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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.06.1998
Aktenzeichen: C-243/95
Rechtsgebiete: Richtlinie 75/117/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 75/117/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 119 des Vertrages sowie die Richtlinie 75/117 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen sind dahin auszulegen, daß sie, sofern prozentual sehr viel mehr weibliche als männliche Arbeitnehmer auf Teilarbeitsplätzen beschäftigt sind, einer Regelung entgegenstehen, nach der Arbeitnehmer auf Teilarbeitsplätzen bei ihrem Wechsel auf einen Vollarbeitsplatz auf der Gehaltßkala für Vollzeitbeschäftigte niedriger eingestuft werden, als sie zuvor auf der Gehaltßkala für Beschäftigte auf Teilarbeitsplätzen eingestuft waren, weil der Arbeitgeber das Kriterium des als tatsächliche Arbeitszeit definierten Dienstes verwendet, es sei denn, daß diese Regelung durch objektive Kriterien gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 17. Juni 1998. - Kathleen Hill und Ann Stapleton gegen The Revenue Commissioners und Department of Finance. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Labour Court, Dublin - Irland. - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Beamte - Arbeitsplatzteilungsregelung - Aufstieg, der sich nach dem Kriterium der tatsächlichen Arbeitszeit richtet - Mittelbare Diskriminierung. - Rechtssache C-243/95.

Entscheidungsgründe:

1 Der Labour Court hat mit Beschluß vom 5. April 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Juli 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19, nachstehend: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Hill und Frau Stapleton, die früher im Rahmen von Teilarbeitsplatzverträgen beschäftigt waren ("Job-sharing"), einerseits und den Revenü Commissioners sowie dem Department of Finance andererseits wegen der Entscheidung der letzteren, die Klägerinnen bei ihrer Rückkehr auf eine Vollzeitstelle auf der Gehaltßkala für Vollzeitbeschäftigte niedriger einzustufen, als sie vorher auf der Gehaltßkala für Mitarbeiter auf Teilarbeitsplätzen eingestuft waren.

3 Artikel 119 EG-Vertrag enthält den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit. Absatz 2 dieser Bestimmung lautet: "Unter "Entgelt" im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar und unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt."

4 Die Richtlinie bezieht sich in ihrem Artikel 1 auf den Grundsatz des gleichen Entgelts, der "bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen" bedeutet.

5 Die Regelung über die Arbeitsplatzteilung wurde in Irland 1984 durch eine Entscheidung der Regierung eingeführt und sollte in erster Linie neue Arbeitsplätze schaffen.

6 Die durch das Rundschreiben 3/84 eingeführte Regelung sah eine Vereinbarung vor, nach der zwei Beamte sich eine Vollzeitstelle zu gleichen Teilen teilten, so daß die Vergünstigungen den betreffenden Mitarbeitern zu gleichen Teilen zugute kamen und die Kosten der Stelle für die Verwaltung unverändert blieben. Auf Vollzeitbasis eingestellte Mitarbeiter nahmen freiwillig an der Regelung teil und behielten das Recht, am Ende des Zeitraums, für den sie sich für die Arbeitsplatzteilung entschieden hatten, auf eine Vollzeitstelle zurückzukehren, sofern geeignete freie Stellen vorhanden waren. Mitarbeiter, die 1986 und 1987 auf einem Teilarbeitsplatz eingestellt wurden, hatten Anspruch darauf, innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Einstellung in Vollzeitstellen übernommen zu werden, wiederum unter der Voraussetzung, daß geeignete freie Stellen vorhanden waren. Mitarbeiter, die sich für eine Arbeitsplatzteilung entschieden, mussten sich schriftlich verpflichten, keine andere Berufstätigkeit auszuüben. Die Regelung wurde 1988 geändert, und seither erhalten auf Teilarbeitsplätzen eingestellte Personen einen Zeitvertrag ohne Anspruch auf einen Vollarbeitsplatz.

