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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.02.1998
Aktenzeichen: C-249/96
Rechtsgebiete: Richtlinie 75/117/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 75/117/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Die Weigerung eines Arbeitgebers, eine Fahrtvergünstigung für eine Person des gleichen Geschlechts, mit der der Arbeitnehmer eine feste Beziehung unterhält, zu gewähren, während eine solche Vergünstigung für den Ehepartner des Arbeitnehmers oder die Person des anderen Geschlechts, mit der der Arbeitnehmer eine feste nichteheliche Beziehung unterhält, gewährt wird, stellt keine durch Artikel 119 des Vertrages oder die Richtlinie 75/117 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen verbotene Diskriminierung dar.

Die für die Gewährung dieser Vergünstigung aufgestellte Voraussetzung kann nämlich nicht als eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts betrachtet werden, da sie für die weiblichen wie für die männlichen Arbeitnehmer in gleicher Weise gilt; so werden die Vergünstigungen einem männlichen Arbeitnehmer, wenn er mit einer Person des gleichen Geschlechts zusammenlebt, ebenso verweigert wie einer Arbeitnehmerin, die mit einer Person des gleichen Geschlechts zusammenlebt. Ausserdem sind beim gegenwärtigen Stand des Rechts innerhalb der Gemeinschaft die festen Beziehungen zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts den Beziehungen zwischen Verheirateten oder den festen nichtehelichen Beziehungen zwischen Personen verschiedenen Geschlechts nicht gleichgestellt; folglich ist ein Arbeitgeber nach dem Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet, die Situation einer Person, die eine feste Beziehung mit einem Partner des gleichen Geschlechts unterhält, der Situation einer Person, die verheiratet ist oder die eine feste nichteheliche Beziehung mit einem Partner des anderen Geschlechts unterhält, gleichzustellen. Nur der Gesetzgeber kann gegebenenfalls Maßnahmen treffen, die einen Einfluß auf diese Lage haben können.

4 Zwar ist die Wahrung der Grundrechte, die Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts sind, eine Voraussetzung für die Rechtmässigkeit der Gemeinschaftshandlungen; diese Rechte können jedoch als solche nicht dazu führen, daß der Anwendungsbereich der Bestimmungen des Vertrages über die Zuständigkeiten der Gemeinschaft hinaus erweitert wird.

Was den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte betrifft, der zu den völkerrechtlichen Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte gehört, denen der Gerichtshof bei der Anwendung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts Rechnung trägt, kann eine - nicht rechtsverbindliche und keine besondere Begründung aufweisende - Bemerkung des gemäß Artikel 28 des Paktes errichteten Ausschusses für Menschenrechte, wonach die Bezugnahme auf das "Geschlecht" in Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 26 so zu verstehen ist, daß auch die sexuelle Orientierung erfasst wird, den Gerichtshof jedenfalls nicht veranlassen, die Bedeutung des Artikels 119 des Vertrages zu erweitern. Die Bedeutung dieses Artikels kann ebenso wie die jeder anderen Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nur unter Berücksichtigung seines Wortlauts und seines Zweckes sowie seiner Stellung im System des Vertrages und des rechtlichen Zusammenhangs, in den er sich einfügt, bestimmt werden.


Urteil des Gerichtshofes vom 17. Februar 1998. - Lisa Jacqueline Grant gegen South-West Trains Ltd. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Industrial Tribunal, Southampton - Vereinigtes Königreich. - Gleichbehandlung von Männern und Frauen - Verweigerung einer Fahrtvergünstigung für Lebensgefährten des gleichen Geschlechts. - Rechtssache C-249/96.

Entscheidungsgründe:

1 Das Industrial Tribunal Southampton hat mit Entscheidung vom 19. Juli 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag sechs Fragen nach der Auslegung von Artikel 119 des Vertrages, der Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19) und der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Grant und ihrem Arbeitgeber, der South-West Trains Ltd (im folgenden: SWT), über deren Weigerung, der Lebenspartnerin von Frau Grant Fahrtvergünstigungen zu gewähren.

