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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.07.1996
Aktenzeichen: C-254/95 P
Rechtsgebiete: Beamtenstatut, EG-Satzung


Vorschriften:

Beamtenstatut Art. 6 Anhang III
Beamtenstatut Art. 91
EG-Satzung Art. 49
EG-Satzung Art. 51
EG-Satzung Art. 53
EG-Satzung Art. 168a
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Verpflichtung, eine Verfügung aufgrund des Statuts mit Gründen zu versehen, soll zum einen dem Betroffenen die notwendigen Hinweise für die Feststellung geben, ob die Verfügung begründet ist, und zum anderen deren richterliche Kontrolle ermöglichen. Bei Entscheidungen eines Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren ist diese Begründungspflicht jedoch mit der Wahrung der Geheimhaltung in Einklang zu bringen, die für dessen Arbeiten gilt und die es verbietet, die Auffassungen der Mitglieder des Prüfungsausschusses zu verbreiten und Einzelheiten in bezug auf die Beurteilung der Bewerber persönlich oder im Vergleich mit anderen aufzudecken.

Das Erfordernis der Begründung einer Entscheidung des Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren hat daher der Natur der Arbeiten des Prüfungsausschusses Rechnung zu tragen, die im allgemeinen mindestens zwei verschiedene Abschnitte umfassen, und zwar zunächst die Prüfung der Bewerbungen im Hinblick auf die Ermittlung der zum Auswahlverfahren zugelassenen Bewerber und sodann die Prüfung ihrer Eignung für den zu besetzenden Dienstposten, um eine Eignungsliste aufzustellen. Der erste Abschnitt besteht insbesondere bei einem Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen aus einer Gegenüberstellung der von den Bewerbern vorgelegten Befähigungsnachweise und der in der Ausschreibung gestellten Anforderungen.

Da diese Gegenüberstellung aufgrund objektiver und im übrigen jedem einzelnen Bewerber für seinen eigenen Fall bekannter Tatsachen erfolgt, verbietet es die Wahrung der Geheimhaltung der Arbeiten des Prüfungsausschusses nicht, daß diese objektiven Tatsachen und insbesondere auch die Beurteilungskriterien, auf denen die im einleitenden Abschnitt des Auswahlverfahrens getroffene Auslese beruht, den betroffenen Bewerbern mitgeteilt werden. Dagegen verbietet die für die Arbeiten des Prüfungsausschusses geltende Geheimhaltung eine Mitteilung der Korrekturkriterien für die Prüfungen des Auswahlverfahrens, die Bestandteil der vergleichenden Beurteilungen sind, die der Prüfungsausschuß hinsichtlich der Verdienste der Bewerber vornimmt.

Daher stellt es eine ausreichende Begründung für die Entscheidungen des Prüfungsausschusses dar, wenn den Betroffenen die in den einzelnen Prüfungen erzielten Noten, in denen sich ihre Beurteilungen durch den Prüfungsausschuß widerspiegeln, mitgeteilt werden.


Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 4. Juli 1996. - Europäisches Parlament gegen Angelo Innamorati. - Rechtsmittel - Beamte - Auswahlverfahren - Ablehnung einer Bewebung - Begründung einer Entscheidung des Prüfungsausschusses für ein allgemeines Auswahlverfahren. - Rechtssache C-254/95 P.

Entscheidungsgründe:

1 Das Europäische Parlament hat mit Rechtsmittelschrift, die am 24. Juli 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung und den entsprechenden Vorschriften der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 30. Mai 1995 in der Rechtssache T-289/94 (Innamorati/Parlament, Slg. ÖD 1995, II-393; im folgenden: angefochtenes Urteil) eingelegt, mit dem das Gericht erster Instanz die Entscheidung des Prüfungsausschusses für das allgemeine Auswahlverfahren PE/59/A aufgehoben hat, durch die Herrn Innamorati für die dritte schriftliche Prüfung dieses Auswahlverfahrens eine zu seinem Ausschluß führende Note erteilt und er nicht zu den weiteren Prüfungen zugelassen wurde (im folgenden: streitige Entscheidung).

