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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.04.1991
Aktenzeichen: C-239/90
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 177
EWGV Art. 59
EWGV Art. 30
EWGV Art. 36
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Eine Regelung eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen festlegt, unter denen dort in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Händler ihnen gehörende Waren versteigern lassen dürfen, fällt nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 59 EWG-Vertrag. Da sie den Vertrieb von Waren betrifft, die Gegenstand des Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sind, unterliegt sie den Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr.

2. Eine nationale Regelung, wonach die öffentliche Versteigerung von Gebrauchtwaren mit Herkunft aus einem anderen Mitgliedstaat von der vorherigen Eintragung des Unternehmens, das Eigentümer der zu versteigernden Waren ist, im Handelsregister für den Ort der Versteigerung abhängig ist, verstösst gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag. Eine solche Maßnahme ist nämlich geeignet, den freien Warenverkehr zu behindern und kann weder durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes noch aus Gründen der öffentlichen Ordnung im Sinne von Artikel 36 gerechtfertigt sein, da zum einen Bedingungen vorgeschrieben werden können, die geeignet sind, die Verbraucher zu schützen, und die weniger einschneidende Auswirkungen auf den freien Warenverkehr haben, und da zum anderen das Ziel, den Verkauf gestohlener Gegenstände zu verhindern, durch geeignete Kontrollmaßnahmen erreicht werden kann.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 30. APRIL 1991. - SCP BOSCHER, STUDER ET FROMENTIN GEGEN SA BRITISH MOTORS WRIGHT UND ANDERE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR DE CASSATION - FRANKREICH. - MASSNAHME GLEICHER WIRKUNG - FREIER DIENSTLEISTUNGSVERKEHR - GEBRAUCHTE LUXUSWAGEN - OEFFENTLICHE VERSTEIGERUNG. - RECHTSSACHE C-239/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die französische Cour de cassation (Kammer für Handels-, Finanz- und Wirtschaftssachen) hat mit Urteil vom 3. Juli 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Juli 1990, nach Artikel 177 EWG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 59, 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit über das Verbot einer Versteigerung, in dem sich die SCP Boscher, Studer und Fromentin, eine Auktionatorengemeinschaft mit Sitz in Paris, einerseits und die SA British Motors Wright und anderen Firmen, die mit gebrauchten Luxusfahrzeugen handeln, andererseits gegenüber stehen.

3 Nach Artikel 1 Absatz 1 des französischen Gesetzes vom 25. Juni 1841 zur Regelung der Verkäufe im Wege der öffentlichen Versteigerung darf niemand öffentliche Versteigerungen zu einer gewöhnlichen Vorgehensweise bei der Ausübung seines Gewerbes machen. Nach Artikel 1 Absatz 3 dieses Gesetzes sind auch die in gleicher Form erfolgenden freiwilligen Einzelhandelsverkäufe von irgendwelchen Gebrauchtwaren oder -gegenständen verboten, deren Eigentümer oder Besitzer Gewerbetreibende sind, die nicht seit mindestens zwei Jahren im Bezirk des Tribunal de grande instance, in dem die Versteigerungen durchgeführt werden sollen, im Handelsregister und im Verzeichnis der Gewerbesteuerpflichtigen eingetragen sind.

4 Die SCP Boscher, Studer und Fromentin war von der Firma Nado, einer Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Hamburg, beauftragt worden, am 6. November 1988 eine öffentliche Versteigerung von Gebrauchtfahrzeugen durchzuführen; bei diesen handelt es sich nach den Feststellungen des zunächst angerufenen Gerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes teils um Sammelobjekte, teils um neuere Fahrzeuge mit hohem Preis und niedrigem Kilometerstand. Die Firma British Motors Wright und drei weitere Firmen beantragten beim Tribunal de grande instance Paris, die Versteigerung nach Artikel 1 des genannten Gesetzes vom 25. Juni 1841 durch einstweilige Anordnung zu verbieten. Aufgrund dieser Bestimmung erließ das Gericht am 4. November 1988 einen Beschluß, mit dem den Auktionatoren die Versteigerung verboten wurde, solange nicht nachgewiesen ist, daß der Eigentümer oder der Besitzer der Fahrzeuge nach Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Juni 1841 im Handelsregister oder im Verzeichnis der Gewerbesteuerpflichtigen eingetragen ist. Die SCP Boscher, Studer und Fromentin legte gegen diesen Beschluß Berufung ein; er wurde jedoch am folgenden Tag durch Urteil der Cour d' appel Paris bestätigt. Die SCP Boscher, Studer und Fromentin legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde ein.

