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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: C-241/06
Rechtsgebiete: Richtlinie 89/665/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 89/665/EWG Art. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

11. Oktober 2007

"Öffentliche Aufträge - Richtlinie 89/665/EWG -Nachprüfungsverfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge - Ausschlussfrist - Grundsatz der Effektivität"

Parteien:

In der Rechtssache C-241/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen (Deutschland) mit Entscheidung vom 18. Mai 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Mai 2006, in dem Verfahren

Lämmerzahl GmbH

gegen

Freie Hansestadt Bremen

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter) und J. Klucka, der Richterin P. Lindh sowie des Richters A. Arabadjiev,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: J. Swedenborg, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Lämmerzahl GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt A. Kus,

- der Freien Hansestadt Bremen, vertreten durch die Rechtsanwälte W. Dierks und J. van Dyk,

- der Republik Litauen, vertreten durch D. Kriauciunas als Bevollmächtigten,

- der Republik Österreich, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis und B. Schima als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. Juni 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Lämmerzahl GmbH (im Folgenden: Lämmerzahl) und der Freien Hansestadt Bremen über ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Art. 1 der Richtlinie 89/665 bestimmt:

"(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinien 71/305/EWG, 77/62/EWG und 92/50/EWG fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörden wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der nachstehenden Artikel, insbesondere von Artikel 2 Absatz 7, auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.

...

(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jedem zur Verfügung steht, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Liefer- oder Bauauftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht. Die Mitgliedstaaten können insbesondere verlangen, dass derjenige, der ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten beabsichtigt, den öffentlichen Auftraggeber zuvor von dem behaupteten Rechtsverstoß und von der beabsichtigten Nachprüfung unterrichten muss."

4 Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1) in der durch die Richtlinie 2001/78/EG der Kommission vom 13. September 2001 (ABl. L 285, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 93/36) sieht vor:

"(1) a) Die Abschnitte II, III und IV sowie die Artikel 6 und 7 finden auf öffentliche Lieferaufträge Anwendung,

i) die von den öffentlichen Auftraggebern im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b) vergeben werden ..., wenn der geschätzte Auftragswert ohne Mehrwertsteuer mindestens dem Gegenwert von 200 000 [Euro] entspricht;

...

b) Diese Richtlinie gilt für öffentliche Lieferaufträge, deren geschätzter Wert mindestens den jeweiligen Schwellenwert zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bekanntmachung gemäß Artikel 9 Absatz 2 erreicht."

5 Art. 9 Abs. 4 Satz 1 in Titel III der Richtlinie 93/36 lautet:

"Die Bekanntmachungen werden nach den in Anhang IV enthaltenen Maßnahmen erstellt; in ihnen sind die dort verlangten Auskünfte anzugeben."

6 Das Muster für die Auftragsbekanntmachung in Anhang IV der Richtlinie 93/36 enthält folgende Angaben:

"II.2) Menge oder Umfang des Auftrags

II.2.1) Gesamtmenge bzw. -umfang (einschließlich aller Lose und Optionen, falls anwendbar):

...

II.2.2) Optionen (falls anwendbar). Beschreibung und Angabe des Zeitpunktes, zu dem sie wahrgenommen werden können (falls möglich)

...

II.3) Auftragsdauer bzw. Fristen für die Durchführung des Auftrags

Entweder: Monate ... und/oder Tage ... (ab Auftragserteilung)

Oder: Beginn ... und/oder Ende ... (TT/MM/JJJJ)".

7 Art. 10 Abs. 1 und 1a der Richtlinie 93/36 lautet:

"(1) Bei den offenen Verfahren beträgt die von den öffentlichen Auftraggebern festzusetzende Frist für den Eingang der Angebote mindestens 52 Tage, gerechnet vom Tag der Absendung der Bekanntmachung an.