2 In dem angefochtenen Urteil hat das Gericht festgestellt:

"1 Der Kläger, Hilfskraft der Kategorie A, Gruppe II, Klasse 2 der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, nahm an dem allgemeinen Auswahlverfahren PE/59/A zur Bildung einer Einstellungsreserve von Verwaltungsräten italienischer Sprache beim Generalsekretariat des Europäischen Parlaments teil.

2 Teil III. B. 1 der am 23. Oktober 1992 veröffentlichten Ausschreibung des Auswahlverfahrens (ABl. C 275 A, S. 8) sah vor, daß die Bewerber sechs schriftliche Vorauswahlprüfungen abzulegen hatten. Zur Prüfung 1 c hieß es:

' c) Synthese eines 2 bis 3 Seiten umfassenden Textes auf ein Zehntel seiner Länge mit einer Überschreitungsmarge von höchstens 10 % zur Beurteilung der Analyse- und Synthesefähigkeiten der Bewerber sowie ihrer Objektivität und Genauigkeit.

Hoechstdauer der Prüfung: 45 Minuten

Punktzahl: 0 bis 20

Eine Note von unter 10 Punkten führt zum Ausschluß des Bewerbers.'

3 Am 20. April 1994 teilte der Vorsitzende des Prüfungsausschusses dem Kläger mit, daß er für die Syntheseprüfung 1 c eine niedrigere als die erforderliche Mindestnote erhalten habe und der Prüfungsausschuß daher seine anderen schriftlichen Prüfungsarbeiten nicht korrigieren könne.

4 Mit Schreiben vom 25. Mai 1994 beantragte der Kläger, seine Prüfungsarbeit erneut zu prüfen und ihm die Begründung für die Note mitzuteilen, die ihm der Prüfungsausschuß für die Prüfung 1 c erteilt hatte.

5 In einem an den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses gerichteten Schreiben vom 13. Juni 1994 behauptete der Anwalt des Klägers, daß die Korrektoren der Prüfung 1 c nicht die Bewerber ausgeschlossen hätten, die sich nicht an die vorgeschriebene Hoechstwörterzahl gehalten hätten. Er beantragte ausserdem beim Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, ihm die Kriterien anzugeben, die der Prüfungsausschuß bei der Prüfung der Frage, ob die Bewerber die in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens vorgeschriebenen Bedingungen erfuellten, und bei der Bewertung ihrer Prüfungsarbeiten zugrunde gelegt hatte, und zwar einschließlich der Anweisungen, die den Korrektoren im Hinblick auf die Einhaltung der besonderen Bedingungen für die Prüfung 1 c gegeben worden waren, und ihm ferner anzugeben, welche Maßnahmen getroffen worden seien, um die Anonymität der Bewerber zu gewährleisten.

6 Mit Schreiben vom 14. Juni 1994 bestätigte der Vorsitzende des Prüfungausschusses dem Kläger die Entscheidung des Prüfungsausschusses wie folgt:

' Aufgrund der verwendeten Parameter und nach den strengen Kriterien, die der Prüfungsausschuß ° unter Berücksichtigung einer Reihe von Gesichtspunkten, die im übrigen auch in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens aufgezählt sind ° vor der Korrektur festgelegt hat, muß ich Ihnen leider bestätigen, daß Ihre Note in der Prüfung 1 c niedriger ist als die für die Zulassung zur nächsten Prüfungsphase verlangte Note. Sie haben nämlich 8,33 Punkte erzielt (erforderliche Mindestpunktzahl: 10 Punkte).'

7 Mit Schreiben vom 4. Juli 1994 an den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses erinnerte der Anwalt des Klägers an seinen Antrag vom 13. Juni 1994 und stellte fest, daß das Schreiben des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses vom 14. Juni 1994 keinerlei Begründung für die Entscheidung des Prüfungsausschusses enthalte. Er erwähnte ausserdem seine Absicht, Klage beim Gericht zu erheben, falls die verlangten Erläuterungen ihm nicht mitgeteilt würden.

