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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.06.1991
Aktenzeichen: C-251/89
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 1408/71, VO (EWG) Nr. 1408/71, EWG-Vertrag


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 5
VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 77
VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 78
VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 81a
EWG-Vertrag Art. 5
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ist in den Fällen des Artikels 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i und des Artikels 78 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 der Betrag der vom Wohnmitgliedstaat gezahlten Leistungen niedriger als der Betrag der von einem anderen Mitgliedstaat geschuldeten Leistungen, so hat der Rentner oder die Waise eines verstorbenen Arbeitnehmers oder

Selbständigen auch dann gegenüber dem zuständigen Träger des letztgenannten Staates Anspruch auf eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen beiden Beträgen, wenn die Gewährung der Leistungen nach dem Recht dieses Staates voraussetzt, daß sowohl der Berechtigte als auch das berücksichtigungsfähige Kind im Inland wohnen.

2. Zwar kann aus dem Umstand allein, daß bestimmte aufgrund eines nationalen Gesetzes oder einer sonstigen nationalen Regelung gewährte Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern in der Erklärung nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht aufgeführt sind, nicht abgeleitet werden, daß diese Leistungen keine Leistungen im Sinne des Artikels 77 der Verordnung sind. Sind solche Leistungen aber in dieser Erklärung aufgeführt, so sind sie als Leistungen im Sinne des Artikels 77 der Verordnung anzusehen.

3. Der Anspruch auf eine Zusatzleistung für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern, durch den die Freizuegigkeit der Erwerbstätigen gefördert werden soll, indem den Betroffenen der Bezug von Leistungen in derselben Höhe gewährleistet wird, wie sie sie erhalten hätten, wenn sie ihren Wohnort in dem die höheren Leistungen gewährenden Mitgliedstaat beibehalten hätten, besteht auch dann, wenn der Rentner einen Rentenanspruch nach dem Recht des die höheren Leistungen gewährenden Mitgliedstaats erst nach seinem Wohnortwechsel in einen anderen Mitgliedstaat erwirbt, der aufgrund von Artikel 77 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 leistungspflichtig ist.

Bei der Gewährung dieser Zusatzleistung sind alle unterhaltsberechtigten Kinder des Rentners einschließlich derjenigen zu berücksichtigen, die nach dem Wohnortwechsel des Rentners in dem die niedrigeren Leistungen gewährenden Mitgliedstaat geboren sind.

4. Sieht das Recht des Mitgliedstaats, der zur Zahlung von durch Artikel 77 oder Artikel 78 der Verordnung Nr. 1408/71 erfassten Leistungen oder zur Zahlung einer Zusatzleistung verpflichtet ist, die Minderung dieser

Leistungen gemäß dem Nettojahreseinkommen des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen vor, so lassen die genannten beiden Vorschriften eine solche Minderung auch dann zu, wenn der Leistungsempfänger in einem anderen als dem leistungspflichtigen Mitgliedstaat wohnt. In diesem Fall hat der zuständige Träger des leistungspflichtigen Mitgliedstaats, gestützt auf die Auskünfte und Belege, die der Leistungsempfänger und die zuständigen Behörden des Wohnmitgliedstaats ihm auf sein Verlangen übermitteln, zur Feststellung des Nettojahreseinkommens des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen und zur Berechnung des Betrags der Leistungen oder der Zusatzleistung, auf den der Leistungsempfänger Anspruch hat, die einschlägigen Rechtsvorschriften seines Staates so anzuwenden, wie wenn der Leistungsempfänger und seine im selben Mitgliedstaat wie er wohnenden Familienangehörigen im leistungspflichtigen Mitgliedstaat wohnten und dort das Einkommen beziehen würden, das sie im Wohnmitgliedstaat erzielen.

Der zuständige Träger des leistungspflichtigen Mitgliedstaats kann jedoch weder von dem Betroffenen andere Auskünfte und Belege verlangen, als sie von einer im selben Mitgliedstaat wohnenden Person, die ein normales Maß an Sorgfalt aufwendet, erteilt oder beigebracht werden könnten, noch darf er, wenn sie nicht erteilt oder nicht beigebracht werden, deswegen andere Sanktionen verhängen, als gegen im Inland wohnende Empfänger der gleichen Leistungen verhängt würden, die aufgefordert worden sind, gleiche oder gleichwertige Angaben zu machen.

5. Es gehört zu den Pflichten der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer aus Artikel 81 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71, ein Verzeichnis derjenigen Träger der Mitgliedstaaten aufzustellen, die dem zuständigen Träger des nach den Artikeln 77 oder 78 der Verordnung Nr. 1408/71 zur Zahlung einer Zusatzleistung verpflichteten Mitgliedstaats die im Beschluß Nr. 129 dieser Verwaltungskommission genannten, für die Berechnung der Zusatzleistung erforderlichen amtlichen Auskünfte zu erteilen haben. Der zuständige Träger des Mitgliedstaats, von

dem die Zahlung einer Zusatzleistung verlangt wird, hat jedoch weiterhin die Möglichkeit, sich bei der Kommission und den Behörden des Wohnmitgliedstaats des Antragstellers, die nach Artikel 5 EWG-Vertrag zu loyaler Zusammenarbeit verpflichtet sind, danach zu erkundigen, welcher Träger des letztgenannten Mitgliedstaats für die Erteilung der im Beschluß Nr. 129 genannten amtlichen Auskünfte zuständig ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 11. JUNI 1991. - NIKOLAOS ATHANASOPOULOS UND ANDERE GEGEN BUNDESANSTALT FUER ARBEIT. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: SOZIALGERICHT NUERNBERG - DEUTSCHLAND. - SOZIALE SICHERHEIT DER WANDERARBEITNEHMER - LEISTUNGEN FUER UNTERHALTSBERECHTIGTE KINDER VON RENTNERN UND FUER WAISEN. - RECHTSSACHE C-251/89.

