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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.05.1996
Aktenzeichen: C-253/95
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18.06.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 169
EG-Vertrag Art. 189 Abs. 3
Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18.06.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge Art. 44 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Mitgliedstaat kann sich nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen.

2. Nach Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages erfolgt die Durchführung der Gemeinschaftsrichtlinien dadurch, daß die Mitgliedstaaten hierzu geeignete Maßnahmen ergreifen. Nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn ein Mitgliedstaat nicht die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen getroffen hat oder aber die ergriffenen Maßnahmen nicht der betreffenden Richtlinie entsprechen, hat der Gerichtshof dem einzelnen das Recht zuerkannt, sich vor Gericht gegenüber einem Mitgliedstaat, der der Richtlinie nicht nachgekommen ist, auf diese zu berufen. Diese Mindestgarantie, die sich aus dem zwingenden Charakter der Verpflichtung ergibt, die den Mitgliedstaaten nach Artikel 189 Absatz 3 durch die Richtlinien auferlegt ist, kann keinem Mitgliedstaat als Rechtfertigung dafür dienen, daß er sich der Verpflichtung entzieht, rechtzeitig zur Erreichung des Ziels der jeweiligen Richtlinie geeignete Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 2. Mai 1996. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung - Richtlinie 92/50/EWG. - Rechtssache C-253/95.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 20. Juli 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 189 Absatz 3 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 44 Absatz 1 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1; im folgenden: die Richtlinie) verstossen hat, daß sie nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.

2 Gemäß Artikel 44 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie hatten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um dieser Richtlinie vor dem 1. Juli 1993 nachzukommen, und die Kommission davon unverzueglich zu unterrichten.

3 Da die Kommission keine Mitteilung über von der Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassene Vorschriften erhalten hatte, ersuchte sie die deutsche Regierung am 9. August 1993, sich hierzu innerhalb einer Frist von zwei Monaten zu äussern.

4 Am 5. November 1993 teilte die deutsche Regierung der Kommission unter Beifügung des Entwurfs des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes mit, die Arbeiten zur Umsetzung der Richtlinie seien noch nicht abgeschlossen. Am 27. Dezember 1993 wurde die Kommission dahin gehend informiert, daß dieses Gesetz am 26. November 1993 verabschiedet worden sei. Es setze alle Richtlinien im Bereich des öffentlichen Auftragswesens um und trete am 1. Januar 1994 in Kraft.

5 Am 7. Februar 1994 übersandte die deutsche Regierung der Kommission ferner zwei Entwürfe von Verordnungen zur Ausführung des Haushaltsgrundsätzegesetzes.

6 Auf Ersuchen der Kommission übersandte die Bundesrepublik Deutschland dieser schließlich am 7. April 1994 sowohl den endgültigen Text der Verordnung über die Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge (Vergabeverordnung) als auch den der Verordnung über das Nachprüfungsverfahren für öffentliche Aufträge (Nachprüfungsverordnung). Beide Verordnungen sind am 1. März 1994 in Kraft getreten.

7 Da die Kommission nach der Prüfung dieser Rechtstexte zu dem Schluß kam, daß die zur Sicherstellung der Anwendung der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen nicht ergriffen worden seien, übersandte sie der deutschen Regierung am 4. August 1994 eine mit Gründen versehene Stellungnahme mit der Aufforderung, die notwendigen Maßnahmen zu erlassen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Mitteilung nachzukommen.

8 Mit Schreiben vom 29. September 1994 teilte die deutsche Regierung mit, die Vergabeverordnung, die aufgrund des zur Umsetzung aller Gemeinschaftsrichtlinien auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens erlassenen Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes ergangen sei, sei für Liefer- und Bauaufträge am 1. März 1994 in Kraft getreten; die Einbeziehung der Dienstleistungsaufträge in diese Verordnung befinde sich gegenwärtig im Gesetzgebungsverfahren. Sie verpflichtete sich ferner, der Kommission die geänderte Verordnung unverzueglich nach ihrer Verabschiedung zu übermitteln.

9 Da die Kommission keine weitere Mitteilung erhielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

10 Die deutsche Regierung bestreitet die Vertragsverletzung nicht. Sie macht jedoch geltend, das Bundesministerium für Wirtschaft habe unmittelbar nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie die in Betracht kommenden Vergabestellen darauf hingewiesen, daß für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen ab dem 1. Juli 1993 die Richtlinie unmittelbar anzuwenden sei.

11 Zudem befänden sich die für die Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Gesetzesänderungen im Gesetzgebungsverfahren. Es handele sich um die Entwürfe für eine Änderung der Verdingungsordnung für Leistungen und für eine neue Verdingungsordnung für die Vergabe freiberuflicher Leistungen. Ein entsprechender Entwurf zur Änderung der Vergabeverordnung, durch den die beiden Verdingungsordnungen zu Rechtsnormen erhoben würden, sei zur Vorlage an das Bundeskabinett vorbereitet. Die Zustimmung der Bundesländer sei jedoch noch nicht eingeholt worden.

12 Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen kann, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen (siehe z. B. Urteil vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-259/94, Kommission/Griechenland, Slg. 1995, I-1947, Randnr. 5).

13 Zweitens erfolgt die Durchführung der Gemeinschaftsrichtlinien nach Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages dadurch, daß die Mitgliedstaaten hierzu geeignete Maßnahmen ergreifen. Nur unter besonderen Umständen, insbesondere wenn ein Mitgliedstaat nicht die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen getroffen hat oder aber die ergriffenen Maßnahmen nicht der betreffenden Richtlinie entsprechen, hat der Gerichtshof dem einzelnen das Recht zuerkannt, sich vor Gericht gegenüber einem Mitgliedstaat, der der Richtlinie nicht nachgekommen ist, auf diese zu berufen. Diese Mindestgarantie, die sich aus dem zwingenden Charakter der Verpflichtung ergibt, die den Mitgliedstaaten nach Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages durch die Richtlinien auferlegt ist, kann keinem Mitgliedstaat als Rechtfertigung dafür dienen, daß er sich der Verpflichtung entzieht, rechtzeitig zur Erreichung des Ziels der jeweiligen Richtlinie geeignete Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen (siehe insbesondere Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-433/93, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2303, Randnr. 24). Dem auf die unmittelbare Wirkung der Richtlinie gestützten Vorbringen der deutschen Regierung kann daher nicht gefolgt werden.

14 Da die Umsetzung der Richtlinie nicht innerhalb der gesetzten Frist erfolgt ist, ist die von der Kommission insoweit erhobene Klage als begründet anzusehen.

15 Folglich ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 44 Absatz 1 der Richtlinie verstossen hat, daß sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der Richtlinie nachzukommen.

Kostenentscheidung:

Kosten

16 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Kommission hat beantragt, der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen. Da diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 44 Absatz 1 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge verstossen, daß sie nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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