8 Mit Schreiben vom gleichen Tag beantwortete der Leiter des Referats 'Auswahlverfahren' des Parlaments das Schreiben des Anwalts des Klägers vom 13. Juni 1994 und führte aus, das Parlament sei, sobald der Bericht des Prüfungsausschusses unterzeichnet sei 'in der Lage, (ihm) die gewünschten Auskünfte im Rahmen der Grenzen zu erteilen, die der Gerichtshof... der Pflicht zur Begründung von Entscheidungen der Prüfungsausschüsse für Auswahlverfahren mit Rücksicht auf das Beratungsgeheimnis gesetzt hat'.

9 Mit Schreiben vom 19. Juli 1994 teilte der Leiter des Referats 'Auswahlverfahren' des Parlaments dem Anwalt des Klägers folgendes mit:

' ° Alle schriftlichen Prüfungen dieses Auswahlverfahrens wurden anonym korrigiert. Obwohl die Bewerber ihren Namen auf den Antwortbogen angeben mussten, wurde die Anonymität der Korrekturen durch die spätere Zuteilung einer geheimen Codenummer und die Unkenntlichmachung der persönlichen Daten des Verfassers gewahrt.

° Die Korrekturen der Prüfungen 1 c 1 (objektive Tests) und 1 c 2 (Bildungstests) wurden unter Aufsicht des Prüfungsausschusses mit einem optischen Lesegerät vorgenommen. Alle anderen Prüfungsarbeiten wurden den sieben Mitgliedern des Prüfungsausschusses zur Kenntnis gebracht und von mindestens drei Ausschußmitgliedern korrigiert.

° Herr Innamorati hat eine erneute Prüfung seiner Prüfungsarbeiten beantragt. Der Prüfungsausschuß hat diese zweite Prüfung vorgenommen und festgestellt, daß bei der Benotung kein Fehler unterlaufen ist. Er hat daher seine ursprüngliche Entscheidung bestätigt. Die von den Mitgliedern des Prüfungsausschusses bei der Korrektur zugrunde gelegten Kriterien waren vor der Korrektur festgelegt worden und sind nach den Vorschriften der Ausschreibung für das Auswahlverfahren eingehalten worden.' "

3 Mit Klageschrift, die am 15. September 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Herr Innamorati eine Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung erhoben.

4 Herr Innamorati hat seine Anfechtungsklage auf zwei Klagegründe gestützt. Der erste bezog sich auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen die Ausschreibung des Auswahlverfahrens sowie auf das Fehlen einer Begründung der streitigen Entscheidung. Mit dem zweiten Klagegrund hat er einen Beurteilungsfehler, mangelnde Unparteilichkeit des Prüfungsausschusses und einen Verstoß gegen die für die Arbeit des Prüfungsausschusses geltenden Grundsätze angeführt (Randnr. 17 des angefochtenen Urteils).

5 Der Kläger hat jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht den zweiten Klagegrund zurückgenommen. Das Gericht hat daher die Ansicht vertreten, daß hierüber nicht mehr entschieden zu werden brauche (Randnr. 18).

6 Was den ersten Klagegrund betrifft, so ist das Gericht davon ausgegangen, daß er sich aus zwei Teilen zusammensetze, wobei der erste Teil auf einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen die Ausschreibung des Auswahlverfahrens und der zweite Teil auf einem Begründungsmangel der streitigen Entscheidung beruhe (Randnr. 19).

7 Zum ersten Teil hat das Gericht die Ansicht vertreten, daß der Kläger keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für seine Behauptung geliefert habe, daß der Prüfungsausschuß andere Bewerber nicht ausgeschlossen habe, die sich nicht an die für die dritte schriftliche Prüfung vorgeschriebene Länge gehalten hätten. Da die Akte nach Auffassung des Gerichts nichts enthielt, was eine solche Schlußfolgerung zuließ, hat das Gericht diesen Teil des Klagegrundes zurückgewiesen (Randnrn. 22 und 23).

