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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.12.1999
Aktenzeichen: C-239/98
Rechtsgebiete: Richtlinie 92/49/EWG, Richtlinie 92/96/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 92/49/EWG
Richtlinie 92/96/EWG
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 16. Dezember 1999. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik. - Vertragsverletzung - Nichtumsetzung der Richtlinien 92/49/EWG und 92/96/EWG - Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung und Direktversicherung (Lebensversicherung). - Rechtssache C-239/98.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 7. Juli 1998 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben auf Feststellung, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag, der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) (ABl. L 228, S. 1) und der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung) (ABl. L 360, S. 1) verstossen hat, daß sie nicht die Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen (und in Kraft gesetzt) und mitgeteilt hat, die erforderlich sind, um diesen Richtlinien vollständig nachzukommen, und daß sie diese Richtlinien insbesondere nicht für die dem Code de la mutualité (Gesetz über die Hilfskassen auf Gegenseitigkeit) unterliegenden Hilfskassen auf Gegenseitigkeit (mutülles) umgesetzt hat.

2 Laut ihrer gemeinsamen ersten Begründungserwägung dienen die Richtlinien 92/49 und 92/96 dem Ziel, den Binnenmarkt im Bereich des Versicherungswesens unter dem doppelten Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs zu vollenden, um es den Versicherungsunternehmen mit Sitz in der Gemeinschaft zu erleichtern, innerhalb der Gemeinschaft Verpflichtungen einzugehen und in der Gemeinschaft belegene Risiken zu decken.

3 Nach ihrer gemeinsamen fünften Begründungserwägung gehen diese Richtlinien vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der Zulassungen und Aufsichtssysteme aus, die die Erteilung einer einheitlichen, innerhalb der ganzen Gemeinschaft gültigen Zulassung sowie die Anwendung des Grundsatzes der Aufsicht durch den Herkunftsmitgliedstaat erlaubt.

4 In Artikel 6 der Richtlinie 92/49 (mit dem Artikel 8 der Ersten Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 [ABl. L 228, S. 3] neu gefasst wurde) heisst es:

"(1) Der Herkunftsmitgliedstaat verlangt, daß die Versicherungsunternehmen, die ihre Zulassung beantragen,

a) eine der folgenden Formen annehmen:

...

- in der Französischen Republik: "société anonyme", "société d'assurance mutülle", "institution de prévoyance régie par le code de sécurité sociale", "institution de prévoyance régie par le code rural", "mutülles régies par le code de la mutualité"."

5 Artikel 5 der Richtlinie 92/96 (mit der Artikel 8 der Ersten Richtlinie 79/267/EWG des Rates vom 5. März 1979 [ABl. L 63, S. 1] neu gefasst wurde) enthält die gleiche Bestimmung.

6 Gemäß Artikel 57 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 92/49 und Artikel 51 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 92/96 erlassen die Mitgliedstaaten spätestens am 31. Dezember 1993 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um den beiden Richtlinien nachzukommen, und setzen sie spätestens zum 1. Juli 1994 in Kraft. Sie unterrichten die Kommission unverzueglich davon.

7 Mit Schreiben vom 31. März 1995 wies die Kommission die französischen Behörden darauf hin, daß die Richtlinien 92/49 und 92/96 hinsichtlich der dem Code de la mutualité unterliegenden Hilfskassen auf Gegenseitigkeit (mutülles) durch die Gesetze Nr. 94/678 vom 8. August 1994 über den ergänzenden sozialen Schutz der unselbständig Beschäftigten und zur Umsetzung der Richtlinien 92/49 und 92/96 des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 18. Juni und 10. November 1992 (Amtsblatt der Französischen Republik Nr. 184 vom 10. August 1994, S. 11 655) und Nr. 94/679 vom 8. August 1994 mit verschiedenen wirtschafts- und finanzrechtlichen Vorschriften (ebenda, S. 11 668) nicht umgesetzt worden seien.

8 Auf dieses Schreiben antwortete die französische Regierung am 8. Juni 1995, dem französischen Parlament werde demnächst ein Gesetzesentwurf zugeleitet, mit dem die beiden Richtlinien hinsichtlich der dem Code de la mutualité unterliegenden Hilfskassen auf Gegenseitigkeit umgesetzt werden sollten.

