Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 01.10.1998
Aktenzeichen: C-238/96
Rechtsgebiete: EGV, Entscheidung 96/311/EG, Verordnung (EWG) Nr. 571/89, Verordnung (EWG) Nr. 859/89, Verordnung Nr. 729/70


Vorschriften:

EGV Art.173 Abs.1
Entscheidung 96/311/EG
Verordnung (EWG) Nr. 571/89
Verordnung (EWG) Nr. 859/89
Verordnung Nr. 729/70
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Der Umfang der in Artikel 190 des Vertrages angeordneten Begründungspflicht hängt von der Art des Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde.

Eine Entscheidung über den Rechnungsabschluß für die vom EAGFL finanzierten Ausgaben, mit der die Übernahme eines Teils der gemeldeten Ausgaben zu Lasten des EAGFL abgelehnt wird, bedarf keiner detaillierten Begründung, sofern die betroffene Regierung eng an dem Verfahren der Ausarbeitung der Entscheidung beteiligt war und deshalb den Grund kannte, aus dem die Kommission der Ansicht war, die streitigen Beträge nicht zu Lasten des EAGFL übernehmen zu müssen.

2 Die Kommission darf nach den Artikeln 2 und 3 der Verordnung Nr. 729/70 nur die gemäß den geltenden Vorschriften in den verschiedenen Agrarsektoren gezahlten Beträge zu Lasten des EAGFL übernehmen, während alle sonstigen Beträge, insbesondere diejenigen, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation auszubezahlen sich die nationalen Behörden zu Unrecht für ermächtigt hielten, zu Lasten der Mitgliedstaaten bleiben.

Daher ist es zwar Sache der Kommission, das Vorliegen einer Verletzung der Gemeinschaftsvorschriften nachzuweisen, doch hat der Mitgliedstaat gegebenenfalls nachzuweisen, daß der Kommission bezueglich der daraus zu ziehenden finanziellen Konsequenzen ein Fehler unterlaufen ist. Ausserdem ist die Kommission nicht verpflichtet, das Vorhandensein eines Schadens nachzuweisen, sondern sie kann sich darauf beschränken, ernsthafte Indizien dafür anzugeben.

Hat die Kommission den Verstoß eines Mitgliedstaats gegen mehrere Gemeinschaftsvorschriften im Agrarbereich und die Wahrscheinlichkeit eines Schadens zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts nachgewiesen, so kann von ihr mehr nicht verlangt werden, da sie keine systematischen Kontrollen vornehmen kann und die Analyse der Lage auf einem bestimmten Markt von den Informationen abhängt, die die Mitgliedstaaten eingeholt haben.

3 Erweist es sich im Rahmen der Aufgabe der Kommission, die Rechnungen des EAGFL abzuschließen und dessen Verluste zu beurteilen, als unmöglich, festzustellen, in welchem Umfang eine mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare nationale Maßnahme zu einer Erhöhung der Ausgaben des EAGFL geführt hat, so hat die Kommission keine andere Wahl, als die Finanzierung der gesamten fraglichen Ausgaben abzulehnen. Bemüht sich die Kommission statt dessen um die Feststellung der finanziellen Auswirkungen des rechtswidrigen Handelns durch Berechnungen, die auf einer Beurteilung der Lage beruhen, die auf dem fraglichen Markt ohne die Verletzung eingetreten wäre, so hat der Mitgliedstaat die Unrichtigkeit dieser Berechnungen darzutun.

4 Im Rahmen der Interventionsmaßnahmen für Rindfleisch, insbesondere des Systems von Ankäufen im Wege der Ausschreibung, sieht Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 859/89 vor, daß sich der Bieter verpflichten muß, alle geltenden Bestimmungen einzuhalten, und nach Artikel 9 Absatz 2 dürfen die Interessenten nur ein Angebot je Ausschreibung pro Kategorie hinterlegen. Da nach dem Gebot der Rechtssicherheit eine Regelung den Betroffenen ermöglichen muß, den Umfang der ihnen durch diese Regelung auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen, kann der Wortlaut dieser Vorschrift nicht zur Stützung der Auslegung herangezogen werden, daß wegen der unterschiedlichen Bedeutung der Begriffe "Interessenten" und "Bieter" die Letztgenannten, wenn sie zu ein und demselben Konzern gehören, bei einer Ausschreibung nur ein Angebot einreichen könnten. Eine solche Auslegung liefe daher auf eine rückwirkende Anwendung von Artikel 11 der Verordnung Nr. 2456/93 hinaus, der in die Gemeinschaftsregelung Vorschriften über die Beziehungen zwischen den Bietern einführt.

Der Grundsatz der Unabhängigkeit der Angebote, der ein wesentliches Erfordernis für den ordnungsgemässen Ablauf und die Wirksamkeit der Ausschreibungsverfahren darstellt und den Artikeln 9 Absatz 6 (Vertraulichkeit der Angebote), 12 Absatz 2 (Verbot der Übertragung der mit der Ausschreibung verbundenen Rechte und Pflichten), 9 Absatz 4 Buchstabe c (Verpflichtung jedes Bieters, eine Sicherheit zu leisten) und 15 (Verpflichtung jedes Bieters, die Zahlung persönlich entgegenzunehmen) der Verordnung Nr. 859/89 sowie Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung Nr. 805/68 (gleicher Zugang für alle Interessenten) zugrunde liegt, schließt es zwar nicht aus, daß sich mehrere Gesellschaften eines Konzerns gleichzeitig an einer Ausschreibung beteiligen; er verbietet es aber, daß sich diese Gesellschaften über den Wortlaut und die Bedingungen der von ihnen eingereichten Angebote abstimmen, da andernfalls der Ablauf des Verfahrens verfälscht würde.

5 In Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 729/70, der Ausdruck der den Mitgliedstaaten nach Artikel 5 des Vertrages im Agrarbereich obliegenden Verpflichtungen ist, sind die Grundsätze niedergelegt, die die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der aus Mitteln des EAGFL finanzierten gemeinschaftlichen Agrarinterventionsmaßnahmen sowie bei der Bekämpfung von betrügerischen Handlungen und Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen zu beachten haben. Er erlegt den Mitgliedstaaten die allgemeine Verpflichtung auf, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sich zu vergewissern, daß die durch den EAGFL finanzierten Vorhaben tatsächlich und ordnungsgemäß durchgeführt worden sind, auch wenn die spezifische Gemeinschaftshandlung nicht ausdrücklich den Erlaß dieser oder jener Kontrollmaßnahme vorsieht; dies gilt umso mehr, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, den ernsthaften Verdacht zu erwecken, daß ein in der betreffenden Gemeinschaftshandlung aufgestelltes Verbot umgangen wird.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 1. Oktober 1998. - Irland gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - EAGFL - Rechnungsabschluß - Haushaltsjahre 1992 und 1993 - Rindfleisch. - Rechtssache C-238/96.

Entscheidungsgründe:

1 Irland hat mit Klageschrift, die am 10. Juli 1996 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EG-Vertrag die teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung 96/311/EG der Kommission vom 10. April 1996 über den Rechnungsabschluß der Mitgliedstaaten für die vom Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL), Abteilung Garantie, im Haushaltsjahr 1992 und auch teilweise im Haushaltsjahr 1993 finanzierten Ausgaben (ABl. L 117, S. 19; im folgenden: angefochtene Entscheidung) beantragt, soweit sie Irland betrifft.

2 Die Klage ist auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung gerichtet, soweit die Kommission festgestellt hat, daß folgende Beträge nicht zu Lasten des EAGFL übernommen werden können:

- 26 222 656,22 IRL, die 10 % der von Irland gemeldeten Ausgaben für die öffentliche Lagerhaltung von Rindfleisch im Haushaltsjahr 1990 darstellen, wegen Verstosses gegen Artikel 8 der Verordnung (EWG) Nr. 729/70 des Rates vom 21. April 1970 über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. L 94, S. 13);

- 24 020 455,26 IRL, die 5 % der von Irland gemeldeten Ausgaben für die öffentliche Lagerhaltung von Rindfleisch im Haushaltsjahr 1991 darstellen, wegen Verstosses gegen Artikel 8 der Verordnung Nr. 729/70;

- 9 613 206,00 IRL, also 2 % der von Irland gemeldeten Ausgaben für die öffentliche Lagerhaltung von Rindfleisch im Haushaltsjahr 1991, wegen rechtswidrigen Ausschreibungsverfahrens für Rindfleisch;

- 8 862 144,00 IRL, also 2 % der von Irland gemeldeten Ausgaben für die öffentliche Lagerhaltung von Rindfleisch im Haushaltsjahr 1992, wegen rechtswidrigen Ausschreibungsverfahrens für Rindfleisch.