8 Im Hinblick auf den zweiten Teil des ersten Klagegrundes hat das Gericht zunächst daran erinnert, daß die Begründungspflicht zum einen dem Betroffenen die notwendigen Hinweise für die Feststellung geben solle, ob die Verfügung begründet sei, und zum anderen die richterliche Kontrolle ermöglichen solle. Es hat ausserdem darauf hingewiesen, daß der Prüfungsausschuß im Fall eines Auswahlverfahrens mit hoher Teilnehmerzahl das Recht habe, den Bewerbern zunächst lediglich die Kriterien und das Ergebnis der Auswahl mitzuteilen, und nur verpflichtet sei, den Bewerbern, die dies ausdrücklich verlangten, später individuelle Erklärungen zu geben (Randnrn. 26 und 27).

9 Das Gericht hat sodann ausgeführt, daß ° obwohl Herr Innamorati mehrmals die Angabe der Gründe der streitigen Entscheidung sowie der Kriterien verlangt habe, nach denen der Prüfungsausschuß die dritte Prüfung bewertet habe ° die Antworten des Parlaments keine Begründung der ihm erteilten Note und keine Angaben zu den vom Prüfungsausschuß zugrunde gelegten Kriterien enthalten hätten. Es hat daher die Auffassung vertreten, daß das Parlament keinerlei Begründung gegeben habe, die es dem Kläger ermöglicht hätte, zu beurteilen, ob die streitige Entscheidung begründet war, und die es dem Gericht ermöglicht hätte, seine richterliche Kontrolle auszuüben (Randnrn. 28 bis 30).

10 Das Gericht hat schließlich die Ansicht vertreten, daß dieses völlige Fehlen einer Begründung nicht durch die Erklärungen, die das Parlament im Laufe des Verfahrens abgegeben habe, geheilt werden könne, da derartige Erklärungen in diesem Stadium nicht mehr die Zwecke erfuellten, denen die Begründung diene. Es hat überdies ausgeführt, daß die Erklärungen, die das Parlament vor dem Gericht sowohl im schriftlichen Verfahren als auch in der mündlichen Verhandlung abgegeben habe, keine ausreichende Begründung der streitigen Entscheidung darstellten, da sie zu ungenau gewesen seien (Randnrn. 31 und 32).

11 Das Gericht hat daraus den Schluß gezogen, daß der zweite Teil des ersten Klagegrundes begründet sei, und folglich die streitige Entscheidung aufgehoben (Randnr. 33).

12 Das Rechtsmittel des Parlaments richtet sich zum einen auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum anderen auf Zurückweisung der vor dem Gericht gestellten Anträge von Herrn Innamorati.

13 Herr Innamorati beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen, in erster Linie wegen offensichtlicher Unzulässigkeit und hilfsweise wegen Unbegründetheit.

14 Mit besonderem Schriftsatz, der am 24. Juli 1995 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat das Parlament gemäß Artikel 53 der EG-Satzung und den entsprechenden Vorschriften der EGKS- und der EAG-Satzung sowie gemäß den Artikeln 83 und 118 der Verfahrensordnung einen Antrag auf einstweilige Anordnung eingereicht, um eine Aussetzung der Durchführung des angefochtenen Urteils zu erwirken. Diesen Antrag hat der Präsident des Gerichtshofes mit Beschluß vom 15. September 1995 in der Rechtssache C-254/95 P-R (Parlament/Innamorati, Slg. 1995, I-2707) zurückgewiesen.

15 Das Parlament stützt sein Rechtsmittel auf folgende drei Rechtsmittelgründe:

° Im angefochtenen Urteil seien Umfang und Grenzen der Begründungspflicht bei Entscheidungen von Prüfungsausschüssen für Auswahlverfahren verkannt worden.

° Die unzureichende Begründung der streitigen Entscheidung habe jedenfalls im Verfahren vor dem Gericht geheilt werden können.

° Die fehlende oder unzureichende Begründung der streitigen Entscheidung könne allein nicht die Aufhebung dieser Entscheidung rechtfertigen.