9 Da kein Gesetz erlassen wurde, forderte die Kommission die Französische Republik im Verfahren gemäß Artikel 169 EG-Vertrag mit Mahnschreiben vom 31. Januar 1996 auf, zur Nichtumsetzung der Richtlinien 92/49 und 92/96 unter dem genannten Aspekt binnen zwei Monaten Stellung zu nehmen.

10 In ihrem Antwortschreiben vom 2. Juli 1996 teilte die französische Regierung mit, die Umsetzung der beiden Richtlinien hinsichtlich des Code de la mutualité sei in Vorbereitung.

11 Am 5. März 1997 richtete die Kommission an die Französische Republik eine mit Gründen versehene Stellungnahme, mit der sie sie aufforderte, binnen zwei Monaten alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Richtlinien 92/49 und 92/96 vollständig nachzukommen.

12 Am 18. November 1997 übermittelte die französische Regierung der Kommission - unter Erläuterung der Grundzuege des französischen Rechts der Hilfskassen auf Gegenseitigkeit - einen Entwurf zur Umsetzung der Richtlinien 92/49 und 92/96 in bezug auf die dem Code de la mutualité unterliegenden Versicherungen auf Gegenseitigkeit. Am 3. Dezember 1997 teilte sie der Kommission weiter mit, sie verpflichte sich, bis Jahresbeginn 1998 einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der die entsprechenden allgemeinen Grundsätze festlegen werde und der Umsetzung der beiden Richtlinien dienen solle. Die Rechtsvorschriften zur Umsetzung der technischen und Aufsichtsregelungen in den Richtlinien 92/49 und 92/96 würden bis Jahresende 1998 mitgeteilt werden.

13 Am 11. Februar 1998 erläuterte die französische Regierung der Kommission ferner bestimmte Besonderheiten des Versicherungswesens auf Gegenseitigkeit und die Grundkonzeption, nach der die Richtlinien 92/49 und 92/96 in diesem Bereich umgesetzt werden sollten.

14 Am 11. März 1998 teilte die französische Regierung der Kommission sodann mit, sie habe sich für eine neue Grundkonzeption der Umsetzungsbestimmungen entschieden, wonach im innerstaatlichen Recht unterschieden werden solle zwischen dem Geschäftsbereich der Versicherung auf Gegenseitigkeit durch Geld- oder Sachleistungen, der unter die Aufsichtsregelungen der Richtlinien 92/49 und 92/96 falle, und anderen Geschäftstätigkeiten der Hilfskassen auf Gegenseitigkeit, die nicht die Versicherung beträfen und durch Tochterunternehmen abzuwickeln seien.

15 In einem Schreiben an die französische Regierung vom 6. Mai 1998 bekräftigte die Kommission ihren Standpunkt, daß auch bei voller Anwendung der Richtlinien 92/49 und 92/96 auf die französischen Hilfskassen deren Besonderheiten gewahrt werden könnten.

16 Am 7. Juli 1998 hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

17 In ihrer Klageschrift stellt die Kommission zunächst fest, daß die Französische Republik die Richtlinien 92/49 und 92/96 nur unvollständig, nämlich nicht in bezug auf die dem Code de la mutualité unterliegenden Hilfskassen auf Gegenseitigkeit, umgesetzt habe.

18 Diese fehlende Umsetzung habe insbesondere zur Folge, daß

- die französischen Hilfskassen auf Gegenseitigkeit nicht den Aufsichts- und finanziellen Anforderungen der Richtlinie 92/49 und 92/96 unterlägen (angemessene versicherungstechnische Rückstellungen, Solvabilitätsspanne),

- ihre Versicherungstätigkeit im eigentlichen Sinne rechtlich nicht von Tätigkeiten "sozialer Einrichtungen" wie etwa Apotheken, Optikergeschäften, Erholungsheimen und Vermietung von Konferenzräumen getrennt sei; dies verletze den in den Richtlinien 92/49 und 92/69 normierten Grundsatz der Spezialisierung von Versicherungsunternehmen, wonach gewerbliche Geschäfte und soziale Einrichtungen der Hilfskassen auf Gegenseitigkeit nicht denselben rechtlichen Träger haben dürften;

- ihre Regelung für die Übertragung von Beständen nicht der in den Richtlinien 92/49 und 92/96 entspreche;

- ihre Regelung der Rückversicherung nicht den Anforderungen des EG-Vertrags entspreche.

