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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.04.1998
Aktenzeichen: C-230/96
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Verordnung (EWG) Nr. 123/85, Verordnung (EG) Nr. 1475/95


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 85 Abs. 1
EG-Vertrag Art. 85 Abs. 3
Verordnung (EWG) Nr. 123/85
Verordnung (EG) Nr. 1475/95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

6 Im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Artikel 177 des Vertrages ist es allein Sache der nationalen Gerichte, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu treffende gerichtliche Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und der Realität und dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht.

7 Nach seinem Wortlaut und seiner Systematik ist Artikel 5 Absatz 2 Ziffer 1 Buchstaben a und b der Verordnung Nr. 123/85 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Betriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung für eine Klausel eines Alleinvertriebsvertrages gilt, die lediglich vorsieht, daß die Parteien sich auf sachlich gerechtfertigte Gründe berufen können, um sich von ihren jeweiligen Wettbewerbsverboten freizumachen, ohne daß darin im einzelnen angegeben wird, worin diese Gründe bestehen können.

8 Nach ihrem Wortlaut und ihrer Systematik sind die Artikel 3 Ziffer 3 und 5 Absatz 2 der Verordnungen Nr. 123/85 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge sowie die gleichen Artikel der Verordnung Nr. 1475/95, die an die Stelle der Verordnung Nr. 123/85 getreten ist, dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung nicht für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ausser bei Vorliegen sachlich gerechtfertigter Gründe verbietet, neue Fahrzeuge jeder anderen Marke auch in anderen Geschäftsräumen als denjenigen zu vertreiben, in denen die Vertragswaren angeboten werden.

9 Nach ihrem Wortlaut und ihrer Systematik sind die Artikel 4 Absatz 1 Ziffer 3 und 5 Absatz 2 Ziffern 2 und 3 der Verordnung Nr. 123/85 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung eingeräumte Freistellung für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ein bestimmtes Verkaufsziel vorgibt und die bis zur Kündigung des Vertrages gehende Sanktionen für den Fall vorsieht, daß dieses Ziel nicht erreicht wird, jedoch unter der Voraussetzung, daß die Festsetzung des Verkaufsziels den Ausdruck einer blossen Verpflichtung zum Einsatz geeigneter Mittel darstellt.

Was die Artikel 4 Absatz 1 Nummer 3 und 5 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 1475/95 angeht, die an die Stelle der Verordnung Nr. 123/85 getreten ist, ist darüber hinaus Voraussetzung für die Anwendung der Freistellung, daß diese Festsetzung des Verkaufsziels einvernehmlich von den Parteien oder bei fehlendem Einvernehmen von einem sachverständigen Dritten vorgenommen worden ist.

10 Das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages erfasst Klauseln in einem Kraftfahrzeugvertriebsvertrag auch in dem Fall, daß für diese die Gruppenfreistellung nicht gilt, wenn diese Klauseln unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken und wenn sie geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 30. April 1998. - Cabour SA und Nord Distribution Automobile SA gegen Arnor "SOCO" SARL, Streithelferinnen: Automobiles Peugeot SA und Automobiles Citroën SA. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Douai - Frankreich. - Wettbewerb - Vertrieb von Kraftfahrzeugen - Gültigkeit des Alleinvertriebvertrags - Artikel 85 Absätze 1 und 3 EG-Vertrag - Verordnung (EWG) Nr. 123/85 - Verordnung (EG) Nr. 1475/95. - Rechtssache C-230/96.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour d'appel Douai hat mit Urteil vom 20. Juni 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juli 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 85 Absatz 1 EG-Vertrag und einiger Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 123/85 der Kommission vom 12. Dezember 1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge (ABl. 1985, L 15, S. 16) sowie der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28. Juni 1995 (ABl. L 145, S. 25) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Verfahren, das aufgrund einer Klage wegen unlauteren Wettbewerbs anhängig ist, die die Cabour SA (im folgenden: Cabour) und die Nord Distribution Automobile SA (im folgenden: Nord Distribution Automobile), unterstützt von der Automobiles Peugeot SA (im folgenden: Peugeot) und der Automobiles Citroën SA (im folgenden: Citröen), gegen die Arnor "SOCO" SARL (im folgenden: Arnor) erhoben haben.

Das Ausgangsverfahren

3 Die Firmen Cabour und Nord Distribution Automobile sind in Douai Alleinvertriebshändler für die Kraftfahrzeugmarken Citröen und Peugeot. Sie sind der Ansicht, daß die Firma Arnor, die keinem Vertriebsnetz eines Kraftfahrzeugherstellers angehört, sich dadurch eines unlauteren Wettbewerbs sowie rechtswidriger und irreführender Werbung schuldig gemacht habe, daß sie ebenfalls Neufahrzeuge dieser Marken verkauft habe, und haben beim Tribunal de commerce Klage mit dem Antrag erhoben, die Firma Arnor zur Zahlung von Schadensersatz an sie zu verurteilen und ihr die Fortsetzung ihrer Tätigkeit zu verbieten.

