Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.11.1992
Aktenzeichen: C-235/91
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169
EWG-Vertrag Art. 30
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 30 EWG-Vertrag, dessen Wortlaut in den Verordnungen Nrn. 805/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch und 827/68 über die gemeinsame Marktorganisation für bestimmte in Anhang II des Vertrages aufgeführte Erzeugnisse ausdrücklich wiederholt wurde, steht der Anwendung von nationalen Rechtsvorschriften in den innergemeinschaftlichen Beziehungen entgegen, die, auch nur als reine Formalität, Einfuhrlizenzen oder irgendein anderes ähnliches Verfahren verlangen. Wenn gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen über harmonisierte Kontrollverfahren ergangen sind, kann selbst eine vorübergehende Beibehaltung derartiger Rechtsvorschriften nicht unter Berufung auf die in Artikel 36 EWG-Vertrag zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren vorgesehene Ausnahme gerechtfertigt werden und sind die angemessenen Kontrollen allein im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen durchzuführen.

2. Die Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit Gemeinschaftsbestimmungen, selbst wenn diese unmittelbar anwendbar sind, kann abschließend nur durch zwingende innerstaatliche Bestimmungen behoben werden, die dieselbe rechtliche Wirkung besitzen wie die zu ändernden Bestimmungen. Eine blosse Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist, kann nicht als eine rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag angesehen werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 17. NOVEMBER 1992. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN IRLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG - EINFUHRBESCHRAENKUNGEN FUER ZUR KUENSTLICHEN BESAMUNG BESTIMMTEN SAMEN VON RINDERN UND SCHWEINEN. - RECHTSSACHE C-235/91.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 17. September 1991 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag, der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl. L 148, S. 24), der Verordnung (EWG) Nr. 827/68 des Rates vom 28. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für bestimmte in Anhang II des Vertrages aufgeführte Erzeugnisse (ABl. L 151, S. 16), der Richtlinie 77/504/EWG des Rates vom 25. Juli 1977 über reinrassige Zuchtrinder (ABl. L 206, S. 8) und der Entscheidung 88/124/EWG der Kommission vom 21. Januar 1988 über die Muster und Angaben in Zuchtbescheinigungen für Samen und befruchtete Eizellen reinrassiger Zuchtrinder (ABl. L 62, S. 32) verstossen hat, daß es sämtliche Einfuhren von Samen von Hausrindern und Hausschweinen einer Genehmigungspflicht und verschiedenen einschränkenden Voraussetzungen unterworfen hat.

2 Die Kommission macht geltend, daß das Erfordernis einer Einfuhrgenehmigung eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels darstelle und daß die von Irland auferlegten Beschränkungen, die nicht durch veterinärrechtliche Gründe gerechtfertigt werden könnten, mit den gemeinschaftsrechtlichen tierzuechterischen Normen nicht in Einklang stuenden.

3 Irland räumt ein, daß seine Rechtsvorschriften nicht den Gemeinschaftsbestimmungen entsprächen und daß sie geändert werden müssten, um sie mit diesen Bestimmungen in Einklang zu bringen. Bis zum Erlaß der erforderlichen Vorschriften werde die bestehende Regelung jedoch der Sache nach in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht gehandhabt, das nationale Kontrollmaßnahmen im Bereich der Tierzucht und des Veterinärrechts zulasse; ausserdem werde in der Praxis allen von der Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme geäusserten Bedenken Rechnung getragen.

4 Dem Vorbringen Irlands kann nicht gefolgt werden.

5 Zum einen steht Artikel 30 EWG-Vertrag, dessen Wortlaut in den Verordnungen Nrn. 805/68 und 827/68 ausdrücklich wiederholt wurde, der Anwendung von nationalen Rechtsvorschriften in den innergemeinschaftlichen Beziehungen entgegen, die, auch nur als reine Formalität, Einfuhrlizenzen oder irgendein anderes ähnliches Verfahren verlangen (Urteil vom 8. Februar 1983 in der Rechtssache 124/81, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1983, 203, Randnr. 9). Die in Artikel 36 EWG-Vertrag zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen und Tieren vorgesehene Ausnahme kann in diesem Zusammenhang nicht herangezogen werden, um die auch nur vorläufige Beibehaltung solcher Rechtsvorschriften zu rechtfertigen, wenn Richtlinien der Gemeinschaft die Harmonisierung der zur Gewährleistung des Schutzes der Gesundheit von Menschen und Tieren notwendigen Maßnahmen vorsehen und gemeinschaftliche Verfahren zur Kontrolle ihrer Einhaltung regeln (Urteil vom 8. November 1979 in der Rechtssache 251/78, Denkavit, Slg. 1979, 3369, Randnr. 14).

