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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.09.1996
Aktenzeichen: C-241/94
Rechtsgebiete: EGWV


Vorschriften:

EGWV Art. 173 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die staatliche Mitfinanzierung von Maßnahmen zur Durchführung von Sozialplänen, die mit Beschäftigungsproblemen konfrontierte Unternehmen gemäß den Rechtsvorschriften dieses Staates aufgestellt haben, im Rahmen eines öffentlichen Fonds, der seinen Beitrag nach seinem Ermessen anpassen kann, stellt eine Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages dar.

Zum einen ist nämlich eine solche Beteiligung nicht schon wegen ihres sozialen Charakters von der Einordnung als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages ausgenommen, der nicht nach den Gründen oder Zielen der staatlichen Maßnahmen unterscheidet, sondern diese nach ihren Wirkungen beschreibt.

Zum anderen ist, da ein solcher Fonds über ein Ermessen verfügt, das es ihm ermöglicht, seinen finanziellen Beitrag anzupassen, die Beteiligung dieses Fonds ° auch wenn sie weder sektoriell noch regional, noch auf eine bestimmte Art von Unternehmen beschränkt ist ° geeignet, bestimmte Unternehmen in eine günstigere Lage zu versetzen als andere, indem er sie von gewissen rechtlichen Verpflichtungen gegenüber ihren Arbeitnehmern befreit und damit die Belastungen vermindert, die sie normalerweise zu tragen haben.

2. Die Rechtmässigkeit einer Entscheidung im Bereich staatlicher Beihilfen ist aufgrund der Informationen zu beurteilen, über die die Kommission bei deren Erlaß verfügte. Wenn ihr ein Mitgliedstaat trotz ihrer präzisen Frage nicht die Angaben macht, die es ihr ermöglichen würden, die Art und die Wirkungen eines staatlichen Eingreifens in einen Sozialplan zu beurteilen, den ein mit Beschäftigungsproblemen kämpfendes Unternehmen aufgestellt hat, ist die Kommission insbesondere zu der Annahme berechtigt, daß dieses Eingreifen eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 des Vertrages darstellt, wenn es sich als geeignet erweist, die Belastungen zu vermindern, die dieses Unternehmen normalerweise zu tragen hat.


Urteil des Gerichtshofes vom 26. September 1996. - Französische Republik gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Begriff der staatlichen Beihilfen im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 des Vertrages - Staatliche Maßnahmen mit sozialem Charakter. - Rechtssache C-241/94.

Entscheidungsgründe:

1 Die Französische Republik hat mit Klageschrift, die am 2. September 1994 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der Entscheidung SG(94) D/8907 der Kommission vom 27. Juni 1994 (nachstehend: streitige Entscheidung).

2 Mit der streitigen Entscheidung stellte die Kommission fest, daß die finanzielle Beteiligung des Fonds national de l' emploi (Nationaler Beschäftigungsfonds, nachstehend: FNE) an der Durchführung eines Sozialplans durch die Firma Kimberly Clark Sopalin (nachstehend: Kimberly Clark bzw. das Unternehmen) eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag darstelle.

3 Die Firma Kimberly Clark, die hauptsächlich Zellulosewatte herstellt und weiterverarbeitet, verfügt in Sotteville-les-Roün über eine Fabrik, die Anfang 1993 465 Arbeitnehmer beschäftigte. Im Rahmen einer Umstrukturierung seiner Betriebstätigkeit ging das Unternehmen zur ausschließlichen Herstellung von Papiertaschentüchern über; im Zusammenhang mit dieser Umstellung nahm es eine Modernisierung des Maschinenparks und eine Reorganisation der Produktion vor, führte neue Arbeitsmethoden ein und verringerte die Zahl der Beschäftigten um 207 Personen.

4 Gemäß den französischen Rechtsvorschriften über Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen erstellte das Unternehmen einen Sozialplan, der eine Reihe von Maßnahmen vorsah, von denen einige im Rahmen des FNE vom Staat mitfinanziert wurden. Die Kosten des Planes beliefen sich auf 109,08 Millionen FF, von denen 27,25 Millionen FF, also etwa 25 %, vom Staat übernommen wurden.