Zu den Berichtigungen im Bereich der öffentlichen Lagerhaltung von Rindfleisch

3 Nach der für Interventionsankäufe geltenden Regelung muß Fleisch, um zur Intervention zugelassen zu werden, von bestimmter Qualität, entbeint und in bestimmten Formen verpackt sein. Ausserdem müssen die zuständigen nationalen Behörden durch Kontrollen für die Einhaltung der Vorschriften sorgen, die ein bestimmtes Ergebnis verlangen.

4 Die Artikel 2 und 3 der Verordnung Nr. 729/70 des Rates sehen vor, daß die Erstattungen bei der Ausfuhr nach dritten Ländern, die nach Gemeinschaftsvorschriften gewährt werden, und die Interventionen zur Regulierung der Agrarmärkte finanziert werden, sofern sie unter Einhaltung dieser Vorschriften vorgenommen werden.

5 Nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 729/70 müssen die Mitgliedstaaten der Kommission in regelmässigen Zeitabständen bestimmte Unterlagen übermitteln.

6 Gemäß Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 729/70 haben sich die Mitgliedstaaten zu vergewissern, daß die durch den EAGFL finanzierten Maßnahmen tatsächlich und ordnungsgemäß durchgeführt worden sind, Unregelmässigkeiten zu verhindern und zu verfolgen sowie die infolge von Unregelmässigkeiten oder Versäumnissen abgeflossenen Beträge wiedereinzuziehen. Artikel 8 Absatz 2 derselben Verordnung bestimmt, daß die Gemeinschaft nicht die finanziellen Folgen der Unregelmässigkeiten oder Versäumnisse trägt, die den Verwaltungen oder Einrichtungen der Mitgliedstaaten anzulasten sind.

7 Schließlich ist der Belle-Bericht der Kommission zu berücksichtigen, der Leitlinien für den Fall festlegt, daß in bezug auf einen Mitgliedstaat finanzielle Berichtigungen vorgenommen werden müssen.

8 Neben drei Hauptberechnungsmethoden, die nach übereinstimmender Ansicht der Kommission und der irischen Regierung nicht anwendbar sind, sieht der Belle-Bericht für schwierige Fälle die Methode des Pauschalsatzes vor:

"Mit der immer häufigeren Durchführung von Systemprüfungen nimmt der EAGFL auch immer häufiger eine Beurteilung des Risikos vor, das sich aus Systemfehlern ergibt. Es liegt in der Natur der nachträglichen Kontrollen, daß man zum Zeitpunkt dieser Kontrollen nur in den seltensten Fällen feststellen kann, ob eine Forderung zum Zeitpunkt der Zahlung zulässig war: Die Zahl der Olivenbäume lässt sich vielleicht im nachhinein noch überprüfen, weil sie sich normalerweise nicht verändert, aber bei der Zahl der Schafe oder der Qualität eines ausgeführten Käses ist dies nachträglich nicht mehr möglich. Der Verlust zum Schaden des Gemeinschaftshaushalts muß daher durch eine Beurteilung des Risikos bestimmt werden, dem der Gemeinschaftshaushalt durch den Mangel in dem Kontrollsystem ausgesetzt war. Dieser Mangel kann sich auf die Art oder die Qualität der durchgeführten Kontrollen, aber auch auf ihre Zahl beziehen. Dabei geht es nicht um die Einführung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes in das Rechnungsabschlußverfahren, sondern um die Herstellung einer Verbindung zwischen Ursache und Wirkung.

Der wichtigste Faktor bei der Entscheidung, ob eine finanzielle Berichtigung vorgenommen werden sollte und, falls ja, zu welchem Satz, ist die Beurteilung der realen Gefahr eines Verlustes von Gemeinschaftsmitteln, die sich aus den Kontrollmängeln ergibt. Daher sollte vor allem folgendes berücksichtigt werden:

1. Bezieht sich der Mangel auf die Wirksamkeit des Kontrollsystems generell auf die Wirksamkeit eines einzelnen Elements dieses Systems oder auf eine oder mehrere im Rahmen des Systems durchgeführte Kontrollen?

2. Welche Bedeutung hat der Mangel innerhalb der Gesamtheit aller vorgesehenen administrativen, körperlichen und sonstigen Kontrollen?

3. Wie betrugsanfällig sind die Maßnahmen unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Anreize?"

9 Der Belle-Bericht schlägt drei Gruppen von Berichtigungen mit festen Sätzen vor:

"A. 2 % der Ausgaben, wenn sich der Mangel auf weniger wichtige Teile des Kontrollsystems oder auf die Durchführung von Kontrollen bezieht, die für die Gewährleistung der Regelmässigkeit der Ausgaben nicht wesentlich sind, so daß der Schluß zulässig ist, daß die Gefahr eines Schadens zum Nachteil des EAGFL gering war.

B. 5 % der Ausgaben, wenn sich der Mangel auf ein wichtiges Element des Kontrollsystems oder auf die Durchführung von Kontrollen bezieht, die wichtig sind, um die Regelmässigkeit der Ausgaben zu gewährleisten, so daß der Schluß zulässig ist, daß die Gefahr eines Schadens zum Nachteil des EAGFL groß war.

C. 10 % der Ausgaben, wenn der Mangel das gesamte oder doch wesentliche Einzelheiten des Kontrollsystems betrifft oder sich auf die Durchführung von Kontrollen bezieht, die von wesentlicher Bedeutung sind, um die Regelmässigkeit der Ausgaben zu gewährleisten, so daß der Schluß zulässig ist, daß die Gefahr eines sehr hohen Verlustes zum Schaden des EAGFL bestand."

10 Bestehen Zweifel, welche Berichtigung anzuwenden ist, so können gemäß den Leitlinien dieses Berichts ausserdem folgende Überlegungen als mildernde Umstände in Betracht kommen:

"- Haben die einzelstaatlichen Behörden wirksame Maßnahmen getroffen, um die Mängel sofort nach ihrer Feststellung abzustellen?

- Haben sich die Mängel aus Problemen bei der Auslegung der Gemeinschaftsvorschriften ergeben?"

11 Am 2. April 1990 ordnete die GD VI der Kommission gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 729/70, wonach die von der Kommission beauftragten Bediensteten prüfen können, ob die Verwaltungspraxis im Einklang mit den Gemeinschaftsvorschriften steht, ob die Belege vorhanden sind und unter welchen Bedingungen die vom EAGFL finanzierten Maßnahmen durchgeführt und geprüft werden, eine Untersuchung der öffentlichen Lagerhaltung von Rindfleisch in Irland an. Aus dieser Untersuchung ergibt sich, daß bei mehr als 10 % der Stichproben das verlangte Ergebnis nicht erreicht war. Ausserdem seien verschiedene rechtswidrige Ankäufe festgestellt worden. Die Mängel des irischen Kontrollsystems beträfen die Qualität des Fleisches, das in bestimmten Fällen zum Ankauf geliefert worden sei, bei anderen Stichproben die Ausbeute beim Entbeinen und in weiteren Fällen die Verpackung.

12 Diese Lücken im Kontrollsystem wurden den irischen Behörden vom Generaldirektor der GD VI, Legras, mit Schreiben vom 11. Oktober 1991 mitgeteilt.

13 Im Dezember 1991 wurden von Kommissionsbeamten weitere Kontrollen in Irland vorgenommen. Im März und Juni 1992 wurde eine Partie entbeintes irisches Rindfleisch in Italien kontrolliert; im Juli und August 1993 wurde in den Niederlanden gelagertes, nicht entbeintes irisches Rindfleisch kontrolliert.

14 Mit Schreiben vom 3. Mai 1995 an den Staatssekretär im irischen Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten teilte Herr Legras den irischen Behörden förmlich die Schlußfolgerung der GD VI mit, daß die finanziellen Berichtigungen für die Haushaltsjahre 1990 und 1991 74 263 567,90 IRL betragen müssten, was einem festen Satz von 10 % für jedes Haushaltsjahr entspreche.

15 Um die Anerkennung der abgelehnten Ausgaben zu erreichen, machten die irischen Behörden von dem Schlichtungsverfahren Gebrauch, das durch die Entscheidung 94/442/EG der Kommission vom 1. Juli 1994 zur Schaffung eines Schlichtungsverfahrens im Rahmen des Rechnungsabschlusses des EAGFL - Abteilung Garantie (ABl. L 182, S. 45) eingeführt worden war.

