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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 10.04.2008
Aktenzeichen: C-265/06
Rechtsgebiete: EG, EWR-Abkommen


Vorschriften:

EG Art. 28
EG Art. 30
EWR-Abkommen Art. 11
EWR-Abkommen Art. 13
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

10. April 2008

"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Freier Warenverkehr - Art. 28 EG und 30 EG - Art. 11 und 13 des EWR-Abkommens - Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen - Maßnahmen gleicher Wirkung - Kraftfahrzeuge - Befestigung von farbigen Folien an den Scheiben"

Parteien:

In der Rechtssache C-265/06

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 16. Juni 2006,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Caeiros, P. Guerra e Andrade und M. Patakia als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Portugiesische Republik, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten im Beistand von A. Duarte de Almeida, advogado,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter U. Lõhmus und J. Klucka, der Richterin P. Lindh (Berichterstatterin) und des Richters A. Arabadjiev,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. November 2007,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Dezember 2007

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 28 EG und 30 EG sowie aus den Art. 11 und 13 des Abkommens vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass sie in Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei (gesetzesvertretende Verordnung) Nr. 40/2003 vom 11. März 2003 (Diário da República I, Serie A, N° 59 vom 11. März 2003) die Befestigung von farbigen Folien an den Scheiben von Kraftfahrzeugen verboten hat.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2 Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat keine Regelung über farbige Folien erlassen, die für die Befestigung an Scheiben von Kraftfahrzeugen bestimmt sind.

3 Dagegen gibt es eine u. a. die Färbung der Scheiben betreffende Gemeinschaftsregelung über die Typgenehmigung für Sicherheitsscheiben von Kraftfahrzeugen, die als Originalausstattung, d. h vor der Inbetriebsetzung dieser Fahrzeuge, eingebaut worden sind. Diese Regelung umfasst die Richtlinie 92/22/EWG des Rates vom 31. März 1992 über Sicherheitsscheiben und Werkstoffe für Windschutzscheiben in Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern (ABl. L 129, S. 11) in der durch die Richtlinie 2001/92/EG der Kommission vom 30. Oktober 2001 (ABl. L 291, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 92/22).

4 Der dritte Erwägungsgrund und Anhang II B der Richtlinie 2001/92 verweisen auf die Regelung Nr. 43 der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen ("Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Sicherheitsverglasungswerkstoffe und ihres Einbaus in Fahrzeuge") (E/ECE/324-E/ECE/TRANS/505/Rev.1/Add 42/Rev.2) (im Folgenden: Regelung Nr. 43).

5 Art. 4 dieser Regelung sieht vor, dass der normale Lichtdurchlässigkeitsfaktor der Windschutzscheibe nicht weniger als 75 % betragen darf. Bei anderen Sicherheitsverglasungen als Windschutzscheiben im Sichtfeld des Fahrers in Fahrtrichtung muss dieser Faktor mindestens 70 % betragen. Bei Sicherheitsverglasungen im rückwärtigen Sichtfeld des Fahrers kann der Lichtdurchlässigkeitsfaktor niedriger als 70 % sein, wenn das Fahrzeug mit zwei Außenrückspiegeln ausgestattet ist.

Nationale Regelung

6 Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003 bestimmt:

"Die Befestigung von farbigen Folien an den Scheiben von Personen- oder Güterkraftfahrzeugen, mit Ausnahme von vorschriftsmäßigen Aufklebern und von dunklen, nicht verspiegelten Folien an den Wagenkasten von Güterkraftfahrzeugen, ist verboten."

Vorgerichtliches Verfahren

7 Am 1. April 2004 richtete die Kommission ein Mahnschreiben an die Portugiesische Regierung, in dem sie zu dem Ergebnis gelangte, dass die Portugiesische Republik ihre Verpflichtungen aus den Art. 28 EG und 30 EG, den Art. 11 und 13 des EWR-Abkommens sowie Art. 8 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 204, S. 37) verletzt habe, dass sie in Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003 die Befestigung von farbigen Folien an den Scheiben von Personen- oder Güterkraftfahrzeugen, mit Ausnahme von vorschriftsmäßigen Aufklebern und von dunklen, nicht verspiegelten Folien an den Wagenkasten von Güterkraftfahrzeugen, verboten und der Kommission den Entwurf dieses Decreto-Lei nicht mitgeteilt habe.

8 Mit Schreiben vom 28. Juni 2004 antwortete die Portugiesische Republik auf dieses Mahnschreiben.

9 Da diese Antwort die Kommission nicht überzeugte, richtete sie am 22. Dezember 2004 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Portugiesische Republik und forderte sie auf, dieser Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten nach deren Eingang nachzukommen.