5 Auf der Grundlage der ihr von den französischen Behörden mit Schreiben vom 28. Januar und vom 10. März 1984 mitgeteilten Informationen erließ die Kommission die streitige Entscheidung. Sie stellte in erster Linie fest, dank der zwischen dem Staat (FNE) und dem Unternehmen abgeschlossenen Vereinbarung habe sich der FNE verpflichtet, von den Gesamtkosten des Sozialplans einen Anteil von 27,25 Millionen FF zu finanzieren. Die Beiträge des FNE stellten staatliche Beihilfen dar, da die Vereinbarungen mit den Unternehmen, die Beschäftigungsprobleme hätten, ausgehandelt würden und da der Beitrag des FNE, der aus dem Staatshaushalt finanziert werde, in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der finanziellen Situation des Unternehmens und dessen eigenen Anstrengungen festgelegt werde. Sie wies auch darauf hin, daß diese Beihilfe geeignet sei, den Wettbewerb zu verfälschen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, so daß sie unter Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag falle.

6 Die Kommission erklärte die Beihilfe dennoch für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar, da sie eine Beihilfe zur Förderung der Entwicklung bestimmter Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete sei und gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändere, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderlaufe. Für diese Schlußfolgerung stützte sich die Kommission auf die sich aus der Umstrukturierung des Unternehmens ergebende Kapazitätsverringerung, den Umstand, daß die entlassenen Arbeitnehmer die Hauptbegünstigten der Beihilfe seien, und auf die begrenzte Höhe der gewährten Beihilfe.

7 Die französische Regierung stützt ihre Klage auf einen einzigen Klagegrund, nämlich einen Rechtsirrtum der Kommission. Sie vertritt die Auffassung, die Maßnahmen des FNE stellten keine staatlichen Beihilfen im Sinne von Artikel 92 EG-Vertrag dar, sondern seien allgemeine Maßnahmen zugunsten der Arbeitnehmer, die der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dienten. Die FNE-Maßnahmen seien keine Begünstigung "bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige" im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag. Ausserdem hätten sie Kimberly Clark keinerlei Vorteil gebracht, da die Maßnahmen des FNE die Belastungen der Unternehmen nicht verringerten, weil ihre Anwendung diesen nicht dabei helfe, ihren rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, und da diese Maßnahmen die Arbeitnehmer begünstigten und keine Verbesserung der Wettbewerbssituation der Unternehmen bewirkten.

8 Die französischen Rechtsvorschriften sehen für den Fall von Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen (Artikel L 321-1 des Code du travail) vor, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmern eine gesetzlich oder tarifvertraglich vorgesehene Entlassungsentschädigung zu zahlen hat, wobei die erstgenannte einen Mindestbetrag darstellt (Artikel L 122-9 des Code du travail). Ausserdem muß der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmern für die Dauer eines Jahres einen "Wiedereinstellungsvorrang" einräumen (Artikel L 321-14 des Code du travail) und ihnen die Möglichkeit geben, einer Umschulungsvereinbarung beizutreten (Artikel L 321-5 des Code du travail), wenn sie seit zwei Jahren oder, bei günstigeren tarifvertraglichen Vorschriften, seit kürzerer Zeit im Unternehmen beschäftigt sind und sie mindestens 57 Jahre alt sind.

9 Über diese Mindestverpflichtung hinaus sehen die französischen Rechtsvorschriften die Erstellung eines Sozialplans vor, der in Unternehmen, die mindestens 50 Arbeitnehmer beschäftigen, aufgestellt und durchgeführt werden muß, wenn beabsichtigt ist, innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen wenigstens 10 Arbeitnehmer zu entlassen; dies war bei dem Unternehmen Kimberly Clark der Fall. Ziel eines solchen Planes ist es, die Entlassungen zu vermeiden oder ihre Zahl zu verringern und die Wiedereinstellung derjenigen Arbeitnehmer zu erleichtern, deren Entlassung unvermeidbar ist, insbesondere älterer oder solcher Arbeitnehmer, bei denen die berufliche Wiedereingliederung aufgrund sozialer Merkmale oder aus Gründen der Qualifikation besonders schwierig ist.