7 Das Rundschreiben 3/84 enthielt folgende Bestimmung: "Für jede Besoldungsgruppe, in der Teilarbeitsplatzverträge bestehen, gilt für einen Arbeitnehmer auf einem Teilarbeitsplatz eine Gehaltßkala, auf der jeder Punkt für das Dienstalter 50 % des entsprechenden Punktes auf der Gehaltßkala für Vollzeitbeschäftigte darstellt. Dienstalterszulagen nach dieser Skala werden jährlich gewährt, wenn der Beamte zufriedenstellende Leistungen erbringt."

8 Das Rundschreiben 3/84 legte nicht die Regeln für das stufenweise Aufsteigen beim Wechsel von einem Teilarbeits- zu einem Vollarbeitsplatz fest; dazu stellte das Department of Finance jedoch in einem Schreiben vom 31. März 1987 an die einzelnen Ministerien folgendes klar: "Da jedes Dienstjahr auf einem Teilarbeitsplatz als sechs Monate Vollzeitdienst anzusehen ist, sollte ein Beamter, der zwei Jahre auf einem Teilarbeitsplatz Dienst getan hat, auf den zweiten Punkt der Vollzeittabelle gesetzt werden (entsprechend einem Jahr Vollzeitdienst). In Fällen, in denen Beamte länger als zwei Jahre den Arbeitsplatz geteilt haben, sollte der Zulagenfaktor anteilig angepasst werden."

9 Das Rundschreiben 9/87, das erste umfassende Rundschreiben über Zulagen, hat alle vorherigen einschlägigen Rundschreiben ersetzt. In seinem Artikel 2 heisst es: "Eine Zulage ist eine Erhöhung des Gehalts entsprechend einer Gehaltßkala. Grundsätzlich werden jedes Jahr Zulagen gewährt, wenn der Beamte zufriedenstellende Leistungen erbringt."

10 Frau Hill und Frau Stapleton wurden aufgrund eines allgemeinen Auswahlverfahrens für den öffentlichen Dienst in Irland als "Clerical Assistant" (Bürogehilfen) eingestellt und der Dienststelle der Revenü Commissioners zugewiesen. Frau Hill wurde im Juli 1981 eingestellt; im Mai 1988 nahm sie ihren Dienst im Rahmen der Arbeitsplatzteilungsregelung auf. Frau Stapleton wurde im April 1986 im Rahmen dieser Regelung eingestellt. Frau Hill und Frau Stapleton waren zwei Jahre lang auf einem Teilarbeitsplatz beschäftigt. Sie übten auf der Grundlage "eine Woche Arbeit/eine Woche frei" ihren Dienst genau halb so lang aus wie ein Vollzeitbeamter. Während des gesamten Zeitraums, in dem sie im Rahmen der Arbeitsplatzteilungsregelung beschäftigt waren, rückte jede von ihnen mit jedem Dienstjahr um einen Punkt auf der Gehaltßkala nach oben und erhielt 50 % des Gehalts eines "Clerical Assistant" nach Maßgabe der von ihnen erreichten Punkte.

11 Frau Hill kehrte im Juni 1990 auf eine Vollzeitstelle zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie den neunten Punkt auf der Skala für Teilarbeitsplätze erreicht. Bei ihrer Rückkehr zur Vollzeittätigkeit wurde sie zunächst auf den neunten Punkt der entsprechenden Skala eingestuft, später aber auf den achten Punkt mit der Begründung zurückgestuft, daß zwei Jahre auf einem Teilarbeitsplatz einem Jahr auf einem Vollarbeitsplatz gleichzusetzen seien.

12 Frau Stapleton erhielt im April 1988 eine Vollzeitstelle. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie den dritten Punkt auf der Skala für Teilarbeitsplätze erreicht. 1989 und 1990 rückte sie auf der Skala weiter auf den vierten und fünften Punkt vor, doch wurde ihr im April 1991 mitgeteilt, daß sie falsch eingestuft worden sei, so daß sie nicht auf den sechsten Punkt vorrückte. Begründet wurde dies damit, daß die beiden Jahre auf dem Teilarbeitsplatz als ein Jahr auf einem Vollarbeitsplatz zählten.