4 Mit Urteil vom 16. Juni 1994 hat das Tribunal de commerce Douai diese Klage mit der Begründung abgewiesen, daß die Peugeot- und Citröen-Alleinvertriebsverträge unvereinbar mit der Verordnung Nr. 123/85 seien und demzufolge der Firma Arnor nicht entgegengehalten werden könnten.

5 Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens haben gegen dieses Urteil Rechtsmittel eingelegt und geltend gemacht, der von der Firma Arnor angeblich betriebene unlautere Wettbewerb könne nach nationalem Recht mit Sanktionen belegt werden.

6 Die Firma Arnor hat entgegnet, die Klage wegen unlauteren Wettbewerbs sei abzuweisen, da die Vertragshändlerfirmen nicht nachgewiesen hätten, daß ihr Vertriebsnetz nach Gemeinschaftsrecht zulässig sei.

7 Die Cour d'appel Douai ist der Ansicht, daß die Entscheidung in dem bei ihr anhängigen Rechtsstreit von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhänge; sie hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Kann die gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag erlassene Verordnung Nr. 123/85 der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Dezember 1984 dahin ausgelegt werden, daß ein Alleinvertriebsvertrag zwischen einem Kraftfahrzeughersteller und einem Vertragshändler unter die Freistellung gemäß Artikel 1 dieser Verordnung fällt, wenn in diesem Vertrag

a) die "sachlich gerechtfertigten Gründe" im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 Ziffer 1 Buchstaben a und b sowie Artikel 5 Absatz 3 nicht im einzelnen festgelegt sind;

b) für den Vertragshändler - ausser bei Nachweis von sachlich gerechtfertigten Gründen, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bestehen - die Möglichkeit ausgeschlossen wird, von anderen als dem Hersteller angebotene neue Kraftfahrzeuge auch in anderen Geschäftsbetrieben als denen, in denen die Vertragswaren angeboten werden, zu verkaufen, wobei diese Vertragsklausel im Zusammenhang mit der Auslegung der Artikel 3 Ziffer 3 und 5 Absatz 2 der Verordnung zu sehen ist;

c) ein Verkaufsziel vorgegeben wird, wonach der Vertragshändler sich verpflichtet, sich nach besten Kräften zu bemühen, im Laufe jedes Jahreszeitraums Vertragsfahrzeuge in einem Umfang zu verkaufen, der - wenn er nicht einvernehmlich durch die Parteien festgelegt wird - vom Hersteller aufgrund von Vorausschätzungen, die er aufstellt, oder von Kriterien, die er festlegt, festgesetzt wird, und bestimmt wird, daß der Hersteller, wenn das Verkaufsziel am 31. August des laufenden Jahreszeitraums nicht zu 90 % von 7/11 erreicht ist und wenn der "Prozentsatz der gesamten Marktdurchdringung" der Vertragsfahrzeuge im Vertragsgebiet, beurteilt am 31. Juli des laufenden Jahreszeitraums, unter 15 % bis 45 % je nach Lage dieses Gebietes im Verhältnis zum nationalen Prozentsatz der Marktdurchdringung für die gleichen Fahrzeuge liegt, mit einer Kündigungsfrist von 3 oder 6 Monaten das Vertragsgebiet ändern und/oder dem Vertragshändler das ausschließliche Niederlassungsrecht entziehen oder den Vertriebsvertrag kündigen kann, wobei diese Vertragsklauseln im Zusammenhang mit der Auslegung des Artikels 4 Absatz 1 Ziffer 3 und des Artikels 5 Absatz 2 Ziffern 2 und 3 der Verordnung zu sehen sind?

2. Kann die Verordnung Nr. 1475/95 der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 28. Juni 1995, die an die Stelle der Verordnung Nr. 123/85 getreten ist, dahin ausgelegt werden, daß unter die Freistellung gemäß Artikel 1 dieser Verordnung ein Alleinvertriebsvertrag fällt, der Klauseln wie die oben unter 1 b und c genannten enthält, und zwar in Anbetracht der Regelungen in Artikel 3 Nummer 3 und in Artikel 4 Absatz 1 Nummer 3 der Verordnung Nr. 1475/95 in Verbindung mit Artikel 5 Absatz 2 Nummern 2 und 3 sowie Absatz 3?

3. Sofern die Verordnungen Nrn. 123/85 und 1475/95 nicht dahin ausgelegt werden könnten, daß Vertriebsverträge wie die oben in den ersten beiden Fragen beschriebenen unter die in diesen Verordnungen vorgesehene Freistellung fallen, ist dann Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß ein Alleinvertriebsnetz eines Kraftfahrzeugherstellers, das für das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaats auf derartigen Vertriebsverträgen beruht, unter das in dieser Vorschrift ausgesprochene Verbot fiele?