Entscheidungsgründe:

1 Das Sozialgericht Nürnberg hat mit Beschluß vom 29. Juni 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 8. August 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung der Artikel 77, 78 und 81 Buchstaben a und d der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) kodifizierten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in zehn vom vorlegenden Gericht miteinander verbundenen Rechtsstreitigkeiten zwischen Staatsangehörigen von anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesanstalt für Arbeit, des mit der Durchführung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) beauftragten deutschen Trägers.

3 Alle Kläger des Ausgangsverfahrens (im folgenden: "die Kläger") wohnen in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben aber in der Vergangenheit eine Tätigkeit als Arbeitnehmer oder als Selbständiger (im folgenden für beide: "Erwerbstätiger") in der Bundesrepublik Deutschland ausgeuebt oder sind Hinterbliebene solcher Personen.

4 Mehrere Kläger erhalten sowohl eine Rente nach deutschem Recht als auch eine Rente nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie wohnen. Einige von ihnen beziehen Renten wegen eines Arbeitsunfalls. Aus dem Vorlagebeschluß geht ferner hervor, daß mehrere Kläger, die Renten beziehen, darüber hinaus Familienbeihilfen nach dem Recht des Mitgliedstaats erhalten, in dem sie wohnen.

5 Mehrere andere Kläger sind gegenüber Waisen unterhaltspflichtig, deren verstorbener Elternteil als Arbeitnehmer oder als Selbständiger den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland und denen des Mitgliedstaats, in denen die Waise wohnt, unterlegen hatte. Einige von ihnen erhalten Familienbeihilfen nach dem Recht des letztgenannten Mitgliedstaats.

6 Alle Kläger haben die Gewährung von Kindergeld nach dem BKGG oder die Zahlung einer Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen dem Kindergeld und den Familienbeihilfen beantragt, die das Recht des Mitgliedstaats, in dem sie wohnen, vorsieht.

7 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, das Kindergeld nach dem BKGG stelle jedenfalls dann eine Leistung für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern im Sinne von Artikel 77 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dar, wenn seine Gewährung vom Empfänger einer anderen Rente als einer Rente wegen eines Arbeitsunfalls beantragt werde. Es ist ferner der Auffassung, daß das Kindergeld nach dem BKGG als Leistung für Waisen im Sinne des Artikels 78 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen sei, wenn seine Gewährung für die Waise eines verstorbenen Arbeitnehmers oder Selbständigen beantragt werde. Das vorlegende Gericht verweist insoweit auf die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71, in der das Kindergeld als Leistung im Sinne der Artikel 77 und 78 der Verordnung Nr. 1408/71 aufgeführt sei.

8 Nach Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 erhält "der Rentner, der nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten Rente bezieht,... die Leistungen" für seine unterhaltsberechtigten Kinder "nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet er wohnt..." Desgleichen werden die Leistungen für Waisen nach Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 "für Waisen eines verstorbenen Arbeitnehmers oder Selbständigen, für den die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten gegolten haben, nach den Rechtsvorschriften des Staates [gewährt), in dessen Gebiet die Waisen wohnen..."

9 Am 17. Oktober 1985 erließ die Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (im folgenden: "die Verwaltungskommission") den Beschluß Nr. 129 zur Anwendung des Artikels 77, des Artikels 78 und des Artikels 79 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 (ABl. 1986 C 141, S. 7; im folgenden: "Beschluß Nr. 129").

10 In Nr. 1 dieses Beschlusses heisst es: "Übersteigt der Betrag der Leistungen nach Artikel 77 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats einem dort wohnenden Rentner gewährt wurden, den Betrag der Leistungen, die er nach dem Wohnortwechsel in einen anderen, ebenfalls zur Rentenzahlung verpflichteten Mitgliedstaat bezieht, wird Artikel 77 Absatz 2... so angewandt, daß der Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats insoweit erhalten bleibt, als deren Höhe über dem Betrag der nach den Rechtsvorschriften des neuen Wohnlandes tatsächlich bezogenen

Leistungen liegt." Nach Nr. 5 des Beschlusses Nr. 129 zahlt der zuständige Träger des ersten Mitgliedstaats in diesem Fall zu den nach den Rechtsvorschriften des zweiten Mitgliedstaats gewährten Leistungen eine Zulage in Höhe des Unterschieds zwischen dem Betrag der nach den Rechtsvorschriften des zweiten Mitgliedstaats tatsächlich bezogenen Leistungen und dem Betrag der nach den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats geschuldeten Leistungen.

11 Dieselbe Regelung gilt nach den Nummern 2 und 5 des Beschlusses Nr. 129 auch für die Gewährung von Leistungen nach Artikel 78 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, wenn eine Waise ihren Wohnort von einem Mitgliedstaat, nach dessen Rechtsvorschriften solche Leistungen gewährt wurden, in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, nach dessen Rechtsvorschriften derartige Leistungen für diese Waise geschuldet werden.