6 Wenn gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen über harmonisierte Kontrollverfahren ergangen sind, sind die angemessenen Kontrollen allein im Rahmen dieser Bestimmungen durchzuführen.

7 In bezug auf Rinder wurden diese Harmonisierungsmaßnahmen insbesondere in der Richtlinie 77/504 und den zu ihrer Anwendung ergangenen Entscheidungen der Kommission, zu denen die Entscheidung 88/124 gehört, sowie in der Richtlinie 87/328/EWG des Rates vom 18. Juni 1987 über die Zulassung reinrassiger Zuchtrinder zur Zucht (ABl. L 167, S. 54) und im Anschluß daran in der Richtlinie 88/407/EWG des Rates vom 14. Juni 1988 zur Festlegung der tierseuchenrechtlichen Anforderungen an den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit gefrorenem Samen von Rindern und an dessen Einfuhr (ABl. L 194, S. 10) festgelegt.

8 In bezug auf Schweine wurden die tierzuechterischen und veterinärrechtlichen Kontrollen offenbar durch entsprechende Bestimmungen harmonisiert. Diese Bestimmungen sind insbesondere in der Richtlinie 88/661/EWG des Rates vom 19. Dezember 1988 über die tierzuechterischen Normen für Zuchtschweine (ABl. L 382, S. 36) und der Richtlinie 90/429/EWG des Rates vom 26. Juni 1990 zur Festlegung der tierseuchenrechtlichen Anforderungen an den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Samen von Schweinen und an dessen Einfuhr (ABl. L 224, S. 62) enthalten. Die Fristen für das Inkrafttreten dieser Maßnahmen sind erst nach dem Ende der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission festgelegten Frist abgelaufen, und diese beruft sich im übrigen in der vorliegenden Klage nicht auf sie. Aber die irische Regierung räumt ein, daß ihre Rechtsvorschriften geändert werden müssen und das System der Einfuhrgenehmigungen durch ein System von Beglaubigungen ersetzt werden muß, das den Richtlinien und Entscheidungen der Gemeinschaft entspricht. Sie weist nicht nach und macht nicht einmal ausdrücklich geltend, daß diese Rechtsvorschriften, soweit sie die Einfuhren des Samens von Schweinen betreffen, vor dem endgültigen Inkrafttreten der Harmonisierungsbestimmungen unter die in Artikel 36 EWG-Vertrag vorgesehene Ausnahme fallen konnten.

9 Zum anderen kann die Unvereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften mit Gemeinschaftsbestimmungen, selbst wenn diese unmittelbar anwendbar sind, abschließend nur durch zwingende innerstaatliche Bestimmungen behoben werden, die dieselbe rechtliche Wirkung besitzen wie die zu ändernden Bestimmungen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Durchführung von Richtlinien kann eine blosse Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann und die nur unzureichend bekannt ist, nicht als eine rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag angesehen werden (Urteil vom 15. Oktober 1986 in der Rechtssache 168/85, Kommission/Italien, Slg. 1986, 2945, Randnr. 13).

11 Folglich kann sich Irland, das nicht bestreitet, daß seine nationalen Rechtsvorschriften wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den von der Kommission angeführten Gemeinschaftsbestimmungen geändert werden müssen, seinen Verpflichtungen auch nicht vorübergehend dadurch entziehen, daß es sich auf allgemeine Gründe des Gesundheitsschutzes und auf die Anwendung einer bestimmten Verwaltungspraxis beruft, die angeblich mit diesen Bestimmungen in Einklang steht.

12 Unter diesen Umständen ist die Vertragsverletzung gemäß den Anträgen der Kommission festzustellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

13 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Irland mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Irland hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EWG-Vertrag, aus der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch, aus der Verordnung (EWG) Nr. 827/68 des Rates vom 28. Juni 1968 über die Marktorganisation für bestimmte in Anhang II des Vertrages aufgeführte Erzeugnisse, aus der Richtlinie 77/504/EWG des Rates vom 25. Juli 1977 über reinrassige Zuchtrinder und aus der Entscheidung 88/124/EWG der Kommission vom 21. Januar 1988 über die Muster und Angaben in Zuchtbescheinigungen für Samen und befruchtete Eizellen reinrassiger Zuchtrinder verstossen, daß es die Einfuhren von Samen von Hausrindern und Hausschweinen einer Genehmigungspflicht und verschiedenen einschränkenden Voraussetzungen unterworfen hat.

2) Irland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

Zurück