(1a) Die in Absatz 1 vorgesehene Frist für den Eingang der Angebote kann durch eine Frist ersetzt werden, die so lang ist, dass die Interessenten ordnungsgemäße Angebote einreichen können, und die generell mindestens 36 Tage, auf jeden Fall aber mindestens 22 Tage vom Zeitpunkt der Absendung der Bekanntmachung des Auftrags an betragen muss; dies gilt, sofern die öffentlichen Auftraggeber mindestens 52 Tage, höchstens aber 12 Monate vor dem Zeitpunkt der Absendung der in Artikel 9 Absatz 2 vorgesehenen Bekanntmachung eines Auftrags an das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften die in Artikel 9 Absatz 1 vorgesehene nichtverbindliche Bekanntmachung nach dem Muster in Anhang IV Teil A (Vorinformation) an das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften abgesandt haben und diese Bekanntmachung ferner mindestens ebenso viele Informationen wie das Muster einer Bekanntmachung in Anhang IV Teil B (offenes Verfahren) enthält, soweit diese zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bekanntmachung vorliegen."

Nationales Recht

8 § 100 Abs. 1 des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) bestimmt:

"Dieser Teil [des GWB] gilt nur für Aufträge, welche die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 festgelegt sind (Schwellenwerte)."

9 § 107 Abs. 3 GWB sieht vor:

"Der Antrag ist unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Der Antrag ist außerdem unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden."

10 § 127 Nr. 1 GWB bestimmt:

"Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Regelungen erlassen ... zur Umsetzung der Schwellenwerte der Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge in das deutsche Recht".

11 § 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung sah in der Fassung, die zum Zeitpunkt der Vergabe des im Ausgangsverfahren betroffenen Auftrags galt, vor:

"Der Schwellenwert beträgt:

...

für alle anderen Liefer- und Dienstleistungsaufträge: 200 000 Euro."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12 Im März 2005 veröffentlichte die Freie Hansestadt Bremen eine nationale Ausschreibung für Standardsoftware für die PC-gestützte Sachbearbeitung im Sozialdienst Erwachsene und Wirtschaftliche Hilfen.

13 Die in der Auftragsbekanntmachung genannte Frist für die Abgabe von Angeboten endete am 12. April 2005 um 15 Uhr.

14 Die Bekanntmachung enthielt weder Angaben zu dem geschätzten Auftragswert noch Angaben zu der Menge oder dem Umfang des Auftrags.

15 In der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass die Verdingungsunterlagen von einer mit Adresse angegebenen Internetseite der Freien Hansestadt Bremen heruntergeladen werden könnten. In den Verdingungsunterlagen hieß es unter der Überschrift "Mengengerüste":

"Mit dem Verfahren werden im Bereich der Wirtschaftlichen Hilfe ca. 200 Mitarbeiter und im Sozialdienst Erwachsene ca. 45 Mitarbeiter dezentral verteilt auf derzeit 6 Sozialzentren und ca. 65 Mitarbeiter in den zentralen Einheiten ... arbeiten."

16 In dem Formblatt, auf dem die Bieter ihre Preise mitteilen sollten, war nicht die Gesamtzahl der zu erwerbenden Lizenzen angegeben, sondern es wurde darin nur die Nennung des Einzelpreises je Lizenz verlangt.

17 Auf eine erste Nachfrage von Lämmerzahl erteilte ihr die Stadt Bremen mit Antwortschreiben vom 24. März 2005 verschiedene Auskünfte, ohne allerdings die Zahl der zu erwerbenden Lizenzen zu nennen.

18 In einer weiteren Anfrage bat Lämmerzahl die Stadtverwaltung um Mitteilung, ob sie insgesamt 310 Lizenzen erwerben wolle, was sich aus den Verdingungsunterlagen bei Addierung der darin genannten Zahlen von 200, 45 und 65 Mitarbeitern ergeben könne, und ob sich ein beziffertes Angebot auf diese Gesamtzahl von Lizenzen beziehen solle. Mit Schreiben vom 6. April 2005 antworteten die bremischen Behörden Lämmerzahl, es sei "der Komplettpreis (Gesamtpreis der Überlassungskosten, Pflegekosten und Dienstleistungen) der Ausschreibung einzutragen".