12 Darüber hinaus enthält der Beschluß Nr. 129 nähere Bestimmungen über die Art und Weise der Berechnung und der Zahlung der Zusatzleistung, die dem Rentner oder für die Waise nach den Nummern 1, 2 und 5 des Beschlusses geschuldet wird, sowie über die Verpflichtungen der zuständigen Träger der betroffenen Mitgliedstaaten. Insoweit sieht der Beschluß vor, daß der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem der Rentner oder die Waise wohnt, dem zuständigen Träger des Mitgliedstaats, der zur Zahlung der Zusatzleistung verpflichtet ist, bestimmte Informationen übermittelt.

13 Vor dem vorlegenden Gericht sowie im Verwaltungsverfahren, das der Klageerhebung beim vorlegenden Gericht vorausgegangen ist, hat die Beklagte des Ausgangsverfahrens geltend gemacht, die Anträge der Kläger seien unbegründet. Sie hat insbesondere ausgeführt, nach den Artikeln 77 und 78 der Verordnung Nr. 1408/71 seien die Leistungen

für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und die Leistungen für Waisen angesichts der Situation, in der sich die Kläger befänden, nach dem Recht des Mitgliedstaats zu gewähren, in dem sie wohnten. Sie hat ausserdem vorgetragen, nach dem BKGG setze die Zahlung von Kindergeld voraus, daß das berücksichtigungsfähige Kind und die Person, der gegenüber es unterhaltsberechtigt sei, im Inland wohnten. Diese Voraussetzung sei im Fall der Kläger aber nicht erfuellt.

14 Soweit sich die Kläger zur Begründung ihres Antrags auf den Beschluß Nr. 129 berufen haben, hat die Beklagte des Ausgangsverfahrens geltend gemacht, dieser Beschluß könne keine Rechte gewähren, die weder in der Verordnung Nr. 1408/71 noch im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen seien. Ausserdem hat sie vorgetragen, der Beschluß Nr. 129 sei für ihre Dienststellen nicht durchführbar, weil er nicht angebe, welcher Träger im jeweiligen Mitgliedstaat dem zuständigen Träger des Mitgliedstaats, der zur Zahlung der Zusatzleistung verpflichtet sei, die in dem Beschluß genannten Auskünfte für die Berechnung dieser Leistung zu erteilen habe. In einigen Mitgliedstaaten kämen hierfür mehrere Träger in Betracht. Der Umstand, daß der Beschluß Nr. 129 nicht regele, welcher Träger die fraglichen Auskünfte zu erteilen habe, erschwere die Durchführung des Beschlusses, wenn er sie nicht gar unmöglich mache.

15 Vor diesem Hintergrund hat das vorlegende Gericht beschlossen, die Verfahren auszusetzen, bis der Gerichtshof eine Vorabentscheidung über folgende Fragen erlassen hat:

1) Ist von einem Mitgliedstaat, der einem ehemals dort beschäftigten und versicherten Wanderarbeitnehmer oder dessen Waise Rente gewährt, gemäß den Artikeln 77, 78 der

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ein Unterschiedsbetrag zwischen dortigen Familienbeihilfen und den Familienbeihilfen eines anderen Mitgliedstaats, in dem der Rentner sowie seine Kinder oder die Waise wohnen und der ebenfalls Rente gewährt, zu zahlen, wenn der Anspruch auf Familienbeihilfen nach dem nationalen Recht des erstgenannten Mitgliedstaats, hier Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz, einen inländischen Wohnsitz sowohl des Berechtigten als auch des berücksichtigungsfähigen Kindes erfordert? Ist Artikel 77 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 9. Juni 1980 (ABl. C 139, S. 7), für einen Bezieher einer deutschen Verletztenrente wegen eines Berufsunfalls anwendbar, wenn dieser deutsches Kindergeld beantragt?

2) Ist der Anspruch auch dann gegeben, wenn der Rentenanspruch erst nach dem Wohnortwechsel ins Heimatland entsteht? Steht Kindergeld einem Rentner dann nur unter Berücksichtigung derjenigen Familienangehörigen zu, für die der Anspruch vor seinem Wohnortwechsel begründet war oder für alle Familienangehörigen, die der Rentner zur Zeit des Rentenbezugs hat, einschließlich derjenigen, die erst nach seinem Wohnortwechsel geboren sind?

3) Wenn ein Anspruch auf Kindergeld in Anwendung der Artikel 77, 78 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gegeben sein sollte, steht es dann in voller Höhe oder in nach deutschen nationalen Minderungsvorschriften (§§ 10, 11 BKGG) einkommensbezogen geminderter Höhe zu? Wie ist gegebenenfalls der einkommensabhängige Teil zu berechnen? Wie sind gegebenenfalls die von Steuerfreibeträgen und sonstigen steuerlichen Abzuegen abhängigen Nettöinkünfte des Rentners oder der Waise und ihrer Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat festzustellen und auf das kindergeldrechtlich erhebliche Einkommen anzurechnen?

4) Ist im Hinblick auf Artikel 81 Buchstaben a und d der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 der Beschluß Nr. 129 der Verwaltungskommission vom 17. Oktober 1985 ausreichend? Gehört es insbesondere zu den Pflichten der Verwaltungskommission, eine Regelung herbeizuführen, welcher von mehreren in Betracht kommenden Trägern eines anderen Mitgliedstaats eine verbindliche Auskunft zu erteilen hat?