13 Frau Hill und Frau Stapleton legten den Rückstufungsbescheid gemäß Section 7(1) des Anti-Discrimination (Pay) Act 1974 (Gesetz gegen die Diskriminierung beim Entgelt) dem "Equality Officer" vor. Dieser empfahl aufgrund des Urteils des Gerichtshofes vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-184/89 (Nimz, Slg. 1991, I-297), dem Begehren stattzugeben, da der Arbeitgeber daran gehindert sei, eine Bestimmung anzuwenden, nach der nur der aktive Dienst für den Aufstieg nach Dienstalter berücksichtigt werden könne.

14 Die Revenü Commissioners und das Department of Finance legten gegen die Empfehlung einen Rechtsbehelf beim Labour Court ein. Frau Hill und Frau Stapleton legten einen Rechtsbehelf auf Durchführung der genannten Empfehlung ein.

15 Der Labour Court ist der Meinung, daß der Rechtsstreit die Auslegung von Gemeinschaftsrecht erfordert und hat daher in Wahrnehmung seiner ihm nach Section 8 des Anti-Discrimination (Pay) Act 1974 übertragenen Aufgaben dem Gerichtshof folgende drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ausgehend davon, daß weit mehr weibliche Arbeitnehmer als männliche Arbeitnehmer einen Teil ihres Arbeitslebens auf einem Teilarbeitsplatz beschäftigt sind:

1. Liegt ein Fall mittelbarer Diskriminierung vor, wenn Arbeitnehmer, die von einem Teilarbeitsplatz auf einen Vollarbeitsplatz wechseln, bei den Zulagen auf der Gehaltßkala für Vollzeitbeschäftigte nach Maßgabe der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit aufsteigen, so daß sie zwar anteilig genau dieselben Vergünstigungen wie Mitarbeiter erhalten, die stets eine Vollzeitbeschäftigung ausgeuebt haben, aber eine geringere Punktzahl auf der für Vollzeitbeschäftigte geltenden Gehaltßkala erhalten als Vergleichspersonen, die mit ihnen in jeder Hinsicht vergleichbar sind, abgesehen davon, daß sie ständig auf Vollzeitbasis gearbeitet haben? Verstösst es mit anderen Worten gegen den in der Richtlinie 75/117/EWG aufgestellten Grundsatz des gleichen Entgelts, wenn sich Arbeitnehmer, die von einem Teilarbeitsplatz auf einen Vollarbeitsplatz wechseln, auf der Zulagenskala und damit auf der Gehaltßkala verschlechtern, weil der Arbeitgeber das Kriterium des als tatsächliche Arbeitszeit definierten Dienstes verwendet?

2. Wenn ja: Muß der Arbeitgeber eine besondere Rechtfertigung dafür liefern, daß er für den stufenweisen Aufstieg auf das Kriterium des als tatsächliche Arbeitszeit definierten Dienstes zurückgreift?

3. Wenn ja: Kann der stufenweise Aufstieg nach Maßgabe der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit unter Berufung auf andere Gesichtspunkte als die Erlangung eines bestimmten Niveaus von Fähigkeiten und Erfahrung im Laufe der Zeit objektiv gerechtfertigt werden?

16 Mit diesen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Diskriminierung vorliegt, wenn sich Arbeitnehmer, die von einem Teilarbeitsplatz zu einem Vollarbeitsplatz wechseln, bei ihrem Aufstieg und damit bei ihrem Gehalt verschlechtern, weil der Arbeitgeber auf das Kriterium des als tatsächliche Arbeitszeit definierten Dienstes zurückgreift. Wenn sich aus der Anwendung dieses Kriteriums eine mittelbare Diskriminierung ergibt, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sie gerechtfertigt werden kann.

17 Nach den Akten benachteiligt das im Ausgangsverfahren streitige nationale System Arbeitnehmer, die von einem Teilarbeitsplatz zu einem Vollarbeitsplatz wechseln, gegenüber denen, die die gleiche Anzahl von Jahren vollzeitbeschäftigt gewesen sind, da der Arbeitnehmer auf einem Teilarbeitsplatz beim Wechsel auf einen Vollarbeitsplatz auf der Gehaltßkala für Vollzeitbeschäftigte niedriger eingestuft wird, als er vorher auf der Gehaltßkala für Arbeitnehmer auf Teilarbeitsplätzen eingestuft war, und damit weniger als ein während des gleichen Zeitraums vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer erhält.