16 Am 22. November 1995 legte die Schlichtungsstelle ihren Abschlußbericht vor, in dem sie die Ansicht vertrat, daß "allgemein anwendbare Berichtigungen in der gegenwärtig vorgeschlagenen Höhe schwer zu rechtfertigen [sind]". Sie empfahl ausserdem, die Berichtigungssätze unter Berücksichtigung der Jahre, in denen Verbesserungen in den Kontrollverfahren eingeführt worden seien, zu differenzieren, und forderte die Parteien auf, über den Satz der finanziellen Berichtigung zu verhandeln.

17 In ihrem Zusammenfassenden Bericht für 1992 setzte die Kommission mit folgender Begründung die Berichtigungen für 1990 auf 10 % und für 1991 auf 5 % fest:

"Da die irischen Behörden im Zeitraum 1990-91 ihren Verpflichtungen aus Artikel 8 der Verordnung (EWG) Nr. 729/70 nicht nachgekommen sind, ist eine finanzielle Berichtigung vorzunehmen. Die Mängel des Kontrollsystems bezogen sich auf Elemente, die die Kommissionsdienststellen für wesentlich halten. Andererseits wurden bereits im Zusammenfassenden Bericht VI/320/94 in bezug auf das Haushaltsjahr 1991 Mängel festgestellt, durch die dem EAGFL zu Unrecht sehr hohe Summen angelastet wurden.

Da sich der Schaden für den EAGFL nicht genau beziffern lässt, ist eine pauschale Bewertung vorzunehmen, die in Anbetracht der Bemühungen der irischen Behörden um Verbesserung ihres Kontrollsystems zu einer finanziellen Berichtigung in Höhe von 10 % des Gesamtbetrags der dem Gemeinschaftshaushalt für die Jahre 1990 und 1991 im Bereich der öffentlichen Lagerhaltung von Rindfleisch belasteten Ausgaben führt.

Nach sorgfältiger Prüfung des Berichts der Schiedsstelle vom 21. November 1995 bezueglich des Verfahrens 95/IR/013 sind die Dienststellen der Kommission aufgrund der während ihrer Kontrollen festgestellten schwerwiegenden Mängel der Auffassung, daß die vorgeschlagenen Berichtigungen aufrecht erhalten werden sollten. Für 1991 wird eine 5%ige Berichtigung festgesetzt im Hinblick auf die in diesem Jahr durchgeführten Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz und der Zuverlässigkeit der Kontrollen, was zu einer Verringerung des Risikos von Unregelmässigkeiten geführt hat."

18 In diesem Teil der Nichtigkeitsklage wird nicht die Schlußfolgerung der Kommission in Frage gestellt, daß Irland 1990 und 1991 gegen Artikel 8 der Verordnung Nr. 729/70 verstossen habe. Irland räumt nämlich ein, daß das System der sogenannten "permanent presence" 1990 und, in weit geringerem Masse, 1991 Mängel aufwies; Irland weist aber bestimmte andere Gründe zurück, auf die die Kommission die angefochtene Entscheidung gestützt hat.

19 Unter diesen Umständen erhebt Irland fünf Klagegründe, mit denen es eine unzureichende Begründung, eine unzureichende Beurteilung der Risiken für den EAGFL, eine unrichtige Beurteilung der angeblichen Verluste des EAGFL, einen Verstoß gegen die Leitlinien des Belle-Berichts und das Fehlen einer Rechtsgrundlage geltend macht.

Zur unzureichenden Begründung

20 Mit seinem ersten Klagegrund wirft Irland der Kommission vor, keinen Grund für ihre Schlußfolgerung genannt zu haben, daß dem EAGFL irrtümlich sehr hohe Summen angelastet worden seien.

21 Nach ständiger Rechtsprechung hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde (vgl. Urteile vom 25. Februar 1988 in der Rechtssache 327/85, Niederlande/Kommission, Slg. 1988, 1065, Randnr. 13, und vom 22. Juni 1993 in der Rechtssache C-54/91, Deutschland/Kommission, Slg. 1993, I-3399, Randnr. 10).

22 Dazu genügt die Feststellung, daß die Entscheidungen über den Rechnungsabschluß keiner detaillierten Begründung bedürfen, soweit sie auf der Grundlage des oder der zusammenfassenden Berichte und der gesamten Korrespondenz zwischen dem Mitgliedstaat und der Kommission ergehen, was bedeutet, daß die betroffene Regierung eng an dem Verfahren der Ausarbeitung der Entscheidung beteiligt war und deshalb den Grund kannte, aus dem die Kommission der Ansicht war, die streitigen Beträge nicht zu Lasten des EAGFL übernehmen zu müssen (vgl. Urteil vom 24. März 1988 in der Rechtssache 347/85, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1988, 1749, Randnr. 60).

23 Wie sich aber aus dem Schriftwechsel mit den nationalen Behörden ergibt (siehe Randnrn. 12 und 14 des vorliegenden Urteils), hat die Kommission ihnen die Mängel des Kontrollsystems mitgeteilt, auf die im übrigen auch schon im Zusammenfassenden Bericht für das Haushaltsjahr 1991 hingewiesen worden war. Ausserdem hat die Kommission im Zusammenfassenden Bericht für das Haushaltsjahr 1992 die Ansicht vertreten, daß sich diese Mängel auf wesentliche Elemente bezogen, und angesichts der Unmöglichkeit, den Schaden des EAGFL festzustellen, gemäß den Leitlinien des Belle-Berichts eine pauschale Berichtigung von 10 % für das Haushaltsjahr 1990 und - in Anbetracht der vorgenommenen Verbesserungen und des daraus resultierenden geringeren Risikos für den Gemeinschaftshaushalt - von 5 % für das Haushaltsjahr 1991 festgesetzt.

24 Nach alledem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

Zur unzureichenden Beurteilung der Risiken für den EAGFL

25 Mit ihrem zweiten Klagegrund wirft die irische Regierung der Kommission vor, nicht begründet zu haben, daß in den Haushaltsjahren 1990 und 1991 infolge der angeblichen Säumnis der irischen Behörden bei der Erfuellung ihrer Verpflichtungen aus Artikel 8 der Verordnung Nr. 729/70 dem EAGFL zu Unrecht sehr hohe Summen angelastet worden seien.

26 Nach Ansicht der irischen Regierung ergibt sich nämlich aus den Artikeln 5 und 8 der Verordnung Nr. 729/70, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit und aus den von der Kommission veröffentlichten Leitlinien, daß die Kommission, wenn sie eine finanzielle Berichtigung beschließe, weil ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen aus Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 729/70 nicht nachgekommen sei, zunächst den vermutlichen Umfang der sich aus den angeblichen Kontrollmängeln ergebenden Unregelmässigkeiten beurteilen und sodann die finanziellen Folgen dieser Unregelmässigkeiten bewerten müsse. Sie müsse somit den Kausalzusammenhang zwischen dem Unterbleiben der Kontrolle und dem Betrag der vermutlichen Verluste für den Gemeinschaftshaushalt beurteilen.

27 Nach ständiger Rechtsprechung darf die Kommission nach den Artikeln 2 und 3 der Verordnung Nr. 729/70 nur die gemäß den geltenden Vorschriften in den verschiedenen Agrarsektoren gezahlten Beträge zu Lasten des EAGFL übernehmen, während alle sonstigen Beträge, insbesondere diejenigen, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation auszubezahlen sich die nationalen Behörden zu Unrecht für ermächtigt hielten, zu Lasten der Mitgliedstaaten bleiben (vgl. Urteile vom 7. Februar 1979 in der Rechtssache 11/76, Niederlande/Kommission, Slg. 1979, 245, Randnr. 8, und in der Rechtssache 18/76, Deutschland/Kommission, Slg. 1979, 343, Randnr. 7, sowie vom 10. November 1993 in der Rechtssache C-48/91, Niederlande/Kommission, Slg. 1993, I-5611, Randnr. 14).

28 Daher ist es zwar Sache der Kommission, das Vorliegen einer Verletzung der Gemeinschaftsvorschriften nachzuweisen, doch hat der Mitgliedstaat gegebenenfalls nachzuweisen, daß der Kommission bezueglich der daraus zu ziehenden finanziellen Konsequenzen ein Fehler unterlaufen ist (vgl. Urteil vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 49/83, Luxemburg/Kommission, Slg. 1984, 2931, Randnr. 30).

29 Ausserdem ist die Kommission nicht verpflichtet, das Vorhandensein eines Schadens nachzuweisen, sondern sie kann sich darauf beschränken, ernsthafte Indizien dafür anzugeben. Diese Erleichterung der Beweislast der Kommission beruht auf der Verteilung der Befugnisse zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik (vgl. Urteil vom 10. November 1993, Niederlande/Kommission, a. a. O., Randnr. 17).