Rechtlicher Rahmen

8 Nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 123/85 und Artikel 1 der Verordnung Nr. 1475/95, die ab 1. Oktober 1995 an die Stelle der Verordnung Nr. 123/85 getreten ist, sind von der Anwendung des Verbotes des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages Vereinbarungen freigestellt, mit denen ein Lieferant einen zugelassenen Wiederverkäufer mit dem Vertrieb der Vertragswaren in einem bestimmten Gebiet betraut und sich verpflichtet, ihm die Belieferung mit Fahrzeugen und Ersatzteilen in diesem Gebiet vorzubehalten.

9 Gemäß Artikel 3 Ziffer 3 der Verordnung Nr. 123/85 gilt die aufgrund von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages gewährte Freistellung, wenn die in Artikel 1 genannte Verpflichtung mit der Verpflichtung des Händlers verbunden ist, mit Vertragswaren im Wettbewerb stehende neue Kraftfahrzeuge nicht zu vertreiben und von anderen als dem Hersteller angebotene neue Kraftfahrzeuge in Geschäftsbetrieben, in denen Vertragswaren angeboten werden, nicht zu vertreiben.

10 Nach Artikel 4 Absatz 1 Ziffer 3 der Verordnung Nr. 123/85 wird durch die Freistellung auch die Verpflichtung des Händlers erfasst, "sich zu bemühen, binnen eines bestimmten Zeitraums innerhalb des Vertragsgebiets Vertragswaren mindestens in dem Umfang abzusetzen, den der Lieferant aufgrund von Vorausschätzungen des Absatzes des Händlers festsetzt, wenn sich die Vertragspartner nicht darüber einigen".

11 Artikel 5 Absätze 2, 3 und 4 der Verordnung Nr. 123/85 lautet wie folgt:

"(2) Sofern der Händler... Verpflichtungen zur Verbesserung der Struktur von Vertrieb und Kundendienst übernommen hat, gilt die Freistellung nach Artikel 3 Ziffern 3 und 5 für die Verpflichtungen, ausser Kraftfahrzeugen des Vertragsprogramms weitere neue Kraftfahrzeuge nicht zu vertreiben oder nicht zum Gegenstand einer Vertriebs- und Kundendienstvereinbarung zu machen, unter der Voraussetzung,

1. daß die Vertragspartner

a) vereinbaren, daß der Lieferant zustimmt, den Händler von Verpflichtungen entsprechend Artikel 3 Ziffern 3 und 5 zu befreien, falls der Händler nachweist, daß sachlich gerechtfertigte Gründe dafür vorliegen;

b) einen Vorbehalt zugunsten des Lieferanten, mit bestimmten weiteren innerhalb des Vertragsgebiets tätigen Unternehmen Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Vertragswaren zu schließen oder das Vertragsgebiet zu ändern, nur für den Fall vereinbaren, daß er nachweist, daß sachlich gerechtfertigte Gründe dafür vorliegen;

2. daß die Dauer der Vereinbarung mindestens vier Jahre oder die Frist für die ordentliche Kündigung der auf unbestimmte Dauer geschlossenen Vereinbarung für beide Vertragspartner mindestens ein Jahr beträgt, es sei denn,

- der Lieferant hat kraft Gesetzes oder aufgrund besonderer Absprache bei Beendigung der Vereinbarung eine angemessene Entschädigung zu zahlen, oder

- es handelt sich um den Beitritt des Händlers zum Vertriebsnetz und die erste vereinbarte Vertragsdauer oder Möglichkeit zu ordentlicher Kündigung;

3. daß jeder Vertragspartner sich verpflichtet, den anderen mindestens sechs Monate vor Beendigung der Vereinbarung davon zu unterrichten, daß er eine auf bestimmte Dauer abgeschlossene Vereinbarung nicht verlängern will.

(3) Bestimmte sachlich gerechtfertigte Gründe im Sinne dieses Artikels, die bei Abschluß der Vereinbarung im einzelnen festgelegt werden, können von einem Vertragspartner nur eingewandt werden, wenn sie gegenüber Unternehmen des Vertriebsnetzes in vergleichbaren Fällen ohne Diskriminierung angewandt werden.

(4) Das Recht eines Vertragspartners auf ausserordentliche Kündigung der Vereinbarung wird durch die in diesem Artikel genannten Voraussetzungen für die Freistellung nicht berührt."

12 Der Wortlaut der entsprechenden Artikel der Verordnung Nr. 1475/95 weicht von dem der Verordnung Nr. 123/85 ab.

13 So gilt die Verpflichtung, keine von anderen als dem Hersteller angebotenen Neufahrzeuge zu verkaufen, nach Artikel 3 Nummer 3 der Verordnung Nr. 1475/95 weiter, es wird aber klargestellt, daß der Verkauf von Neufahrzeugen einer anderen Marke zulässig ist, wenn er nur "in räumlich getrennten Verkaufslokalen unter getrennter Geschäftsführung mit eigener Rechtspersönlichkeit und in einer Weise... [erfolgt], die eine Verwechslung der Marken ausschließt".