19 Die französische Regierung wendet zunächst ein, die Klage sei unzulässig, soweit die Kommission in ihrer Klageschrift auch die Frage zum Streitgegenstand mache, ob die Regelung der Rückversicherung, die für die dem Code de la mutualité unterliegende Hilfskassen auf Gegenseitigkeit nach innerstaatlichem Recht gelte, mit dem Gemeinschaftsrecht (nämlich der Richtlinie 64/225/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der Rückversicherung und Retrozession [ABl. 1964 Nr. 56, S. 878]) vereinbar sei; im Vorverfahren sei dies nie gerügt worden.

20 Darauf hat die Kommission in ihrer Erwiderung wie auch in der mündlichen Verhandlung entgegnet, daß die im Mahnschreiben, in der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in der Klageschrift erhobene Rüge unverändert stets die gleiche sei; Gegenstand des gesamten Vorverfahrens und der Klageanträge sei durchgehend, daß die Französische Republik die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich seien, um die Richtlinien 92/49 und 92/96 hinsichtlich der dem Code de la mutualité unterliegenden Hilfskassen auf Gegenseitigkeit umzusetzen, nicht erlassen oder jedenfalls nicht mitgeteilt habe. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission im übrigen eingeräumt, daß sich die unzureichende Umsetzung der Richtlinien 92/49 und 92/96 anders als versehentlich in der Klageschrift ausgeführt nicht auf die Rückversicherung auswirke, denn insoweit ergäben sich die gemeinschaftlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nicht aus diesen beiden Richtlinien, sondern aus der in ihrer Klageschrift nicht genannten Richtlinie 64/225.

21 Die französische Regierung hat anerkannt, daß die dem Code de la mutualité unterliegenden Hilfskassen auf Gegenseitigkeit in den sachlichen Geltungsbereich der Artikel 6 der Richtlinie 92/49 und 5 der Richtlinie 92/96 fallen und daß diesbezuegliche Umsetzungsvorschriften nicht in Kraft gesetzt wurden. Die Modalitäten dieser Einbeziehung würden zwischen den französischen Behörden und den betroffenen Versicherungen auf Gegenseitigkeit noch erörtert; letztere seien der Ansicht, die Anwendung der Richtlinien 92/49 und 92/96 auf ihre Geschäftstätigkeit würde die Besonderheiten der Versicherung auf Gegenseitigkeit gefährden. In der mündlichen Verhandlung hat die französische Regierung einen in ihrem Auftrag erstellten Bericht vom Mai 1999 (Rocard-Bericht) über die Hilfskassen auf Gegenseitigkeit und das Gemeinschaftsrecht vorgelegt, in dem die Notwendigkeit betont wird, die Richtlinien 92/49 und 92/96 so rasch wie möglich in das französische Recht umzusetzen.

22 Die französische Regierung bestreitet somit nicht, daß die erforderlichen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinien 92/49 und 92/96 in das innerstaatliche Recht hinsichtlich der Hilfskassen auf Gegenseitigkeit noch nicht erlassen wurden.

23 Die Klage der Kommission ist damit begründet.

24 Demgemäß ist festzustellen, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Richtlinien 92/49 und 92/96 verstossen hat, daß sie nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um diesen Richtlinien vollständig nachzukommen, und daß sie die Richtlinien insbesondere nicht hinsichtlich der dem Code de la mutualité unterliegenden Hilfskassen auf Gegenseitigkeit (mutülles) umgesetzt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt und die Französische Republik mit ihrem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) und der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung) verstossen, daß sie nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um diesen Richtlinien vollständig nachzukommen, und daß sie die Richtlinien insbesondere nicht hinsichtlich der dem Code de la mutualité unterliegenden Hilfskassen auf Gegenseitigkeit (mutülles) umgesetzt hat.

2. Die Französische Republik trägt die Kosten.

Ende der Entscheidung

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