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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.11.1997
Aktenzeichen: C-248/96
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 1408/71/EWG


Vorschriften:

Verordnung Nr. 1408/71/EWG Anhang VI Abschnitt J Nr. 4
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung, angepasst durch Anhang I Teil VIII der Akte über die Beitrittsbedingungen des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge, und Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe c dieser Verordnung in der durch die Verordnung Nr. 1248/92 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, daß vor dem 1. Juli 1967 in den Niederlanden zurückgelegte "Beschäftigungszeiten" oder "gleichgestellte Zeiten" solche Zeiten sind, die vor diesem Zeitpunkt im niederländischen freiwilligen oder Pflichtwehrdienst zurückgelegt wurden.

4 Wehrdienstzeiten, die im ehemaligen Niederländisch-Neuguinea zurückgelegt wurden, als dieses ein überseeisches Hoheitsgebiet war, auf das die im Vierten Teil des Vertrages vorgesehene Assoziierungsregelung Anwendung fand, sind als in den Niederlanden zurückgelegt im Sinne des Anhangs VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten.


Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 13. November 1997. - R.O.J. Grahame und L.M. Hollanders gegen Bestuur van de Nieuwe Algemene Bedrijfsvereniging. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Arrondissementsrechtbank Amsterdam - Niederlande. - Soziale Sicherheit - Arbeitsunfähigkeit - Beschäftigungszeiten und gleichgestellte Zeiten - Wehrdienst - Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. - Rechtssache C-248/96.

Entscheidungsgründe:

1 Die Arrondissementsrechtbank Amsterdam hat mit Urteil vom 16. Juli 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung und der Gültigkeit des Anhangs VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung, angepasst durch Anhang I Teil VIII der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge (ABl. 1985, L 302, S. 23; im folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), sowie des Anhangs VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992 (ABl. L 136, S. 7) geänderten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Grahame und Herrn Hollanders einerseits und dem Bestuur van de Nieuwe Algemene Bedrijfsvereniging (im folgenden: Bedrijfsvereniging) andererseits, in dem es um die Berechnung der Leistungen bei Invalidität nach der Wet op de arbeidsongeschiktheidsverzekering (Gesetz über die Arbeitsunfähigkeitsversicherung; im folgenden: WAO) geht.

3 Artikel 3 WAO sichert alle in einem privat- oder öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis stehenden Arbeitnehmer gegen die sich bei einer Invalidität ergebenden finanziellen Folgen ab. Nach Artikel 6 Absatz 1 WAO gilt das Arbeitsverhältnis von Personen, die einer Verpflichtung nachkommen, die ihnen durch Gesetz auferlegt ist oder anders als durch Arbeitsvertrag gegenüber den für die Landesverteidigung oder den Schutz der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit der Bevölkerung zuständigen Behörden eingegangen wurde, nicht als Beschäftigungsverhältnis im Sinne der WAO.

4 Um Anspruch auf eine Leistung bei Invalidität nach der WAO zu haben, muß der Betroffene im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit versichert gewesen sein, und er muß 52 Wochen lang ununterbrochen arbeitsunfähig gewesen sein. Die Höhe der Leistung nach der WAO richtet sich - unabhängig vom Gemeinschaftsrecht - nicht nach der Dauer der Versicherungszeiten. Sie hängt vom Grad der Arbeitsunfähigkeit und von der Höhe des vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zuletzt bezogenen Arbeitsentgelts ab, das nach einem Index aktualisiert wird.

5 Herr Grahame, der die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt, arbeitete von 1957 bis 1970 in den Niederlanden. Vom 2. Dezember 1959 bis zum 7. Mai 1960 leistete er seinen Pflichtwehrdienst in den Niederlanden und anschließend, bis zum 1. Mai 1961, im ehemaligen Niederländisch-Neuguinea ab.

6 Später wohnte und arbeitete Herr Grahame in Deutschland, wo er im Oktober 1989 arbeitsunfähig wurde und bis zum 19. Juli 1991 Krankengeld bezog.

7 Mit Entscheidung vom 18. Oktober 1993 bewilligte die Bedrijfsvereniging Herrn Grahame mit Wirkung vom 20. Juli 1991 eine anteilige Leistung nach der WAO auf der Basis eines Arbeitsunfähigkeitsgrades von 80 % bis 100 %. Bei der Berechnung des Betrages dieser Leistung legte der niederländische Träger etwas mehr als 19 Versicherungsjahre zugrunde, davon ca. fünf Jahre in den Niederlanden.