16 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der anwendbaren Regelung, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

17 Zum ersten Teil der ersten Frage des vorlegenden Gerichts ist vorab daran zu erinnern, daß Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i und Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht so ausgelegt werden dürfen, daß der Erwerbstätige oder die Waise eines verstorbenen Erwerbstätigen deshalb, weil die von einem Mitgliedstaat gewährten Leistungen durch in einem anderen Mitgliedstaat geschuldete Leistungen ersetzt werden, nicht mehr die höheren Leistungen erhält. Wenn daher in den durch diese Vorschriften erfassten Fällen der Betrag der vom Wohnstaat gezahlten Leistungen niedriger ist als der Betrag der von dem anderen leistungspflichtigen Staat gewährten Leistungen, so erhält der Erwerbstätige oder die Waise des verstorbenen Erwerbstätigen weiterhin den höheren Betrag und hat gegenüber dem zuständigen Träger des letztgenannten Staates Anspruch auf eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen den beiden Beträgen (siehe Urteil vom 14. März 1989 in der Rechtssache 1/88, Baldi, Slg. 1989, 667; im gleichen Sinn Urteil vom 9. Juli 1980 in der Rechtssache 807/79, Gravina, Slg. 1980, 2205, Randnr. 8).

18 Mit dem ersten Teil der ersten Frage will das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob der Erwerbstätige und die Waise eines verstorbenen Erwerbstätigen Anspruch auf eine solche Zusatzleistung haben, wenn nach dem Recht des Mitgliedstaats, der die höheren Leistungen gewährt, deren Gewährung voraussetzt, daß der Berechtigte und das berücksichtigungsfähige Kind im Inland wohnen.

19 In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß die Verordnung Nr. 1408/71 im Lichte des mit Artikel 51 EWG-Vertrag - ihrer Rechtsgrundlage - verfolgten Ziels auszulegen ist, die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer zu sichern.

20 Dieses Ziel würde aber nicht erreicht, wenn das Recht eines Mitgliedstaats über die Fälle hinaus, die die gemeinschaftsrechtliche Regelung im Einklang mit den Zielen des Vertrages ausdrücklich vorsieht, die Gewährung der Vergünstigungen der sozialen Sicherheit, die nach diesem Recht geschuldet werden, von der Voraussetzung abhängig machen würde, daß der Arbeitnehmer im betreffenden Mitgliedstaat wohnt. Bezueglich der Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und der Leistungen für Waisen sehen die Artikel 77 Absatz 2 und 78 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich vor, daß diese Leistungen nach Maßgabe dieser Vorschriften ohne Rücksicht darauf gewährt werden, in welchem Mitgliedstaat die Rentner und die Kinder oder aber die Waisen oder die Person, die ihren Unterhalt bestreitet, wohnen.

21 Ausserdem wird der Anspruch auf eine Zusatzleistung für Waisen oder für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern den Waisen und den

Rentnern gerade dann zuerkannt, wenn sie nicht in dem Mitgliedstaat wohnen, der die höheren Leistungen gewährt. Die Zuerkennung eines solchen Anspruchs wäre demnach völlig wertlos, wenn das Recht dieses Mitgliedstaats die Gewährung der Leistungen von der Voraussetzung abhängig machen würde, daß sowohl der Berechtigte als auch das berücksichtigungsfähige Kind im Inland wohnen, und wenn diese Voraussetzung der Waise und dem Rentner, die eine Zusatzleistung beantragen, entgegengehalten werden könnte.

22 Daher ist auf den ersten Teil der ersten Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß der Rentner oder die Waise eines verstorbenen Arbeitnehmers oder Selbständigen, sofern in den Fällen des Artikels 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i und des Artikels 78 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 der Betrag der vom Wohnmitgliedstaat gezahlten Leistungen niedriger ist als der Betrag der von einem anderen Mitgliedstaat geschuldeten Leistungen, auch dann gegenüber dem zuständigen Träger des letztgenannten Staates Anspruch auf eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen beiden Beträgen hat, wenn die Gewährung der Leistungen nach dem Recht dieses Staates voraussetzt, daß sowohl der Berechtigte als auch das berücksichtigungsfähige Kind im Inland wohnen.

23 Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß das vorlegende Gericht mit dem zweiten Teil der ersten Frage wissen will, ob Artikel 77 der Verordnung Nr. 1408/71 im Hinblick auf die Erklärung, die die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 5 dieser Verordnung abgegeben

hat, für das Kindergeld nach dem BKGG gilt, wenn dieses vom Empfänger einer Rente wegen eines Arbeitsunfalls beantragt wird.

24 Das vorlegende Gericht führt hierzu aus, nach Artikel 77 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 seien Kinderzulagen zu Renten aus der Versicherung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten aus dem Geltungsbereich des Artikels 77 ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluß lasse sich dahin gehend auslegen, daß damit alle für Kinder von Empfängern solcher Renten gewährten Familienleistungen nicht in den Geltungsbereich des Artikels 77 fielen.

25 Nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 geben "die Mitgliedstaaten... in Erklärungen, die gemäß Artikel 97 notifiziert und veröffentlicht werden,... die Leistungen im Sinne der Artikel 77 und 78 an".

