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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.07.1998
Aktenzeichen: C-235/95
Rechtsgebiete: Richtlinie 80/987/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 80/987/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Nach Artikel 177 des Vertrages, der auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, ist für jede Würdigung des konkreten Sachverhalts das vorlegende Gericht zuständig. Der Gerichtshof ist daher nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom vorlegenden Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift zu äussern. Ausserdem wäre eine Änderung des Gehalts der Vorabentscheidungsfragen mit der dem Gerichtshof durch Artikel 177 des Vertrages übertragenen Rolle sowie mit seiner Verpflichtung unvereinbar, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu verschaffen, gemäß Artikel 20 der Satzung des Gerichtshofes Erklärungen abzugeben, wobei zu berücksichtigen ist, daß nach der letztgenannten Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen den Verfahrensbeteiligten zugestellt werden.

4 Die Artikel 4 Absatz 3 und 11 der Richtlinie 80/987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers stehen der Anwendung von nationalen Vorschriften, durch die eine Hoechstgrenze für die Garantie der Erfuellung unbefriedigter Ansprüche der Arbeitnehmer festgesetzt wird, auch dann nicht entgegen, wenn der Mitgliedstaat der Kommission nicht mitgeteilt hat, nach welchen Methoden er die Hoechstgrenze festgesetzt hat.

Aus Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Richtlinie 80/987, wonach die Mitgliedstaaten, die gemäß der Gestattung in Unterabsatz 1 eine Hoechstgrenze für die Garantie der Erfuellung unbefriedigter Ansprüche der Arbeitnehmer festgesetzt haben, der Kommission mitzuteilen haben, nach welchen Methoden die Hoechstgrenze festgesetzt worden ist, geht nicht hervor, daß die Unterrichtungspflicht ein Verfahren zur Kontrolle der von dem Mitgliedstaat gewählten Methoden durch die Gemeinschaft auslöst oder daß die Umsetzung der den Mitgliedstaaten eröffneten Möglichkeit, eine Hoechstgrenze festzusetzen, der - ausdrücklichen oder stillschweigenden - Zustimmung der Kommission unterliegt. Im übrigen ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck der fraglichen Vorschrift, daß die Nichteinhaltung der den Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtung zur vorherigen Unterrichtung für sich genommen zur Rechtswidrigkeit der so beschlossenen Hoechstgrenzen führt.

Demnach geht die Unterrichtungspflicht aus Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Richtlinie lediglich dahin, der Kommission mitzuteilen, ob und gegebenenfalls auf welche Weise die Mitgliedstaaten von der Befugnis aus Unterabsatz 1 Gebrauch gemacht haben.

Aus Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten der Kommission den Wortlaut der Rechts- und Verwaltungsvorschriften mitzuteilen haben, die sie auf dem unter die Richtlinie fallenden Gebiet erlassen, ergibt sich eindeutig, daß diese Vorschrift die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission betrifft und kein Recht der einzelnen begründet, das verletzt werden könnte, wenn ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung verstösst, der Kommission vorab mitzuteilen, nach welchen Methoden er die Hoechstgrenze im Sinne von Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie festsetzt.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 16. Juli 1998. - AGS Assedic Pas-de-Calais gegen François Dumon und Froment, Konkursverwalter der Firma Établissements Pierre Gilson. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Douai - Frankreich. - Sozialpolitik - Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - Richtlinie 80/987/EWG - Artikel 4 - Unmittelbare Wirkung - Möglichkeit, nationale Vorschriften, durch die eine Höchstgrenze für die Zahlungsgarantie festgesetzt wird, trotz fehlender Unterrichtung der Kommission einzelnen entgegenzuhalten. - Rechtssache C-235/95.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour d'appel Douai hat mit Urteil vom 27. Januar 1995, berichtigt durch Urteil vom 31. Mai 1995 und eingegangen beim Gerichtshof am 6. Juli 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, S. 23; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen F. Dumon, einem ehemaligen Angestellten der Firma Établissements Pierre Gilson (im folgenden: Firma Gilson), und der AGS Assedic Pas-de-Calais als Vertreterin der Association pour la gestion du régime d'assurance des créances des salariés (Vereinigung für die Verwaltung der Versicherung von Arbeitnehmeransprüchen; im folgenden: AGS) wegen der Hoechstgrenze für die Garantie, die im Konkurs über das Vermögen der Firma Gilson auf die Ansprüche von F. Dumon angewandt wurde.