14 Nach Artikel 4 Absatz 1 Nummer 3 der Verordnung steht einer Freistellung die Verpflichtung des Händlers nicht entgegen, "sich zu bemühen, in einem bestimmten Zeitraum innerhalb des Vertragsgebiets Vertragswaren mindestens in dem Umfang abzusetzen, der von den Vertragspartnern einvernehmlich oder bei fehlendem Einvernehmen über die jährliche Mindestmenge der zu verkaufenden Vertragswaren durch einen sachverständigen Dritten anhand der im Vertragsgebiet bisher erzielten Verkäufe und der Vorausschätzungen für zukünftige Verkäufe in diesem Gebiet und in dem betreffenden Mitgliedstaat festgesetzt worden ist".

15 Artikel 5 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 1475/95 bestimmt:

"(2) Sofern der Händler nach Artikel 4 Absatz 1 Verpflichtungen zur Verbesserung der Strukturen von Vertrieb und Kundendienst übernommen hat, gilt die Freistellung unter der Voraussetzung,

...

2. daß die Dauer der Vereinbarung mindestens fünf Jahre oder die Frist für die ordentliche Kündigung einer auf unbestimmte Dauer geschlossenen Vereinbarung für beide Vertragspartner mindestens zwei Jahre beträgt; diese Frist verkürzt sich auf mindestens ein Jahr,

- wenn der Lieferant kraft Gesetzes oder aufgrund besonderer Absprache bei Beendigung der Vereinbarung eine angemessene Entschädigung zu zahlen hat, oder

- wenn es sich um den Beitritt des Händlers zum Vertriebsnetz und die erste vereinbarte Vertragsdauer oder Möglichkeit zu ordentlicher Kündigung handelt;

3. daß jeder Vertragspartner sich verpflichtet, den anderen mindestens sechs Monate vor Beendigung der Vereinbarung davon zu unterrichten, daß er eine auf bestimmte Dauer geschlossene Vereinbarung nicht verlängern will.

(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Voraussetzungen für die Freistellung berühren nicht

- das Recht des Lieferanten, die Vereinbarung innerhalb einer Frist von mindestens einem Jahr zu kündigen, falls sich die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren,

- das Recht eines Vertragspartners zur ausserordentlichen Kündigung, wenn die andere Vertragspartei eine der ihr obliegenden wesentlichen Verpflichtungen nicht erfuellt.

In jedem dieser Fälle müssen die Vertragspartner bei fehlendem Einvernehmen einem zuegigen Verfahren zur Beilegung der streitigen Angelegenheit durch Inanspruchnahme eines sachverständigen Dritten oder eines Schiedsrichters zustimmen; das Recht der Vertragspartner, das nach nationalem Recht zuständige Gericht anzurufen, bleibt unberührt."

Zur Zulässigkeit

16 Die französische Regierung, die Kommission sowie die Firmen Peugeot und Citröen haben in Zweifel gezogen, daß die Fragen in Anbetracht der Urteile vom 15. Februar 1996 in der Rechtssache C-226/94 (Grand garage albigeois u. a., Slg. 1996, I-651) und in der Rechtssache C-309/94 (Nissan France u. a., Slg. 1996, I-677) für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erheblich seien; aus diesen Urteilen ergebe sich, daß die Verordnung Nr. 123/85 zwar die vertraglichen Beziehungen zwischen den Lieferanten und ihren zugelassenen Händlern betreffe, daß sie jedoch nicht die Tätigkeit Dritter, die auf dem Markt ausserhalb des Bereichs der Vertriebsvereinbarungen tätig werden könnten, regeln solle.

17 Die gleiche Schlußfolgerung gelte im vorliegenden Fall, da es im Ausgangsverfahren nicht um einen Rechtsstreit zwischen einem Lieferanten und dessen Händler gehe, sondern um eine Klage von zugelassenen Vertragshändlern gegen einen von den offiziellen Vertriebsnetzen unabhängigen Wiederverkäufer.

18 Die französische Regierung fügt hinzu, auf jeden Fall brauche die zweite Frage, die die Auslegung der Verordnung Nr. 1475/95 betreffe, nicht beantwortet zu werden, da der dem Vorlageurteil zugrunde liegende Sachverhalt sich allein während der Geltung der Verordnung Nr. 123/85 abgespielt habe.