5 In diesem Zusammenhang hat das nationale Gericht dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Ist Artikel 59 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß er auf den Fall anwendbar ist, daß ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Händler gelegentlich ihm gehörende Gebrauchtwaren in einem anderen Mitgliedstaat öffentlich versteigern lässt?

2) Falls diese Frage bejaht wird: Stellen Bedingungen, wie sie im Gesetz vom 25. Juni 1841 niedergelegt sind, Beschränkungen dar?

3) Ist Artikel 30 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß er auf öffentliche Versteigerungen von Gebrauchtwaren mit Herkunft aus einem anderen Mitgliedstaat anwendbar ist, die Bedingungen wie den in dem Gesetz vom 25. Juni 1841 niedergelegten unterworfen sind?

4) Falls diese Frage bejaht wird: Könnte die in Artikel 36 EWG-Vertrag vorgesehene Ausnahme aus Gründen der öffentlichen Ordnung geltend gemacht werden?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage (freier Dienstleistungsverkehr)

7 Mit der ersten Frage wünscht das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob eine Regelung eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen festlegt, unter denen dort in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Händler ihnen gehörende Waren versteigern lassen dürfen, in den Anwendungsbereich des Artikels 59 EWG-Vertrag fällt.

8 Es ist festzustellen, daß eine derartige Regelung über die Bedingungen, die beim Vertrieb von Waren einzuhalten sind, die Gegenstand des Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sind, den Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr unterliegt.

9 Nach Artikel 60 EWG-Vertrag sind diejenigen Leistungen als Dienstleistungen anzusehen, die gegen Entgelt erbracht werden und - insbesondere - nicht den Vorschriften über den freien Warenverkehr unterliegen.

10 Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß eine Regelung eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen festlegt, unter denen dort in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Händler ihnen gehörende Waren versteigern lassen dürfen, nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 59 EWG-Vertrag fällt.

Zur zweiten Frage

11 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht über die zweite Frage nicht entschieden zu werden.

Zur dritten und vierten Frage (freier Warenverkehr)

12 Mit diesen Fragen begehrt das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob eine nationale Regelung, wonach die öffentliche Versteigerung von Gebrauchtwaren mit Herkunft aus einem anderen Mitgliedstaat von der vorherigen Eintragung des Unternehmens, das Eigentümer der zu versteigernden Waren ist, im Handelsregister für den Ort der Versteigerung abhängig ist, gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag verstösst.

13 Nach der durch das Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 (Dassonville, Slg. 1974, 837) begründeten Rechtsprechung betrifft das in Artikel 30 EWG-Vertrag niedergelegte Verbot von Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Beschränkungen jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern.

14 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 15. Dezember 1982 in der Rechtssache 286/81, Oosthök, Slg. 1982, 4575, und vom 7. März 1990 in der Rechtssache C-362/88, GB-INNO, Slg. 1990, 667) ist es nicht auszuschließen, daß der für den betroffenen Unternehmer bestehende Zwang, sich entweder für die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlicher Systeme der Werbung und Absatzförderung zu bedienen oder ein System, das er für besonders wirkungsvoll hält, aufzugeben, selbst dann ein Einfuhrhindernis darstellen kann, wenn eine solche Regelung unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse gilt. Im Urteil vom 16. Mai 1989 in der Rechtssache 382/87 (Büt, Slg. 1989, 1235) hat der Gerichtshof ferner festgestellt, daß dies erst recht gilt, wenn die fragliche Regelung es dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht verwehrt, sich eines Systems der Werbung zu bedienen, sondern ihm die Möglichkeit nimmt, eine Vertriebsmethode anzuwenden.