19 Am 8. April 2005 gab Lämmerzahl ein Angebot in einer Gesamthöhe von 691 940 Euro brutto (603 500 Euro netto) ab.

20 Mit Schreiben vom 6. Juli 2005 teilte die Freie Hansestadt Bremen Lämmerzahl mit, dass ihr nicht der Zuschlag habe erteilt werden können, da nach Auswertung der Angebote ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste gewesen sei.

21 Mit Schreiben an die Vergabebehörde vom 14. Juli 2005 beanstandete Lämmerzahl zum einen, dass keine europaweite Ausschreibung durchgeführt worden sei, und zum anderen, dass die Tests der von ihr angebotenen Software nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden seien.

22 Am 21. Juli 2005 stellte Lämmerzahl bei der Vergabekammer der Freien Hansestadt Bremen einen Antrag auf Nachprüfung der Vergabe, wobei sie rügte, dass wegen der Überschreitung des Schwellenwerts von 200 000 Euro eine europaweite Ausschreibung hätte stattfinden müssen. Dies habe sie erst nach rechtlicher Beratung am 14. Juli 2005 erkannt, weshalb ihre Rüge als fristgerecht anzusehen sei. In der Sache machte sie geltend, dass die Vergabebehörde das Testverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt habe.

23 Mit Beschluss vom 2. August 2005 wies die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück. Sie war der Ansicht, dass der Antrag selbst bei Überschreitung des Schwellenwerts nach § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB unzulässig sei, da der gerügte Verstoß für Lämmerzahl aus der Auftragsbekanntmachung erkennbar gewesen sei. Mit der Präklusion der Rüge sei Lämmerzahl zugleich der Rechtsweg zu den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen verschlossen.

24 Lämmerzahl legte gegen diese Entscheidung beim Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen sofortige Beschwerde ein, mit der sie u. a. geltend machte, dass sie entgegen der Ansicht der Vergabekammer aufgrund der Bekanntmachung nicht habe erkennen können, dass die gewählte Verfahrensart vergaberechtswidrig gewesen sei. Die Stadt Bremen hielt dem entgegen, dass Lämmerzahl angesichts ihrer Erfahrung die Überschreitung des Schwellenwerts hätte erkennen müssen. Lämmerzahl wiederholte auch ihr Vorbringen, dass das Testverfahren mangelhaft gewesen sei, und rügte, dass in dem Angebot, für das der Zuschlag erteilt worden sei, vergaberechtswidrig ein Null-Preis zugelassen worden sei, der zum zwingenden Ausschluss dieses Angebots hätte führen müssen. Die Stadt Bremen wies beide Rügen als unbegründet zurück.

25 Lämmerzahl beantragte, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Verkündung der Entscheidung über sie zu verlängern. Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen wies diesen Antrag mit Beschluss vom 7. November 2005 als unbegründet zurück. In diesem Beschluss schloss es sich der Meinung der Vergabekammer an, dass Lämmerzahl im Hinblick auf die Präklusionsvorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB so zu behandeln sei, als ob der Wert des ausgeschriebenen Auftrags den Schwellenwert von 200 000 Euro nicht erreiche, so dass ihr das Nachprüfungsverfahren nicht offenstehe.

26 Die Stadt Bremen erteilte daraufhin dem Unternehmen PROSOZ Herten GmbH den Zuschlag und schloss mit ihm am 6. und 9. März 2006 einen Vertrag.

27 In der Vorlageentscheidung nennt das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen nicht den Wert des von der Stadtverwaltung an die PROSOZ Herten GmbH vergebenen Auftrags, führt jedoch aus, dass "die Gebote aller Bieter bei der einen Angebotsvariante über 200 000 Euro lagen (zwischen 232 452,80 Euro und 887 300 Euro bzw. 3,218 Mio. Euro) und bei der zweiten Variante nur einer von vier Bietern mit 134 050 Euro unter dem Schwellenwert lag (ohne Berechnung jeglicher Lizenzkosten), während die übrigen Angebote sich zwischen 210 252,80 Euro und 907 300 Euro bzw. 2,7748 Mio. Euro bewegten".

28 Lämmerzahl trug beim Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen vor, dass dessen im Beschluss vom 7. November 2005 vertretene Auffassung den Zugang zum Primärrechtsschutz der Richtlinie 89/665 zuwider übermäßig erschwere.