Das Gemeinschaftsrecht

3 Nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 gilt die Richtlinie für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig sind. Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit ist in Artikel 2 Absatz 1 definiert.

4 Nach Artikel 3 Absatz 1 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit vorbehaltlich des Artikels 4 Garantieeinrichtungen die Befriedigung der nichterfuellten Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen, die das Arbeitsentgelt für den vor einem bestimmten Zeitpunkt liegenden Zeitraum betreffen, sicherstellen.

5 Nach Artikel 4 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten die in Artikel 3 vorgesehene Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen begrenzen. Insbesondere können die Mitgliedstaaten, um die Zahlung von Beträgen zu vermeiden, die über die soziale Zweckbestimmung der Richtlinie hinausgehen, für die Garantie der Erfuellung unbefriedigter Ansprüche der Arbeitnehmer eine Hoechstgrenze festsetzen. Machen die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch, so teilen sie der Kommission mit, nach welchen Methoden sie die Hoechstgrenze festsetzen.

6 Artikel 11 Absatz 1 sieht vor, daß die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen hatten, um der Richtlinie innerhalb von sechsunddreissig Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen, und daß sie die Kommission unverzueglich davon in Kenntnis zu setzen hatten. Nach Artikel 11 Absatz 2 hatten die Mitgliedstaaten der Kommission den Wortlaut der Rechts- und Verwaltungsvorschriften mitzuteilen, die sie auf dem unter die Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.

Das nationale Recht

7 Im französischen Recht enthält das Arbeitsgesetzbuch (Code du travail) eine Reihe von Bestimmungen von älterem Ursprung als die Richtlinie, durch die die Erfuellung von Lohn- und Gehaltsansprüchen, mit denen das Unternehmen infolge eines gerichtlich zugelassenen Sanierungsverfahrens oder eines Konkursverfahrens in Rückstand ist, gewährleistet werden soll und die Garantie der für die Absicherung gegen Zahlungsunfähigkeit von Arbeitgebern geschaffenen Einrichtungen begrenzt wird (Gesetz Nr. 73-1194 vom 27. Dezember 1973, geändert und ergänzt durch das Gesetz Nr. 85-98 vom 25. Januar 1985, und Gesetz Nr. 75-1251 vom 27. Dezember 1975).

8 Nach Artikel L.143-11-1 des Arbeitsgesetzbuchs hat jeder Arbeitgeber, der Kaufmann oder, auch ohne Handelsgeschäfte zu betreiben, eine privatrechtliche juristische Person ist und einen oder mehrere Arbeitnehmer beschäftigt, diese gegen das Risiko zu versichern, daß ihnen zur Erfuellung des Arbeitsvertrags zustehende Beträge im Falle eines gerichtlich zugelassenen Sanierungsverfahrens nicht gezahlt werden.

9 Artikel L.143-11-4 bestimmt, daß die in Artikel L.143-11-1 vorgesehene Versicherung durch eine von den repräsentativsten nationalen Arbeitgeberverbänden gegründete und von dem für den Bereich Arbeit zuständigen Minister zugelassene Vereinigung einzurichten ist.