10 Das Minimalziel jedes Sozialplans ist es, die Wiedereingliederung der Arbeitnehmer, die ihre Beschäftigung verlieren, zu ermöglichen; zu diesem Zweck muß er alternative Maßnahmen zu den Umschulungsvereinbarungen umfassen. Der Inhalt dieser Maßnahmen wird jedoch in keiner Rechts- oder Verwaltungsvorschrift genau definiert.

11 Aus den Akten ergibt sich, daß das gegebenenfalls angerufene nationale Gericht Entlassungen für nichtig erklären kann, wenn ein Plan keine echten Maßnahmen zur Wiedereingliederung der entlassenen Arbeitnehmer gewährleistet. Zu den Maßnahmen, die im Rahmen eines Sozialplans getroffen werden können, gehören die Maßnahmen des FNE.

12 Diese Maßnahmen werden aufgrund von Vereinbarungen durchgeführt, die zwischen dem Unternehmen und dem Staat ausgehandelt und von diesen unterzeichnet werden. Je nach ihrer Art verfolgen diese Vereinbarungen eines der folgenden Ziele: Alternative zur Entlassung durch Reduzierung der Arbeitszeit, Verbesserung der Wiedereingliederungsmöglichkeiten oder Versetzung älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand unter besseren Bedingungen als bei Arbeitslosigkeit.

13 Die Beteiligung des Staates an der Durchführung der Sozialpläne wird nach Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die für alle Unternehmen gelten, und nach Maßgabe der sozialen Zielsetzungen des Staates festgelegt. Die Beteiligung des FNE bestimmt sich nach Bemessungsgrundlagen, die im Code du travail für die verschiedenen Arten von Vereinbarungen vorgesehen sind und für alle Unternehmen gelten.

14 Die Variationsspannen der Übernahmesätze innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Hoechstgrenzen werden durch Runderlaß festgelegt und richten sich zum einen nach Kriterien, die die Grösse des Unternehmens betreffen, da die Kosten von Maßnahmen zur Verhütung oder Begleitung von Entlassungen extrem hoch sind, und zum anderen in den meisten Fällen nach der Qualität des angewandten Sozialplans.

15 In bestimmten Fällen kann vom Grundsatz der Mitfinanzierung abgewichen werden, insbesondere bei Unternehmen, die sich im Vergleichs- oder Konkursverfahren befinden und Befreiungen erhalten, und in seltenen Ausnahmefällen bei sehr grossen finanziellen Schwierigkeiten des Unternehmens.

16 Die französische Regierung macht erstens geltend, die Regelung über den FNE, die ein rein soziales Ziel verfolge, gelte ausnahmslos für alle Unternehmen. Die Kriterien, nach denen sich der Staat für oder gegen den Abschluß einer von einem Unternehmen beantragten FNE-Vereinbarung entscheide, seien objektiv und beschränkten sich auf die in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften über diese Vereinbarungen festgelegten Bedingungen (z. B. das Alter des Arbeitnehmers oder seine Eignung für eine Wiedereingliederungsmaßnahme). Die FNE-Vereinbarungen seien damit keineswegs auf bestimmte Arten von Unternehmen, auf besondere Produktionszweige oder auf bestimmte Regionen beschränkt.

17 Zu den in der Regelung vorgesehenen Grenzen verweist die französische Regierung auf die Bestimmungen des Code du travail über die Maßnahmen des FNE. Die Beteiligung der Unternehmen und der Arbeitnehmer an der Finanzierung der Sonderbeihilfen des FNE für den Vorruhestand sei unmittelbar durch Rechtsvorschriften geregelt. Die Nichteinhaltung dieser Grenzen sei wegen Gesetzesverstosses gerichtlich überprüfbar.