18 Artikel 119 EG-Vertrag stellt den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit auf. Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 43/75 (Defrenne II, Slg. 1976, 455, Randnr. 12) bereits festgestellt hat, gehört dieser Grundsatz zu den Grundlagen der Gemeinschaft.

19 Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 31. März 1981 in der Rechtssache 96/80 (Jenkins, Slg. 1981, 911) weiter festgestellt, daß Artikel 1 der Richtlinie, der im wesentlichen die konkrete Anwendung des in Artikel 119 des Vertrages genannten Grundsatzes des gleichen Entgelts erleichtern soll, in keiner Weise den Inhalt oder die Tragweite dieses Grundsatzes, so wie er in dieser letztgenannten Vorschrift definiert ist, berührt.

20 Um dem vorlegenden Gericht eine sachgerechte Antwort geben zu können, ist zunächst zu prüfen, ob das Einstufungssystem für Arbeitnehmer, die von einem Teilarbeits- zu einem Vollarbeitsplatz wechseln, unter Artikel 119 des Vertrages und damit unter die Richtlinie fällt.

21 Dieses System bestimmt die Entwicklung des Arbeitsentgelts als solches, das einem Arbeitnehmer zusteht. Somit fällt es unter den Begriff des Entgelts im Sinne des Artikels 119 des Vertrages.

22 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93 (Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnr. 30) festgestellt hat, kann eine Diskriminierung nur darin bestehen, daß unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewandt werden oder daß dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird.

23 Wie im übrigen auch der Labour Court festgestellt hat, ist nicht nachgewiesen worden, daß die Benachteiligung von Frau Hill und Frau Stapleton eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt. Somit ist zu prüfen, ob diese Benachteiligung eine mittelbare Diskriminierung sein kann.

24 Nach ständiger Rechtsprechung steht Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie der Anwendung einer nationalen Maßnahme entgegen, die zwar neutral formuliert ist, tatsächlich aber prozentual viel mehr Frauen als Männer benachteiligt, es sei denn, daß diese Maßnahme durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Februar 1994 in der Rechtssache C-343/92, Roks u. a., Slg. 1994, I-571, Randnr. 33, und vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-444/93, Megner und Scheffel, Slg. 1995, I-4741, Randnr. 24).

25 Nach den Akten des Ausgangsverfahrens sind 99,2 % der "Clerical Assistants", die einen Teilarbeitsplatz teilen, sowie im übrigen 98 % sämtlicher Arbeitnehmer, die im öffentlichen Dienst aufgrund von Teilarbeitsplatzverträgen beschäftigt sind, Frauen. Unter diesen Umständen entfaltet eine Bestimmung, die ohne objektive Rechtfertigung die Rechtsstellung derjenigen, die zur Gruppe der einen Arbeitsplatz teilenden Arbeitnehmer gehören, nachteilig regelt, diskriminierende Wirkungen aufgrund des Geschlechts.

26 Nach Ansicht des Labour Court ist die Arbeitsplatzteilung ein besonderer Fall, da sie nicht mit einer Unterbrechung des Dienstes verbunden sei. Der besondere Unterschied zwischen der Teilzeitarbeit und der Arbeitsplatzteilung bestehe darin, daß im letztgenannten Fall zwei Arbeitnehmer sich die Arbeit und die damit verbundenen Verantwortlichkeiten teilten. Nach den Akten des Ausgangsverfahrens kann von einem Arbeitnehmer auf einem Teilarbeitsplatz verlangt werden, daß er sich seiner Aufgabe während der vollen Zeit widmet und seinen Einsatz mit dem seines Partners im Interesse eines reibungslosen Arbeitsablaufs auf dem geteilten Arbeitsplatz abstimmt.