30 Die Durchführung der EAGFL-Finanzierung ist nämlich in erster Linie Sache der nationalen Verwaltungen, die über die strikte Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften zu wachen haben. Dieses auf dem Vertrauen zwischen den nationalen und den Gemeinschaftsbehörden beruhende System umfasst keine systematischen Kontrollen seitens der Kommission, die diese materiell auch unmöglich durchführen könnte. Nur der Mitgliedstaat kann die für die Aufstellung der EAGFL-Rechnungen nötigen Angaben kennen und genau bestimmen, da die Kommission nicht über die erforderliche Nähe zu den Wirtschaftsteilnehmern verfügt, um von ihnen die benötigten Auskünfte zu erlangen (vgl. Urteil vom 10. November 1993, Niederlande/Kommission, a. a. O., Randnr. 11).

31 Der beschränkte Umfang des von der Kommission zu führenden Beweises wird durch die im Belle-Bericht festgelegten Leitlinien bestätigt, wonach bei schwierigen Fällen, bei denen die Höhe des Schadens nicht genau in Erfahrung gebracht werden kann, "der Verlust zum Schaden des Gemeinschaftshaushalts... durch eine Beurteilung des Risikos bestimmt werden [muß], dem der Gemeinschaftshaushalt durch den Mangel in dem Kontrollsystem ausgesetzt war".

32 Wie in Randnummer 23 des vorliegenden Urteils festgestellt wurde, hat die Kommission diesen Kausalzusammenhang in gebührender Weise beurteilt.

33 Daher ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

Zur unrichtigen Beurteilung der angeblichen Verluste des EAGFL

34 Mit ihrem dritten Klagegrund wirft die irische Regierung der Kommission vor, sie habe die Höhe der angeblichen Verluste des EAGFL unrichtig beurteilt.

35 Das Verlustrisiko für den EAGFL habe sich im Haushaltsjahr 1991 auf 1 % des Kaufpreises der angekauften Menge Interventionsrindfleisch beschränkt, was dem Unterschied der Ausbeute beim Entbeinen in Irland und in den anderen Mitgliedstaaten entspreche.

36 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteil Vereinigtes Königreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 13) hat die Kommission in Fällen, in denen es sich als unmöglich erweist, festzustellen, in welchem Umfang eine mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare nationale Maßnahme zu einer Erhöhung der Ausgaben bei einem Haushaltsposten des EAGFL geführt hat, keine andere Wahl, als die Finanzierung der gesamten fraglichen Ausgaben abzulehnen.

37 Weist die Kommission nicht die gesamten von der Verletzung betroffenen Ausgaben zurück, sondern bemüht sie sich um die Feststellung der finanziellen Auswirkungen des rechtswidrigen Handelns durch Berechnungen, die auf einer Beurteilung der Lage beruhen, die auf dem fraglichen Markt ohne die Verletzung eingetreten wäre, so hat der Mitgliedstaat die Unrichtigkeit dieser Berechnungen darzutun (vgl. Urteil Vereinigtes Königreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 15).

38 In diesem Zusammenhang ist erstens zu bemerken, daß Irland in Anbetracht des Vorbringens der Kommission in ihrer Klagebeantwortung eingeräumt hat, daß sich der Unterschied, der bei der Ausbeute zu den anderen Mitgliedstaaten bestand, auf 1,96 % belief. Daraus folgt, daß schon auf der Grundlage der Angaben Irlands eine Berichtigung um 2 % gerechtfertigt gewesen wäre.

39 Zweitens hat die Kommission weitere Kontrollmängel festgestellt. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, daß die Fleischmenge nach dem Entbeinen nicht nachgeprüft wurde. Ausserdem hat die Kommission bei ihren Kontrollen festgestellt, daß mehr als 10 % des untersuchten Fleisches nicht den Anforderungen an Qualität, Fettgehalt und Zerlegung entspreche.

40 Unter diesen Umständen ist die Höhe der von der Kommission vorgenommenen Kürzung nicht ungerechtfertigt.

41 Nach alledem ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

Zur Verletzung der Leitlinien des Belle-Berichts

42 Mit seinem vierten Klagegrund macht Irland geltend, die Kommission hätte bei der Festsetzung des Berichtigungssatzes als mildernden Umstand die Tatsache berücksichtigen müssen, daß die nationalen Behörden wirksame Vorschriften erlassen hätten, um die Mängel unmittelbar nach ihrem Auftreten zu beseitigen.

43 Insoweit genügt die Feststellung, daß der von Irland geltend gemachte mildernde Umstand von der Kommission gebührend berücksichtigt wurde, da die Berichtigung für das Haushaltsjahr 1991 von 10 % auf 5 % herabgesetzt wurde (siehe Randnrn. 16 und 17 des vorliegenden Urteils).

44 Der vierte Klagegrund ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

Zum Fehlen einer Rechtsgrundlage

45 Mit ihrem fünften Klagegrund trägt die irische Regierung vor, die Kommission wolle gemäß den Artikeln 2 und 3 der Verordnung Nr. 729/70 Abzuege von völlig rechtsgültigen Ausgaben vornehmen, die Irland 1992 getätigt habe und die daher zu Lasten des EAGFL übernommen werden könnten. Indem die Kommission es ablehne, zu Lasten des EAGFL Beträge zu übernehmen, die über die Verluste hinausgingen, die sich für ihn aus den Mängeln der Kontrollverfahren Irlands wahrscheinlich ergeben hätten, erlege die Kommission Irland faktisch eine Sanktion auf, zu deren Erlaß sie weder nach dem Vertrag noch nach einer einschlägigen Verordnung berechtigt sei.

46 Hierzu genügt der Hinweis, daß die Kommission in Fällen, in denen es sich als unmöglich erweist, festzustellen, in welchem Umfang eine mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare nationale Maßnahme zu einer Erhöhung der Ausgaben bei einem Haushaltsposten des EAGFL geführt hat, die Finanzierung der gesamten fraglichen Ausgaben ablehnen kann (vgl. Urteil Vereinigtes Königreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 13).

47 Im übrigen weist aus den in den Randnummern 23, 38, 39 und 43 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen nichts darauf hin, daß die vorgenommenen Berichtigungen die Verluste für den Gemeinschaftshaushalt übersteigen.

48 Daher ist der fünfte Klagegrund, der von falschen Voraussetzungen ausgeht, zurückzuweisen.

Zu den finanziellen Berichtigungen im Hinblick auf die Interventionsmaßnahmen im Rindfleischsektor

49 Die grundlegenden Vorschriften der gemeinsamen Marktorganisation für Rindfleisch sind in der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27. Juni 1968 (ABl. L 148, S. 24) enthalten. Artikel 6 dieser Verordnung ermächtigt die Kommission, Maßnahmen zur Stützung der Preise auf den Märkten der Gemeinschaft zu erlassen. Die Verordnung Nr. 805/68 wurde u. a. durch die Verordnung (EWG) Nr. 571/89 des Rates vom 2. März 1989 (ABl. L 61, S. 43; im folgenden: Verordnung Nr. 805/68) geändert; diese Fassung ist auf den vorliegend betroffenen Zeitraum (Haushaltsjahre 1992 und 1993) anwendbar.

50 Bis 1989 bestand eine Regelung, wonach automatisch Interventionsankäufe erfolgten, wenn die Preise unter bestimmte Schwellen sanken, was zur Folge hatte, daß von den Interventionsstellen sehr grosse Mengen zu Preisen angekauft wurden, die über den Marktpreisen lagen.

51 Zur Beseitigung dieser Funktionsstörung kam es 1989 zu einer Reform. Der automatische Ankauf wurde zwar für den Fall eines sehr starken Preisrückgangs beibehalten; es wurde jedoch ein System von Ankäufen im Wege der Ausschreibung eingeführt, damit die angekauften Mengen und die gezahlten Preise nicht über das hinausgehen, was für eine angemessene Marktstützung erforderlich ist.

52 So setzt der Rat nach Artikel 6 Absatz 2 der Verordnung Nr. 805/68 einmal im Jahr einen Interventionspreis fest. Sind die Marktpreise in der Gemeinschaft um bestimmte Prozentsätze niedriger als der Interventionspreis, so können die Interventionsstellen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten unter den in Artikel 6 festgelegten Voraussetzungen bestimmte Kategorien, Qualitäten oder Qualitätsklassen von Rindfleisch mit Ursprung in der Gemeinschaft ankaufen.