16 Herr Innamorati vertritt in erster Linie die Auffassung, daß das Rechtsmittel nicht auf rechtliche Gründe gestützt sei. Er macht geltend, das Parlament rüge die Tatsachenwürdigung, die das Gericht hinsichtlich der Begründung der streitigen Entscheidung und der Schlußfolgerungen, die im vorliegenden Fall aus der Unzulänglichkeit dieser Begründung zu ziehen seien, vorgenommen habe. Hilfsweise macht er geltend, daß der Prüfungsausschuß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts gehalten sei, die objektiven Kriterien, die er zugrunde gelegt habe, und die Art und Weise ihrer Anwendung bekanntzugeben, insbesondere um es den Bewerbern und gegebenenfalls dem Gemeinschaftsrichter zu ermöglichen, sich über die Ordnungsmässigkeit der Prüfungen des Auswahlverfahrens zu vergewissern.

Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels

17 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes kann ein Rechtsmittel gemäß Artikel 168a des Vertrages und Artikel 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes nur auf Gründe gestützt werden, die sich auf die Verletzung von Rechtsvorschriften beziehen und jede Tatsachenwürdigung ausschließen (vgl. insbesondere Urteil vom 6. April 1995 in den verbundenen Rechtssachen C-241/91 P und C-242/91 P, RTE und ITP/Kommission, Slg. 1995, I-743, Randnr. 67).

18 Mit den drei Rechtsmittelgründen, auf die das Parlament sein Rechtsmittel stützt, rügt es die Art und Weise, in der das Gericht die Rechtsprechung des Gerichtshofes und seine eigene Rechtsprechung ausgelegt hat, und zwar erstens im Hinblick auf die Begründung von Entscheidungen der Prüfungsausschüsse, zweitens in bezug auf die Möglichkeit der Heilung einer fehlenden oder unzureichenden Begründung im Laufe des Verfahrens und drittens hinsichtlich der Folgen einer fehlenden oder unzureichenden Begründung für die Ordnungsmässigkeit der betreffenden Entscheidung. Entgegen der Auffassung von Herrn Innamorati wendet sich das Parlament nicht gegen die Würdigung, die das Gericht im vorliegenden Fall aufgrund seiner Auslegung der Rechtsprechung vorgenommen hat.

19 Die Rechtsmittelgründe des Parlaments betreffen also die Verletzung der für die Organe der Gemeinschaft geltenden Rechtsvorschriften und schließen jede Tatsachenwürdigung aus. Sie sind daher zulässig.

20 Daraus folgt, daß die von Herrn Innamorati erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen ist.

Zum Rechtsmittelgrund in bezug auf Umfang und Grenzen der Begründungspflicht

21 Das Parlament macht geltend, daß die Rechtsprechung des Gerichtshofes zwar eine Pflicht zur Mitteilung der Bewertungskriterien, die der Prüfungsausschuß vor der Auslese der zum Auswahlverfahren zugelassenen Bewerber festgelegt habe, sowie der entsprechenden Einzelbewertungen auferlege, daß sie aber keine Pflicht zur Mitteilung der Kriterien, die der Prüfungsausschuß seiner Korrektur der Prüfungsarbeiten zugrunde gelegt habe, statuiere und dies auch nicht könne. Diese Kriterien stuenden nämlich im uneingeschränkten Ermessen des Prüfungsausschusses und seien vom Beratungsgeheimnis gedeckt. Das Parlament ist der Ansicht, daß die Mitteilung des zahlenmässigen Ergebnisses der Prüfung, wenn ein Bewerber sie tatsächlich verlange, eine ausreichende Begründung der Entscheidungen des Prüfungsausschusses darstelle.

22 Herr Innamorati trägt dagegen vor, wenn der Zweck erreicht werden solle, es jedem Bewerber zu ermöglichen, die Begründetheit der Entscheidung des Prüfungsausschusses zu beurteilen, und dem Gemeinschaftsrichter die Feststellung zu ermöglichen, ob der Prüfungsausschuß ordnungsgemäß gearbeitet habe, müsse die Verwaltung dem Bewerber mitteilen, welche allgemeinen Kriterien der Prüfungsausschuß seinen Beurteilungen zugrunde gelegt habe und wie er sie angewandt habe.