27 Nach den Feststellungen des Labour Court führten Frau Hill und Frau Stapleton die gleiche Arbeit wie ihre Kollegen aus, die auf Vollzeitbasis arbeiteten und sich in einer vergleichbaren Lage wie die Klägerinnen befanden. Wie in Randnummer 6 dieses Urteils festgestellt worden ist, musste sich ein Mitarbeiter, der sich für die Arbeitsplatzteilung entschied, schriftlich verpflichten, keine andere Berufstätigkeit auszuüben. Für den Labour Court steht es ausser Frage, daß ein Arbeitnehmer, der den Arbeitsplatz teilt, die gleiche Erfahrung erwerben kann wie ein Vollzeitarbeitnehmer. Der einzige Unterschied zwischen einem Arbeitnehmer auf einem Teilarbeitsplatz und seinem Kollegen auf einem Vollarbeitsplatz sei die während des Zeitraums der Arbeitsplatzteilung tatsächlich geleistete Arbeitszeit.

28 Frau Hill und Frau Stapleton sind in dem gesamten Zeitraum, in dem für sie die Arbeitsplatzteilungsregelung galt, jedes Jahr um einen Punkt vorgerückt und erhielten nach Maßgabe der erreichten Punkte 50 % der Bezuege eines "Clerical Assistant".

29 Nach den Vorschriften für die Arbeitsplatzteilung sowie nach den Vorschriften gemäß der Regelung für Vollzeitarbeitnehmer hängt der Aufstieg auf der Gehaltßkala von der Würdigung sowohl der Qualität als auch der Menge der geleisteten Arbeit ab. Wird die Qualität der Arbeit der beiden betreffenden Arbeitnehmer gleich bewertet, rückt der Arbeitnehmer auf einem Teilarbeitsplatz, wenn er seine Tätigkeit nach der genannten Regelung ausübt, auf der Gehaltßkala parallel zum Vollzeitarbeitnehmer vor. Jedem Aufstiegspunkt entspricht eine Zahl, die gleich der Hälfte des Entgelts für einen Vollzeitarbeitnehmer ist. Der Stundenlohn ist somit auf jeder Stufe der Skala für beide Gruppen von Arbeitnehmern gleich.

30 Unter diesen Umständen müssten sich bei einem Arbeitnehmer, der im Rahmen der Arbeitsplatzteilungsregelung die Hälfte der vollen Zeit gearbeitet und die Hälfte des Gehalts, bezogen auf diese Stufe der Gehaltßkala, erhalten hat und der dann von dieser Regelung zur Vollzeitregelung wechselt, seine Arbeitsstunden und die Höhe seines Arbeitsentgelts verdoppeln, wie sie sich umgekehrt bei einem Arbeitnehmer, der von der Vollzeitregelung zur Arbeitsplatzteilungsregelung übergeht, halbieren müssten, sofern nicht ein Rechtfertigungsgrund für eine andere Behandlung vorliegt.

31 Eine solche Zunahme ist jedoch im Ausgangsfall nicht erfolgt. Beim Übergang zur Vollzeitregelung wird die Situation des Arbeitnehmers, der einen Arbeitsplatz geteilt hat, automatisch revidiert, so daß der Betreffende auf der Gehaltßkala für Vollzeitbeschäftigte niedriger eingestuft wird, als er auf der Gehaltßkala für Teilarbeitsplätze eingestuft war.

32 Die Rückstufung eines Arbeitnehmers beim Übergang oder bei der Rückkehr zur Vollzeitregelung hat unmittelbare Auswirkungen auf sein Arbeitsentgelt. Der Arbeitnehmer erhält dann nämlich ein Arbeitsentgelt, das tatsächlich niedriger als das Doppelte des Betrages ist, den er erhielte, wenn er auf einem Teilarbeitsplatz beschäftigt wäre. Er erleidet also eine Einbusse hinsichtlich der Höhe seines Stundenlohns. Durch die Bezugnahme auf das Kriterium der Stunden, die während des Zeitraums der Beschäftigung auf einem Teilarbeitsplatz abgeleistet worden sind, wie dies die im Ausgangsverfahren anwendbare Regelung vorsieht, bleiben sowohl die Tatsache, daß die Arbeitsplatzteilung, wie in Randnummer 26 dieses Urteils festgestellt worden ist, ein besonderer Fall ist, da sie nicht mit einer Unterbrechung des Dienstes verbunden ist, als auch der in Randnummer 27 dieses Urteils angeführte Umstand ausser Betracht, daß ein Arbeitnehmer auf einem Teilarbeitsplatz die gleiche Erfahrung wie ein Vollzeitarbeitnehmer erwerben kann. Zudem wird nachträglich eine Ungleichheit in das Gesamtarbeitsentgelt der Arbeitnehmer hineingetragen, die sowohl der Qualität als auch der Quantität der geleisteten Arbeit nach die gleichen Aufgaben erfuellen. Diese Ungleichheit führt dazu, daß die Arbeitnehmer, die im Rahmen der Vollzeitregelung arbeiten, zuvor aber im Rahmen der Arbeitsplatzteilungsregelung gearbeitet haben, und diejenigen, die nur im Rahmen der Vollzeitregelung gearbeitet haben, unterschiedlich behandelt werden.