8 Herr Grahame beanstandet diese Berechnung mit der Begründung, daß der Zeitraum, in dem er seinen Wehrdienst in den Niederlanden abgeleistet habe, nicht berücksichtigt worden sei.

9 Herr Hollanders, der ebenfalls die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt, leistete vom 10. Juni 1953 bis zum 16. Mai 1955 in den Niederlanden seinen Pflichtwehrdienst ab, den er freiwillig bis zum 11. Februar 1958 fortsetzte. Ab 1960 arbeitete er in Luxemburg, wo er 1991 arbeitsunfähig wurde.

10 Mit Entscheidung vom 22. März 1994 bewilligte ihm die Bedrijfsvereniging eine Leistung nach der WAO mit Wirkung vom 17. Juni 1992 auf der Basis eines Arbeitsunfähigkeitsgrades von 80 % bis 100 %. Bei der Berechnung dieser anteiligen Leistung legte der niederländische Träger eine Gesamtversicherungszeit von ca. 35 Jahren zugrunde, davon etwas mehr als vier Jahre in den Niederlanden.

11 Herr Hollanders beanstandet diese Entscheidung mit der Begründung, daß die Zeiten seines freiwilligen und Pflichtwehrdienstes nicht berücksichtigt worden seien.

12 Die Bedrijfsvereniging vertrat in beiden Verfahren die Ansicht, daß der in beiden Fällen abgeleistete Wehrdienst bei Herrn Grahame nicht einer Beschäftigung im Sinne von Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 und bei Herrn Hollanders nicht einer Beschäftigung im Sinne von Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung Nr. 1248/92 gleichgestellt werden könne.

13 Mit Klageschriften vom 8. Dezember 1993 und 24. April 1994 erhoben Herr Grahame und Herr Hollanders gegen diese Entscheidungen Klage bei der Arrondissementsrechtbank Amsterdam, die es für erforderlich gehalten hat, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Sind die Artikel 48 und 51 EWG-Vertrag so auszulegen, daß Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a bzw. Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 mit ihnen unvereinbar ist, soweit danach bestimmte Beschäftigungszeiten bei der Berechnung einer anteiligen WAO-Leistung für Wanderarbeitnehmer nicht berücksichtigt werden?

2. Ist Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a bzw. Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in der am 20. Juli 1991 bzw. 17. Juni 1992 geltenden Fassung so auszulegen, daß unter vor dem 1. Juli 1967 in den Niederlanden zurückgelegten Beschäftigungszeiten und gleichgestellten Zeiten auch zu verstehen sind

a) Zeiten, in denen ein Betroffener seinen Pflichtwehrdienst nach den niederländischen Rechtsvorschriften ableistete,

b) Zeiten, in denen ein Betroffener als Freiwilliger den niederländischen Wehrdienst ableistete und daher einer besonderen gesetzlichen Arbeitsunfähigkeitsversicherung für Beamte und ihnen Gleichgestellte angehörte?

3. Macht es bei der Beantwortung der zweiten Frage einen Unterschied, ob die Zeiten, in denen ein Betroffener seinen Pflichtwehrdienst nach den niederländischen Rechtsvorschriften ableistete, innerhalb oder ausserhalb des Gebietes der Europäischen Union (damals: Gemeinschaft) zurückgelegt wurden?

14 Zunächst ist daran zu erinnern, daß Artikel 40 der Verordnung Nr. 1408/71 die Feststellung der Leistungen bei Invalidität regelt, die Arbeitnehmern zustehen, für die nacheinander zwei Arten von Rechtsvorschriften galten, und zwar zum einen solche wie die in den Ausgangsfällen einschlägigen niederländischen Rechtsvorschriften, die in Anhang IV der Verordnung als Rechtsvorschriften im Sinne von Artikel 37 Absatz 1 genannt sind und nach denen die Höhe der Leistungen bei Invalidität von der Dauer der Versicherungszeiten unabhängig ist (Rechtsvorschriften des Typs A), und zum anderen solche wie die in den Ausgangsfällen einschlägigen deutschen und luxemburgischen Rechtsvorschriften, nach denen die Höhe der Leistungen bei Invalidität von der Dauer der Versicherungszeiten abhängig ist (Rechtsvorschriften des Typs B).

