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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.12.1990
Aktenzeichen: C-238/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, UWG


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 30
EWG-Vertrag Art. 36
EWG-Vertrag Art. 177
UWG § 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er der Anwendung einer nationalen Vorschrift über den unlauteren Wettbewerb entgegensteht, die es einem Wirtschaftsteilnehmer erlaubt, das Verbot des Inverkehrbringens einer Ware im Gebiet eines Mitgliedstaats zu erwirken, die neben dem Warenzeichen den Buchstaben (R) im Kreis trägt, wenn dieses Warenzeichen nicht in diesem Staat, wohl aber in einem anderen Mitgliedstaat eingetragen ist.

Zur Rechtfertigung eines derartigen Verbots können nämlich weder zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes herangezogen werden - denn selbst wenn man unterstellt, daß die Verbraucher irregeführt werden könnten, könnte dies nur den nebensächlichen Umstand des Ortes der Eintragung des Warenzeichens betreffen, nicht aber den wesentlichen Punkt der Qualität des Erzeugnisses - noch zwingende Erfordernisse der Lauterkeit des Handelsverkehrs, denn ein umsichtiger Fachmann, der wissen möchte, ob ein rechtlicher Schutz durch Eintragung eines Warenzeichens besteht, kann sich hierüber genau informieren, und wer eine derartige Eintragung vornehmen lässt, strebt vor allem diesen Schutz an, wobei die Möglichkeit, ein Zeichen anzubringen, das diesen Umstand angibt, nur akzessorisch ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 13. DEZEMBER 1990. - PALL CORP. GEGEN P. J. DAHLHAUSEN & CO. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: LANDGERICHT MUENCHEN I - DEUTSCHLAND. - FREIER WARENVERKEHR - WARENZEICHENRECHT - IRREFUEHRENDE WERBUNG. - RECHTSSACHE C-238/89.

Entscheidungsgründe:

1 Das Landgericht München I hat mit Beschluß vom 29. Juni 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Juli 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der Firma Pall Corp. (nachstehend: Firma Pall), Klägerin des Ausgangsverfahrens, gegen die Firma P. J. Dahlhausen & Co. (nachstehend: Firma Dahlhausen). Letztere vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland Blutfilter, die sie aus Italien einführt. Der italienische Hersteller bringt auf den Filtern selbst und auf deren Verpackungen die Bezeichnung "Miropore" zusammen mit dem Buchstaben (R) im Kreis an.

3 Die Firma Pall nimmt die Firma Dahlhausen unter anderem auf Unterlassung der Verwendung des Buchstabens (R) hinter der Bezeichnung "Miropore" in der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch, da für diese Bezeichnung in Deutschland kein Warenzeichenschutz bestehe. Unter diesen Umständen sei die Verwendung des Buchstabens (R) als irreführende Werbung nach § 3 des deutschen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verboten. Diese Vorschrift verbietet "irreführende Angaben" über "den Ursprung... oder die Bezugsquelle von Waren".

4 Das Landgericht München I, bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, ist der Ansicht, daß das von der Firma Pall begehrte Verbot des Inverkehrbringens nach deutschem Recht zu erlassen sei, doch sei fraglich, ob ein derartiges Verbot einer mengenmässigen Beschränkung im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag gleichkäme.

5 Das vorlegende Gericht hat daher das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über folgende Fragen entschieden hat:

1) Kommt das von der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland mit § 3 UWG begründete Verbot, Waren in der Bundesrepublik Deutschland mit einem der Bezeichnung der Ware hinzugefügten (R) in Verkehr zu bringen, wenn in der Bundesrepublik Deutschland kein zeichenrechtlicher Schutz besteht, in seiner Wirkung einer nach Artikel 30 EWG-Vertrag unzulässigen mengenmässigen Einfuhrbeschränkung gleich, wenn es auch auf Fälle angewendet wird, in denen ein zeichenrechtlicher Schutz in einem anderen EG-Land besteht?

