt wird, die bei den Gemälden und Zeichnungen handbemalte oder handverzierte gewerbliche Erzeugnisse von ihrem Anwendungsbereich ausnimmt.

16 Daraus ergibt sich, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, daß der Umstand, daß einem Gegenstand ein künstlerischer Charakter zugeschrieben werden kann, nicht zwangsläufig dessen Zuordnung zu Kapitel 99 des GZT zur Folge hat, da diese Eigenschaft im wesentlichen nach subjektiven und sich wandelnden Kriterien bestimmt wird ( siehe z. B. Urteil vom 13. Dezember 1989, Raab, a. a. O., Randnr. 12 ).

17 Selbst wenn also, wie die Firma farfalla vorträgt, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Paperweights als Kunstwerke anzusehen wären, könnte dieser Umstand für die Tarifierung dieser Waren nicht maßgebend sein.

18 Ausserdem ist festzustellen, daß der Grund, weshalb der GZT für bestimmte Kunstwerke Zollfreiheit vorsieht, darin besteht, daß diese Werke, da es sich um ganz persönliche Schöpfungen handelt, mit denen Künstler einem ästhetischen Ideal Ausdruck verleihen, wirtschaftlich weder untereinander noch mit anderen Gegenständen im Wettbewerb stehen.

19 Eine solche Zollfreiheit ist daher für Gegenstände, die sich in einer zumindest potentiellen wirtschaftlichen Wettbewerbssituation mit anderen ähnlichen Erzeugnissen industrieller oder handwerklicher Herstellung befinden, nicht gerechtfertigt.

20 Da sich die Zollbehörden bei der Tarifierung nur auf objektive Kriterien stützen können, die sich aus den äusseren Merkmalen der Waren ergeben, müssen diese Waren, auch wenn sie von Künstlern handgefertigt sind, immer dann als Handelswaren im Sinne der Vorschrift 3 zu Kapitel 99 des GZT angesehen werden, wenn sie nach ihrer äusseren Gestaltung vergleichbaren, industriell oder handwerklich hergestellten Erzeugnissen ähneln.

21 Dies ist aber bei den Paperweights, um die es im Ausgangsverfahren geht, der Fall. Denn aus den vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten und den Erörterungen vor dem Gerichtshof geht hervor, daß diese Paperweights nach ihren Merkmalen und Eigenschaften, wie sie sich aus ihrer äusseren Erscheinung ergeben, für die Zwecke der Tarifierung den Charakter einer Handelsware haben, da sie mit Erzeugnissen, die ähnlich aussehen und von berühmten Kristallfabriken industriell hergestellt werden, im Wettbewerb stehen können.

22 Dieses Ergebnis wird nicht dadurch entkräftet, daß die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Paperweights von bekannten Künstlern in begrenzter Stückzahl mit der Hand hergestellt werden und ausserdem von Liebhabern gesammelt und in Museen ausgestellt werden, ohne jemals als Briefbeschwerer verwendet zu werden. Denn ebenso wie der etwaige künstlerische Wert eines Gegenstands sich der Beurteilung durch die Zollbehörden entzieht, können auch die Herstellungsmethode und der tatsächliche Verwendungszweck dieses Gegenstands von den Zollbehörden nicht als Tarifierungskriterien herangezogen werden, da es sich um Faktoren handelt, die sich nicht aus den äusseren Merkmalen der Ware ergeben und die von den Zolldienststellen daher nicht leicht beurteilt werden können. Aus den gleichen Gründen ist festzustellen, daß der Preis des betreffenden Gegenstands kein geeignetes Kriterium für die Tarifierung ist.

23 Daß die fraglichen Paperweights von dem Glaskünstler, der sie gefertigt hat, signiert werden, kann auch kein ausschlaggebender Gesichtspunkt dafür sein, sie als Kunstwerke im Sinne des Kapitels 99 des GZT zu bezeichnen. Denn obwohl Handwerkserzeugnisse oft von der Hand ihres Herstellers signiert werden, nimmt die Vorschrift 3 zu Kapitel 99 diese Art von Erzeugnissen ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieses Kapitels aus.

24 Aufgrund all dieser Erwägungen ist dem Finanzgericht München zu antworten, daß als Paperweights bezeichnete, mit zwei - oder dreidimensionalen Motiven verzierte Glaskugeln mit einer Standfläche, die von bekannten Glaskünstlern in begrenzter Stückzahl vollständig mit der Hand hergestellt und signiert werden, für die Zwecke der Tarifierung als Gegenstände, die den Charakter einer Handelsware haben, anzusehen und daher nach ihrer Beschaffenheit zu tarifieren sind.

25 Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren also nicht zu Kapitel 99 des GZT gehören, braucht die Frage nach der Abgrenzung der Tarifnummern 99.01 und 99.03 dieses Kapitels nicht entschieden zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

auf die ihm vom Finanzgericht München mit Beschluß vom 26. April 1989 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Als Paperweights bezeichnete, mit zwei - oder dreidimensionalen Motiven verzierte Glaskugeln mit einer Standfläche, die von bekannten Glaskünstlern in begrenzter Stückzahl vollständig mit der Hand hergestellt und signiert werden, sind für die Zwecke der Tarifierung als Gegenstände, die den Charakter einer Handelsware haben, anzusehen und daher nach ihrer Beschaffenheit zu tarifieren.

Ende der Entscheidung

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