10 Die AGS, in der der Conseil national du patronat français (Nationalrat der französischen Arbeitgeberschaft), die Confédération des petites et moyennes entreprises (Verband der kleinen und mittleren Unternehmen) und die Confédération nationale de la mutualité de la coopération et du crédit agricole (Nationalverband der Genossenschafts- und Agrarkreditvereine auf Gegenseitigkeit) zusammengeschlossen sind, wurde zu diesem Zweck gegründet. Ein Verwaltungsabkommen zwischen diesen Vereinigungen und der Union nationale interprofessionnelle pour l'emploi dans l'industrie et le commerce (Branchenübergreifende Nationalunion für die Beschäftigung in Industrie und Handel; im folgenden: Unedic) wurde durch das Arbeitsministerium genehmigt. Die Unedic und die Vereinigungen für die Beschäftigung in Industrie und Handel, die sogenannten "Assedics", sind von der AGS beauftragt, die Beiträge zur Finanzierung dieses Garantiesystems zu erheben und den vom Gericht bestellten Verwaltern die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen.

11 Durch Artikel L.143-11-8 wird die Garantie der in Artikel L.143-11-4 aufgeführten Einrichtungen für die Summe aller Ansprüche des Arbeitnehmers auf einen oder mehrere Beträge begrenzt, die unter Bezugnahme auf den in Buch III Titel V Kapitel 1 Abschnitt II des Arbeitsgesetzbuchs vorgesehenen monatlichen Hoechstbetrag für die Berechnung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung durch Dekret festgesetzt werden.

12 Nach Artikel D.143-2 des Arbeitsgesetzbuchs beläuft sich der Hoechstbetrag der in Artikel L.143-11-8 des Arbeitsgesetzbuchs vorgesehenen Garantie auf das Dreizehnfache des monatlichen Hoechstbetrags für die Berechnung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, wenn sich die Ansprüche aus Gesetz, Verordnung oder Tarifvertrag ergeben und aufgrund eines Arbeitsvertrags entstanden sind, der über sechs Monate vor Eröffnung des gerichtlich zugelassenen Sanierungsverfahrens geschlossen worden ist (im folgenden: Hoechstgrenze 13). Maßgebend für die Berechnung dieses Hoechstbetrags, der sich am 1. Juli 1995 auf 679 120 FF belief, ist der Tag der Fälligkeit des Anspruchs des Arbeitnehmers, spätestens aber der Tag, an dem gerichtlich der Sanierungsplan festgestellt oder der Konkurs eröffnet wird. Ansonsten ist die genannte Garantie auf das Vierfache des Hoechstbetrags für die Berechnung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung beschränkt (im folgenden: Hoechstgrenze 4). Am 1. Juli 1995 belief sich dieser Hoechstbetrag auf 208 960 FF.

Ausgangsverfahren

13 Aufgrund eines am 1. April 1977 geschlossenen Arbeitsvertrags wurde F. Dumon von der Firma Gilson als exklusiver Handlungsreisender für einen bestimmten Bezirk (voyageur représentant et placier; im folgenden: VRP) eingestellt.

14 Mit Urteil vom 22. August 1989 eröffnete das Tribunal de commerce Lille den Konkurs über das Vermögen der Firma Gilson und ernannte Rechtsanwalt Froment als Konkursverwalter. Am 15. September 1989 wurde gegen F. Dumon eine Maßnahme zu seiner Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen erlassen, die am 8. Dezember 1989 wirksam wurde.

15 F. Dumon beantragte beim Conseil de prud'hommes Tourcoing zum einen, die genaue Höhe seiner Ansprüche festzusetzen, und zum anderen, deren Übernahme durch die AGS, vertreten durch die AGS Assedic du Pas-de-Calais, zu verlangen. Im einzelnen focht Dumon die Entscheidung an, durch die die AGS für ihre Garantieleistung die Hoechstgrenze 4 festgesetzt hatte, und berief sich auf die in derselben Vorschrift vorgesehene Hoechstgrenze 13. Er machte geltend, seine Ansprüche ergäben sich im Sinne von Artikel D.143-2 aus einem Gesetz oder einem Tarifvertrag und seien aufgrund eines Arbeitsvertrags entstanden, der über sechs Monate vor Eröffnung des Konkurses geschlossen worden sei.