3 Frau Grant ist Angestellte der SWT, einer Eisenbahngesellschaft in der Region Southampton.

4 Klausel 18 ihres Arbeitsvertrags mit der Überschrift "Fahrtvergünstigungen" bestimmt:

"Ihnen werden Fahrtvergünstigungen in Form von Freifahrten und Fahrten zum ermässigten Tarif in dem für Angehörige Ihrer Vergütungsgruppe geltenden Umfang gewährt. Ihr Ehepartner und Ihre Angehörigen erhalten ebenfalls Fahrtvergünstigungen. Die Gewährung der Fahrtvergünstigungen steht im Ermessen des [Arbeitgebers]; sie werden bei Mißbrauch entzogen."

5 Zur maßgebenden Zeit bestimmte die vom Arbeitgeber zur Durchführung dieser Vorschriften erlassene Regelung (Staff Travel Facilities Privilege Ticket Regulations) in Klausel 8 ("Ehepartner"):

"Verheirateten Beschäftigten werden Fahrscheine zum Vorzugstarif gewährt für... den Ehepartner, sofern er nicht von dem Beschäftigten gesetzlich getrennt lebt.

...

Für einen "common law opposite sex spouse" [gewöhnlich zur Bezeichnung eines Lebensgefährten des anderen Geschlechts verwendeter Begriff] des Beschäftigten werden Fahrscheine zum Vorzugstarif gewährt... gegen Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung, daß seit zwei Jahren oder länger eine ernsthafte Beziehung besteht..."

6 Diese Regelung stellte ferner die Voraussetzungen auf, unter denen die Fahrtvergünstigungen dem Arbeitnehmer (Klauseln 1 bis 4), dem Arbeitnehmer, der seine Tätigkeit vorläufig oder endgültig beendet hatte (Klauseln 5 bis 7), dem hinterbliebenen Ehepartner des Arbeitnehmers (Klausel 9), den Kindern des Arbeitnehmers (Klauseln 10 und 11) und seinen ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Familienangehörigen (Klausel 12) gewährt werden konnten.

7 Auf der Grundlage dieser Bestimmungen beantragte Frau Grant am 9. Januar 1995 Fahrtvergünstigungen für ihre Lebenspartnerin, mit der sie, wie sie erklärte, seit über zwei Jahren "eine ernsthafte Beziehung" unterhielt.

8 Die SWT verweigerte die beantragten Vergünstigungen, weil sie bei Unverheirateten nur für einen Partner des anderen Geschlechts gewährt werden könnten.

9 Frau Grant erhob daraufhin beim Industrial Tribunal Southampton Klage gegen die SWT und trug vor, die Verweigerung der Vergünstigungen stelle eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, die gegen den Equal Pay Act 1970, Artikel 119 des Vertrages und/oder die Richtlinie 76/207 verstosse. Sie machte insbesondere geltend, daß dem früheren Inhaber ihrer Stelle, einem Mann, der erklärt habe, seit über zwei Jahren eine ernsthafte Beziehung mit einer Frau zu haben, die Vergünstigungen gewährt worden seien, die man ihr verweigert habe.

10 Das Industrial Tribunal sah die Schwierigkeit, mit der es konfrontiert war, darin, ob es sich bei der mit der sexuellen Orientierung der Angestellten begründeten Verweigerung der streitigen Vergünstigungen um eine "Diskriminierung aufgrund des Geschlechts" im Sinne von Artikel 119 des Vertrages und der Richtlinien über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen handelte. Es führte aus, daß zwar einige Gerichte des Vereinigten Königreichs Entscheidungen erlassen hätten, die diese Frage verneinten, daß aber das Urteil des Gerichtshofes vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-13/94 (P./S., Slg. 1996, I-2143) "ein überzeugender Beleg für die These ist, daß Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung rechtswidrig sind".

11 Aus diesen Gründen hat das nationale Gericht dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Verstösst es (vorbehaltlich der nachstehenden Frage 6) gegen den in Artikel 119 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und in Artikel 1 der Richtlinie 75/117 des Rates niedergelegten Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, daß einem Beschäftigten Fahrtvergünstigungen für einen mit ihm in nichtehelicher Gemeinschaft zusammenlebenden Partner des gleichen Geschlechts verweigert werden, während diese Vergünstigungen für den Ehepartner eines solchen Beschäftigten oder für einen mit ihm in nichtehelicher Gemeinschaft zusammenlebenden Partner des anderen Geschlechts gewährt werden?

2. Schließt eine "Diskriminierung aufgrund des Geschlechts" im Sinne von Artikel 119 eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung des Beschäftigten ein?