33 Innerhalb der Gruppe der Vollzeitarbeitnehmer erhalten somit Arbeitnehmer, die zuvor nach der Arbeitsplatzteilungsregelung beschäftigt gewesen und im Verhältnis zu der Stufe, die sie auf der Gehaltßkala bereits erreicht hatten, zurückgestuft worden sind, nicht das gleiche Entgelt.

34 In einem solchen Fall führen Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren streitigen tatsächlich zu einer Diskriminierung der weiblichen Arbeitnehmer gegenüber den männlichen Arbeitnehmern und stehen grundsätzlich im Widerspruch zu Artikel 119 des Vertrages und damit im Widerspruch zur Richtlinie. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die unterschiedliche Behandlung der beiden Gruppen von Arbeitnehmern durch objektive Faktoren gerechtfertigt wäre, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Mai 1986 in der Rechtssache 170/84, Bilka, Slg. 1986, 1607, Randnr. 29, vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 171/88, Rinner-Kühn, Slg. 1989, 2743, Randnr. 12, und vom 6. Februar 1996 in der Rechtssache C-457/93, Lewark, Slg. 1996, I-243, Randnr. 31).

35 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts und die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, festzustellen, ob und inwieweit eine Rechtsvorschrift, die unabhängig vom Geschlecht des Arbeitnehmers gilt, Frauen jedoch stärker trifft als Männer, aus objektiven Gründen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt ist (vgl. die vorgenannten Urteile Jenkins, Randnr. 14, Bilka, Randnr. 36, und Rinner-Kühn, Randnr. 15).

36 Auch wenn es im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens Sache des vorlegenden Gerichts ist, festzustellen, ob solche objektiven Faktoren in dem ihm unterbreiteten konkreten Fall vorliegen, kann der Gerichtshof jedoch, da er die Fragen des vorlegenden Gerichts sachdienlich zu beantworten hat, auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise geben, die dem vorlegenden Gericht diese Entscheidung ermöglichen (vgl. Urteile vom 30. März 1993 in der Rechtssache C-328/91, Thomas u. a., Slg. 1993, I-1247, Randnr. 13, und Lewark, a. a. O., Randnr. 32).

37 Nach Ansicht der Revenü Commissioners und des Department of Finance ist die Methode der Gehaltserhöhung nach Maßgabe der tatsächlichen Arbeitszeit aus Gründen gerechtfertigt, die den vom Gerichtshof aufgestellten Voraussetzungen genügten.

38 Die von den Revenü Commissioners und dem Department of Finance angeführten Rechtfertigungsgründe, daß nach der herrschenden Praxis im öffentlichen Dienst nur die tatsächliche Dienstzeit "verbucht" werde und daß diese Praxis ein Belohnungssystem darstelle, das die Motivation, die Einsatzbereitschaft und die Arbeitseinstellung der Arbeitnehmer aufrechterhalte, überzeugen nicht. Der erste Grund ist nur eine verallgemeinernde Aussage, die nicht durch objektive Kriterien gerechtfertigt ist. Was den zweiten Grund betrifft, so wird das System der Belohnung der Arbeitnehmer, die im Rahmen der Vollzeitregelung tätig sind, durch die Arbeitsplatzteilungsregelung nicht beeinflusst.