G15 Gemäß Artikel 40 Absatz 1 werden die Leistungen in entsprechender Anwendung von Kapitel 3 "Alter und Tod (Renten)" der Verordnung berechnet, und zwar insbesondere nach Artikel 46. Gemäß Artikel 46 Absatz 2 ist gegebenenfalls eine anteilige Berechnung nach den Zeiten vorzunehmen, die der Betroffene nach den Rechtsvorschriften, die jeweils für ihn galten, zurückgelegt hat, also auch nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Höhe der Leistungen bei Invalidität von der Dauer der Versicherungszeiten unabhängig ist.

16 Was die niederländischen Rechtsvorschriften angeht, so ist in einem Fall wie dem von Herrn Grahame auch auf Anhang VI Abschnitt J (Niederlande) Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 in der am 20. Juli 1991 geltenden Fassung und in einem Fall wie dem von Herrn Hollanders auf Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 1248/92 geänderten, am 17. Juni 1992 geltenden Fassung Bezug zu nehmen.

17 Anhang VI Abschnitt J (Niederlande) Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 lautet wie folgt:

"Für die Anwendung des Artikels 46 Absatz 2 der Verordnung verfahren die niederländischen Träger wie folgt:

a) War der Betreffende im Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, die zur Invalidität geführt hat, Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a) der Verordnung, so setzt der zuständige Träger den Betrag der Geldleistungen gemäß dem Gesetz vom 18. Februar 1966 über die Versicherung für den Fall der Arbeitsunfähigkeit (WAO) fest, wobei er folgendes berücksichtigt:

- die unter dem genannten Gesetz vom 18. Februar 1966 (WAO) zurückgelegten Versicherungszeiten,

...

- die vor dem 1. Juli 1967 in den Niederlanden zurückgelegten Beschäftigungszeiten und gleichgestellten Zeiten..."

18 Anhang VI Abschnitt J (Niederlande) Nummer 4 Buchstabe c der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung Nr. 1248/92 lautet wie folgt:

"c) Bei der Berechnung der Leistungen, die entsprechend dem vorgenannten Gesetz vom 18. Februar 1966 (WAO) oder entsprechend dem vorgenannten Gesetz vom 11. Dezember 1975 (AAW) festgestellt werden, berücksichtigen die niederländischen Träger:

- vor dem 1. Juli 1967 in den Niederlanden zurückgelegte Beschäftigungszeiten und gleichgestellte Zeiten;

- nach Maßgabe des vorgenannten Gesetzes vom 18. Februar 1966 (WAO) zurückgelegte Versicherungszeiten..."

Zur zweiten Frage

19 Mit seiner zweiten Frage, auf die zunächst einzugehen ist, möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 und Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe c dieser Verordnung in der Fassung der Verordnung Nr. 1248/92 dahin auszulegen sind, daß vor dem 1. Juli 1967 in den Niederlanden zurückgelegte "Beschäftigungszeiten" oder "gleichgestellte Zeiten" solche Zeiten sind, die vor diesem Zeitpunkt im niederländischen freiwilligen oder Pflichtwehrdienst zurückgelegt wurden.

20 Die Bedrijfsvereniging und die niederländische Regierung sind der Ansicht, für die Beantwortung der Frage, ob die betreffenden Zeiten "Beschäftigungszeiten" oder "gleichgestellte Zeiten" im Sinne der genannten Vorschriften darstellten, sei zu prüfen, ob sie nach dem niederländischen Recht und insbesondere nach der WAO als solche qualifiziert werden könnten. Die Personen, die in den Niederlanden einen freiwilligen oder Pflichtwehrdienst ableisteten, gälten aber nicht als Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 3 WAO.

21 Nach ständiger Rechtsprechung sind für die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nicht nur der Wortlaut dieser Vorschrift, sondern gegebenenfalls auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteil vom 30. Januar 1997 in der Rechtssache C-340/94, De Jäck, Slg. 1997, I-461, Randnr. 17).

22 Wie sich aus Randnummern 4 und 14 des vorliegenden Urteils ergibt, hätten Herr Grahame und Herr Hollanders, wenn sie ihre gesamte Berufslaufbahn ausschließlich in den Niederlanden zurückgelegt hätten, die Leistungen nach der WAO, die zu den Rechtsvorschriften des Typs A gehört, in voller Höhe erhalten.