29 Dieses Gericht führt in seinem Vorlagebeschluss aus, dass die besondere Problematik des Ausgangsverfahrens darin liege, dass bei den hier maßgeblichen Vergabeverstößen, die sich unmittelbar auf die Höhe des Auftragswerts und damit auch auf den Schwellenwert bezögen, eine Präklusion gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB nach der vom ihm selbst im Beschluss vom 7. November 2005 gebilligten und erweiterten Rechtsprechung des Kammergerichts zu einem generellen Abschneiden des Primärrechtsschutzes führe.

30 Daraus ergebe sich, dass der Präkludierte, wenn die Schätzung des Auftragswerts von vornherein vergaberechtswidrig zu niedrig sei, nicht nur das Recht verliere, die falsche Art der Ausschreibung oder die fehlerhafte Festsetzung des Auftragswerts zu rügen, sondern auch mit allen weiteren Vergaberechtsverstößen nicht gehört werde, die - isoliert betrachtet - nicht der Präklusionswirkung unterlägen und deren Überprüfung bei im Übrigen sachgerechter Vorgehensweise der ausschreibenden Stelle möglich wäre.

31 Das Gericht hegt Zweifel, ob diese Anwendung der nationalen Präklusionsvorschriften nicht die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 beeinträchtigt und ob sie insbesondere mit Art. 1 der genannten Richtlinie zu vereinbaren ist.

32 Daher hat das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist es mit der Richtlinie 89/665, insbesondere mit Art. 1 Abs. 1 und 3, zu vereinbaren, wenn einem Bieter generell der Zugang zu einer Überprüfung der Entscheidung der Vergabebehörde über die Vergabe öffentlicher Aufträge verwehrt wird, weil der Bieter innerhalb der im nationalen Recht angeordneten Rügefrist schuldhaft einen Vergabeverstoß nicht geltend gemacht hat, der sich

a) auf die gewählte Form der Ausschreibung

oder

b) auf die Richtigkeit der Festsetzung des Auftragswerts (erkennbar fehlerhafte Schätzung oder unzureichende Transparenz der Festsetzung)

bezieht, und nach dem richtig festgesetzten oder richtig festzusetzenden Auftragswert eine Überprüfung weiterer und - isoliert gesehen - nicht präkludierter Vergabeverstöße möglich wäre?

2. Sind gegebenenfalls besondere Anforderungen an die für die Bestimmung des Auftragswerts maßgeblichen Angaben in der Vergabebekanntmachung zu stellen, um aus den die Schätzung des Auftragswerts betreffenden Vergabeverstößen einen generellen Ausschluss des Primärrechtsschutzes folgern zu können, auch wenn der richtig geschätzte oder zu schätzende Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert überschreitet?

Zu den Vorlagefragen

Zur zweiten Frage

33 Mit seiner zweiten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Anforderungen das Gemeinschaftsrecht zum einen an die in eine Auftragsbekanntmachung zwingend aufzunehmenden Angaben zum geschätzten Auftragswert und zum anderen hinsichtlich der bei Fehlen dieser Angaben verfügbaren Rechtsbehelfe stellt.

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

34 Lämmerzahl führt nicht im Einzelnen aus, welche Informationen über den Auftragswert in einer Auftragsbekanntmachung enthalten sein müssten, hebt aber hervor, dass bei der Anwendung einer Ausschlussfrist dem Betroffenen nicht Umstände entgegengehalten werden dürften, die der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung nicht angegeben habe.

35 Die litauische Regierung meint, dass der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung alle Angaben zu dem Auftragsvolumen machen müsse, anhand deren die Bieter objektiv feststellen könnten, ob der Auftragswert den Schwellenwert erreiche, den die gemeinschaftlichen Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge vorsähen.

36 Ähnlich ist auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften der Auffassung, dass die im nationalen Recht vorgesehenen Voraussetzungen, deren Erfüllung nach der Bekanntmachung eines Auftrags eine Ausschlussfrist in Lauf setze, von dem nationalen Gericht so anzuwenden seien, dass den Betroffenen die Ausübung ihrer Rechte aus der Richtlinie 89/665 nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werde.