15 Ferner hat der Gerichtshof entschieden, daß eine Regelung, die den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Unternehmen die zusätzlichen Kosten auferlegt, die die Verpflichtung, sich eines Vertreters im Einfuhrmitgliedstaat zu bedienen, mit sich bringt, als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmässige Beschränkung anzusehen ist (Urteile vom 2. März 1983 in der Rechtssache 155/82, Kommission/Belgien, Slg. 1983, 531, und vom 28. Februar 1984 in der Rechtssache 247/81, Kommission/Deutschland, Slg. 1984, 1111).

16 Es ist festzustellen, daß eine nationale Regelung, die vom Versteigerer die vorherige Eintragung im Handelsregister für den Ort der Versteigerung verlangt, geeignet ist, den freien Warenverkehr zu behindern, denn sie verpflichtet den Eigentümer der Ware im Ergebnis, sich entweder eines Händlers zu bedienen, der seine Tätigkeit am Ort der Versteigerung ausübt, oder auf das Verfahren der öffentlichen Versteigerung zu verzichten.

17 Da es sich um eine unterschiedslos auf die Versteigerung inländischer und eingeführter Erzeugnisse anwendbare Regelung handelt, ist zu prüfen, ob sie durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes gerechtfertigt sein kann.

18 In diesem Zusammenhang ist geltend gemacht worden, die Vorschrift, daß der Versteigerer zuvor im Handelsregister für den Ort der Versteigerung eingetragen sein müsse, sei erforderlich, da sonst das Verfahren der öffentlichen Versteigerung keine hinreichenden Garantien für den Verbraucher in bezug auf Herkunft und Zustand des Gegenstandes biete, den er zudem kaufe, ohne Zeit zum Überlegen zu haben.

19 Wie der Gerichtshof jedoch wiederholt entschieden hat, muß eine Regelung, die einem zwingenden Erfordernis gerecht werden soll, in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen; verfügt ein Mitgliedstaat über weniger einschneidende Mittel zur Erreichung desselben Zwecks, so muß er diese einsetzen (Urteil vom 16. Mai 1989, Büt, a. a. O., Randnr. 11).

20 Es ist zum einen festzustellen, daß das Verfahren der öffentlichen Versteigerung, wie es in der Akte beschrieben ist, meist auf besonders gut informierte Käufer abzielt, und zum anderen, daß es hinreichende Garantien für den Verbraucher bietet. Jedenfalls können Bedingungen vorgeschrieben werden, die geeignet sind, die Verbraucher zu schützen, und die weniger einschneidende Auswirkungen auf den freien Warenverkehr haben als das Erfordernis der vorherigen Eintragung eines Unternehmens, das Eigentümer von zur Versteigerung gestellten Waren ist, im Handelsregister für den Ort der Versteigerung.

21 Somit kann eine Regelung wie die, mit der das vorlegende Gericht befasst ist, nicht durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden; sie ist daher mit Artikel 30 EWG-Vertrag unvereinbar.

22 Eine derartige Regelung kann auch nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung im Sinne von Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigt sein.

23 Das in diesem Zusammenhang angeführte Ziel, den Verkauf gestohlener Kraftfahrzeuge zu verhindern, kann durch geeignete Kontrollmaßnahmen wie die Prüfung der Fahrgestellnummer erreicht werden.

24 Deshalb ist auf die von dem vorlegenden Gericht gestellten Fragen zu antworten, daß eine nationale Regelung, wonach die öffentliche Versteigerung von Gebrauchtwaren mit Herkunft aus einem anderen Mitgliedstaat von der vorherigen Eintragung des Unternehmens, das Eigentümer der zu versteigernden Waren ist, im Handelsregister für den Ort der Versteigerung abhängig ist, gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag verstösst.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

auf die ihm von der französischen Cour de cassation (Kammer für Handels-, Finanz- und Wirtschaftssachen) mit Urteil vom 3. Juli 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Eine Regelung eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen festlegt, unter denen dort in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Händler ihnen gehörende Waren versteigern lassen dürfen, fällt nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 59 EWG-Vertrag.

2) Eine nationale Regelung, wonach die öffentliche Versteigerung von Gebrauchtwaren mit Herkunft aus einem anderen Mitgliedstaat von der vorherigen Eintragung des Unternehmens, das Eigentümer der zu versteigernden Waren ist, im Handelsregister für den Ort der Versteigerung abhängig ist, verstösst gegen die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag.

Ende der Entscheidung

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