26 In der Erklärung nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. 1980 C 139, S. 1) in ihrer geänderten Fassung (ABl. 1983 C 351, S. 1) hat die Bundesrepublik Deutschland unter den Leistungen im Sinne von Artikel 77 der Verordnung das "Kindergeld" nach dem "Bundeskindergeldgesetz vom 14. April 1964 mit Änderungen und Ergänzungen in der jeweils geltenden Fassung" aufgeführt.

27 Diese Erklärung enthält keine Ausnahme für den Fall, daß das Kindergeld nach dem BKGG ganz oder teilweise an Empfänger einer Rente wegen eines Arbeitsunfalls gezahlt wird.

28 Zwar kann aus dem Umstand allein, daß bestimmte aufgrund eines

nationalen Gesetzes oder einer sonstigen nationalen Regelung gewährte Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern in der Erklärung nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht aufgeführt sind, nicht abgeleitet werden, daß diese Leistungen keine Leistungen im Sinne des Artikels 77 der Verordnung sind. Sind solche Leistungen aber in dieser Erklärung aufgeführt, so sind sie als Leistungen im Sinne des Artikels 77 der Verordnung anzusehen.

29 Daher ist auf den zweiten Teil der ersten Frage zu antworten, daß das Kindergeld nach dem BKGG im Hinblick auf die Erklärung, die die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 abgegeben hat, auch dann als Leistung im Sinne des Artikels 77 dieser Verordnung anzusehen ist, wenn es vom Empfänger einer Rente wegen eines Arbeitsunfalls beantragt wird.

Zur zweiten Frage

30 Wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt, will das vorlegende Gericht mit der zweiten Frage erstens wissen, ob ein Erwerbstätiger, der eine Rente nach dem Recht des Mitgliedstaats bezieht, in dem er wohnt, und der nach einer Verlegung seines Wohnorts in diesen Mitgliedstaat einen Rentenanspruch nach dem Recht des Mitgliedstaats erwirbt, der die höheren Leistungen gewährt, gegenüber diesem Mitgliedstaat Anspruch auf eine Zusatzleistung hat. Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob bei der Berechnung der Zusatzleistung diejenigen Kinder des Rentners zu berücksichtigen sind, die nach der Verlegung seines Wohnorts in den Mitgliedstaat, der die niedrigeren Leistungen gewährt, geboren sind.

31 Das vorlegende Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juni 1980 in der Rechtssache 733/79 (Laterza, Slg. 1980, 1915), wonach Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, daß der Anspruch auf Familienleistungen gegen den Staat, in dem der Empfänger einer Invaliditätsrente wohnt, den schon länger bestehenden Anspruch auf höhere Familienleistungen gegen einen anderen Mitgliedstaat nicht untergehen lässt. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte der Zweck des Anspruchs auf eine Zusatzleistung gegen den Mitgliedstaat, der die höheren Leistungen gewährt, demnach darin bestehen, lediglich die Erhaltung der vor dem Wohnortwechsel erworbenen Ansprüche zu gewährleisten.

32 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Anspruch auf die durch Artikel 77 der Verordnung Nr. 1408/71 erfassten Leistungen mit dem Rentenanspruch verknüpft ist. Aus Artikel 77 Absatz 2 ergibt sich nämlich, daß diese Leistungen nach dem Recht des Mitgliedstaats oder eines der Mitgliedstaaten gewährt werden, die zur Zahlung einer Rente an den Betroffenen verpflichtet sind.

33 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß die Anerkennung eines Anspruchs auf eine Zusatzleistung die Freizuegigkeit der Erwerbstätigen fördern soll, indem den Betroffenen der Bezug von Leistungen in derselben Höhe gewährleistet wird, wie sie sie erhalten hätten, wenn sie ihren Wohnort in dem Mitgliedstaat beibehalten hätten, der die höheren Leistungen gewährt.

34 Würde ein Anspruch auf diese Zusatzleistung denjenigen Erwerbstätigen nicht zuerkannt, die einen Rentenanspruch nach dem Recht des Mitgliedstaats, der die höheren Leistungen gewährt, erst erwerben, nachdem sie ihren Wohnsitz in den anderen, ebenfalls zur Zahlung einer Rente an sie verpflichteten Mitgliedstaat verlegt haben, so würden die Erwerbstätigen dadurch in ihrer Freizuegigkeit behindert.

35 Die Erwerbstätigen müssten nämlich dann, um in den Genuß der höheren Leistungen zu kommen, ihren Wohnort in dem Mitgliedstaat, der diese Leistungen gewährt, so lange beibehalten, bis sie einen Rentenanspruch nach dem Recht dieses Mitgliedstaats haben.

36 Dies würde dem mit der Verordnung Nr. 1408/71 verfolgten Ziel zuwiderlaufen, das die Rechtfertigung für die Anerkennung eines Anspruchs auf eine Zusatzleistung darstellt.

37 Aufgrund dieser Erwägungen ist es auch erforderlich, bei der Gewährung der Zusatzleistung nicht nur die unterhaltsberechtigten Kinder des Rentners, die vor der Verlegung seines Wohnorts in den Mitgliedstaat, der die niedrigeren Leistungen gewährt, geboren sind, sondern auch die nach diesem Wohnortwechsel geborenen Kinder zu berücksichtigen.