37 Dementgegen sind die Freie Hansestadt Bremen und die österreichische Regierung der Ansicht, dass die gemeinschaftlichen Richtlinien keine Angabe des geschätzten Auftragswerts in der Auftragsbekanntmachung verlangten, da eine solche Angabe für das ordnungsgemäße Funktionieren des Wettbewerbs nicht zweckdienlich sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

38 Nach den Angaben, die sich aus den Akten ergeben, ist der im Ausgangsverfahren in Frage stehende Auftrag ein Lieferauftrag oder jedenfalls ein gemischter Liefer- und Dienstleistungsauftrag, bei dem der Wert der Lieferungen überwiegt. Unter diesen Umständen sind die Gemeinschaftsrichtlinien für öffentliche Lieferaufträge und nicht die für Dienstleistungsaufträge einschlägig.

39 Im Bereich der öffentlichen Lieferaufträge, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 93/36 fallen, galten für die Auftragsbekanntmachung zur Zeit der im Ausgangsverfahren in Frage stehenden Vorgänge Art. 9 Abs. 4 Satz 1 und Anhang IV der Richtlinie 93/36, die später durch Art. 36 Abs. 1 und Anhang VII A der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) und Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 1564/2005 der Kommission vom 7. September 2005 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge gemäß der Richtlinie 2004/17/EG und der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 257, S. 1) abgelöst wurden.

40 Nach Art. 9 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 93/36 werden die Bekanntmachungen nach den in Anhang IV der Richtlinie enthaltenen Maßnahmen erstellt; in ihnen sind die dort verlangten Auskünfte anzugeben.

41 Das in diesem Anhang IV wiedergegebene Muster einer Auftragsbekanntmachung sieht die Angabe der Gesamtmenge oder des Gesamtumfangs des Auftrags (einschließlich gegebenenfalls der Gesamtmenge oder des Gesamtumfangs aller Lose und Optionen) vor.

42 Daraus folgt, dass in der Bekanntmachung eines öffentlichen Lieferauftrags, der in den Geltungsbereich der Richtlinie 93/36 fällt, gemäß dieser Richtlinie die Gesamtmenge oder der Gesamtumfang des Auftrags angegeben sein muss.

43 Ist in einem gegebenen Fall dieser Verpflichtung nicht genügt worden, ergibt sich daraus ein Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über öffentliche Aufträge im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665, der das Recht auf eine Nachprüfung gemäß dieser Bestimmung begründet.

44 Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, dass nach Art. 9 Abs. 4 und Anhang IV der Richtlinie 93/36 in der Bekanntmachung eines in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallenden Auftrags dessen Gesamtmenge oder Gesamtumfang angegeben sein muss. Fehlt eine solche Angabe, muss ihr Fehlen gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 zum Gegenstand einer Nachprüfung gemacht werden können.

Zur ersten Frage

45 Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht im Wesentlichen zwei Probleme lösen. Es fragt zum einen, unter welchen gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das nationale Recht eine Ausschlussfrist für Rechtsbehelfe vorsehen darf, die die Wahl des Verfahrens für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Schätzung des Auftragswerts, also Handlungen zum Gegenstand haben, die in den ersten Phasen eines Vergabeverfahrens erfolgen. Für den Fall, dass eine solche Ausschlussregelung zulässig ist, fragt das nationale Gericht zum anderen, ob es das Gemeinschaftsrecht zulässt, dass diese Regelung in allgemeiner Weise auf Rechtsbehelfe erstreckt wird, die die Entscheidungen des Auftraggebers einschließlich derjenigen, die in späteren Phasen des Vergabeverfahrens getroffen werden, zum Gegenstand haben.