16 Gestützt auf Artikel D.143-2 des Arbeitsgesetzbuchs machte die AGS geltend, der Anspruch von Dumon hänge nicht von Gesetz, Verordnung oder Tarifvertrag, sondern von einem Arbeitsvertrag ab. Daher sei die Hoechstgrenze 4 anzuwenden.

17 Durch Urteil vom 27. Januar 1992 stellte der Conseil de prud'hommes Tourcoing fest, der Anspruch von Dumon ergebe sich aus gesetzlichen Vorschriften, insbesondere aus Artikel L.751-1 des Arbeitsgesetzbuchs, der die Voraussetzungen für die Ausübung des Berufes eines VRP aufführe, und aus tarifvertraglichen Bestimmungen, nämlich Artikel 5 des landesweiten Tarifvertrags für die VRP. Dieser Anspruch könne der AGS daher bis zur Hoechstgrenze 13 und nicht etwa der Hoechstgrenze 4 entgegengehalten werden. Der Anspruch von Dumon gegen die Firma Gilson wurde deshalb auf 470 522 FF und die Höhe des zu seinen Gunsten noch bestehenden Anspruchs unter Berücksichtigung der bereits von der AGS gezahlten Beträge auf 380 840 FF festgesetzt.

18 Am 13. Mai 1992 legte die AGS, vertreten durch die AGS Assedic du Pas-de-Calais, Berufung gegen das genannte Urteil bei der Cour d'appel Douai ein. Dabei machte sie geltend, im Fall Dumon sei nicht die Hoechstgrenze 13, sondern die Hoechstgrenze 4 anzuwenden, und unter Berücksichtigung der schon geleisteten Vorschüsse habe der Berufungsbeklagte alle seine Rechte ihr gegenüber bereits ausgeschöpft.

19 Dumon beantragte dagegen bei der Cour d'appel, das Urteil des Conseil prud'hommes Tourcoing zu bestätigen. Hilfsweise machte er geltend, Artikel D.143-2 des französischen Arbeitsgesetzbuchs sei nicht mit Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie vereinbar, der, weil genau und unbedingt, unmittelbare Wirkung entfalten müsse.

Die Vorabentscheidungsfragen

20 Die Cour d'appel Douai bestätigte die Entscheidung des Conseil prud'hommes über die Ansprüche von Dumon im Konkursverfahren über das Vermögen der Firma Gilson dem Grund und der Höhe nach. Da sie aber Zweifel daran hat, wie die Richtlinie hinsichtlich der im nationalen Recht vorgesehenen Garantiebegrenzungen auszulegen ist, hat sie das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 4 der Richtlinie 80/987 vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers von allgemeiner Geltung und verbindlich und muß er daher im nationalen Recht unmittelbare Wirkung entfalten?

2. Ist Artikel D. 143-2 des französischen Arbeitsgesetzbuchs (wonach sich der Hoechstbetrag der in Artikel L. 143-11-8 des Arbeitsgesetzbuchs vorgesehenen Garantie auf das Dreizehnfache des monatlichen Hoechstbetrags für die Berechnung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung beläuft, wenn sich die Ansprüche aus Gesetz, Verordnung oder Tarifvertrag ergeben und aufgrund eines Arbeitsvertrags entstanden sind, der über sechs Monate vor Eröffnung des gerichtlich zugelassenen Sanierungsverfahrens geschlossen worden ist, und wonach der Betrag dieser Garantie anderenfalls auf das Vierfache des erwähnten monatlichen Hoechstbetrags beschränkt ist) mit der Richtlinie vereinbar, wenn die Kommission nicht unter den in Artikel 11 der Richtlinie vom 20. Oktober 1980 festgelegten Bedingungen unterrichtet worden ist?