3. Schließt eine "Diskriminierung aufgrund des Geschlechts" im Sinne von Artikel 119 eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts des Partners dieses Beschäftigten ein?

4. Wenn Frage 1 bejaht wird, besitzt dann ein Beschäftigter, dem solche Vergünstigungen verweigert werden, einen unmittelbar durchsetzbaren gemeinschaftsrechtlichen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber?

5. Verstösst eine solche Weigerung gegen die Bestimmungen der Richtlinie 76/207 des Rates?

6. Kann ein Arbeitgeber eine solche Weigerung eher rechtfertigen, wenn er nachweist, a) daß der Zweck dieser Vergünstigungen darin besteht, Ehepartnern oder Partnern in einer mit der von Ehepartnern gleichwertigen Situation Vorteile zu verschaffen, und b) daß die Beziehungen zwischen zusammenlebenden Partnern des gleichen Geschlechts von der Gesellschaft herkömmlicherweise nicht als mit der Ehe gleichwertig angesehen worden sind und im allgemeinen nicht angesehen werden, als wenn er sich auf einen wirtschaftlichen oder organisatorischen Grund im Zusammenhang mit dem betreffenden Beschäftigungsverhältnis beruft?

12 Wegen ihres engen Zusammenhangs sind diese sechs Fragen gemeinsam zu prüfen.

13 Der Gerichtshof hat bereits entschieden, daß Fahrtvergünstigungen, die ein Arbeitgeber seinen ehemaligen Arbeitnehmern, ihren Ehepartnern oder den ihnen gegenüber unterhaltsberechtigten Personen aufgrund des Dienstverhältnisses gewährt, Bestandteile des "Entgelts" im Sinne von Artikel 119 des Vertrages sind (vgl. Urteil vom 9. Februar 1982 in der Rechtssache 12/81, Garland, Slg. 1982, 359, Randnr. 9).

14 Im vorliegenden Fall steht fest, daß eine vom Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsvertrags gewährte Fahrtvergünstigung für den Ehepartner oder die Person des anderen Geschlechts, mit der der Arbeitnehmer eine feste nichteheliche Beziehung unterhält, unter Artikel 119 des Vertrages fällt. Eine solche Vergünstigung fällt daher nicht unter die in der fünften Frage des vorlegenden Gerichts erwähnte Richtlinie 76/207 (vgl. Urteil vom 13. Februar 1996 in der Rechtssache C-342/93, Gillespie u. a., Slg. 1996, I-475, Randnr. 24).

15 Aus dem Wortlaut der anderen Fragen und den Gründen der Vorlageentscheidung ergibt sich, daß das vorlegende Gericht wissen möchte, ob die Weigerung eines Arbeitgebers, eine Fahrtvergünstigung für eine Person des gleichen Geschlechts, mit der ein Arbeitnehmer eine feste Beziehung unterhält, zu gewähren, eine durch Artikel 119 des Vertrages und die Richtlinie 75/117 verbotene Diskriminierung darstellt, wenn eine solche Vergünstigung für den Ehepartner des Arbeitnehmers oder die Person des anderen Geschlechts, mit der der Arbeitnehmer eine feste nichteheliche Beziehung unterhält, gewährt wird.

16 Frau Grant trägt zunächst vor, eine solche Weigerung stelle eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar. Ihr Arbeitgeber hätte nämlich eine andere Entscheidung getroffen, wenn die fraglichen Vergünstigungen von einem Mann, der mit einer Frau zusammenlebe, und nicht von einer Frau, die mit einer Frau zusammenlebe, beantragt worden wären.

17 Frau Grant führt dazu aus, die blosse Tatsache, daß der männliche Arbeitnehmer, der vorher ihre Stelle besetzt habe, die Fahrtvergünstigungen für seine Partnerin erhalten habe, ohne mit ihr verheiratet gewesen zu sein, genüge, um eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts festzustellen. Eine Arbeitnehmerin sei Opfer einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, wenn sie bei im übrigen gleicher Sachlage nicht die gleichen Vergünstigungen erhalte wie ein männlicher Arbeitnehmer (sogenannte Betrachtungsweise des "but for test", d. h. des "Kriteriums des einzigen Unterscheidungsmerkmals").