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

46 Lämmerzahl hebt hervor, dass § 107 Abs. 3 GWB eine Präklusion nur für Verstöße vorsehe, "die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind", was eng ausgelegt werden müsse. Es sei in dem Fall, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liege, unmöglich gewesen, den Angaben der Bekanntmachung zu entnehmen, dass der geschätzte Auftragswert den Schwellenwert der gemeinschaftlichen Richtlinien überschritten habe und dass daher das nationale Vergabeverfahren zu Unrecht gewählt worden sei. Dass ihr die Präklusion entgegengehalten worden sei, obgleich sie den Angaben des Auftraggebers nicht habe entnehmen können, dass die Gemeinschaftsvorschriften verletzt worden seien, bedeute, dass sie keinen wirksamen Rechtsbehelf besitze, und laufe der Richtlinie 89/665 zuwider.

47 Auch die litauische Regierung unterstreicht, dass nach der Richtlinie den Beteiligten ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stehen müsse. Seien sie nicht in objektiver und vollständiger Weise über das Auftragsvolumen unterrichtet worden, könne die Ausschlussfrist folglich erst von dem Moment an zu laufen beginnen, in dem sie erfahren hätten oder in Erfahrung hätten bringen können, dass das gewählte Verfahren nicht das vorgeschriebene gewesen sei. Die Richtlinie 89/665 sei anwendbar, wenn Zweifel über die Frage bestünden, ob der für die Anwendung der gemeinschaftlichen Richtlinien vorgesehene Schwellenwert erreicht sei.

48 Die österreichische Regierung und die Kommission sind der Auffassung, dass nationale Vorschriften wie die im Ausgangsverfahren fraglichen mit der Richtlinie 89/665 in Einklang stünden, sofern bestimmte Voraussetzungen gewahrt seien. Die österreichische Regierung meint, derartige Regelungen seien mit der Richtlinie nur vereinbar, wenn die in ihnen vorgesehene Ausschlussfrist angemessen sei und der Auftraggeber nicht durch sein Verhalten die Inanspruchnahme der Nachprüfung praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert habe. Die Kommission hält solche nationalen Vorschriften dann für mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn der Bieter über einen wirksamen Rechtsbehelf verfüge, der es ihm ermögliche, die Verletzungen jener Grundregeln gerichtlich geltend zu machen, die aus dem EG-Vertrag selbst abzuleiten seien.

49 Die Freie Hansestadt Bremen ist der Ansicht, dass es die Richtlinie 89/665 in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof den Mitgliedstaaten gestatte, Rügen, die die Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zum Gegenstand hätten, bestimmten Ausschlussfristen zu unterwerfen. § 107 Abs. 3 GWB stehe mit der Richtlinie in Einklang, und zwar auch für den Fall, dass die Vergabestelle fehlerhafte Angaben über die Festsetzung des Auftragswerts gemacht habe. Wenn es dem Bieter aufgrund der Angaben in den Ausschreibungsunterlagen oder aber aufgrund des Fehlens entsprechender Angaben möglich sei, eine überschlägige Wertberechnung des Auftrags vorzunehmen, und er gleichwohl keine Rüge erhebe, handele es sich hierbei nicht um einen grundsätzlichen Ausschluss des Primärrechtsschutzes.

Würdigung durch den Gerichtshof

50 Zum ersten Teil der ersten Vorlagefrage ist festzustellen, dass die Richtlinie 89/665 einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Nachprüfung einer Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers binnen einer bestimmten Frist beantragt werden muss, wobei sämtliche Mängel des Vergabeverfahrens, auf die der Antrag gestützt wird, innerhalb dieser Ausschlussfrist gerügt werden müssen, so dass bei Versäumnis der Frist im weiteren Verlauf des Verfahrens weder die betreffende Entscheidung angefochten noch ein solcher Mangel geltend gemacht werden kann, sofern die fragliche Frist angemessen ist (Urteile vom 12. Dezember 2002, Universale-Bau u. a., C-470/99, Slg. 2002, I-11617, Randnr. 79, und vom 27. Februar 2003, Santex, C-327/00, Slg. 2003, I-1877, Randnr. 50).

51 Dies beruht auf der Erwägung, dass die vollständige Verwirklichung der mit der Richtlinie 89/665 verfolgten Ziele gefährdet wäre, wenn Bewerber und Bieter in jedem Stadium des Vergabeverfahrens Verstöße gegen die Regeln über die Auftragsvergabe rügen und dadurch den öffentlichen Auftraggeber zwingen könnten, das gesamte Verfahren erneut durchzuführen, um den Verstoß zu beheben (Urteil Universale-Bau u. a., Randnr. 75).