Zur zweiten Frage

21 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts, die zweckmässigerweise zuerst zu prüfen ist, geht im wesentlichen dahin, ob die Artikel 4 Absatz 3 und 11 der Richtlinie der Anwendung von Vorschriften wie Artikel D.143-2 des französischen Arbeitsgesetzbuchs, durch die eine Hoechstgrenze für die Garantie der Erfuellung unbefriedigter Ansprüche der Arbeitnehmer festgesetzt wird, entgegenstehen, wenn der Mitgliedstaat der Kommission nicht mitgeteilt hat, nach welchen Methoden er die Hoechstgrenze festgesetzt hat.

22 Hierzu ist vorab zu bemerken, daß die französische Regierung in ihren Erklärungen vor dem Gerichtshof dargelegt hat, daß der Kommission 1984 und 1986 über das Generalsekretariat des Interministeriellen Ausschusses für Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa und die Ständige Vertretung Frankreichs bei den Gemeinschaften zwei Berichte über die Anpassung des innerstaatlichen Rechts an die Richtlinie zugeleitet worden seien. Darin seien ausführlich die Methoden für die Festsetzung der im französischen Recht vorgesehenen Hoechstgarantieleistung für Löhne und Gehälter dargestellt worden; insbesondere sei die Regelung zur Begrenzung der Garantieleistung der AGS angeführt und näheres zur Festsetzung der Hoechstbeträge für die Garantie ausgeführt worden. Die den Mitgliedstaaten durch Artikel 4 der Richtlinie eingeräumte Möglichkeit habe einer seit 1976 im französischen Recht existierenden Regelung entsprochen, so daß sich die französischen Behörden darauf beschränkt hätten, der Kommission die tabellarischen Übersichten über die Äquivalenz zwischen den Gemeinschaftsvorschriften und den französischen Vorschriften zu übermitteln.

23 Die französische Regierung ersucht daher den Gerichtshof, festzustellen, daß die Unterrichtungspflicht aus der Richtlinie voll und ganz erfuellt worden ist.

24 Die Kommission macht geltend, das französische Recht habe als Muster für die Erstellung der Richtlinie gedient und sie habe schon 1979 im Rahmen der von der französischen Regierung an den Rat gerichteten Dokumentation Kenntnis von den Methoden zur Festsetzung der Hoechstgrenze erlangt. Wenngleich es nicht zu einer formellen Anmeldung nach Erlaß der Richtlinie gekommen sei, habe sie daher doch von der Französischen Republik die Informationen erhalten, auf die sich Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie beziehe.

25 In einem Verfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, der auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, ist für jede Würdigung des konkreten Sachverhalts das vorlegende Gericht zuständig (siehe dahin gehend die Urteile vom 16. März 1978 in der Rechtssache 104/77, Öhlschläger, Slg. 1978, 791, Randnr. 4, und vom 15. November 1979 in der Rechtssache 36/79, Denkavit Futtermittel, Slg. 1979, 3439, Randnr. 12). Der Gerichtshof ist daher nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom vorlegenden Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift zu äussern (Urteile vom 2. Juni 1994 in der Rechtssache C-30/93, AG-ATEL Electronics, Slg. 1994, I-2305, Randnr. 16, und vom 20. März 1997 in der Rechtssache C-352/95, Phytheron International, Slg. 1997, I-1729, Randnr. 11).

26 Ausserdem wäre eine Änderung des Gehalts der Vorabentscheidungsfragen, wie der Gerichtshof in Randnummer 14 des schon erwähnten Urteils Phytheron International festgestellt hat, mit der dem Gerichtshof durch Artikel 177 EG-Vertrag übertragenen Rolle sowie mit seiner Verpflichtung unvereinbar, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu verschaffen, gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes Erklärungen abzugeben, wobei zu berücksichtigen ist, daß nach der letztgenannten Vorschrift nur die Vorlageentscheidungen den Verfahrensbeteiligten zugestellt werden.