39 Zu dem Rechtfertigungsgrund, daß eine Ausnahme zugunsten der Arbeitsplatzteilung zu willkürlichen oder ungerechten Verhältnissen führen würde oder einer unzulässigen Diskriminierung zugunsten der Frauen gleichkäme, ist unter Bezug auf Randnummer 29 dieses Urteils festzustellen, daß es keine Diskriminierung zugunsten weiblicher Arbeitnehmer ist, wenn einem Arbeitnehmer beim Übergang zur Vollzeitarbeit die gleiche Punktzahl gewährt wird wie die, die er im Rahmen seines Teilarbeitsplatzvertrages hatte.

40 Zu den als Rechtfertigung angeführten wirtschaftlichen Gründen ist festzustellen, daß ein Arbeitgeber eine Diskriminierung, die aus der Regelung über die Arbeitsplatzteilung folgt, nicht allein damit rechtfertigen kann, daß die Ausschaltung einer solchen Diskriminierung mit zusätzlichen Kosten verbunden sei.

41 Alle Parteien des Ausgangsverfahrens und das vorlegende Gericht sind sich darüber einig, daß fast alle Arbeitnehmer, die sich einen Arbeitsplatz im irischen öffentlichen Dienst teilen, Frauen sind. Nach den Akten des Ausgangsverfahrens haben sich fast 83 % der Arbeitnehmer deshalb für einen Teilarbeitsplatz entschieden, um Arbeit und familiäre Pflichten, zu denen stets die Erziehung der Kinder gehört, miteinander in Einklang bringen zu können.

42 Die Gemeinschaftspolitik in diesem Bereich soll eine Stütze sein und wenn möglich die Arbeitsbedingungen auf die familiären Pflichten abstimmen. Der Schutz der Frau in Familie und Beruf ist ebenso wie der des Mannes ein Grundsatz, der als natürliche Folge der Gleichheit von Mann und Frau in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft in grossem Umfang berücksichtigt wird und der vom Gemeinschaftsrecht anerkannt ist.

43 Somit müssen die Revenü Commissioners und das Department of Finance im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht nachweisen, daß die Anwendung des Kriteriums des als tatsächliche Arbeitszeit definierten Dienstes bei der Beurteilung der Höherstufung der Arbeitnehmer, die von der Arbeitsplatzteilungsregelung zur Vollzeitregelung übergehen, durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Wird dieser Beweis von diesen Behörden erbracht, kann der Umstand allein, daß von der nationalen Regelung erheblich mehr Frauen als Männer betroffen sind, nicht als Verstoß gegen Artikel 119 des Vertrages und damit gegen die Richtlinie angesehen werden.

44 Somit ist zu antworten, daß Artikel 119 des Vertrages und die Richtlinie dahin auszulegen sind, daß sie, sofern prozentual sehr viel mehr weibliche als männliche Arbeitnehmer auf Teilarbeitsplätzen beschäftigt sind, einer Regelung entgegenstehen, nach der Arbeitnehmer auf Teilarbeitsplätzen bei ihrem Wechsel auf einen Vollarbeitsplatz auf der Gehaltßkala für Vollzeitbeschäftigte niedriger eingestuft werden, als sie zuvor auf der Gehaltßkala für Beschäftigte auf Teilarbeitsplätzen eingestuft waren, weil der Arbeitgeber das Kriterium des als tatsächliche Arbeitszeit definierten Dienstes verwendet, es sei denn, daß diese Regelung durch objektive Kriterien gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

Kostenentscheidung:

Kosten

45 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Labour Court (Irland) mit Beschluß vom 5. April 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 119 EG-Vertrag sowie die Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen sind dahin auszulegen, daß sie, sofern prozentual sehr viel mehr weibliche als männliche Arbeitnehmer auf Teilarbeitsplätzen beschäftigt sind, einer Regelung entgegenstehen, nach der Arbeitnehmer auf Teilarbeitsplätzen bei ihrem Wechsel auf einen Vollarbeitsplatz auf der Gehaltßkala für Vollzeitbeschäftigte niedriger eingestuft werden, als sie zuvor auf der Gehaltßkala für Beschäftigte auf Teilarbeitsplätzen eingestuft waren, weil der Arbeitgeber das Kriterium des als tatsächliche Arbeitszeit definierten Dienstes verwendet, es sei denn, daß diese Regelung durch objektive Kriterien gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.

Ende der Entscheidung

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