19 Zur Auslegung der Vorschriften der Verordnung Nr. 123/85 führt die Cour d'appel Douai aus, von der Vereinbarkeit der von der Beklagten des Ausgangsverfahrens beanstandeten Klauseln hänge der Ausgang des bei ihr anhängigen Rechtsstreits ab. Erstens sei dieses Problem in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil mit dem Ergebnis geprüft worden, daß die Unvereinbarkeit dieser Klauseln mit der Verordnung festgestellt worden sei. Zweitens könne die Frage, ob die Stellung der Vertragshändler gegenüber den nicht zugelassenen Wiederverkäufern rechtlich geschützt sei, ausschlaggebend dafür sein, ob die Alleinvertriebsverträge Dritten entgegengehalten werden könnten. Wenn es an einer solchen geschützten Stellung fehle, könne eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs nämlich kaum Erfolg haben.

20 Was die Vorschriften der Verordnung Nr. 1475/95 angeht, ist die Cour d'appel Douai der Ansicht, die Auslegung dieser Verordnung sei erforderlich, da die Klage wegen unlauteren Wettbewerbs nicht nur auf Ersatz des zur Zeit der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 123/85 erlittenen Schadens, sondern auch auf das Verbot der Tätigkeit des unabhängigen Wiederverkäufers für die Zeit nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1475/95 gerichtet sei.

21 Im Hinblick auf die Entscheidung über die Zulässigkeit der Fragen, ist darauf hinzuweisen, daß es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache der nationalen Gerichte, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu treffende gerichtliche Entscheidung tragen, ist, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlaß ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihnen vorgelegten Fragen zu beurteilen. Das Ersuchen eines nationalen Gerichts kann nur zurückgewiesen werden, wenn offensichtlich kein Zusammenhang zwischen der erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht (vgl. u. a. Urteil vom 26. Oktober 1995 in der Rechtssache C-143/94, Furlanis, Slg. 1995, I-3633, Randnr. 12). Das ist im Ausgangsverfahren jedoch nicht der Fall.

22 Zum einen hat das vorlegende Gericht nämlich hinreichend dargelegt, daß der Ausgang eines Verfahrens wegen unlauteren Wettbewerbs auch dann, wenn die Alleinvertriebsverträge für Kraftfahrzeuge Dritten aufgrund der zitierten Urteile in den Rechtssachen Grand garage albigeois u. a. und Nissan France u. a. nicht entgegengehalten werden können, in seinem nationalen Recht von der Gültigkeit dieser Verträge nach der Verordnung Nr. 123/85 abhängen kann.

23 Zum anderen genügt die Notwendigkeit, der Beklagten des Ausgangsverfahrens gegebenenfalls aufgeben zu müssen, ihre Tätigkeit in der Zukunft einzustellen, um die Auslegung der einschlägigen Vorschriften der Verordnung Nr. 1475/95 zu rechtfertigen (siehe in diesem Sinne das Urteil vom 11. November 1997 in der Rechtssache C-408/95, Eurotunnel u. a., Slg. 1997, I-6315, Randnr. 24).

24 Somit sind die Fragen des vorlegenden Gerichts zu beantworten.

Zur ersten Frage

25 Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 123/85 dahin auszulegen ist, daß die Freistellung, die durch sie gewährt wird, für einen Vertrag gilt, in dem erstens die sachlich gerechtfertigten Gründe, aufgrund deren sich die Vertragsparteien vom Wettbewerbsverbot freimachen können, nicht im einzelnen angegeben sind, der es ferner dem Vertriebshändler verbietet, Neufahrzeuge jeder anderen Marke zu verkaufen, und zwar auch in anderen Geschäftsbetrieben als denen, in denen die Vertragswaren angeboten werden, und durch den schließlich dem Vertriebshändler ein bestimmtes vom Hersteller festgesetztes Verkaufsziel vorgegeben wird, wobei die Nichterreichung dieses Zieles durch eine Änderung des Vertragsgebiets, die Entziehung des ausschließlichen Niederlassungsrechts oder die Kündigung des Vertriebsvertrags geahndet wird.

26 Was den ersten Teil dieser Frage angeht, ist darauf hinzuweisen, daß die Befreiung von der Verpflichtung, keine anderen Neufahrzeuge zu verkaufen als diejenigen des Vertragsprogramms und darüber keine Vertriebs- oder Kundendienstvereinbarungen zu schließen, nach Artikel 5 Absatz 2 Ziffer 1 Buchstaben a und b der Verordnung Nr. 123/85 davon abhängig ist, daß die Parteien die Möglichkeit vorsehen, sich von ihren jeweiligen Verpflichtungen beim Nachweis sachlich gerechtfertigter Gründe zu befreien.

27 Wie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen unter Nummer 22 zu Recht hervorgehoben hat, enthalten diese Vorschriften lediglich den Grundsatz, daß die Parteien in ihrem Vertrag die Möglichkeit vorsehen müssen, sich durch den Nachweis solcher sachlich gerechtfertigter Gründe vom Wettbewerbsverbot freizumachen, ohne jedoch vorzuschreiben, daß der Vertrag eine erschöpfende Liste der Gründe enthalten muß, die geltend gemacht werden können.