23 Wie das Gericht in Randnummer 26 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, soll die Verpflichtung, eine beschwerende Verfügung mit Gründen zu versehen, zum einen dem Betroffenen die notwendigen Hinweise für die Feststellung geben, ob die Verfügung begründet ist, und zum anderen deren richterliche Kontrolle ermöglichen (vgl. insbesondere Urteil vom 26. November 1981 in der Rechtssache 195/80, Michel/Parlament, Slg. 1981, 2861, Randnr. 22).

24 Bei Entscheidungen eines Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren ist diese Begründungspflicht jedoch mit der Wahrung der Geheimhaltung in Einklang zu bringen, die gemäß Artikel 6 des Anhangs III des Beamtenstatuts für die Arbeiten des Prüfungsausschusses gilt. Wie der Gerichtshof bereits ausgeführt hat, wurde diese Geheimhaltung eingeführt, um die Unabhängigkeit der Prüfungsausschüsse für Auswahlverfahren und die Objektivität ihrer Arbeit dadurch zu gewährleisten, daß die Ausschüsse vor allen äusseren Einmischungen und Pressionen geschützt werden, gleichgültig, ob diese von der Gemeinschaftsverwaltung selbst, von den beteiligten Bewerbern oder von Dritten ausgehen. Die Wahrung der Geheimhaltung verbietet es daher, die Auffassungen der einzelnen Mitglieder des Prüfungsausschusses zu verbreiten und Einzelheiten in bezug auf die Beurteilung der Bewerber persönlich oder im Vergleich mit anderen aufzudecken (Urteil vom 28. Februar 1980 in der Rechtssache 89/79, Bonu/Rat, Slg. 1980, 553, Randnr. 5).

25 Das Erfordernis der Begründung einer Entscheidung des Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren hat daher der Natur der betreffenden Arbeiten Rechnung zu tragen.

26 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, umfassen die Arbeiten eines Prüfungsausschusses für ein Auswahlverfahren im allgemeinen mindestens zwei verschiedene Abschnitte, und zwar zunächst die Prüfung der Bewerbungen im Hinblick auf die Ermittlung der zum Auswahlverfahren zugelassenen Bewerber und sodann die Prüfung ihrer Eignung für den zu besetzenden Dienstposten, um eine Eignungsliste aufzustellen (vgl. insbesondere Urteile vom 14. Juni 1972 in der Rechtssache 44/71, Marcato/Kommission, Slg. 1972, 427, Randnr. 19, vom 15. März 1973 in der Rechtssache 37/72, Marcato/Kommission, Slg. 1973, 361, Randnr. 18, und vom 4. Dezember 1975 in der Rechtssache 31/75, Costacurta/Kommission, Slg. 1975, 1563, Randnr. 10).

27 Der erste Abschnitt insbesondere bei einem Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen besteht aus einer Gegenüberstellung der von den Bewerbern vorgelegten Befähigungsnachweise und der in der Ausschreibung gestellten Anforderungen (genannte Urteile vom 14. Juni 1972, Marcato/Kommission, Randnr. 20, vom 15. März 1973, Marcato/Kommission, Randnr. 19, und Costacurta/Kommission, Randnr. 11). Da diese Gegenüberstellung aufgrund objektiver und im übrigen auch jedem einzelnen Bewerber für seinen eigenen Fall bekannter Tatsachen erfolgt, verbietet es die Wahrung der Geheimhaltung der Arbeiten des Prüfungsausschusses nicht, daß diese objektiven Tatsachen und insbesondere auch die Beurteilungskriterien, auf denen die im einleitenden Abschnitt des Auswahlverfahrens getroffene Auslese beruht, mitgeteilt werden, damit die Personen, deren Bewerbung noch vor irgendeiner persönlichen Prüfung abgelehnt wurde, in die Lage versetzt werden, die möglichen Gründe für ihren Ausschluß zu erkennen (Urteil Bonu/Rat, a. a. O., Randnr. 5).