2) Ist § 3 UWG unter den besonderen Voraussetzungen des vorliegenden Falles zum Schutz der in Artikel 36 EWG-Vertrag genannten Rechtsgüter anwendbar?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof zwar im Verfahren nach Artikel 177 EWG-Vertrag nicht über die Vereinbarkeit einer nationalen Rechtsvorschrift mit dem Vertrag befinden kann, daß er jedoch befugt ist, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand geben, die dieses in die Lage versetzen, die Frage der Vereinbarkeit für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu beurteilen.

8 Deshalb sind die Vorabentscheidungsfragen so zu verstehen, daß mit ihnen Auskunft darüber begehrt wird, ob die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag dahin auszulegen sind, daß sie der Anwendung einer nationalen Vorschrift über den unlauteren Wettbewerb entgegenstehen, die es einem Wirtschaftsteilnehmer erlaubt, das Verbot des Inverkehrbringens einer Ware im Gebiet eines Mitgliedstaats zu erwirken, die neben dem Warenzeichen den Buchstaben (R) im Kreis trägt, wenn dieses Warenzeichen nicht in diesem Staat, wohl aber in einem anderen Mitgliedstaat eingetragen ist.

9 Die Verwendung des Symbols (R) - vom englischen Begriff "registered" abgeleitet - neben dem Warenzeichen zum Zweck der Angabe, daß es sich um ein eingetragenes und infolgedessen rechtlich geschütztes Warenzeichen handelt, stellt eine Praktik dar, die aus den Vereinigten Staaten stammt, wo sie gesetzlich geregelt ist. Diese Praktik ist in mehreren Mitgliedstaaten der Gemeinschaft weit verbreitet.

10 Wie sich aus den Akten ergibt, enthält das deutsche Warenzeichenrecht keine Vorschriften über die Verwendung des Symbols (R). Unter diesen Umständen ist das aufgeworfene Problem, das die Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift über den unlauteren Wettbewerb mit den Gemeinschaftsvorschriften über den freien Warenverkehr betrifft, ausschließlich nach Artikel 30 zu beurteilen.

11 Nach ständiger Rechtsprechung, die auf dem Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 (Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5) beruht, gilt das Verbot mengenmässiger Beschränkungen nach Artikel 30 EWG-Vertrag für jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.

12 Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung müssen Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Rechtsvorschriften ergeben, hingenommen werden, soweit solche - unterschiedslos für inländische wie für eingeführte Waren geltenden - Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen, unter anderem solchen des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs, gerecht zu werden. Derartige Bestimmungen sind jedoch nur zulässig, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen und wenn dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken (siehe insbesondere das Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78, Rewe, Slg. 1979, 649).

13 Zunächst ist festzustellen, daß ein Verbot der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Art den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr behindern kann, denn es kann den Inhaber eines nur in einem Mitgliedstaat eingetragenen Warenzeichens dazu zwingen, die Aufmachung seiner Erzeugnisse je nach dem Ort des Inverkehrbringens unterschiedlich zu gestalten und gesonderte Vertriebswege einzurichten, um sicherzustellen, daß die Waren, die das Symbol (R) tragen, nicht im Gebiet der Staaten in den Verkehr gebracht werden, die das fragliche Verbot erlassen haben.

14 Ein derartiges Verbot gilt auch unterschiedslos für inländische und eingeführte Waren. Es soll nämlich die Gefahr von Irrtümern darüber verhindern, wo das Warenzeichen des Erzeugnisses eingetragen und geschützt ist, ohne daß es in diesem Zusammenhang darauf ankommt, ob die Ware inländischer oder ausländischer Herkunft ist.

15 Deshalb ist zu prüfen, ob ein solches Verbot durch die genannten zwingenden Erfordernisse gerechtfertigt sein kann.

16 Hierzu ist vorgetragen worden, daß dieses Verbot gerechtfertigt sei, weil die Verwendung des Symbols (R), das die Eintragung eines Warenzeichens anzeigt, die Verbraucher irreführe, wenn das Warenzeichen nicht in dem Land eingetragen sei, in dem die Waren in den Verkehr gebracht werden.