18 Zu den Grenzen, die sich die Verwaltung selbst setze, führt die französische Regierung aus, diese hätten die Form von Runderlassen oder Richtlinien, die der Öffentlichkeit zugänglich seien und die im Rahmen eines in den Rechtsvorschriften eingeräumten Ermessens die allgemeinen Leitlinien für das Verhalten der Verwaltung festlegen sollten. In diesem Zusammenhang betont die französische Regierung, daß die Beurteilung durch die staatlichen Stellen im Fall der Maßnahmen des FNE keineswegs bewirke, daß das Unternehmen, das in deren Genuß komme, gegenüber seinen Mitbewerbern einen Vorteil erlange, sondern im Gegenteil das Ziel verfolge, eine strikte Gleichbehandlung zu gewährleisten.

19 Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag erklärt staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt.

20 Nach ständiger Rechtsprechung unterscheidet Artikel 92 Absatz 1 nicht nach den Gründen oder Zielen der staatlichen Maßnahmen, sondern beschreibt diese nach ihren Wirkungen (Urteil vom 2. Juli 1974 in der Rechtssache 173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, 709, Randnr. 27).

21 Die Maßnahmen des FNE sind somit nicht schon wegen ihres sozialen Charakters von der Einordnung als Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag ausgenommen.

22 Weiter ist festzustellen, daß die Maßnahmen des FNE weder sektoriell noch regional, noch auf eine bestimmte Art von Unternehmen beschränkt sind.

23 Dennoch verfügt der FNE, wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, über ein Ermessen, das es ihm ermöglicht, seinen finanziellen Beitrag nach Maßgabe verschiedener Kriterien, wie insbesondere der Wahl der Begünstigten, der Höhe des finanziellen Beitrags und der Bedingungen der Maßnahme, anzupassen. Die französische Regierung räumt selbst ein, daß die Verwaltung von den Leitlinien, die sie sich gesetzt hat, abweichen kann, wenn eine besondere Situation dies rechtfertigt.

24 Daher ist festzustellen, daß das System der Beteiligung des FNE an der Durchführung der Sozialpläne nach seinem Zweck und seinem allgemeinen Zusammenhang geeignet ist, bestimmte Unternehmen in eine günstigere Lage zu versetzen als andere, und so die Voraussetzungen für eine Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag erfuellen kann.

25 Der Argumentation der französischen Regierung ist in diesem Punkt somit nicht zu folgen.

26 Die französische Regierung macht zweitens geltend, die Maßnahmen des FNE verringerten nicht die Belastungen der Unternehmen, da sie es diesen nicht erleichterten, ihren rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, und von ihnen im Vergleich zu den mit der strikten Einhaltung der allgemeinen Rechtsvorschriften verbundenen Kosten eine zusätzliche Anstrengung verlangten. Die Unternehmen, die zur Aufstellung eines Sozialplans gezwungen seien, wenn sie Entlassungen planten, könnten davon absehen, auf die Instrumente des FNE zurückzugreifen. Das mit dem Sozialplan verfolgte Ziel der Wiedereingliederung könnte nämlich mittels eigener Maßnahmen des Unternehmens erreicht werden, ohne daß auf die FNE-Vereinbarungen zurückgegriffen werde. Diese Vereinbarungen sollten es dem Unternehmen ermöglichen, über die Maßnahmen zur Erfuellung der für den Sozialplan geltenden gesetzlichen Mindestverpflichtungen hinauszugehen.

27 Die französische Regierung betont, da die FNE-Vereinbarungen für das Unternehmen keine gesetzliche Verpflichtung darstellten, hätten die damit verbundenen Belastungen freiwilligen Charakter. Der Staat helfe den Unternehmen also nicht, ihren rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Die finanziellen Auswirkungen des Abschlusses einer oder mehrerer FNE-Vereinbarungen bedeuteten im übrigen für die Unternehmen meist nicht unerhebliche Kosten, zumal die Beteiligung des Staates den geringeren Teil ausmache, insbesondere im Fall grosser Unternehmen. Kimberly Clark sei im übrigen ein typisches Beispiel.