18 Frau Grant trägt sodann vor, eine solche Weigerung stelle eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung dar, die im Begriff "Diskriminierung aufgrund des Geschlechts" im Sinne von Artikel 119 des Vertrages enthalten sei. Eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der sexuellen Orientierung gehe auf Vorurteile in bezug auf das sexuelle oder affektive Verhalten von Personen eines bestimmten Geschlechts zurück und beruhe in Wirklichkeit auf dem Geschlecht dieser Personen. Eine solche Auslegung ergebe sich auch aus dem erwähnten Urteil P./S. und entspreche sowohl den Entschließungen und Empfehlungen der Gemeinschaftsorgane als auch der Entwicklung der internationalen Normen über die Menschenrechte und der nationalen Normen über die Gleichbehandlung.

19 Schließlich macht Frau Grant geltend, die Weigerung ihr gegenüber sei nicht objektiv gerechtfertigt.

20 Die SWT sowie die französische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs vertreten die Auffassung, die Verweigerung einer Vergünstigung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verstosse nicht gegen Artikel 119 des Vertrages. Zunächst beschränke sich das erwähnte Urteil P./S., das sich nur auf den Fall einer Geschlechtsumwandlung beziehe, darauf, die Diskriminierungen aufgrund eines Wechsels des Geschlechts den Diskriminierungen aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht gleichzustellen.

21 Sodann beruhe die von Frau Grant beanstandete unterschiedliche Behandlung nicht auf deren sexueller Orientierung oder Neigung, sondern darauf, daß sie nicht die in der Regelung des Unternehmens aufgestellten Voraussetzungen erfuelle.

22 Schließlich machen sie geltend, es handele sich bei Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung nicht um "Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts" im Sinne von Artikel 119 des Vertrages oder der Richtlinie 75/117. Sie verweisen dazu insbesondere auf den Wortlaut und die Ziele dieses Artikels, auf den mangelnden Konsens zwischen den Mitgliedstaaten über die Gleichstellung fester Beziehungen zwischen Personen des gleichen Geschlechts mit festen Beziehungen zwischen Personen verschiedenen Geschlechts, auf den fehlenden Schutz dieser Beziehungen nach Artikel 8 oder Artikel 12 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (im folgenden: Konvention) sowie auf das Fehlen einer sich daraus ergebenden Diskriminierung im Sinne von Artikel 14 der Konvention.

23 Die Kommission ist ebenfalls der Ansicht, daß die Weigerung gegenüber Frau Grant weder gegen Artikel 119 des Vertrages noch gegen die Richtlinie 75/117 verstosse. Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung von Arbeitnehmern könnten zwar als "Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts" im Sinne dieses Artikels betrachtet werden. Die von Frau Grant beanstandete Diskriminierung beruhe jedoch nicht auf ihrer sexuellen Orientierung, sondern darauf, daß sie nicht als "Ehepaar" oder mit einem "Ehepartner" in dem Sinne lebe, den das Recht der meisten Mitgliedstaaten, das Gemeinschaftsrecht und das Recht der Konvention diesen Begriffen beimässen. Unter diesen Umständen verstosse die unterschiedliche Behandlung, die in der Regelung vorgenommen werde, die in dem Unternehmen gelte, in dem Frau Grant beschäftigt sei, nicht gegen Artikel 119 des Vertrages.

24 Angesichts des Akteninhalts ist zunächst die Frage zu beantworten, ob eine in einer Unternehmensregelung aufgestellte Voraussetzung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts des Arbeitnehmers darstellt. Falls dies verneint wird, ist zu prüfen, ob das Gemeinschaftsrecht verlangt, daß feste Beziehungen zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts von jedem Arbeitgeber den Beziehungen zwischen Verheirateten oder festen nichtehelichen Beziehungen zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts gleichgestellt werden. Schließlich ist die Frage zu beantworten, ob eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts des Arbeitnehmers darstellt.

25 Erstens ist festzustellen, daß die in dem Unternehmen, in dem Frau Grant beschäftigt ist, geltende Regelung die Gewährung von Fahrtvergünstigungen an den Arbeitnehmer, an seinen "Ehepartner", d. h. die Person, mit der er verheiratet ist und von der er nicht gesetzlich getrennt lebt, oder die Person des anderen Geschlechts, mit der er seit zwei Jahren oder länger eine "ernsthafte" Beziehung unterhält, sowie an seine Kinder, seine ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Familienangehörigen und seinen hinterbliebenen Ehepartner vorsieht.