17 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

18 Zum einen ist nämlich nicht erwiesen, daß das Symbol (R) in der Praxis allgemein in dem Sinne verwendet und verstanden wird, daß es angibt, daß das Warenzeichen in dem Land eingetragen ist, in dem das Erzeugnis in den Verkehr gebracht wird.

19 Zum anderen könnte, selbst wenn man unterstellt, daß die Verbraucher oder ein Teil von ihnen in bezug auf diesen Umstand irregeführt werden könnten, diese Gefahr ein so erhebliches Hindernis für den freien Warenverkehr nicht rechtfertigen, da die Verbraucher sich mehr für die Eigenschaften einer Ware als dafür interessieren, wo das Warenzeichen eingetragen ist.

20 Weiter ist vorgetragen worden, daß die Verwendung des Symbols (R) in einem Staat, in dem das Warenzeichen nicht eingetragen worden ist, als unlauteres Wettbewerbsverhalten gegenüber den Mitbewerbern anzusehen sei und daß sich die Hersteller, falls die Eintragung eines Warenzeichens in einem beliebigen Mitgliedstaat der Gemeinschaft genüge, um die Verwendung dieses Symbols zu rechtfertigen, für die Eintragung ihres Warenzeichens in den Mitgliedstaaten entscheiden könnten, die die geringsten Anforderungen stellten.

21 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Zum einen können umsichtige Wirtschaftsteilnehmer, die wissen möchten, ob ein Warenzeichen eingetragen ist, im öffentlichen Register die Rechtslage in bezug auf das fragliche Warenzeichen prüfen. Zum anderen strebt, wer in einem bestimmten Mitgliedstaat ein Warenzeichen eintragen lässt, in erster Linie an, das Zeichen in diesem Staat rechtlich schützen zu lassen. Das Symbol (R) hat wie die anderen Zeichen, die angeben, daß ein Warenzeichen eingetragen ist, im Verhältnis zu diesem rechtlichen Schutz, der Gegenstand der Eintragung ist, akzessorischen oder ergänzenden Charakter.

22 Schließlich findet das fragliche Verbot auch in der Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (ABl. L 250, S. 17), auf die sich die Bundesregierung in ihren Ausführungen gestützt hat, keine Grundlage, da festgestellt worden ist, daß es nicht durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs gerechtfertigt ist. Diese Richtlinie beschränkt sich auf eine Teilharmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über irreführende Werbung durch die Festsetzung von objektiven Mindestkriterien, anhand deren sich feststellen lässt, ob eine Werbung irreführend ist, und von Mindestanforderungen in bezug auf die Einzelheiten des Schutzes gegen eine solche Werbung.

23 Deshalb ist auf die Vorabentscheidungsfragen zu antworten, daß Artikel 30 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er der Anwendung einer nationalen Vorschrift über den unlauteren Wettbewerb entgegensteht, die es einem Wirtschaftsteilnehmer erlaubt, das Verbot des Inverkehrbringens einer Ware im Gebiet eines Mitgliedstaats zu erwirken, die neben dem Warenzeichen den Buchstaben (R) im Kreis trägt, wenn dieses Warenzeichen nicht in diesem Staat, wohl aber in einem anderen Mitgliedstaat eingetragen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Die Auslagen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Italienischen Republik und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Landgericht München I mit Beschluß vom 29. Juni 1989 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er der Anwendung einer nationalen Vorschrift über den unlauteren Wettbewerb entgegensteht, die es einem Wirtschaftsteilnehmer erlaubt, das Verbot des Inverkehrbringens einer Ware im Gebiet eines Mitgliedstaats zu erwirken, die neben dem Warenzeichen den Buchstaben (R) im Kreis trägt, wenn dieses Warenzeichen nicht in diesem Staat, wohl aber in einem anderen Mitgliedstaat eingetragen ist.

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