28 Artikel 5 Absatz 2 Ziffer 1 Buchstaben a und b der Verordnung Nr. 123/85 ist demnach dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung für eine Klausel eines Alleinvertriebsvertrags gilt, die lediglich vorsieht, daß die Parteien sich auf sachlich gerechtfertigte Gründe berufen können, um sich von ihren jeweiligen Wettbewerbsverboten freizumachen, ohne daß darin im einzelnen angegeben wird, worin diese Gründe bestehen können.

29 Was den zweiten Teil der ersten Frage angeht, ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 3 Ziffer 3 der Verordnung Nr. 123/85 dem Hersteller die Möglichkeit einräumt, den Vertriebshändler zu verpflichten, mit den Vertragswaren im Wettbewerb stehende Neufahrzeuge nicht zu vertreiben und von anderen Herstellern angebotene Neufahrzeuge in Geschäftsbetrieben, in denen die Vertragswaren angeboten werden, nicht zu vertreiben.

30 In Anbetracht des allgemeinen Verbotes wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen in Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages dürfen in einer Gruppenfreistellungsverordnung enthaltene Ausnahmevorschriften aber nicht extensiv und nicht so ausgelegt werden, daß die Wirkungen der Verordnung über das hinausgehen, was zum Schutz der Interessen, deren Wahrung sie dienen soll, erforderlich ist (Urteil vom 24. Oktober 1995 in der Rechtssache C-70/93, Bayerische Motorenwerke, Slg. 1995, I-3439, Randnr. 28).

31 Die Ausnahmeregelung in Artikel 3 Ziffer 3 der Verordnung erfasst daher nicht die dem Vertragshändler gegebenenfalls auferlegte Verpflichtung, von anderen als dem Hersteller angebotene neue Kraftfahrzeuge in anderen Geschäftsräumen als denjenigen, in denen Vertragswaren angeboten werden, nicht zu verkaufen.

32 Diese Auslegung ist auch dann geboten, wenn der Händler sich auf in Artikel 5 Absatz 2 vorgesehene sachlich gerechtfertigte Gründe berufen kann. Wie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen unter Nummer 25 zu Recht ausgeführt hat, erlaubt der Umstand, daß der Händler sich auf sachlich gerechtfertigte Gründe berufen kann, den Händlern lediglich, wenn sachlich gerechtfertigte Gründe vorliegen, Kraftfahrzeuge einer anderen Marke, die aber nicht mit Vertragswaren im Wettbewerb stehen, auch an Örtlichkeiten zu vertreiben, an denen Vertragswaren verkauft werden. Sie kann dagegen nicht dahin ausgelegt werden, daß das Vorliegen von sachlich gerechtfertigten Gründen nachzuweisen ist, damit von anderen als dem Hersteller gelieferte Fahrzeuge in anderen Geschäftsräumen als denjenigen vertrieben werden können, in denen Vertragswaren verkauft werden.

33 Die Artikel 3 Ziffer 3 und 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 123/85 sind demnach dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung nicht für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ausser bei Vorliegen sachlich gerechtfertigter Gründe verbietet, neue Fahrzeuge jeder anderen Marke auch in anderen Geschäftsräumen als denjenigen zu vertreiben, in denen die Vertragswaren angeboten werden.

34 Was den dritten Teil der ersten Frage angeht, ist darauf hinzuweisen, daß die Hersteller nach Artikel 4 Absatz 1 Ziffer 3 der Verordnung Nr. 123/85 die Händler dazu verpflichten dürfen, sich darum zu bemühen, innerhalb des Vertragsgebiets eine Mindestzahl von Vertragswaren abzusetzen.

35 Daraus folgt, daß zum einen die Möglichkeit, Verkaufsziele festzulegen, in der Verordnung Nr. 123/85 ausdrücklich vorgesehen ist und daß zum anderen die dem Vertragshändler auferlegte Verpflichtung, ein solches Ziel zu erreichen, nur eine blosse Verpflichtung zum Einsatz geeigneter Mittel sein kann.

36 Ausserdem ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 123/85 Fristen für die Kündigung des Vertrages vorsieht und daß die Parteien nach Artikel 5 Absatz 4 die ausserordentliche Kündigung der Vereinbarung aussprechen können.

37 Die Verordnung Nr. 123/85 verbietet folglich nicht, für den Fall, daß der Vertragshändler das angestrebte Verkaufsziel aufgrund einer Verletzung seiner Verpflichtung zum Einsatz geeigneter Mittel nicht erreicht, Sanktionen vorzusehen, die bis zur Kündigung der Vereinbarung gehen können.

38 Die Artikel 4 Absatz 1 Ziffer 3 und 5 Absatz 2 Ziffern 2 und 3 der Verordnung Nr. 123/85 sind demnach dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung eingeräumte Freistellung für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ein bestimmtes Verkaufsziel vorgibt und die bis zur Kündigung des Vertrags gehende Sanktionen für den Fall vorsieht, daß dieses Ziel nicht erreicht wird, jedoch unter der Voraussetzung, daß die Festsetzung des Verkaufsziels den Ausdruck einer blossen Verpflichtung zum Einsatz geeigneter Mittel darstellt.