38 Daher ist auf den ersten Teil der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß der Anspruch auf eine Zusatzleistung für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern auch dann besteht, wenn der Rentner einen Rentenanspruch nach dem Recht des Mitgliedstaats, der die höheren Leistungen gewährt, erst nach seinem Wohnortwechsel in einen anderen Mitgliedstaat erwirbt, der aufgrund von Artikel 77 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 leistungspflichtig ist. Ferner ist auf den zweiten Teil dieser zweiten Frage zu antworten, daß bei der Gewährung der Zusatzleistung alle unterhaltsberechtigten Kinder des Rentners einschließlich derjenigen zu berücksichtigen sind, die nach dem Wohnortwechsel des Rentners in den Mitgliedstaat, der die

niedrigeren Leistungen gewährt, geboren sind.

Zur dritten Frage

39 Vorab ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof im Rahmen des Artikels 177 EWG-Vertrag nicht befugt ist, über die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften zu befinden. Er kann dem vorlegenden Gericht jedoch die Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand geben, die es diesem ermöglichen, die Rechtsfrage, mit der es befasst ist, zu lösen.

40 Die dritte Vorlagefrage ist daher als darauf gerichtet zu verstehen, ob die Artikel 77 und 78 der Verordnung Nr. 1408/71, sofern das Recht des Mitgliedstaats, der zur Zahlung von durch eine dieser beiden Vorschriften erfassten Leistungen oder zur Zahlung einer Zusatzleistung verpflichtet ist, die Minderung dieser Leistungen gemäß dem Nettojahreseinkommen des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen vorsieht, eine solche Minderung auch dann zulassen, wenn der Empfänger der Leistungen oder der Zusatzleistung in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. Bejahendenfalls will das vorlegende Gericht wissen, wie das Nettojahreseinkommen des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen festzustellen und wie es ohne Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht bei der Berechnung der Höhe der Leistungen oder der Zusatzleistung, auf die der Leistungsempfänger Anspruch hat, zu berücksichtigen ist.

41 Bei der Prüfung der ersten Teilfrage ist danach zu unterscheiden, ob der Mitgliedstaat, dessen Recht die Minderung der durch Artikel 77 oder durch Artikel 78 der Verordnung Nr. 1408/71

erfassten Leistungen gemäß dem Nettojahreseinkommen des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen vorsieht, aufgrund von Artikel 77 Absatz 2 oder Artikel 78 Absatz 2 leistungspflichtig ist oder ob er um Zahlung einer Zusatzleistung ersucht wird.

42 Bezueglich des ersten Falles ist darauf hinzuweisen, daß die Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern gemäß Artikel 77 der Verordnung Nr. 1408/71 nach dem Recht des in Absatz 2 dieser Vorschrift bezeichneten Mitgliedstaats ohne Rücksicht darauf gewährt werden, in welchem Mitgliedstaat der Rentner oder seine Kinder wohnen. Desgleichen werden gemäß Artikel 78 der Verordnung Nr. 1408/71 die Leistungen für Waisen nach dem Recht des in Absatz 2 dieser Vorschrift bezeichneten Mitgliedstaats ohne Rücksicht darauf gewährt, in welchem Mitgliedstaat die Waise oder die Person, die ihren Unterhalt bestreitet, wohnt.

43 Somit lassen die Artikel 77 und 78 der Verordnung Nr. 1408/71, sofern das nach ihrem jeweiligen Absatz 2 anwendbare nationale Recht eine Minderung der Leistungen gemäß dem Nettojahreseinkommen des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen vorsieht, eine solche Minderung auch dann zu, wenn der Leistungsempfänger in einem anderen als dem leistungspflichtigen Mitgliedstaat wohnt.

44 Was sodann den Fall betrifft, daß der Mitgliedstaat, dessen Recht eine solche Minderung vorsieht, um Zahlung einer Zusatzleistung ersucht wird, ist darauf hinzuweisen, daß die Anerkennung eines Anspruchs auf eine solche Zusatzleistung den Betroffenen den Bezug

von Leistungen in derselben Höhe gewährleisten soll, wie sie sie erhalten hätten, wenn sie ihren Wohnort in dem Mitgliedstaat beibehalten hätten, der die höheren Leistungen gewährt.

45 Bei der Prüfung der Frage, ob der Antragsteller gegenüber einem Mitgliedstaat Anspruch auf eine Zusatzleistung hat, sowie bei der Berechnung der Höhe dieser Leistung ist daher der Betrag der Leistungen, die der Antragsteller in dem Mitgliedstaat, in den er seinen Wohnsitz verlegt hat, tatsächlich bezieht, mit dem Betrag der Leistungen zu vergleichen, die er erhalten hätte, wenn er seinen Wohnort in dem Mitgliedstaat beibehalten hätte, den er um Zahlung einer Zusatzleistung ersucht.

46 Somit kann, wenn das Recht des Mitgliedstaats, der um Zahlung einer Zusatzleistung ersucht wird, eine Leistungsminderung gemäß dem Nettojahreseinkommen des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen vorsieht, diese Minderung auch dann vorgenommen werden, wenn der Betroffene in einem anderen Mitgliedstaat wohnt.

47 Zur Beantwortung der zweiten Teilfrage sind die einschlägigen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, der zur Zahlung der Leistungen oder der Zusatzleistung verpflichtet ist, so anzuwenden, wie wenn der Leistungsempfänger und seine im selben Mitgliedstaat wie er wohnenden Familienangehörigen im leistungspflichtigen Mitgliedstaat wohnten und dort das Einkommen beziehen würden, das sie im Wohnmitgliedstaat erzielen.