26 Die Weigerung gegenüber Frau Grant ist darauf gestützt, daß sie nicht die in dieser Regelung vorgesehenen Voraussetzungen erfuellt und insbesondere nicht mit einem "Ehepartner" oder einer Person des anderen Geschlechts, mit der sie seit zwei Jahren oder länger eine "ernsthafte" Beziehung unterhält, zusammenlebt.

27 Diese letztgenannte Voraussetzung, wonach der Arbeitnehmer mit einer Person des anderen Geschlechts in einer festen Beziehung zusammenleben muß, um die Fahrtvergünstigungen erhalten zu können, gilt, wie übrigens auch die anderen Voraussetzungen der Regelung des Unternehmens, unabhängig vom Geschlecht des betreffenden Arbeitnehmers. So werden die Fahrtvergünstigungen einem männlichen Arbeitnehmer, wenn er mit einer Person des gleichen Geschlechts zusammenlebt, ebenso verweigert wie einer Arbeitnehmerin, die mit einer Person des gleichen Geschlechts zusammenlebt.

28 Da die in der Regelung des Unternehmens aufgestellte Voraussetzung für die weiblichen wie für die männlichen Arbeitnehmer in gleicher Weise gilt, kann sie nicht als eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts betrachtet werden.

29 Zweitens ist zu prüfen, ob bei der Anwendung einer Voraussetzung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Personen, die eine feste Beziehung mit einem Partner des gleichen Geschlechts unterhalten, sich in der gleichen Situation befinden wie Verheiratete oder Personen, die eine feste nichteheliche Beziehung mit einem Partner des anderen Geschlechts unterhalten.

30 Frau Grant macht insbesondere geltend, das Recht der Mitgliedstaaten sowie das der Gemeinschaft und anderer internationaler Organisationen stellten die beiden Fälle immer häufiger einander gleich.

31 Das Europäische Parlament hat zwar, wie Frau Grant ausführt, erklärt, daß es jede Art von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Neigung eines Menschen bedauere; die Gemeinschaft hat jedoch bisher keine Vorschriften erlassen, die eine solche Gleichstellung vornehmen.

32 Was das Recht der Mitgliedstaaten angeht, so wird zwar in einigen dieser Staaten die Lebensgemeinschaft zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts der Ehe - wenn auch nur unvollständig - gleichgestellt; aber in den meisten Mitgliedstaaten wird sie den festen nichtehelichen heterosexuellen Beziehungen nur für eine begrenzte Zahl von Ansprüchen gleichgestellt oder ist überhaupt nicht Gegenstand einer ausdrücklichen Anerkennung.

33 Die Europäische Kommission für Menschenrechte hält daran fest, daß dauerhafte homosexuelle Beziehungen trotz der heutigen Entwicklung der Mentalitäten gegenüber der Homosexualität nicht unter das durch Artikel 8 der Konvention geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens fallen (vgl. u. a. Entscheidungen Nr. 9369/81 vom 3. Mai 1983, X. und Y./Vereinigtes Königreich, Decisions and Reports [D. R.] 32, S. 220, Nr. 11716/85 vom 14. Mai 1986, S./Vereinigtes Königreich, D. R. 47, S. 274, Paragraph 2, und Nr. 15666/89 vom 19. Mai 1992, Kerkhoven und Hinke/Niederlande, nicht veröffentlicht, Paragraph 1) und daß nationale Bestimmungen, die zum Schutz der Familie Verheirateten und solchen Personen verschiedenen Geschlechts, die wie Mann und Frau zusammenleben, eine günstigere Behandlung zuteil werden lassen als solchen Personen des gleichen Geschlechts, die dauerhafte Beziehungen unterhalten, nicht gegen Artikel 14 der Konvention verstossen, der insbesondere die Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts verbietet (vgl. Entscheidungen S./Vereinigtes Königreich, a. a. O., Paragraph 7, Nr. 14753/89 vom 9. Oktober 1989, C. und L. M./Vereinigtes Königreich, nicht veröffentlicht, Paragraph 2, und Nr. 16106/90 vom 10. Februar 1990, B./Vereinigtes Königreich, D. R. 64, S. 278, Paragraph 2).

34 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im übrigen in einem anderen Zusammenhang Artikel 12 der Konvention so ausgelegt, daß er sich nur auf die herkömmliche Ehe zwischen zwei Personen verschiedenen biologischen Geschlechts beziehe (Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 17. Oktober 1986, Rees, Serie A, Nr. 106, S. 19, § 49, und vom 27. September 1990, Cossey, Serie A, Nr. 184, S. 17, § 43).