53 Die Ankäufe erfolgen durch öffentliche Ausschreibungen. Gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 805/68 dürfen sie jährlich 220 000 Tonnen für die gesamte Gemeinschaft nicht überschreiten.

54 Nach Artikel 6 Absatz 5 dieser Verordnung wird jedoch für den Fall eines sehr starken Preisrückgangs ein Verfahren eingeführt, wonach alle Angebote zu oder unter 80 v. H. des Interventionspreises akzeptiert und nicht auf die in Artikel 6 Absatz 1 genannte Hoechstmenge angerechnet werden (als "Sicherheitsnetz" bezeichnetes Verfahren).

55 Gemäß Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung Nr. 805/68 müssen die Ausschreibungen gleichen Zugang für alle Interessenten gewährleisten und werden auf der Grundlage eines Lastenhefts eröffnet.

56 Aus Artikel 6 Absatz 7 der Verordnung Nr. 805/68 ergibt sich, daß die Durchführungsbestimmungen zu dem Interventionssystem von der Kommission erlassen werden, die nach Anhörung eines Verwaltungsausschusses auch über die Eröffnung und die Aufhebung der Ausschreibungen beschließt. Während des vorliegend betroffenen Zeitraums waren diese Bestimmungen durch die Verordnung (EWG) Nr. 859/89 der Kommission vom 29. März 1989 mit Durchführungsbestimmungen für die Interventionsmaßnahmen für Rindfleisch (ABl. L 91, S. 5) festgelegt.

57 Nach Artikel 7 der Verordnung Nr. 859/89 wird die Entscheidung, Ankäufe durch Ausschreibung vorzunehmen, am Samstag oder Dienstag vor dem Tag des Ablaufs der ersten Frist der Abgabe der Angebote im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. Nach Artikel 8 dieser Verordnung endet während der Laufzeit der Ausschreibung die Angebotsfrist an jedem zweiten und vierten Mittwoch des Monats um 12.00 Uhr (Brüsseler Uhrzeit).

58 Artikel 9 der Verordnung Nr. 859/89, der im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht, bestimmt:

"(1) Ein Bieter darf an der Ausschreibung nur teilnehmen, wenn er sich schriftlich verpflichtet, alle Bestimmungen über die betreffenden Ankäufe einzuhalten.

(2) Die Interessenten beteiligen sich an der Ausschreibung bei der Interventionsstelle der Mitgliedstaaten, in denen diese eröffnet ist, und zwar entweder durch Hinterlegung des schriftlichen Angebots gegen Empfangsbestätigung oder durch eine durch die Interventionsstelle genehmigte schriftliche Mitteilung mit Empfangsbestätigung. Sie dürfen nur ein Angebot je Ausschreibung pro Kategorie hinterlegen.

(3) Das Angebot enthält folgende Angaben:

a) Name und Anschrift des Bieters;

b) die Angebotsmenge von Erzeugnissen je Kategorie entsprechend der Bekanntmachung der Ausschreibung, ausgedrückt in Tonnen Schlachtkörperäquivalent;

c) den vorgeschlagenen Preis je 100 kg Erzeugnisse der Qualität R3...;

d) den oder die Interventionsorte, die der Bieter zu beliefern beabsichtigt.

..."

59 Gemäß Artikel 9 Absatz 4 Buchstabe c dieser Verordnung muß der Bieter nachweisen, daß er vor Ablauf der Angebotsfrist eine Ausschreibungssicherheit geleistet hat; nach Artikel 9 Absätze 5 und 6 kann das Angebot nach Ablauf der Angebotsfrist nicht mehr zurückgenommen werden und muß die Vertraulichkeit der Angebote gewährleistet sein.

60 Aus Artikel 7 der Verordnung Nr. 859/89 ergibt sich, daß bei Eröffnung der Ausschreibung ein Mindestpreis festgesetzt werden kann, unter dem Angebote nicht angenommen werden können; nach Artikel 8 übermitteln die Interventionsstellen die Angebote der Kommission spätestens 24 Stunden nach Ablauf der Angebotsfrist.

61 Artikel 11 Absatz 1 der Verordnung Nr. 859/89 sieht vor, daß die Kommission unter Berücksichtigung der für eine Einzelausschreibung erhaltenen Angebote nach Anhörung des Verwaltungsausschusses einen Hoechstkaufpreis festsetzt. Sollten besondere Umstände es erfordern, kann für einen Mitgliedstaat ein anderer Preis festgelegt werden. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift kann auch beschlossen werden, die Ausschreibung zurückzuziehen, und nach Absatz 3 können, wenn die Angebotsmengen zu einem Preis, der gleich oder unter dem Hoechstpreis liegt, die ausgeschriebenen Mengen überschreiten, die zugeschlagenen Mengen unter Anwendung eines Koeffizienten verringert werden.

62 Nach Artikel 12 der Verordnung Nr. 859/89 wird ein Angebot abgelehnt, wenn der vorgeschlagene Preis über dem festgesetzten Hoechstpreis liegt, und nach Artikel 10 Absatz 2 wird die Sicherheit vollständig freigegeben, wenn das Angebot nicht angenommen wird.

63 Aus Artikel 13 der Verordnung Nr. 859/89 ergibt sich, daß die Sicherheit im Fall der Annahme des Angebots vollständig freigegeben wird, wenn die gelieferte Menge mindestens 95 % der angebotenen Menge darstellt. Liegt die gelieferte Menge zwischen 85 % und 95 % der angebotenen Menge, so wird die Sicherheit ausser im Fall von höherer Gewalt von den Interventionsstellen im Verhältnis der fehlenden Menge einbehalten. In allen anderen Fällen wird sie ausser im Fall von höherer Gewalt von den Interventionsstellen vollständig einbehalten.

64 Das Erfordernis einer Sicherheit wurde eingeführt, um die Praxis der überhöhten Angebote zu beenden.

65 Die mit der Ausschreibung verbundenen Rechte und Pflichten sind gemäß Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 859/89 nicht übertragbar. Gemäß Artikel 15 muß die Interventionsstelle dem Zuschlagsempfänger den in seinem Angebot enthaltenen Preis zahlen.

66 Nach den vorliegend maßgebenden Ereignissen wurde die Verordnung Nr. 859/89 aufgehoben und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2456/93 der Kommission vom 1. September 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 805/68 hinsichtlich der allgemeinen und besonderen Interventionsmaßnahmen für Rindfleisch (ABl. L 225, S. 4) ersetzt. An die Stelle von Artikel 9 der Verordnung Nr. 859/89 trat mit folgendem Artikel 11 eine detaillierte Vorschrift über die Personen, die Angebote abgeben können:

"(1) Angebote dürfen nur eingereicht werden

a) von Rinderschlachtbetrieben, die gemäß der Richtlinie 64/433/EWG zugelassen sind und für die unabhängig von ihrem rechtlichen Status keine Ausnahmeregelung gemäß Artikel 2 der Richtlinie 91/498/EWG des Rates gilt, sowie

b) von Vieh- oder Fleischhändlern, die dort auf eigene Rechnung schlachten lassen und in ein öffentliches Register unter einer bestimmten Nummer eingetragen sind.

(2) Die Interessenten beteiligen sich an der Ausschreibung bei der Interventionsstelle der Mitgliedstaaten, in denen diese eröffnet ist, entweder durch Hinterlegung des schriftlichen Angebots gegen Empfangsbestätigung oder durch jede von der Interventionsstelle genehmigte schriftliche Mitteilung mit Empfangsbestätigung.

Die Angebote sind je nach der Art der Ausschreibung gesondert einzureichen.

(3) Jeder Interessent darf nur ein Angebot je Ausschreibung pro Kategorie einreichen.

Die Mitgliedstaaten überzeugen sich davon, daß die Interessenten hinsichtlich ihrer Leitung, ihres Personals und ihrer Funktionsweise voneinander unabhängig sind.

Gibt es ernste Anzeichen dafür, daß dies nicht der Fall ist oder daß ein Angebot nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage entspricht, so kann das Angebot nur berücksichtigt werden, wenn der Bieter angemessene Nachweise für die Einhaltung der Bedingung des vorstehenden Unterabsatzes erbringt.

Wird festgestellt, daß ein Bieter mehrere Angebote abgegeben hat, so wird keines davon berücksichtigt.

(4)..."