28 Wenn sich nämlich dieses Unternehmen darauf beschränkt hätte, die ursprünglich als überzählig angesehenen Beschäftigten zu entlassen (312 Personen) und jedem betroffenen Arbeitnehmer eine Umschulungsvereinbarung anzubieten, was der allgemeinen gesetzlichen Verpflichtung entspreche, hätten die Kosten für Kimberly Clark höchstens 45 Millionen FF betragen, da die durchschnittlichen Einheitskosten der tarifvertraglichen Entlassungsentschädigungen für die von der Umstrukturierung betroffenen Beschäftigten etwa 140 000 FF und die Beteiligung von Kimberly Clark an der Finanzierung der Umschulungsvereinbarungen 4 500 FF betragen hätte (45 Millionen FF = 312 x 140 000 + 312 x 4500). In dem hypothetischen Fall, daß Kimberly Clark einen Sozialplan erarbeitet hätte, bei dem das Unternehmen seinen gesetzlichen Verpflichtungen aus eigenen Mitteln voll nachgekommen wäre, wären noch 7 Millionen FF für zusätzliche Maßnahmen hinzuzurechnen. Die Gesamtkosten des Planes hätten sich also auf 52 Millionen FF (45 Millionen + 7 Millionen) belaufen.

29 Der von Kimberly Clark unter Einbeziehung von Maßnahmen des FNE durchgeführte Sozialplan habe das Unternehmen 81,83 Millionen FF gekostet und den Staat 27,25 Millionen FF. Die Beteiligung des FNE habe also Kimberly Clark mehr gekostet, als wenn das Unternehmen mit eigenen Mitteln einen Sozialplan aufgestellt hätte, mit dem es zweifellos seine gesetzlichen Verpflichtungen erfuellt hätte.

30 Die Kommission führt aus, der Umstand, daß die Maßnahme freiwillige Ausgaben des Begünstigten abdecke, allein schließe nicht aus, daß es sich um eine Beihilfe handele. Nach ihrer ständigen Praxis würden Maßnahmen zugunsten bestimmter Unternehmen oder Produktionen als Beihilfen angesehen, selbst wenn sie dazu dienten, von dem betroffenen Unternehmen freiwillig übernommene Kosten zu finanzieren. Jedenfalls lasse sich, wenn wie im Fall von Kimberly Clark die Erstellung eines Sozialplans vorgeschrieben sei, nicht sagen, daß die Maßnahme des FNE niemals für das Unternehmen obligatorische Kosten abdecke: Da dieses verpflichtet sei, ausser den im engeren Sinne obligatorischen Ausgaben (Entlassungsentschädigungen usw.) die zusätzlichen Kosten für die Durchführung des Sozialplans (unter gerichtlicher Kontrolle) zu tragen, deckten die Maßnahmen des FNE einen variablen Teil eines Bündels von Kosten ab, die zu einem gewissen, nicht bestimmten Teil obligatorisch seien; diese Maßnahmen könnten also obligatorische Kosten abdecken.

31 Was die streitige Entscheidung angehe, so habe sich anhand der mit dem Schreiben der französischen Behörden vom 28. Januar 1994 mitgeteilten Informationen nicht ausschließen lassen, daß ein Teil der obligatorischen Kosten vom FNE übernommen worden sei.

32 Die Kommission führt in diesem Zusammenhang aus, die von der französischen Regierung entwickelte "Modellrechnung" zur Beurteilung der Frage, ob der Beitrag des FNE zugunsten von Kimberly Clark einen Vorteil für das Unternehmen dargestellt habe, zeige keinen neuen Gesichtspunkt auf. Die Berechnung sei nämlich auf Hypothesen gestützt und erkläre nicht die Gründe, aus denen Kimberly Clark ohne irgendeinen Vorteil eine Vereinbarung abgeschlossen haben sollte, deren Kosten für das Unternehmen angeblich sehr viel höher gewesen seien, als wenn es mit eigenen Mitteln einen Sozialplan erstellt hätte, der ihm zweifelsfrei die Erfuellung seiner gesetzlichen Verpflichtungen erlaubt hätte. Die Modellrechnung zeige vor allem, daß dann, wenn das Unternehmen von der Zahlung seines Anteils am Sozialplan freigestellt worden wäre, wozu der FNE befugt sei, zweifellos ein Nettogewinn vorgelegen und die Beteiligung des FNE eindeutig obligatorische Kosten abgedeckt hätte.