35 Demnach sind beim gegenwärtigen Stand des Rechts innnerhalb der Gemeinschaft die festen Beziehungen zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts den Beziehungen zwischen Verheirateten oder den festen nichtehelichen Beziehungen zwischen Personen verschiedenen Geschlechts nicht gleichgestellt. Folglich ist ein Arbeitgeber nach dem Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet, die Situation einer Person, die eine feste Beziehung mit einem Partner des gleichen Geschlechts unterhält, der Situation einer Person, die verheiratet ist oder die eine feste nichteheliche Beziehung mit einem Partner des anderen Geschlechts unterhält, gleichzustellen.

36 Unter diesen Umständen kann nur der Gesetzgeber gegebenenfalls Maßnahmen treffen, die einen Einfluß auf diese Lage haben können.

37 Frau Grant trägt schließlich vor, nach dem erwähnten Urteil P./S. gehöre eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der sexuellen Orientierung zu den nach Artikel 119 des Vertrages verbotenen "Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts".

38 In dieser letztgenannten Rechtssache war dem Gerichtshof die Frage vorgelegt worden, ob die mit einem Wechsel des Geschlechts begründete Entlassung des betreffenden Arbeitnehmers als "Diskriminierung aufgrund des Geschlechts" im Sinne der Richtlinie 76/207 zu betrachten war.

39 Das vorlegende Gericht hatte sich nämlich gefragt, ob diese Richtlinie nicht einen weiteren Anwendungsbereich habe als der Sex Discrimination Act 1975, den es anzuwenden hatte und der nach seiner Auffassung nur die Diskriminierungen aufgrund der Zugehörigkeit des betreffenden Arbeitnehmers zu dem einen oder dem anderen Geschlecht erfasste.

40 Das Vereinigte Königreich und die Kommission hatten in ihren Erklärungen vor dem Gerichtshof vorgetragen, die Richtlinie verbiete nur die Diskriminierungen, die ihre Ursache in der Zugehörigkeit des betreffenden Arbeitnehmers zu dem einen oder dem anderen Geschlecht hätten, nicht aber die Diskriminierungen aufgrund einer Geschlechtsumwandlung des Betroffenen.

41 Zu diesem Vorbringen hat der Gerichtshof ausgeführt, daß die Bestimmungen der Richtlinie, die Diskriminierungen zwischen Männern und Frauen verbieten, nur eine für ihren begrenzten Bereich geltende Ausprägung des Gleichheitsgrundsatzes sind, der eines der Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts darstellt. Nach Auffassung des Gerichtshofes spricht dieser Umstand gegen eine enge Auslegung dieser Bestimmungen und führt zu ihrer Anwendung auf Diskriminierungen, die ihre Ursache in einer Geschlechtsumwandlung des Arbeitnehmers haben.

42 Der Gerichtshof hat die Ansicht vertreten, daß solche Diskriminierungen in Wirklichkeit hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich auf dem Geschlecht der betroffenen Person beruhen. Eine solche Begründung, die zu der Annahme führt, daß diese Diskriminierungen ebenso zu verbieten sind wie die Diskriminierungen aufgrund der Zugehörigkeit einer Person zu einem bestimmten Geschlecht, mit denen sie sehr eng zusammenhängen, ist auf den Fall der Geschlechtsumwandlung eines Arbeitnehmers beschränkt und gilt daher nicht für die unterschiedliche Behandlung aufgrund der sexuellen Orientierung einer Person.

43 Frau Grant ist allerdings der Meinung, daß die Gemeinschaftsbestimmungen über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen ebenso wie einige Bestimmungen des nationalen Rechts oder internationaler Übereinkünfte so auszulegen seien, daß sie die Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung erfassten. Sie verweist insoweit insbesondere auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (UN Treaty Series, Band 999, S. 171), in dem der Begriff "Geschlecht" nach Ansicht des gemäß Artikel 28 des Paktes errichteten Ausschusses für Menschenrechte auch die sexuelle Orientierung erfasse (Mitteilung Nr. 488/1992, Toonen/Australien, Feststellungen vom 31. März 1994, 50. Sitzung, Nr. 8.7).