23 Da für sie aufgrund der Ausübung ihres im Vertrag gewährleisteten Rechts auf Freizuegigkeit der Arbeitnehmer nacheinander Rechtsvorschriften des Typs A und Rechtsvorschriften des Typs B galten, sind bei der Feststellung der Leistungen bei Invalidität nach den niederländischen Rechtsvorschriften gemäß Artikel 40 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 die Vorschriften des Kapitels 3 "Alter und Tod (Renten)" des Titels III der Verordnung und gegebenfalls die in Artikel 46 Absatz 2 aufgestellten Regeln der Zusammenrechnung und Proratisierung anzuwenden.

24 Wie die Bedrijfsvereniging, die niederländische Regierung und die Kommission ausgeführt haben, sind die einschlägigen Vorschriften des Anhangs VI gerade eingefügt worden, um zu gewährleisten, daß der zuständige Träger bei der Berechnung der proratisierten Leistung nach der WAO gemäß Artikel 46 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht nur die nach den Vorschriften der WAO zurückgelegten Versicherungszeiten, sondern auch alle vor dem Inkrafttreten der WAO am 1. Juli 1967 in den Niederlanden zurückgelegten Beschäftigungszeiten und anderen gleichgestellten Zeiten berücksichtigt.

25 Aus Artikel 1 Buchstabe s der Verordnung Nr. 1408/71 geht ausserdem hervor, daß ""Beschäftigungszeiten" oder "Zeiten einer Selbständigentätigkeit" die Zeiten [sind], die nach den Rechtsvorschriften, unter denen sie zurückgelegt worden sind, als solche bestimmt oder anerkannt sind, ferner alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Beschäftigungszeiten oder den Zeiten einer Selbständigentätigkeit gleichwertig anerkannt sind". Unzweifelhaft entspricht der in Artikel 1 Buchstabe s verwendete Begriff "Beschäftigungszeit" im Gegensatz zu dem ebenfalls dort verwendeten Begriff "Zeit einer Selbständigentätigkeit" dem Begriff "Beschäftigungszeiten" im Sinne des Anhangs VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a oder c. Die deutsche Fassung der beiden fraglichen Bestimmungen verwendet im übrigen denselben Ausdruck.

26 Zwar schließt Artikel 3 WAO von seinem Anwendungsbereich die Tätigkeiten zum Zweck der Landesverteidigung aus, doch geht aus den Akten hervor, daß Zeiten solcher Tätigkeiten nach den niederländischen Rechtsvorschriften, unter denen sie zurückgelegt wurden, im Rahmen der sozialen Sicherheit Beschäftigungszeiten gleichgestellt sind. Für Personen, die einen freiwilligen oder Pflichtwehrdienst leisten, gelten nämlich Sondervorschriften über die Versicherung gegen "Arbeitsunfähigkeit", was zumindest voraussetzt, daß die Zeit ihrer militärischen Tätigkeit nach den niederländischen Rechtsvorschriften im Rahmen der sozialen Sicherheit und insbesondere der Versicherung gegen Arbeitsunfähigkeit einer "Beschäftigungszeit" gleichgestellt ist. Ausserdem lässt sich dem Wortlaut des Anhangs VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a oder Buchstabe c nicht entnehmen, daß die betreffenden Beschäftigungszeiten der spezifischen Definition des Arbeitsverhältnisses im Sinne der WAO entsprechen müssten.

27 Für die Anwendung dieser Vorschriften des Anhangs VI ist noch zu bestimmen, ob die Zeiten des freiwilligen oder Pflichtwehrdienstes als "Beschäftigungszeiten" oder "gleichgestellte Zeiten" oder aber als "Zeiten einer Selbständigentätigkeit" zu qualifizieren sind.

28 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Beamten im System des Vertrages als Arbeitnehmer angesehen werden (Urteil vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-71/93, Van Poucke, Slg. 1994, I-1101, Randnr. 17).

29 Das gleiche muß für Personen gelten, die einen freiwilligen Wehrdienst ableisten, da die Erbringung ihrer Leistungen im Dienst der Streitkräfte, für die sie als Gegenleistung ein Entgelt erhalten, durch ein Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet ist.