52 Jedoch dürfen nationale Ausschlussfristen einschließlich der Art und Weise ihrer Anwendung nicht als solche die Ausübung der Rechte, die dem Betroffenen gegebenenfalls nach dem Gemeinschaftsrecht zustehen, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteil Santex, Randnr. 55, vgl. in diesem Sinne auch Urteil Universale-Bau u. a., Randnr. 73).

53 Es ist daher zu prüfen, ob die Anwendung einer Ausschlussregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen als angemessen anzusehen ist oder ob sie die Ausübung der Rechte, die dem Betroffenen nach dem Gemeinschaftsrecht zustehen, praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert.

54 Den Akten ist zu entnehmen, dass Lämmerzahl durch wiederholte Anfragen und eigene Initiativen versuchte, eine Bestätigung für ihren aus den Ausschreibungsunterlagen gezogenen, ihr aber nicht sicher erscheinenden Schluss zu erlangen, dass der Auftrag 310 Lizenzen und Schulungsmaßnahmen umfasste. Jedoch blieb selbst die letzte Antwort des Auftraggebers, nämlich sein Schreiben vom 6. April 2005, in dieser Hinsicht unklar, mehrdeutig und ausweichend.

55 Eine Auftragsbekanntmachung ohne jede Angabe des geschätzten Auftragswerts und ein anschließendes ausweichendes Verhalten des Auftraggebers gegenüber den Anfragen eines möglichen Bieters, wie im Ausgangsverfahren geschehen, sind angesichts des Bestehens einer Ausschlussfrist so zu bewerten, dass sie dem betroffenen Bieter die Ausübung der Rechte, die ihm die Gemeinschaftsrechtsordnung verleiht, übermäßig erschweren (vgl. in diesem Sinne Urteil Santex, Randnr. 61).

56 Selbst wenn eine nationale Ausschlussregelung wie Art. 107 Abs. 3 Satz 2 GWB grundsätzlich als mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehend angesehen werden kann, genügt daher ihre Anwendung auf einen Bieter unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht dem sich aus der Richtlinie 89/665 ergebenden Effektivitätsgebot.

57 Es läuft deshalb der Richtlinie 89/665, insbesondere ihrem Art. 1 Abs. 1 und 3, zuwider, dass eine Ausschlussregelung des innerstaatlichen Rechts in der Weise angewandt wird, dass einem Bieter der Zugang zu einem Rechtsbehelf, der die Wahl des Verfahrens für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Schätzung des Auftragswerts betrifft, versagt wird, wenn der Auftraggeber gegenüber dem Bieter die Gesamtmenge oder den Gesamtumfang des Auftrags nicht klar angegeben hat.

58 Zum zweiten Teil der ersten Frage ist zu beachten, dass die in Art. 107 Abs. 3 Satz 2 GWB vorgesehene Ausschlussfrist mit dem Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung endet. Daher kann diese Bestimmung nur für Verstöße gelten, die vor Ablauf dieser Fristen festgestellt werden können. Zu solchen Verstößen können eine unrichtige Schätzung des Auftragswerts oder eine Wahl des falschen Vergabeverfahrens gehören. Sie können jedoch nicht in Vorgängen liegen, zu denen es überhaupt erst in späteren Stadien des Verfahrens einer Auftragsvergabe kommen kann.

59 Im Ausgangsverfahren macht die Klägerin außer der fehlenden Angabe des Auftragswerts und einer Wahl des falschen Vergabeverfahrens eine fehlerhafte Kostenaufstellung im ausgewählten Angebot und eine nicht ordnungsgemäße Durchführung der Tests der von ihr angebotenen Software geltend. Eine fehlerhafte Kostenaufstellung in einem Angebot kann jedoch erst nach Öffnung der Angebote festgestellt werden. Das Gleiche gilt für die Tests der angebotenen Software. Derartige Unregelmäßigkeiten können somit erst auftreten, nachdem eine Ausschlussfrist, wie sie die im Ausgangsverfahren streitige Regelung vorsieht, abgelaufen ist.