28 Dagegen sind die Arbeiten des Prüfungsausschusses im zweiten Abschnitt vor allem vergleichender Natur und fallen demzufolge unter die für diese Arbeiten geltende Geheimhaltung (vgl. insbesondere genannte Urteile vom 14. Juni 1972, Marcato/Kommission, Randnr. 20, vom 15. März 1973, Marcato/Kommission, Randnr. 19, und Costacurta/Kommission, Randnr. 11).

29 Die vom Prüfungsausschuß vor den Prüfungen festgelegten Korrekturkriterien sind Bestandteil der vergleichenden Beurteilungen, die der Prüfungsausschuß hinsichtlich der Verdienste der Bewerber vornimmt. Sie sollen nämlich im Interesse der Bewerber eine gewisse Homogenität der Beurteilungen des Prüfungsausschusses gewährleisten, insbesondere wenn es sich um eine grosse Zahl von Bewerbern handelt. Diese Kriterien fallen daher ebenso wie die Beurteilungen des Prüfungsausschusses unter das Beratungsgeheimnis.

30 Die vergleichenden Beurteilungen, die der Prüfungsausschuß vornimmt, spiegeln sich in den Noten wider, die der Ausschuß den Bewerbern erteilt. Sie sind Ausdruck der Werturteile über jeden von ihnen.

31 In Anbetracht der Geheimhaltung, die für die Arbeiten des Prüfungsausschusses gelten muß, stellt die Mitteilung der in den einzelnen Prüfungen erzielten Noten eine ausreichende Begründung für die Entscheidungen des Prüfungsausschusses dar.

32 Eine solche Begründung verletzt nicht die Rechte der Bewerber. Sie ermöglicht es ihnen, das Werturteil zu erfahren, das über ihre Leistungen gefällt wurde, und sie ermöglicht es ihnen, gegebenenfalls festzustellen, daß sie tatsächlich nicht die in der Außschreibung für die Zulassung zu bestimmten Prüfungen oder zu den gesamten Prüfungen geforderte Punktzahl erreicht haben.

33 Jedoch kann in Anbetracht der praktischen Schwierigkeiten, denen ein Prüfungsausschuß für ein Auswahlverfahren mit grosser Teilnehmerzahl gegenübersteht, zugelassen werden, daß der Prüfungsausschuß den Bewerbern zunächst nur das allgemeine Ergebnis der Prüfungen bekanntgibt und ihnen erst später die sie betreffenden zahlenmässigen Ergebnisse mitteilt, wenn sie dies verlangen.

34 Aus alledem ergibt sich, daß das Gericht, indem es in Randnummer 28 des angefochtenen Urteils die Auffassung vertreten hat, daß das Parlament Herrn Innamorati die Gründe der streitigen Entscheidung sowie die vom Prüfungsausschuß für die Bewertung der dritten schriftlichen Prüfung zugrunde gelegten Kriterien hätte angeben müssen, einen Rechtsfehler begangen hat.

35 Das angefochtene Urteil ist aus diesem Grund aufzuheben.

Zu den vor dem Gericht gestellten Anträgen von Herrn Innamorati

36 Artikel 54 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes bestimmt: "Ist das Rechtsmittel begründet, so hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen."

37 Herr Innamorati hat seine Klage auf zwei Klagegründe gestützt, und zwar erstens auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bewerber, auf einen Verstoß gegen die Ausschreibung des Auswahlverfahrens sowie auf das Fehlen einer Begründung der angefochtenen Entscheidung, und zweitens auf einen Beurteilungsfehler, auf mangelnde Unparteilichkeit und auf einen Verstoß gegen die für die Arbeit des Prüfungsausschusses geltenden Grundsätze.