10 In ihrem Antwortschreiben vom 22. Juli 2005 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme teilte die Portugiesische Republik mit, dass sie die Vorschrift, die die Befestigung von farbigen Folien an Scheiben von Kraftfahrzeugen verbiete, d. h. Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003, aufheben werde.

11 Sie informierte die Kommission auch darüber, dass derzeit in Bezug auf die Befestigung farbiger Folien auf solchen Scheiben ein Entwurf für technische Vorschriften ausgearbeitet werde, die in einen Rechtsakt eingefügt werden sollten. Im Dezember 2005 wurde der Kommission gemäß der Richtlinie 98/34 ein Entwurf einer Durchführungsverordnung über diese Vorschriften mitgeteilt.

12 Unter Berücksichtigung dieser Mitteilung beschloss die Kommission, die Rüge der Nichtmitteilung eines Entwurfs von Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003 nicht weiterzuverfolgen.

13 Die Kommission hielt dagegen an der Rüge der Unvereinbarkeit dieser Vorschrift mit den Art. 28 EG und 30 EG sowie den Art. 11 und 13 des EWR-Abkommens fest und hat am 16. Juni 2006 die vorliegende Klage erhoben.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

14 Die Kommission ist der Ansicht, dass Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003, der die Befestigung von farbigen Folien jeder Art zur Filterung des Lichts auf der Windschutzscheibe und auf den Scheiben bei den Sitzen der Kraftfahrzeuginsassen verbiete, in der Praxis verhindere, dass in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Unterzeichnerstaat des EWR-Abkommens rechtmäßig hergestellte und/oder vertriebene farbige Folien in Portugal vertrieben würden, und damit gegen die Art. 28 EG und 30 EG sowie die Art. 11 und 13 des EWR-Abkommens verstoße.

15 Potenzielle Interessenten, Händler oder Privatpersonen, würden solche Folien in dem Wissen, dass sie sie nicht auf den Scheiben von Kraftfahrzeugen befestigen dürften, nicht kaufen.

16 Die Kommission erinnert daran, dass gemäß der Regelung Nr. 43, die aufgrund der Richtlinie 92/22 anwendbar sei, bei der Windschutzscheibe und den anderen Scheiben, die sich im Sichtfeld des Fahrers in Fahrtrichtung vor einem Punkt befänden, den sie als "B-Säule" bezeichne, ein normaler Lichtdurchlässigkeitsfaktor von mindestens 75 % oder 70 % eingehalten werden müsse. Diese Scheiben könnten somit getönt sein, sofern diese Anforderungen beachtet würden.

17 Darüber hinaus sei für Scheiben, die sich hinter der B-Säule befänden, kein Mindestfaktor für die normale Lichtdurchlässigkeit vorgesehen, wenn diese Scheiben für die Sicht des Fahrers keine wesentliche Rolle spielten. In der Praxis bedeute dies, dass das Kraftfahrzeug in dem Bereich, der sich hinter dieser Säule befinde, mit getönten Scheiben mit einem sehr geringen normalen Lichtdurchlässigkeitsfaktor ausgestattet sein könne, sofern es zwei Außenrückspiegel besitze.

18 Die Kommission wirft der Portugiesischen Republik somit vor, dass sie die Befestigung jeder farbigen Folie an der Windschutzscheibe und an den Scheiben bei den Sitzen der Insassen von Personen- oder Güterkraftfahrzeugen verbiete, selbst wenn bei diesen Folien die in der Regelung Nr. 43 vorgesehenen Mindestwerte für den normalen Lichtdurchlässigkeitsfaktor erreicht würden.

19 In Ermangelung von Harmonisierungsvorschriften auf Gemeinschaftsebene könnten die Mitgliedstaaten zwar das Schutzniveau der Sicherheit des Straßenverkehrs bestimmen, das sie in ihrem Gebiet für angemessen hielten, und Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit treffen. Die Portugiesische Republik habe jedoch nichts vorgetragen, das die Ansicht erlaube, dass die Verwendung einer beliebigen farbigen Folie unabhängig von ihrer Farbe und ihren Eigenschaften, insbesondere in Bezug auf den Lichtdurchlässigkeitsfaktor, ein Risiko für die öffentliche Sicherheit und/oder die Sicherheit des Straßenverkehrs darstelle. Die streitige Vorschrift sei im Hinblick auf die angestrebten Ziele weder erforderlich noch verhältnismäßig.

20 Die Portugiesische Republik bestreitet den in der Klageschrift dargestellten Sachverhalt nicht. Sie widerspricht aber der Auslegung, Bewertung und Bedeutung bestimmter Tatsachen.