Zur zweiten Frage

39 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob die Antworten auf den zweiten und den dritten Teil der ersten Frage auch für die entsprechenden Vorschriften der Verordnung Nr. 1475/95 gelten.

40 Was den ersten Teil dieser Frage angeht, genügt der Hinweis, daß Artikel 3 Nummer 3 der Verordnung Nr. 1475/95 ausdrücklich vorsieht, daß die Freistellung für die Verpflichtung gilt, neue Kraftfahrzeuge einer anderen Marke nur in räumlich getrennten Verkaufslokalen unter getrennter Geschäftsführung mit eigener Rechtspersönlichkeit und in einer Weise zu vertreiben, die eine Verwechslung der Marken ausschließt.

41 Die Artikel 3 Nummer 3 und 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1475/95 sind demnach dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung nicht für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ausser bei Vorliegen sachlich gerechtfertigter Gründe verbietet, Neufahrzeuge anderer Marken auch in Geschäftsräumen zu vertreiben, die von denjenigen getrennt sind, in denen die Vertragswaren angeboten werden.

42 Was den zweiten Teil der zweiten Frage angeht, ist zunächst festzustellen, daß Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1475/95 wie Artikel 5 Absatz 4 der Verordnung Nr. 123/85 das Recht eines Vertragspartners zur ausserordentlichen Kündigung der Vereinbarung vorsieht, daß dieses Recht aber nach der ausdrücklichen Regelung in dem Artikel der neuen Verordnung nur entsteht, wenn die andere Vertragspartei eine ihrer wesentlichen Verpflichtungen nicht erfuellt.

43 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß durch Artikel 4 Absatz 1 Nummer 3 der Verordnung Nr. 1475/95 im Verhältnis zum gleichen Punkt in der Verordnung Nr. 123/85 eine zusätzliche Voraussetzung aufgestellt wird. Die Festsetzung der Verkaufsziele muß nämlich, wenn sie unter diese Vorschrift fallen soll, nicht nur den Ausdruck einer blossen Verpflichtung zum Einsatz geeigneter Mittel darstellen, sondern sie muß darüber hinaus auch einvernehmlich oder bei fehlendem Einvernehmen durch einen sachverständigen Dritten erfolgen.

44 Im Rahmen der Verordnung Nr. 1475/95 kann die Festsetzung der Verkaufsziele folglich nicht einseitig durch den Hersteller erfolgen.

45 Die Artikel 4 Absatz 1 Nummer 3 und 5 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 1475/95 sind demnach dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ein bestimmtes Verkaufsziel vorgibt, und die für den Fall, daß dieses Ziel nicht erreicht wird, Sanktionen vorsieht, die bis zur Kündigung des Vertrages gehen können, jedoch unter der Voraussetzung, daß die Festsetzung des Verkaufsziels den Ausdruck einer blossen Verpflichtung zum Einsatz geeigneter Mittel darstellt und daß diese Festsetzung einvernehmlich von den Parteien oder bei fehlendem Einvernehmen von einem sachverständigen Dritten vorgenommen worden ist.

Zur dritten Frage

46 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages einen Kraftfahrzeugvertriebsvertrag dann erfasst, wenn für diesen keine Gruppenfreistellung gilt.

47 Als Durchführungsverordnungen zu Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag beschränken sich die Verordnung Nr. 123/85 und die Verordnung Nr. 1475/95 darauf, den Wirtschaftsteilnehmern des Kraftfahrzeugsektors bestimmte Möglichkeiten an die Hand zu geben, ihre Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen dem Verbot des Artikels 85 Absatz 1 zu entziehen, obwohl sie bestimmte Arten von Alleinvertriebs- und Wettbewerbsverbotsklauseln enthalten. Die Vorschriften der Freistellungsverordnungen verpflichten die Wirtschaftsteilnehmer jedoch nicht dazu, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Sie bewirken auch weder eine Änderung des Inhalts einer solchen Vereinbarung noch deren Nichtigkeit, wenn nicht alle Voraussetzungen dieser Verordnungen erfuellt sind (vgl. Urteil vom 18. Dezember 1986 in der Rechtssache 10/86, VAG France, Slg. 1986, 4071, Randnr. 12).

48 Erfuellt eine Vereinbarung nicht alle in einer Freistellungsverordnung vorgesehenen Voraussetzungen, so fällt sie nur unter das Verbot des Artikels 85 Absatz 1, wenn sie eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt und wenn sie geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (vgl. Urteile vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 56/65, Société Technique Minière [LTM], Slg. 1966, 282, und vom 13. Juli 1966 in den verbundenen Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 322).