44 Dieser Pakt gehört zu den völkerrechtlichen Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte, denen der Gerichtshof bei der Anwendung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts Rechnung trägt (vgl. z. B. Urteile vom 18. Oktober 1989 in der Rechtssache 374/87, Orkem/Kommission, Slg. 1989, 3283, Randnr. 31, und vom 18. Oktober 1990 in den Rechtssachen C-297/88 und C-197/89, Dzodzi, Slg. 1990, I-3763, Randnr. 68).

45 Zwar ist die Wahrung der Grundrechte, die Bestandteil dieser allgemeinen Grundsätze sind, eine Voraussetzung für die Rechtmässigkeit der Gemeinschaftshandlungen; diese Rechte können jedoch als solche nicht dazu führen, daß der Anwendungsbereich der Bestimmungen des Vertrages über die Zuständigkeiten der Gemeinschaft hinaus erweitert wird (vgl. insbesondere zur Tragweite von Artikel 235 EG-Vertrag in bezug auf die Wahrung der Menschenrechte Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, Slg. 1996, I-1759, Randnrn. 34 und 35).

46 Ausserdem hat sich der Ausschuß für Menschenrechte, der übrigens keine gerichtliche Instanz ist und dessen Feststellungen keinen rechtsverbindlichen Charakter haben, in seiner Mitteilung, auf die Frau Grant verweist, darauf beschränkt, wörtlich und ohne besondere Begründung "zu bemerken, daß nach seiner Auffassung die Bezugnahme auf das "Geschlecht" in Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 26 so zu verstehen ist, daß auch die sexuelle Orientierung erfasst wird".

47 Eine solche Bemerkung, die im übrigen nicht die bis heute allgemein anerkannte Auslegung des in verschiedenen völkerrechtlichen Übereinkünften zum Schutz der Grundrechte enthaltenen Begriffes der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts wiederzugeben scheint, kann daher den Gerichtshof jedenfalls nicht veranlassen, die Bedeutung des Artikels 119 des Vertrages zu erweitern. Somit kann die Bedeutung dieses Artikels ebenso wie die jeder anderen Vorschrift des Gemeinschaftsrechts nur unter Berücksichtigung seines Wortlauts und seines Zweckes sowie seiner Stellung im System des Vertrages und des rechtlichen Zusammenhangs, in den er sich einfügt, bestimmt werden. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich aber, daß das Gemeinschaftsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht erfasst.

48 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß der am 2. Oktober 1997 unterzeichnete Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte die Einfügung eines Artikels 6a in den EG-Vertrag vorsieht, der es nach dem Inkrafttreten dieses Vertrages dem Rat ermöglichen wird, unter bestimmten Voraussetzungen (einstimmiges Votum auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung des Europäischen Parlaments) die zur Beseitigung verschiedener Formen von Diskriminierungen, insbesondere derjenigen aufgrund der sexuellen Ausrichtung, geeigneten Vorkehrungen zu treffen.

49 In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen braucht schließlich das Argument von Frau Grant, eine Weigerung wie die ihr gegenüber ausgesprochene sei objektiv nicht gerechtfertigt, nicht geprüft zu werden.

50 Sonach ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, daß die Weigerung eines Arbeitgebers, eine Fahrtvergünstigung für eine Person des gleichen Geschlechts, mit der der Arbeitnehmer eine feste Beziehung unterhält, zu gewähren, während eine solche Vergünstigung für den Ehepartner des Arbeitnehmers oder die Person des anderen Geschlechts, mit der der Arbeitnehmer eine feste nichteheliche Beziehung unterhält, gewährt wird, keine durch Artikel 119 des Vertrages oder die Richtlinie 75/117 verbotene Diskriminierung darstellt.

Kostenentscheidung:

Kosten

51 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der französischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Industrial Tribunal Southampton mit Entscheidung vom 19. Juli 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Die Weigerung eines Arbeitgebers, eine Fahrtvergünstigung für eine Person des gleichen Geschlechts, mit der der Arbeitnehmer eine feste Beziehung unterhält, zu gewähren, während eine solche Vergünstigung für den Ehepartner des Arbeitnehmers oder die Person des anderen Geschlechts, mit der der Arbeitnehmer eine feste nichteheliche Beziehung unterhält, gewährt wird, stellt keine durch Artikel 119 EG-Vertrag oder die Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen verbotene Diskriminierung dar.

Ende der Entscheidung

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