21 Zunächst macht die Portugiesische Republik geltend, dass die Kommission keinen Grund gehabt habe, Klage gegen sie zu erheben, da sie im vorgerichtlichen Verfahren mitgeteilt habe, dass sie ihre Rechtsvorschriften in dem von der Kommission angeratenen Sinne ändere. Der der Kommission mitgeteilte Änderungsentwurf bedeute, dass sie das Verbot des Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003 aufgehoben habe.

22 Ferner macht die Portugiesische Republik geltend, dass diese Vorschrift zwar eine Beschränkung des freien Warenverkehrs sei, aber auf jeden Fall durch die Ziele der Sicherheit des Straßenverkehrs und der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sei.

23 So solle das Verbot den zuständigen Behörden ermöglichen, den Innenraum von Kraftfahrzeugen, ohne diese anhalten zu müssen, rasch von außen zu sehen, um erstens zu prüfen, ob die Pflicht, den Sicherheitsgurt anzulegen, beachtet werde, und zweitens, um für die Verbrechensbekämpfung eventuelle Straftäter zu identifizieren.

24 Schließlich gebe es keine weniger einschneidenden Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Sicherheit des Straßenverkehrs und der öffentlichen Sicherheit, die sie sich gesetzt habe, gewährleisteten. Es handele sich bei dem Verbot, farbige Folien auf Fahrzeugen anzubringen, nicht um ein vollständiges, sondern um ein teilweises Verbot, da es weder für die Wagenkasten von Güterkraftfahrzeugen noch für Fahrzeuge ohne Motor, wie z. B. Schiffe, gelte.

Würdigung durch den Gerichtshof

25 Es ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen einer Klage nach Art. 226 EG das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage bei Ablauf der Frist zu beurteilen ist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde, und dass später eingetretene Änderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können (vgl. Urteile vom 17. Januar 2002, Kommission/Belgien, C-423/00, Slg. 2002, I-593, Randnr. 14, und vom 7. Juni 2007, Kommission/Belgien, C-254/05, Slg. 2007, I-4269, Randnr. 39).

26 Im vorliegenden Fall steht aber fest, dass die Portugiesische Republik bei Ablauf der Frist von zwei Monaten, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003, der es untersagte, farbige Folien auf den Scheiben von Kraftfahrzeugen zu befestigen, nicht aufgehoben hatte. Der Umstand, dass dieser Mitgliedstaat danach einen Regelungsentwurf mitgeteilt hat, in dem die streitige Vorschrift nicht enthalten war, ändert nichts daran, dass es diese Vorschrift zum maßgeblichen Zeitpunkt gegeben hat.

27 Folglich ist zu prüfen, ob diese in Randnr. 6 des vorliegenden Urteils dargelegte Vorschrift mit den von der Kommission genannten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und des Rechts des Europäischen Wirtschaftsraums übereinstimmt.

28 Die Richtlinie 92/22 enthält keine Regelung über farbige Folien, die dazu bestimmt sind, auf Scheiben von Kraftfahrzeugen befestigt zu werden, sondern nur eine Regelung über die Scheiben der Originalausstattung dieser Fahrzeuge, d. h. über getönte Scheiben.

29 In Ermangelung einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene ist Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003 nach dem Maßstab der Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr und der entsprechenden Vorschriften des EWR-Abkommens zu prüfen.

30 Da die letztgenannten Vorschriften mit denen des Vertrags quasi identisch sind, gelten die nachfolgenden Erwägungen zu den Art. 28 EG und 30 EG auch für die entsprechenden Vorschriften des EWR-Abkommens, d. h. für die Art. 11 und 13 dieses Abkommens.

- Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Warenverkehrs

31 Nach ständiger Rechtsprechung ist jede Regelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen anzusehen und daher nach Art. 28 EG verboten (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 1974, Dassonville, 8/74, Slg. 1974, 837, Randnr. 5, vom 19. Juni 2003, Kommission/Italien, C-420/01, Slg. 2003, I-6445, Randnr. 25, und vom 8. November 2007, Ludwigs-Apotheke, C-143/06, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 25).

32 Im vorliegenden Fall räumt die Portugiesische Republik ein, dass das Verbot in Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003, an der Windschutzscheibe und den Scheiben bei den Sitzen der Kraftfahrzeuginsassen farbige Folien zu befestigen, den Vertrieb dieser Erzeugnisse in Portugal beschränkt.

33 Potenzielle Interessenten, Händler oder Privatpersonen, haben in dem Wissen, dass es verboten ist, solche Folien an der Windschutzscheibe und den Scheiben bei den Sitzen der Kraftfahrzeuginsassen zu befestigen, praktisch kein Interesse daran, sie zu kaufen.

34 Die einzige Ausnahme von dem Verbot des Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003 betrifft die Befestigung von bunten Folien an den Wagenkasten von Güterkraftfahrzeugen und bei Fahrzeugen ohne Motor.