67 Aufgrund des Zusammentreffens verschiedener Umstände (Rinderwahnsinn [BSE], deutsche Wiedervereinigung, Golfkrieg, Entwicklung der Beziehungen zu Osteuropa usw.) geriet der Gemeinschaftsmarkt für Rindfleisch von 1990 bis 1992 in eine noch nie dagewesene Krise, die vom Haushaltsjahr 1991 an zu einem stetigen Anstieg der Haushaltsausgaben der Gemeinschaft führte. Die Interventionsankäufe von Rindfleisch der Gemeinschaft stiegen von 540 000 Tonnen im Jahr 1987 auf 1 030 000 Tonnen im Jahr 1991, was eine Zunahme um 90,7 % innerhalb von vier Jahren bedeutet.

68 Nach Angaben der Kommission gaben damals bestimmte Unternehmen bei ein und derselben Ausschreibung mehrere Angebote ab. In ihrem Zusammenfassenden Bericht für das Haushaltsjahr 1991 führte die Kommission aus:

"Irland

... So wurden beispielsweise von einer Gruppe bis zu neun Einzelangebote hinterlegt, und zwar zu Preisen, die nur um wenige Pence voneinander abwichen. Dieser Fehler fand sich bei allen überprüften Ausschreibungsverfahren und dürfte weitverbreitet sein. Ein Beispiel illustriert dies am besten:

- 56. Ausschreibung, Angebotsfrist: 22.10.91

* Insgesamt gingen 68 Angebote zu Preisen zwischen 256.75 und 255.50 ECU/100 kg ein.

* Davon wurden 58 Angebote zu Preisen zwischen 255.80 und 255.50 ECU/100 kg akzeptiert.

* Durch einen Vergleich von Namen, Anschriften, Fax- und Fernschreibernummern usw. konnten die EAGFL-Prüfer feststellen, daß die 68 Angebote aus etwa 20 Quellen stammten, obwohl natürlich die Firmenanschriften und Registriernummern andere waren und obwohl die Angebote in fast allen Fällen von unterschiedlichen Personen unterzeichnet worden sind.

* Weiter konnte zweifelsfrei festgestellt werden, daß Angebote von Mitgliedern ein und derselben Gruppe auf photokopierten Vordrucken erstellt worden waren, in die dann nur noch die individuellen Angaben für die einzelnen Firmen eingetragen wurden.

Ein klassisches Beispiel fand sich in bezug auf das 65. Ausschreibungsverfahren gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 771/92, Angebotsfrist: 24.3.1992. Dabei stellte der EAGFL in bezug auf eine Gruppe folgendes fest:

- In allen neun Angeboten waren Anschrift, Telefonnummer, Fernschreibernummer und Telefaxnummer identisch, ausserdem war auch der gleiche Interventionsort für die Lieferung angegeben; selbst das Wort "Manager" war in jedem Fall eindeutig von einem Original abkopiert worden.

- Alle neun Angebote trugen den Datums- und Zeitstempel vom 24.3.92, 10.40 Uhr.

- Alle Rechnungen hatten den gleichen Kopf, einschließlich Bankverbindung und Kontonummer, nur der ursprünglich aufgedruckte Firmenname war, in einigen Fällen sehr stümperhaft, durch den Namen der Bieterfirma ersetzt worden. Die Rechnungen waren sogar fortlaufend numeriert.

Der EAGFL kommt daher zu dem Schluß, daß alle diese Angebote zusammenhingen und aus ein und derselben Quelle stammten, was eigentlich auch den Ausschreibungsausschüssen in den betroffenen Mitgliedstaaten hätte auffallen müssen. Ein solches - wenn auch extremes - Beispiel ist auch für die in bezug auf andere "Gruppen"-Angebote überprüften Unterlagen typisch. Spätere Ermittlungen in den betreffenden Firmen haben gezeigt, daß sechs davon zwischen dem 17. und dem 30. Mai 1990 gegründet worden sind und daß alle Zahlungen im Jahr 1991 im Landwirtschaftsministerium unter derselben Händlernummer registriert wurden."

69 Nach Ansicht der Kommission waren diese Praktiken nach der einschlägigen Gemeinschaftsregelung ausdrücklich verboten und mit der Zielsetzung des Interventionssystems völlig unvereinbar. In ihrem Zusammenfassenden Bericht nahm sie einen Verstoß gegen die Artikel 9 Absatz 2 (Hinterlegung nur eines Angebots je Bieter und Ausschreibung), 12 Absatz 2 (Verbot der Übertragung der mit der Ausschreibung verbundenen Rechte und Pflichten), 9 Absatz 4 Buchstabe c (Leistung der Sicherheit durch den Bieter selbst) und 15 Absatz 1 (Zahlung an den Zuschlagsempfänger) der Verordnung Nr. 859/89 an.

70 Die Kommission meinte, die Bieter hätten sich dieser Praktiken bedient, um die grösstmögliche Menge von Interventionsfleisch zu höchstmöglichen Preisen zu verkaufen und dabei die Gefahr des Verfalls ihrer Ausschreibungssicherheiten erheblich zu verringern. Im Fall der Lieferung einer geringeren als der zu liefernden Menge habe die Aufteilung eines Angebots in mehrere Angebote es nämlich ermöglicht, zumindest einen Teil der Angebote einzulösen und somit die Freigabe der betreffenden Sicherheiten zu erreichen.

71 In ihrem Zusammenfassenden Bericht für das Haushaltsjahr 1992 erhielt die Kommission diese Vorwürfe für das Haushaltsjahr 1992 aufrecht, "da es sich bei den Feststellungen in... Irland um schwere und systematische Mißbräuche handelte" (S. 121).

72 Die irischen Behörden hielten der Kommission, nach deren Auffassung die zuständigen nationalen Behörden hätten eingreifen müssen, um diese Praktiken abzustellen, entgegen, daß die Verordnung Nr. 859/89 sie nicht zum Eingreifen ermächtige, da die Angebote von verschiedenen Rechtssubjekten stammten.

73 Mit der Angelegenheit wurde die Schlichtungsstelle befasst, die auf Initiative der Kommission durch ihre Entscheidung 94/442 eingerichtet worden war.

74 Die Schlichtungsstelle war der Ansicht, sie könne nicht mit Sicherheit sagen, daß das von den Mitgliedstaaten durchgeführte Ausschreibungsverfahren mit der Verordnung Nr. 859/89 unvereinbar gewesen sei. Sie wies darauf hin, daß es jedenfalls später für erforderlich gehalten worden sei, die Vorschriften der Verordnung Nr. 859/89 zu präzisieren. Ausserdem habe die Kommission vor 1993 nicht auf die Praxis der Mitgliedstaaten reagiert.

75 Ungeachtet der Schlußfolgerungen der Schlichtungsstelle erließ die Kommission die angefochtene Entscheidung.

76 Irland stützt seine Klage auf drei Gründe, mit denen es die Rechtmässigkeit der in Irland angewandten Praxis, das Nichtvorliegen eines Schadens des EAGFL und einen Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismässigkeit sowie gegen die Kriterien des Belle-Berichts geltend macht.

Zur Rechtmässigkeit der in Irland angewandten Praxis

77 Mit ihrem ersten Klagegrund trägt die irische Regierung vor, daß die Praxis, wonach jedes Rechtssubjekt während der Ausschreibungsfrist Angebote habe abgeben können, rechtmässig gewesen sei. Denn 1991 und 1992 habe es für die nationalen Behörden keine Rechtsgrundlage gegeben, auf der sie die von Bietern mit eigener Rechtspersönlichkeit eingereichten Angebote mit der Begründung hätten ablehnen können, daß sie nicht von einem anderen Bieter unabhängig gewesen seien.

78 Erst mit der Verordnung Nr. 2456/93, die nach dem für den vorliegenden Rechtsstreit maßgebenden Zeitraum die Verordnung Nr. 859/89 aufgehoben habe, seien die Verbindungen berücksichtigt worden, die zwischen Bietern bestehen könnten. Artikel 11 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 2456/93 sei nämlich die erste Vorschrift, in der verlangt werde, daß die Bieter voneinander unabhängig seien.

79 Hätte ausserdem die Verordnung Nr. 859/89 verhindern sollen, daß verbundene Firmen Angebote hinterlegten, so hätte Artikel 9 Absatz 3 dieser Verordnung, der bestimme, welche Angaben im Angebot zu machen seien, verlangt, daß der Inhaber des Bieters oder seine Zugehörigkeit zu einem Konzern angegeben werde. Zumindest hätte eine andere Vorschrift entweder den Mitgliedstaaten verboten, Angebote verbundener Firmen anzunehmen, oder die Führung eines Registers der zur Abgabe von Angeboten befugten Personen angeordnet, unter genauer Bestimmung der Anforderungen, z. B. daß Gesellschaften ein und desselben Handelskonzerns nicht aufgenommen würden. Solche Vorschriften gebe es vorliegend aber nicht.