49 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage aller ihm zur Verfügung stehenden Angaben und unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs, in dem die Vereinbarung steht, festzustellen, ob diese Voraussetzungen in der bei ihm anhängigen Sache erfuellt sind.

50 Dabei darf eine Vereinbarung nicht von den tatsächlichen oder rechtlichen Begleitumständen, die dazu führen, daß sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bewirkt, losgelöst werden. In diesem Zusammenhang ist das Bestehen gleichartiger Verträge ein Sachverhalt, der gemeinsam mit anderen eine Gesamtheit wirtschaftlicher und rechtlicher Begleitumstände bilden kann, in deren Zusammenhang der Vertrag bei seiner Beurteilung betrachtet werden muß (vgl. Urteil vom 12. Dezember 1967 in der Rechtssache 23/67, Brasserie de Hächt, Slg. 1967, 544).

51 Für den Fall, daß das vorlegende Gericht die Nichtigkeit einer oder mehrerer Vertragsklauseln feststellen sollte, ist hinzuzufügen, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. Urteil VAG France, a. a. O., Randnr. 14) die Auswirkungen der Nichtigkeit der mit Artikel 85 Absatz 1 unvereinbaren vertraglichen Bestimmungen auf die übrigen Bestandteile des Vertrages oder auf andere vertragliche Verpflichtungen nicht nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilen sind. Es ist daher auch Sache des vorlegenden Gerichts, nach dem geltenden nationalen Recht zu beurteilen, welche Bedeutung und welche Auswirkungen für die gesamten vertraglichen Beziehungen eine eventuelle Nichtigkeit bestimmter Vertragsklauseln aufgrund von Artikel 85 Absatz 2 hat.

52 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, daß das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages Klauseln in einem Kraftfahrzeugvertriebsvertrag auch in dem Fall erfasst, daß für diese die Gruppenfreistellung nicht gilt, wenn diese Klauseln unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken und wenn sie geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

Kostenentscheidung:

Kosten

53 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm von der Cour d'appel de Douai mit Urteil vom 20. Juni 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 5 Absatz 2 Ziffer 1 Buchstaben a und b der Verordnung (EWG) Nr. 123/85 der Kommission vom 12. Dezember 1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge ist dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung für eine Klausel eines Alleinvertriebsvertrags gilt, die lediglich vorsieht, daß die Parteien sich auf sachlich gerechtfertigte Gründe berufen können, um sich von ihren jeweiligen Wettbewerbsverboten freizumachen, ohne daß darin im einzelnen angegeben wird, worin diese Gründe bestehen können.

Die Artikel 3 Ziffer 3 und 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 123/85 sind dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung nicht für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ausser bei Vorliegen sachlich gerechtfertigter Gründe verbietet, neue Fahrzeuge jeder anderen Marke auch in anderen Geschäftsräumen als denjenigen zu vertreiben, in denen die Vertragswaren angeboten werden.

Die Artikel 4 Absatz 1 Ziffer 3 und 5 Absatz 2 Ziffern 2 und 3 der Verordnung Nr. 123/85 sind dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung eingeräumte Freistellung für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ein bestimmtes Verkaufsziel vorgibt und die bis zur Kündigung des Vertrages gehende Sanktionen für den Fall vorsieht, daß dieses Ziel nicht erreicht wird, jedoch unter der Voraussetzung, daß die Festsetzung des Verkaufsziels den Ausdruck einer blossen Verpflichtung zum Einsatz geeigneter Mittel darstellt.

2. Die Artikel 3 Nummer 3 und 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1475/95 der Kommission vom 28. Juni 1995 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge sind dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung nicht für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ausser bei Vorliegen sachlich gerechtfertigter Gründe verbietet, Neufahrzeuge anderer Marken auch in Geschäftsräumen zu vertreiben, die von denjenigen getrennt sind, in denen die Vertragswaren angeboten werden.

Die Artikel 4 Absatz 1 Nummer 3 und 5 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 1475/95 sind dahin auszulegen, daß die durch die Verordnung gewährte Freistellung für eine Vertragsklausel gilt, die dem Händler ein bestimmtes Verkaufsziel vorgibt, und die für den Fall, daß dieses Ziel nicht erreicht wird, Sanktionen vorsieht, die bis zur Kündigung des Vertrages gehen können, jedoch unter der Voraussetzung, daß die Festsetzung des Verkaufsziels den Ausdruck einer blossen Verpflichtung zum Einsatz geeigneter Mittel darstellt und daß diese Festsetzung einvernehmlich von den Parteien oder bei fehlendem Einvernehmen von einem sachverständigen Dritten vorgenommen wird.

3. Das Verbot des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages erfasst Klauseln in einem Kraftfahrzeugvertriebsvertrag auch in dem Fall, daß für diese die Gruppenfreistellung nicht gilt, wenn diese Klauseln unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken und wenn sie geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

Ende der Entscheidung

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