60 Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen die im Ausgangsverfahren fragliche Ausschlussregelung in seinem Beschluss vom 7. November 2005 in der Weise angewandt hat, dass sie sich auf alle Entscheidungen erstreckt, die der Auftraggeber während des gesamten Verfahrens zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags möglicherweise erlässt.

61 Eine derartige Anwendung dieser Ausschlussregelung macht die Ausübung der Rechte, die das Gemeinschaftsrecht dem Betroffenen verleiht, im Hinblick auf Verstöße, die erst nach Ablauf der Frist für die Angebotsabgabe eintreten können, praktisch unmöglich. Sie läuft daher der Richtlinie 89/665, insbesondere ihrem Art. 1 Abs. 1 und 3, zuwider.

62 Es ist Sache des nationalen Gerichts, das innerstaatliche Recht, das es anzuwenden hat, so weit wie möglich im Einklang mit dem Ziel der Richtlinie 89/665 auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil Santex, Randnrn. 62 und 63).

63 Wenn eine solche mit dem Zweck der Richtlinie 89/665 im Einklang stehende Auslegung nicht möglich ist, ist das nationale Gericht verpflichtet, die der Richtlinie zuwiderlaufenden nationalen Vorschriften unangewendet zu lassen (Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, Slg. 1978, 629, Randnr. 24, und Santex, Randnr. 64). Denn Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 ist unbedingt und hinreichend genau, um gegenüber einem Auftraggeber geltend gemacht werden zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2005, Koppensteiner, C-15/04, Slg. 2005, I-4855, Randnr. 38).

64 Demnach ist auf die erste Frage zu antworten, dass es der Richtlinie 89/655, insbesondere ihrem Art. 1 Abs. 1 und 3, zuwiderläuft, dass eine Ausschlussregelung des innerstaatlichen Rechts in der Weise angewandt wird, dass einem Bieter der Zugang zu einem Rechtsbehelf, der die Wahl des Verfahrens für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Schätzung des Auftragswerts betrifft, versagt wird, wenn der Auftraggeber gegenüber dem Bieter die Gesamtmenge oder den Gesamtumfang des Auftrags nicht klar angegeben hat. Diesen Vorschriften der Richtlinie läuft es ebenfalls zuwider, dass eine solche Regelung in allgemeiner Weise auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des Auftraggebers einschließlich solcher Entscheidungen erstreckt wird, die in Phasen des Vergabeverfahrens ergangen sind, welche dem in der Ausschlussregelung festgelegten Endzeitpunkt zeitlich nachfolgten.

Kostenentscheidung:

Kosten

65 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1. Nach Art. 9 Abs. 4 und Anhang IV der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge in der Fassung der Richtlinie 2001/78/EG der Kommission vom 13. September 2001 muss in der Bekanntmachung eines in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fallenden Auftrags dessen Gesamtmenge oder Gesamtumfang angegeben sein. Fehlt eine solche Angabe, muss ihr Fehlen gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der Fassung der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträgezum Gegenstand einer Nachprüfung gemacht werden können.

2. Es läuft der Richtlinie 89/655 in der Fassung der Richtlinie 92/50, insbesondere ihrem Art. 1 Abs. 1 und 3, zuwider, dass eine Ausschlussregelung des innerstaatlichen Rechts in der Weise angewandt wird, dass einem Bieter der Zugang zu einem Rechtsbehelf, der die Wahl des Verfahrens für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Schätzung des Auftragswerts betrifft, versagt wird, wenn der Auftraggeber gegenüber dem Bieter die Gesamtmenge oder den Gesamtumfang des Auftrags nicht klar angegeben hat. Diesen Vorschriften der Richtlinie läuft es ebenfalls zuwider, dass eine solche Regelung in allgemeiner Weise auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des Auftraggebers einschließlich solcher Entscheidungen erstreckt wird, die in Phasen des Vergabeverfahrens ergangen sind, welche dem in der Ausschlussregelung festgelegten Endzeitpunkt zeitlich nachfolgten.

Ende der Entscheidung

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