48 Der zuständige Träger des leistungspflichtigen Mitgliedstaats kann zu diesem Zweck vom Empfänger der Leistungen oder der Zusatzleistung und von den zuständigen Behörden des

Wohnmitgliedstaats alle Auskünfte, die er zur Berechnung des Nettojahreseinkommens des Betroffenen und seiner Familienangehörigen nach dem Recht des leistungspflichtigen Mitgliedstaats benötigt, sowie Belege für die Richtigkeit der erteilten Auskünfte verlangen.

49 Der zuständige Träger des leistungspflichtigen Mitgliedstaats kann von dem Betroffenen jedoch keine anderen Auskünfte und Belege verlangen, als sie von einer im selben Mitgliedstaat wohnenden Person, die ein normales Maß an Sorgfalt aufwendet, erteilt oder beigebracht werden könnten. Ausserdem darf gegen einen Betroffenen, der die verlangten Auskünfte oder Belege nicht erteilt oder beibringt, nur dann eine Sanktion verhängt werden, wenn die gleiche Sanktion gegen im selben leistungspflichtigen Mitgliedstaat wohnende Empfänger der gleichen Leistungen verhängt wird, falls sie gleiche oder gleichwertige Auskünfte oder Belege nicht erteilen oder beibringen.

50 Daher ist auf die dritte Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß die Artikel 77 und 78 der Verordnung Nr. 1408/71, sofern das Recht des Mitgliedstaats, der zur Zahlung von durch eine dieser beiden Vorschriften erfassten Leistungen oder zur Zahlung einer Zusatzleistung verpflichtet ist, die Minderung dieser Leistungen gemäß dem Nettojahreseinkommen des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen vorsieht, eine solche Minderung auch dann zulassen, wenn der Leistungsempfänger in einem anderen als dem leistungspflichtigen Mitgliedstaat wohnt. In diesem Fall hat der zuständige Träger des leistungspflichtigen Mitgliedstaats, gestützt auf die Auskünfte und Belege, die der Leistungsempfänger und die zuständigen Behörden des Wohnmitgliedstaats ihm auf sein Verlangen übermitteln, zur Feststellung des Nettojahreseinkommens des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen und zur Berechnung des Betrags der Leistungen oder der Zusatzleistung, auf den der Leistungsempfänger Anspruch hat, die einschlägigen Rechtsvorschriften seines Staates so anzuwenden, wie wenn der Leistungsempfänger und seine im selben Mitgliedstaat wie er wohnenden Familienangehörigen im leistungspflichtigen Mitgliedstaat wohnten und dort das Einkommen beziehen würden, das sie im Wohnmitgliedstaat erzielen.

Zur vierten Frage

51 Wie sich aus den Akten ergibt, will das vorlegende Gericht mit der vierten Frage wissen, wie der zuständige Träger des Mitgliedstaats, der zur Zahlung der Zusatzleistung verpflichtet ist, die im Beschluß Nr. 129 genannten amtlichen Auskünfte erhalten kann. Insbesondere wünscht es Aufschluß darüber, ob es zu den Pflichten der Verwaltungskommission aus Artikel 81 Buchstaben a und d gehört, für jeden Mitgliedstaat den Träger zu benennen, der diese Auskünfte dem zuständigen Träger des zur Zahlung der Zusatzleistung verpflichteten Mitgliedstaats zu erteilen hat.

52 Artikel 81 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 weist der Verwaltungskommission folgende Aufgabe zu: "Sie behandelt alle Verwaltungs- und Auslegungsfragen, die sich aus dieser Verordnung... ergeben; jedoch wird das Recht der beteiligten Behörden, Träger und Personen, die Verfahren und die Gerichte in Anspruch zu nehmen, die in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in dieser Verordnung sowie im Vertrag vorgesehen sind, nicht berührt."

53 Die Frage, welcher von mehreren in Betracht kommenden Trägern in jedem Mitgliedstaat die für die Berechnung der Zusatzleistung benötigten Auskünfte zu erteilen hat, ist eine Verwaltungsfrage, die

sich aus der Verordnung Nr. 1408/71 ergibt.

54 Daher gehört die Benennung dieses Trägers gemäß Artikel 81 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 zum Zuständigkeitsbereich der Verwaltungskommission.

55 Jedoch ist zu betonen, daß die praktischen Schwierigkeiten bei der Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 die nationalen Träger der sozialen Sicherheit nicht von den Verpflichtungen entbinden können, die ihnen diese Verordnung auferlegt. Im übrigen hat die Verwaltungskommission zwar in der Tat die Aufgabe, alle aus der Verordnung Nr. 1408/71 resultierenden Verwaltungsfragen zu regeln, die ihr damit zugewiesene Zuständigkeit schließt es aber, wie sich schon aus dem Wortlaut des Artikels 81 Buchstabe a dieser Verordnung ergibt, keineswegs aus, zur Lösung dieser Fragen auf andere Verfahren zurückzugreifen.

56 Erhebt somit eine in einem Mitgliedstaat wohnende Person gegenüber einem anderen Mitgliedstaat Anspruch auf eine Zusatzleistung nach Artikel 77 oder nach Artikel 78 der Verordnung Nr. 1408/71, so kann sich der zuständige Träger des letztgenannten Mitgliedstaats bei der Kommission und bei den Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller wohnt, danach erkundigen, welcher Träger dieses Mitgliedstaats für die Erteilung der im Beschluß Nr. 129 genannten Auskünfte zuständig ist.