38 Zu seinem ersten Klagegrund macht Herr Innamorati zunächst geltend, daß er sich streng an die in der Ausschreibung für die dritte schriftliche Prüfung vorgeschriebene Länge gehalten habe, daß der Prüfungsausschuß aber die Länge der Zusammenfassungen nicht systematisch überprüft und daher andere Bewerber nicht ausgeschlossen habe, die sich nicht an diese Länge gehalten hätten. Der Prüfungsausschuß habe dadurch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bewerber sowie gegen den Wortlaut der Ausschreibung des Auswahlverfahrens verstossen.

39 Das Parlament räumt ein, daß die Länge der Zusammenfassung von Herrn Innamorati den Anforderungen der Ausschreibung entsprochen habe; es streitet jedoch ab, daß die Länge der Zusammenfassungen nicht bei allen Bewerbern überprüft worden sei. Es fügt hinzu, daß Herr Innamorati den Beweis hierfür zu erbringen habe.

40 Wie das Parlament vorträgt, hat Herr Innamorati, obwohl er grundsätzlich dazu verpflichtet wäre, keine tatsächlichen Anhaltspunkte für seine Behauptung geliefert, daß der Prüfungsausschuß andere Bewerber in dem Auswahlverfahren nicht ausgeschlossen habe, die sich bei der für die dritte Prüfung vorgesehenen Synthese nicht an die vorgeschriebene Länge gehalten hätten. Auch die Akten enthalten nichts, was die Schlußfolgerung zuließe, daß der Prüfungsausschuß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder gegen die Bestimmungen der Ausschreibung des Auswahlverfahrens verstossen hätte. Dieser Teil des Vorbringens des Klägers ist daher zurückzuweisen.

41 Herr Innamorati trägt ferner vor, daß die streitige Entscheidung nicht ausreichend begründet sei. Er macht insbesondere geltend, daß ihm nicht die Kriterien, die der Prüfungsausschuß für die Korrektur der dritten schriftlichen Prüfung zugrunde gelegt habe, mitgeteilt worden seien.

42 Es ist unstreitig, daß Herr Innamorati zwar zunächst nur über die allgemeinen Ergebnisse des Auswahlverfahrens informiert wurde, daß ihm aber auf sein Verlangen das zahlenmässige Ergebnis seiner dritten schriftlichen Prüfung mitgeteilt wurde.

43 Aus Randnummer 31 des vorliegenden Urteils ergibt sich, daß diese Mitteilung eine ausreichende Begründung der streitigen Entscheidung darstellte und daß das Parlament sich zu Recht geweigert hat, ihm die vom Prüfungsausschuß zugrunde gelegten Korrekturkriterien sowie allgemein die Kriterien für seine Beurteilung durch den Prüfungsausschuß mitzuteilen. Dieser Teil des Vorbringens des Klägers ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

44 Der erste Klagegrund, auf den sich Herr Innamorati berufen hat, greift daher nicht durch.

45 Da Herr Innamorati den zweiten Klagegrund zurückgenommen hat, braucht dieser nicht mehr geprüft zu werden.

46 Aus alledem ergibt sich, daß die Klage von Herrn Innamorati abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Aus Artikel 122 in Verbindung mit Artikel 70 der Verfahrensordnung ergibt sich jedoch, daß die Organe ihre Kosten selbst tragen, wenn sie das Rechtsmittel eingelegt haben. Daher sind jeder Partei ihre eigenen Kosten der vorliegenden Instanz und der Instanz vor dem Gericht aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 30. Mai 1995 in der Rechtssache T-289/94 (Innamorati/Parlament) wird aufgehoben.

2. Die Klage von Herrn Innamorati auf Aufhebung der Entscheidung, mit der der Prüfungsausschuß für das allgemeine Auswahlverfahren PE/59/A ihm für die dritte schriftliche Prüfung dieses Auswahlverfahrens eine zu seinem Ausschluß führende Note erteilt und ihn nicht zu den weiteren Prüfungen zugelassen hat, wird abgewiesen.

3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten der vorliegenden Instanz und der Instanz vor dem Gericht.

Ende der Entscheidung

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