80 Die Kommission unterscheidet zwischen dem Begriff "Bieter" in Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 859/89 und dem Begriff "Interessent" in Absatz 2. Während Bieter einfach derjenige sei, der das Angebot abgebe, sei der Begriff "Interessent" weiter. Das nach Artikel 9 Absatz 2 dieser Verordnung für jeden Bieter geltende Verbot, mehr als ein Angebot je Ausschreibung pro Kategorie zu hinterlegen, würde jede praktische Wirksamkeit verlieren, wenn es ein und demselben Interessenten möglich wäre, durch Bieter, die rechtlich zwar eigenständig, aber miteinander verbunden seien, mehrere Angebote abzugeben.

81 Zunächst ist auf das Gebot der Rechtssicherheit hinzuweisen, wonach eine Regelung den Betroffenen ermöglichen muß, den Umfang der ihnen durch diese Regelung auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1987 in der Rechtssache 348/85, Dänemark/Kommission, Slg. 1987, 5225, Randnr. 19). Die Kommission kann daher zum Zeitpunkt des Rechnungsabschlusses des EAGFL keine Auslegung wählen, die, weil sie sich von der gewöhnlichen Bedeutung der verwendeten Wörter entfernt, nicht zwingend ist (vgl. Urteil vom 27. Januar 1988 in der Rechtssache 349/85, Dänemark/Kommission, Slg. 1988, 169, Randnrn. 15 und 16).

82 Artikel 9 Absatz 2 letzter Satz der Verordnung Nr. 859/89 regelt lediglich, daß die Interessenten nur ein Angebot je Ausschreibung pro Kategorie hinterlegen dürfen. Der Wortlaut dieser Vorschrift kann daher nicht zur Stützung der von der Kommission vertretenen Auslegung herangezogen werden, daß wegen der unterschiedlichen Bedeutung der Begriffe "Interessenten" und "Bieter" die letztgenannten, wenn sie zu ein und demselben Konzern gehören, bei einer Ausschreibung nur ein Angebot einreichen könnten.

83 Erst seit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2456/93 enthält die Gemeinschaftsregelung Vorschriften über die Beziehungen zwischen den Bietern. Würde der von der Kommission vorgeschlagenen Auslegung des Artikels 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 859/89 gefolgt, so liefe dies auf eine rückwirkende Anwendung von Artikel 11 der Verordnung Nr. 2456/93 hinaus.

84 Der Klagegrund der irischen Regierung kann jedoch nicht zur Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung führen, da diese durch andere tatsächliche und rechtliche Umstände hinreichend begründet ist.

85 Im Zusammenfassenden Bericht des EAGFL für das Haushaltsjahr 1991 heisst es nämlich, daß Zahlungen an andere als die Bieterfirmen vorgenommen wurden und daß ein systematischer Vergleich von Namen, Anschriften, Telefonnummern, Fernschreibernummern, Bankverbindungen und Kontonummern sowie Rechnungsnummern die Feststellung ermöglichte, daß viele Einzelangebote aus derselben Quelle stammten.

86 Diese Umstände waren geeignet, den ernsthaften Verdacht zu erwecken, daß das für die Bieter geltende Verbot, mehr als ein Angebot je Ausschreibung pro Kategorie einzureichen, dadurch umgangen wurde, daß Strohmänner Angebote einreichten, die in Wirklichkeit von ein und demselben Wirtschaftsteilnehmer stammten. Im Hinblick auf die Verteilung der Befugnisse zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik verlangten diese Indizien von den Mitgliedstaaten Untersuchungen und Kontrollen.

87 Die Durchführung der EAGFL-Finanzierung ist nämlich in erster Linie Sache der nationalen Verwaltungen, die über die strikte Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften zu wachen haben. Dieses auf dem Vertrauen zwischen den nationalen und den Gemeinschaftsbehörden beruhende System umfasst keine systematischen Kontrollen seitens der Kommission, die diese materiell auch unmöglich durchführen könnte. Nur die Interventionsstellen sind in der Lage, die für die Festsetzung eines Hoechstkaufpreises und gegebenenfalls eines Kürzungsköffizienten nötigen Angaben zu liefern, da die Kommission nicht über die erforderliche Nähe zu den Wirtschaftsteilnehmern verfügt, um von ihnen die benötigten Auskünfte zu erlangen (vgl. Urteil vom 10. November 1993, Niederlande/Kommission, a. a. O., Randnr. 11).

88 Irland hat dadurch, daß es keine solchen Nachforschungen vorgenommen hat, gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 729/70 verstossen (vgl. Urteil vom 2. Juni 1994 in der Rechtssache C-2/93, Exportslachterijen van Oordegem, Slg. 1994, I-2283, Randnrn. 16 bis 18).

89 In dieser Vorschrift, die Ausdruck der den Mitgliedstaaten nach Artikel 5 EG-Vertrag im Agrarbereich obliegenden Verpflichtungen ist, sind die Grundsätze niedergelegt, die die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der aus Mitteln des EAGFL finanzierten gemeinschaftlichen Agrarinterventionsmaßnahmen sowie bei der Bekämpfung von betrügerischen Handlungen und Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit diesen Maßnahmen zu beachten haben (vgl. Urteil vom 6. Mai 1982 in den Rechtssachen 146/81, 192/81 und 193/81, BayWa u. a., Slg. 1982, 1503, Randnr. 13). Sie erlegt den Mitgliedstaaten die allgemeine Verpflichtung auf, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sich zu vergewissern, daß die durch den EAGFL finanzierten Vorhaben tatsächlich und ordnungsgemäß durchgeführt worden sind, auch wenn die spezifische Gemeinschaftshandlung nicht ausdrücklich den Erlaß dieser oder jener Kontrollmaßnahme vorsieht (vgl. Urteil vom 12. Juni 1990 in der Rechtssache C-8/88, Deutschland/Kommission, Slg. 1990, I-2321, Randnrn. 16 und 17).

90 Ausserdem hat der EAGFL nicht nur eine Verletzung von Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 859/89 festgestellt. Er hat auch geltend gemacht, daß die in Randnummer 85 des vorliegenden Urteils genannten Praktiken gegen das Verbot der Übertragung der mit der Ausschreibung verbundenen Rechte und Pflichten (Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 859/89), gegen die Verpflichtung jedes Bieters, eine Sicherheit zu leisten (Artikel 9 Absatz 4 Buchstabe c), und gegen die Verpflichtung, die Zahlung persönlich entgegenzunehmen (Artikel 15), verstießen (Zusammenfassender Bericht, S. 103 und 104).

91 Mit diesen Beanstandungen warf der EAGFL den irischen Bietern vor, gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der Angebote verstossen zu haben, der ein wesentliches Erfordernis für den ordnungsgemässen Ablauf und die Wirksamkeit der Ausschreibungsverfahren darstellt und sich sowohl aus den genannten Vorschriften der Verordnung Nr. 859/89 als auch aus Artikel 9 Absatz 6 dieser Verordnung (Vertraulichkeit der Angebote) und Artikel 6 Absatz 6 der Verordnung Nr. 805/68 (gleicher Zugang für alle Interessenten) ergibt. Dieser Grundsatz schließt es zwar nicht aus, daß sich mehrere Gesellschaften eines Konzerns gleichzeitig an einer Ausschreibung beteiligen; er verbietet es aber, daß sich diese Gesellschaften über den Wortlaut und die Bedingungen der von ihnen eingereichten Angebote abstimmen, da andernfalls der Ablauf des Verfahrens verfälscht würde.

92 Nach alledem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

Zum Nichtvorliegen eines Schadens des EAGFL und zum Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismässigkeit sowie gegen die Kriterien des Belle-Berichts

93 Mit ihrem zweiten Klagegrund trägt die irische Regierung hilfsweise vor, das in Irland durchgeführte Ausschreibungsverfahren habe nicht zum Ankauf grösserer Fleischmengen zu höheren Preisen geführt. Im übrigen habe die Kommission diesen im Zusammenfassenden Bericht für das Haushaltsjahr 1991 enthaltenen Vorwurf im Laufe der Verhandlungen zurückgenommen.

94 Die irische Regierung bestreitet auch, daß die Praxis der Mehrfachangebote die Gefahr eines Verfalls der Garantie verringere. Der Betrag der 1991 und 1992 in Irland verfallenen Garantien sei sehr gering (18 268,44 IRL im Jahr 1992 von einem Garantiebetrag von insgesamt 86 696 135,57 IRL).