27 Daher ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Verfahren vor dem Gerichtshof vorgetragenen neuen Gesichtspunkte für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits dienlich oder gar notwendig sind.

28 Im Hinblick auf die Beantwortung der zweiten Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, daß Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Richtlinie die Mitgliedstaaten, die gemäß der Gestattung in Unterabsatz 1 eine Hoechstgrenze für die Garantie der Erfuellung unbefriedigter Ansprüche der Arbeitnehmer festgesetzt haben, dazu verpflichtet, der Kommission mitzuteilen, nach welchen Methoden die Hoechstgrenze festgesetzt worden ist.

29 Jedoch geht aus dieser Vorschrift nicht hervor, daß die Unterrichtungspflicht ein Verfahren zur Kontrolle der von dem Mitgliedstaat gewählten Methoden durch die Gemeinschaft auslöst oder daß die Umsetzung der den Mitgliedstaaten eröffneten Möglichkeit, eine Hoechstgrenze festzusetzen, der - ausdrücklichen oder stillschweigenden - Zustimmung der Kommission unterliegt.

30 Im übrigen ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck der fraglichen Vorschrift, daß die Nichteinhaltung der den Mitgliedstaaten obliegenden Verpflichtung zur vorherigen Unterrichtung für sich genommen zur Rechtswidrigkeit der so beschlossenen Hoechstgrenzen führt (siehe zu einer analogen Bestimmung das Urteil vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 380/87, Enichem Base u. a., Slg. 1989, 2491, Randnr. 22).

31 Demnach geht die Unterrichtungspflicht aus Artikel 4 Absatz 3 Unterabsatz 2 lediglich dahin, der Kommission mitzuteilen, ob und gegebenenfalls auf welche Weise die Mitgliedstaaten von der Befugnis aus Unterabsatz 1 Gebrauch gemacht haben.

32 Aus Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten der Kommission den Wortlaut der Rechts- und Verwaltungsvorschriften mitzuteilen haben, die sie auf dem unter die Richtlinie fallenden Gebiet erlassen, ergibt sich eindeutig, daß diese Vorschrift die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission betrifft und kein Recht der einzelnen begründet, das verletzt werden könnte, wenn ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtung verstösst, der Kommission vorab mitzuteilen, nach welchen Methoden er die Hoechstgrenze im Sinne von Artikel 4 Absatz 3 festsetzt.

33 Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, daß die Artikel 4 Absatz 3 und 11 der Richtlinie der Anwendung von Vorschriften wie Artikel D.143-2 des französischen Arbeitsgesetzbuchs, durch die eine Hoechstgrenze für die Garantie der Erfuellung unbefriedigter Ansprüche der Arbeitnehmer festgesetzt wird, auch dann nicht entgegenstehen, wenn der Mitgliedstaat der Kommission nicht mitgeteilt hat, nach welchen Methoden er die Hoechstgrenze festgesetzt hat.

Zur ersten Frage

34 Mit seiner ersten Frage geht es dem vorlegenden Gericht darum, ob Artikel 4 der Richtlinie allgemein gilt und verbindlich ist, so daß einzelne sich vor einem nationalen Gericht darauf berufen können.

35 Angesichts der Antwort auf die zweite Frage bedarf es keiner Entscheidung über die erste Frage.

Kostenentscheidung:

Kosten

36 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm von der Cour d'appel Douai mit Urteil vom 27. Januar 1995, berichtigt durch Urteil vom 31. Mai 1995, vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Artikel 4 Absatz 3 und 11 der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers stehen der Anwendung von Vorschriften, durch die eine Hoechstgrenze für die Garantie der Erfuellung unbefriedigter Ansprüche der Arbeitnehmer festgesetzt wird, auch dann nicht entgegen, wenn der Mitgliedstaat der Kommission nicht mitgeteilt hat, nach welchen Methoden er die Hoechstgrenze festgesetzt hat.

Ende der Entscheidung

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