30 Die gleiche Auslegung im Hinblick auf die Anwendung der Vorschriften des Anhangs VI gilt bezueglich der Personen, die einen Pflichtwehrdienst ableisten. Zwar wird bei der Ableistung eines solchen Wehrdienstes grundsätzlich kein Entgelt im eigentlichen Sinne gezahlt, doch kann die Zeit dieser Tätigkeit wegen des Unterordnungsverhältnisses, das auch hier die erbrachten Leistungen kennzeichnet, jedenfalls nicht als Zeit einer Selbständigentätigkeit qualifiziert werden; dieses Unterordnungsverhältnis spricht vielmehr dafür, diese Zeit zumindest als eine einer Beschäftigungszeit gleichgestellte Zeit anzusehen, wie es der Wortlaut des Anhangs VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a oder Buchstabe c der Verordnung zulässt.

31 Hinzu kommt, daß Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe e letzter Satz der Verordnung Nr. 1408/71 lediglich zur Bestimmung der auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit anwendbaren Rechtsvorschriften ein anderes, mit der Art der früheren Tätigkeit zusammenhängendes Kriterium anwendet, indem speziell vorgesehen ist, daß zum Wehrdienst oder Zivildienst einberufene oder wiedereinberufene Arbeitnehmer bzw. Selbständige ihre bisherige Arbeitnehmereigenschaft bzw. Selbständigeneigenschaft behalten.

32 Schließlich ist die in Artikel 48 Absatz 4 EG-Vertrag vorgesehene Ausnahme im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da diese Bestimmung nur den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten den Zugang zu bestimmten Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung zu verwehren (Urteil vom 22. November 1995 in der Rechtssache C-443/93, Vougioukas, Slg. 1995, I-4033, Randnr. 19).

33 Folglich ist auf die zweite Frage zu antworten, daß Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 und Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe c dieser Verordnung in der durch die Verordnung Nr. 1248/92 geänderten Fassung dahin auszulegen sind, daß vor dem 1. Juli 1967 in den Niederlanden zurückgelegte "Beschäftigungszeiten" oder "gleichgestellte Zeiten" solche Zeiten sind, die vor diesem Zeitpunkt im niederländischen freiwilligen oder Pflichtwehrdienst zurückgelegt wurden.

Zur ersten Frage

34 In Anbetracht der Antwort auf die zweite Frage braucht die erste Frage nicht beantwortet zu werden.

Zur dritten Frage

35 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Zeiten des Wehrdienstes im ehemaligen Niederländisch-Neuguinea als in den Niederlanden zurückgelegt im Sinne des Anhangs VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten sind.

36 Hierzu ist lediglich festzustellen, daß das ehemalige Niederländisch-Neuguinea, wo Herr Grahame vom 8. Mai 1960 bis zum 1. Mai 1961 seinen Pflichtwehrdienst abgeleistet hat, ein überseeisches Hoheitsgebiet der Niederlande war, das im übrigen in Anhang IV des EWG-Vertrags als eines der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete genannt war, auf die der Vierte Teil des Vertrages Anwendung fand. Die genannten Beschäftigungszeiten wiesen daher eine hinreichend enge Verbindung zum Hoheitsgebiet der Niederlande auf, so daß die in Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a aufgestellte Voraussetzung der Zurücklegung in den Niederlanden erfuellt ist.

37 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß im ehemaligen Niederländisch-Neuguinea zurückgelegte Wehrdienstzeiten als in den Niederlanden zurückgelegt im Sinne des Anhangs VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

38 Die Auslagen der niederländischen und der französischen Regierung sowie des Rates der Europäischen Union und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Erste Kammer)

auf die ihm von der Arrondissementsrechtbank Amsterdam mit Urteil vom 16. Juli 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, angepasst durch Anhang I Teil VIII der Akte über die Beitrittsbedingungen des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge, und Anhang VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe c dieser Verordnung in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, daß vor dem 1. Juli 1967 in den Niederlanden zurückgelegte "Beschäftigungszeiten" oder "gleichgestellte Zeiten" solche Zeiten sind, die vor diesem Zeitpunkt im niederländischen freiwilligen oder Pflichtwehrdienst zurückgelegt wurden.

2. Im ehemaligen Niederländisch-Neuguinea zurückgelegte Wehrdienstzeiten sind als in den Niederlanden zurückgelegt im Sinne des Anhangs VI Abschnitt J Nummer 4 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten.

Ende der Entscheidung

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