95 Ausserdem seien 1991 und 1992 63 % der in Irland vom Interventionsankauf erfassten Gesamtmenge Rindfleisch im Rahmen des als "Sicherheitsnetz" bezeichneten Verfahrens angekauft worden. Da dieses Verfahren zur Annahme aller Angebote führe, habe keine Notwendigkeit für die Abgabe spekulativer Angebote bestanden. Mehrfachangebote seien aber auch in diesen Zeiträumen abgegeben worden, was dafür spreche, daß diese Praxis in Irland nicht bezweckt habe, die Gefahr des Verfalls der Garantie soweit wie möglich zu verringern.

96 Mit ihrem dritten Klagegrund macht die irische Regierung ebenfalls hilfsweise erstens geltend, daß die Kommission, wenn sie Kenntnis von einer Praxis habe, die mit den Gemeinschaftsvorschriften nicht vereinbar sei, aufgrund ihrer zentralen Rolle im Zuschlagsverfahren verpflichtet sei, dies dem betroffenen Mitgliedstaat mitzuteilen. Komme sie dieser Verpflichtung nicht nach und leiste sie weiter Vorauszahlungen zu Lasten des EAGFL und ermächtige sie den Mitgliedstaat, Zahlungen zu Lasten des EAGFL vorzunehmen, so könne sie es später nicht ablehnen, diese Beträge zu Lasten des EAGFL zu übernehmen.

97 Zweitens führe eine Kürzung der Ausgaben für die Lagerhaltung von Fleisch in Irland um 2 % zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des EAGFL. In diesem Zusammenhang beruft sich Irland auf einen Fall, in dem die Kommission die fraglichen Ausgaben einheitlich um 0,25 % gekürzt habe, nachdem sie festgestellt habe, daß ein Mitgliedstaat in technischer Hinsicht gegen eine Gemeinschaftsvorschrift verstossen habe, dieser Verstoß aber wahrscheinlich nicht zu einem erheblichen Verlust für den Gemeinschaftshaushalt geführt hätte (vgl. Urteil vom 13. Dezember 1990 in der Rechtssache C-22/89, Niederlande/Kommission, Slg. 1990, I-4799). Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung verlange, daß Irland zumindest in ähnlicher Weise behandelt werde.

98 Drittens ergebe sich aus dem Belle-Bericht, daß die Kommission, wenn sie wegen eines angeblichen Mangels der Kontrollen durch einen Mitgliedstaat einen Kürzungssatz vorschlage, die Gefahr beurteilen müsse, die sich daraus für den Gemeinschaftshaushalt ergebe. Im vorliegenden Fall habe die Kommission eingeräumt, daß die betreffenden Praktiken nicht die geringste Gefahr für den Gemeinschaftshaushalt mit sich brächten. Daher habe die Kommission die Kriterien des Belle-Berichts nicht beachtet.

99 Viertens habe die Kommission gegen die Leitlinien des Belle-Berichts verstossen, indem sie von denselben Ausgaben, die Irland gemeldet habe, zwei verschiedene Pauschalabzuege zu unterschiedlichen Sätzen (5 % und 2 %) vorgenommen habe, nachdem Unregelmässigkeiten bei der Kontrolle der Lagerhaltung von Rindfleisch und beim Interventionsankauf von Rindfleisch festgestellt worden seien. Die im Belle-Bericht aufgestellten Kriterien besagten nämlich eindeutig, daß die Kommission die globale Gefahr, die aufgrund der angeblichen Kontrollmängel für den Gemeinschaftshaushalt bestehe, für einen bestimmten Sektor und ein bestimmtes Jahr nur einmal beurteilen und nur einen einzigen Abzug zu einem festen Satz vornehmen könne.

100 Nach ständiger Rechtsprechung darf die Kommission nach den Artikeln 2 und 3 der Verordnung Nr. 729/70 nur die gemäß den geltenden Vorschriften in den verschiedenen Agrarsektoren gezahlten Beträge zu Lasten des EAGFL übernehmen, während alle sonstigen Beträge, insbesondere diejenigen, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation auszubezahlen sich die nationalen Behörden zu Unrecht für ermächtigt hielten, zu Lasten der Mitgliedstaaten bleiben (vgl. Urteile vom 7. Februar 1979, Niederlande/Kommission, a. a. O., Randnr. 8, und Deutschland/Kommission, a. a. O., Randnr. 7, sowie vom 10. November 1993, Niederlande/Kommission, a. a. O., Randnr. 14).

101 Daher ist es zwar Sache der Kommission, das Vorliegen einer Verletzung der Gemeinschaftsvorschriften nachzuweisen, doch hat der Mitgliedstaat gegebenenfalls nachzuweisen, daß der Kommission bezueglich der daraus zu ziehenden finanziellen Konsequenzen ein Fehler unterlaufen ist (vgl. Urteil Luxemburg/Kommission, a. a. O., Randnr. 30).

102 Aus den Randnummern 85 bis 90 des vorliegenden Urteils ergibt sich, daß die Kommission den Verstoß Irlands gegen mehrere Gemeinschaftsvorschriften im Agrarbereich nachgewiesen hat.

103 Ausserdem hat die Kommission angegeben, auf welche Weise das rechtswidrige Verhalten der britischen Bieter eine Fehleinschätzung des Marktes durch die Gemeinschaftsbehörden bewirken konnte, die möglicherweise zum Ankauf von zu grossen Mengen Rindfleisch, eventuell zu höheren Preisen, führte. Damit hat die Kommission die Wahrscheinlichkeit eines Schadens zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts nachgewiesen. Mehr kann von ihr nicht verlangt werden, da sie keine systematischen Kontrollen vornehmen kann und die Analyse der Lage auf einem bestimmten Markt von den Informationen abhängt, die die Mitgliedstaaten eingeholt haben (vgl. Urteil vom 10. November 1993, Niederlande/Kommission, a. a. O., Randnr. 17).

104 In diesem Zusammenhang lässt sich aus dem geringen Betrag der von den Interventionsstellen einbehaltenen Garantien kein entscheidendes Argument herleiten, da es bei den Mehrfachangeboten wie sie in dem in Randnummer 68 des vorliegenden Urteils zitierten Zusammenfassenden Bericht beschrieben sind, bei denen die Spekulation erfolgreich ist, logischerweise zu keinem Verfall der Sicherheit kommt.

105 Die irische Regierung hat dagegen nicht dartun können, daß das Verhalten, das sie sich hat zuschulden kommen lassen, zu keiner Erhöhung der Ausgaben im Rahmen des EAGFL geführt hat.

106 Wie sich ausserdem aus dem von der Kommission vorgelegten Schriftwechsel ergibt, haben die irischen Behörden während der Verhandlungen mit der Kommission zweimal eingeräumt, daß es weit verbreitet gewesen sei, sich verbundener Firmen zu bedienen, um die Gefahr des Verfalls der Garantie zu verringern (vgl. Nr. 90 der Schlussanträge des Generalanwalts).

107 Bezueglich des Arguments, das die irische Regierung aus dem als "Sicherheitsnetz" bezeichneten Verfahren herleitet, genügt der Hinweis, daß auch zur damaligen Zeit weiterhin mehr als ein Drittel des Fleisches nach dem normalen Verfahren angekauft wurde, in dessen Rahmen die Abgabe verbundener Angebote einen Vorteil für die Wirtschaftsteilnehmer darstellen konnte.

108 Was die Festsetzung der beiden Berichtigungen für das Haushaltsjahr 1991 anbelangt, so ist zu bemerken, daß die Kommission, nachdem sie unterschiedliche Gefahren festgestellt hatte, die sich aus verschiedenen Mängeln im Kontrollsystem ergaben, berechtigt war, diese Gefahren gesondert zu beurteilen. Im übrigen hätte die Kommission nach ständiger Rechtsprechung die von diesen Verstössen betroffenen Ausgaben insgesamt ablehnen können, anstatt zu versuchen, die finanziellen Auswirkungen der Verstösse der irischen Kontrollbehörden festzustellen (vgl. Urteil Vereinigtes Königreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 13).

109 Schließlich kann unter Berücksichtigung der Bedeutung der verletzten Vorschriften und der Wahrscheinlichkeit von Verlusten oder sogar Betrügereien zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts der von der Kommission nicht anerkannte Betrag, der sich nur auf 2 % der betreffenden Ausgaben belief, nicht als übermässig und unverhältnismässig angesehen werden (vgl. Urteil vom 14. September 1995 in der Rechtssache C-49/94, Irland/Kommission, Slg. 1995, I-2683, Randnr. 22).

110 Daher sind der zweite und der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

111 Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

112 Nach Artikel 69 § 2 Satz 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Irland mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

113 Die Klage wird abgewiesen.

114 Irland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

Zurück