57 Denn wie sich aus Artikel 84 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 ergibt, können die Behörden und Träger jedes Mitgliedstaats zur Durchführung dieser Verordnung unmittelbar miteinander in Verbindung treten. Ausserdem sind die Kommission und der Mitgliedstaat, in dem die Person, die die Zahlung einer Zusatzleistung beantragt, wohnt, nach Artikel 5 EWG-Vertrag zu loyaler Zusammenarbeit mit den Trägern der anderen Mitgliedstaaten verpflichtet, die für die Erfuellung der Verpflichtungen aus der Verordnung Nr. 1408/71 Sorge zu tragen haben.

58 Daher ist auf die vierte Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß es zu den Pflichten der Verwaltungskommission aus Artikel 81 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 gehört, ein Verzeichnis derjenigen Träger der Mitgliedstaaten aufzustellen, die die im Beschluß Nr. 129 genannten amtlichen Auskünfte zu erteilen haben. Der zuständige Träger des Mitgliedstaats, von dem die Zahlung einer Zusatzleistung verlangt wird, hat jedoch weiterhin die Möglichkeit, sich bei der Kommission und den Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller wohnt, danach zu erkundigen, welcher Träger dieses Mitgliedstaats für die Erteilung der im Beschluß Nr. 129 genannten amtlichen Auskünfte zuständig ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

59 Die Auslagen der deutschen Regierung und der italienischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Sozialgericht Nürnberg mit Beschluß vom 29. Juni 1989 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Ist in den Fällen des Artikels 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i und des Artikels 78 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 kodifizierten Fassung der Betrag der vom Wohnmitgliedstaat gezahlten Leistungen niedriger als der Betrag der von einem anderen Mitgliedstaat geschuldeten Leistungen, so hat der Renter oder die Waise eines verstorbenen Arbeitnehmers oder Selbständigen auch dann gegenüber dem zuständigen Träger des letztgenannten Staates Anspruch auf eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen beiden Beträgen, wenn die Gewährung der Leistungen nach dem Recht dieses Staates voraussetzt, daß sowohl der Berechtigte als auch das berücksichtigungsfähige Kind im Inland wohnen.

2) Das Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz ist im Hinblick auf die Erklärung, die die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 5 der Verordnung Nr. 1408/71 abgegeben hat, auch dann als Leistung im Sinne des Artikels 77 dieser Verordnung anzusehen, wenn es vom Empfänger einer Rente wegen eines Arbeitsunfalls beantragt wird.

3) Der Anspruch auf eine Zusatzleistung für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern besteht auch dann, wenn der Rentner einen Rentenanspruch nach dem Recht des Mitgliedstaats, der die höheren Leistungen gewährt, erst nach seinem Wohnortwechsel in einen anderen Mitgliedstaat erwirbt, der aufgrund von Artikel 77 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 leistungspflichtig ist.

4) Bei der Gewährung der Zusatzleistung für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern sind alle unterhaltsberechtigten Kinder des Rentners einschließlich derjenigen zu berücksichtigen, die nach dem Wohnortwechsel des Rentners in den Mitgliedstaat, der die niedrigeren Leistungen gewährt, geboren sind.

5) Sieht das Recht des Mitgliedstaats, der zur Zahlung von durch Artikel 77 oder Artikel 78 der Verordnung Nr. 1408/71 erfassten Leistungen oder zur Zahlung einer Zusatzleistung verpflichtet ist, die Minderung dieser Leistungen gemäß dem Nettojahreseinkommen des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen vor, so lassen die genannten beiden Vorschriften eine solche Minderung auch dann zu, wenn der Leistungsempfänger in einem anderen als dem leistungspflichtigen Mitgliedstaat wohnt. In diesem Fall hat der zuständige Träger des leistungspflichtigen Mitgliedstaats, gestützt auf die Auskünfte und Belege, die der Leistungsempfänger und die zuständigen Behörden des Wohnmitgliedstaats ihm auf sein Verlangen übermitteln, zur Feststellung des Nettojahreseinkommens des Leistungsempfängers und seiner Familienangehörigen und zur Berechnung des Betrags der Leistungen oder der Zusatzleistung, auf den der Leistungsempfänger Anspruch hat, die einschlägigen Rechtsvorschriften seines Staates so anzuwenden, wie wenn der Leistungsempfänger und seine im selben Mitgliedstaat wie er wohnenden Familienangehörigen im leistungspflichtigen Mitgliedstaat wohnten und dort das Einkommen beziehen würden, das sie im Wohnmitgliedstaat erzielen.

6) Es gehört zu den Pflichten der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer aus Artikel 81 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71, ein Verzeichnis derjenigen Träger der Mitgliedstaaten aufzustellen, die die im Beschluß Nr. 129 vom 17. Oktober 1985 zur Anwendung des Artikels 77, des Artikels 78 und des Artikels 79 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und des Artikels 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer ii der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 genannten amtlichen Auskünfte zu erteilen haben. Der zuständige Träger des Mitgliedstaats, von dem die Zahlung einer Zusatzleistung verlangt wird, hat jedoch weiterhin die Möglichkeit, sich bei der Kommission und den Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Antragsteller wohnt, danach zu erkundigen, welcher Träger dieses Mitgliedstaats für die Erteilung der im Beschluß Nr. 129 genannten amtlichen Auskünfte zuständig ist.

Ende der Entscheidung

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