33 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Rechtmässigkeit einer Entscheidung im Bereich staatlicher Beihilfen aufgrund der Informationen zu beurteilen, über die die Kommission bei deren Erlaß verfügte (Urteil vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 234/84, Belgien/Kommission, Slg. 1986, 2263, Randnr. 16).

34 Der Begriff der Beihilfe umfasst die von den staatlichen Stellen gewährten Vorteile, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat (Urteil vom 15. März 1994 in der Rechtssache C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994, I-877, Randnrn. 12 und 13).

35 Kimberly Clark war angesichts der Zahl der geplanten Entlassungen verpflichtet, einen Sozialplan zu erstellen. Wie sich aus dem Schreiben der französischen Regierung vom 10. März 1994 ergibt, umfasste der aufgestellte Sozialplan für die nicht entlassenen Arbeitnehmer mehrere Maßnahmen unter Beteiligung des FNE, wie die Vereinbarungen über Teilarbeitslosigkeit, Beihilfen zum Übergang zu Teilzeitarbeit usw. Was die 207 entlassenen Arbeitnehmer angeht, so ergibt sich aus diesem Plan, daß sich die Kosten für die tarifvertraglichen Entlassungsentschädigungen, die voll von Kimberly Clark gezahlt wurden, auf 37,60 Millionen FF beliefen. Kimberly Clark verpflichtete sich ausserdem, diese Entschädigungen um 22,44 Millionen FF zu erhöhen.

36 Um die Vereinbarkeit der betreffenden Maßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt beurteilen zu können, hat die Kommission der französischen Regierung mit Schreiben vom 4. Februar 1994 u. a. die Frage gestellt, welche Kosten der Plan verursacht hätte, wenn er sich auf die Mindestverpflichtungen nach den französischen Rechtsvorschriften beschränkt hätte. Die Regierung hat geantwortet, die Kosten eines Mindestsozialplans seien nicht leicht zu beziffern. Erst in der Erwiderung hat die französische Regierung zu diesem Punkt nähere Angaben gemacht, insbesondere dahin gehend, daß Kimberly Clark ursprünglich geplant habe, 312 seiner 465 Beschäftigten zu entlassen, und daß sich das Unternehmen nach Verhandlungen mit dem FNE, die dessen spätere Beteiligung an dem Sozialplan sichergestellt hätten, damit begnügt habe, 207 Personen zu entlassen.

37 Da die Kommission somit trotz einer präzisen Frage keine Möglichkeit hatte, die Art und die Wirkungen der betreffenden Maßnahmen zu beurteilen, konnte sie zu Recht annehmen, daß das Unternehmen, indem es in Zusammenarbeit mit dem Staat einen Sozialplan erstellte, an dem sich zum einen Kimberly Clark mit 81,83 Millionen FF und zum anderen der Staat mit 27,25 Millionen FF beteiligte, eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag erhalten hatte.

38 Das zweite Argument der französischen Regierung ist somit ebenfalls zu verwerfen.

39 Die französische Regierung macht drittens geltend, die FNE-Vereinbarungen, deren Ziel es sei, die sozialen Auswirkungen von Entlassungen für die Arbeitnehmer zu begrenzen, begünstigten unmittelbar diese Arbeitnehmer und verbesserten keineswegs die Wettbewerbssituation des Unternehmens.

40 Hierzu genügt die Feststellung, daß die Kommission aufgrund der ihr bei Erlaß der streitigen Entscheidung vorliegenden Informationen zu Recht annehmen konnte, daß Kimberly Clark dank der Beteiligung des FNE von bestimmten gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern entlastet wurde und daß das Unternehmen dadurch in eine günstigere Lage versetzt wurde als seine Mitbewerber.

41 Da keinem der Argumente der französischen Regierung zu folgen ist, ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

42 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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