35 Die streitige Vorschrift beeinträchtigt somit den Vertrieb nahezu aller in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Unterzeichnerstaat des EWR-Abkommens zur Befestigung an Scheiben von Kraftfahrzeugen rechtmäßig hergestellten und vertriebenen farbigen Folien in Portugal.

36 Demnach ist das in Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003 vorgesehene Verbot eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Sinne der Art. 28 EG und 11 des EWR-Abkommens. Diese Maßnahme ist mit den sich aus diesen Artikeln ergebenden Verpflichtungen unvereinbar, es sei denn, sie lässt sich objektiv rechtfertigen.

- Zum Vorliegen einer Rechtfertigung

37 Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung nur durch einen der in Art. 30 EG aufgeführten Gründe des Gemeinwohls oder eines der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten zwingenden Erfordernisse gerechtfertigt sein (vgl. u. a. Urteil vom 20. Februar 1979, Rewe-Zentral, "Cassis de Dijon", 120/78, Slg. 1979, 649, Randnr. 8), sofern die Maßnahme in beiden Fällen geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteile vom 8. Mai 2003, ATRAL, C-14/02, Slg. 2003, I-4431, Randnr. 64, vom 10. November 2005, Kommission/Portugal, C-432/03, Slg. 2005, I-9665, Randnr. 42, und vom 7. Juni 2007, Kommission/Belgien, Randnr. 33).

38 Im vorliegenden Fall betreffen die von der Portugiesischen Republik geltend gemachten Rechtfertigungsgründe zum einen die Verbrechensbekämpfung im Rahmen des Schutzes der öffentlichen Sicherheit und zum anderen die Kontrolle der Beachtung der Pflicht, den Sicherheitsgurt anzulegen, die in den Bereich der Sicherheit des Straßenverkehrs fällt. Die Verbrechensbekämpfung und die Sicherheit des Straßenverkehrs können zwingende Gründe des Gemeinwohls sein, die eine Behinderung des freien Warenverkehrs rechtfertigen können (vgl. in Bezug auf die Sicherheit des Straßenverkehrs Urteil vom 15. März 2007, Kommission/Finnland, C-54/05, Slg. 2007, I-2473, Randnr. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39 Es ist jedoch Sache der Mitgliedstaaten, nachzuweisen, dass ihre Regelung geeignet ist, die Verwirklichung solcher Ziele zu gewährleisten, und dass sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 20. September 2007, Kommission/Niederlande, C-297/05, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40 In dieser Hinsicht hat die Portugiesische Republik jedoch nur ein Argument zur Begründung der streitigen Maßnahme vorgetragen, nämlich dass sie die unmittelbare Kontrolle des Innenraums von Kraftfahrzeugen durch eine einfache Beobachtung von außen ermögliche.

41 Zwar scheint das Verbot nach Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003 eine solche Beobachtung zu erleichtern und infolgedessen geeignet zu sein, die Ziele der Verbrechensbekämpfung und der Sicherheit des Straßenverkehrs zu erreichen, doch ergibt sich daraus nicht, dass es zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist und dass es dafür keine anderen, weniger einschneidenden Maßnahmen gibt.

42 Die fragliche Sichtkontrolle ist nur eines von mehreren den zuständigen Behörden zur Verfügung stehenden Mitteln, um Verbrechen und Verstöße gegen die Pflicht, den Sicherheitsgurt anzulegen, zu bekämpfen.

43 Die behauptete Notwendigkeit der streitigen Maßnahme ist umso weniger nachgewiesen, als die Portugiesische Republik in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, dass sie in ihrem Gebiet den Vertrieb von Kraftfahrzeugen zulasse, die in der Originalausstattung über Scheiben verfügten, die in den von der Richtlinie 92/22 vorgesehenen Grenzen getönt seien. Diese getönten Scheiben können aber wie die in Rede stehenden farbigen Folien jede Sichtkontrolle des Fahrzeuginnenraums von außen verhindern.

44 Infolgedessen muss man, sofern man nicht hinsichtlich der Kraftfahrzeuge, die in der Originalausstattung über getönten Scheiben verfügen, annimmt, dass die zuständigen Behörden darauf verzichtet haben, die Verbrechensbekämpfung und die Sicherheit des Straßenverkehrs zu gewährleisten, feststellen, dass ihnen andere Methoden zur Verfügung stehen müssen, Straftäter und solche Personen zu identifizieren, die eventuell gegen die Pflicht, den Sicherheitsgurt anzulegen, verstoßen haben.

45 Außerdem hat die Portugiesische Republik nicht nachgewiesen, dass das Verbot, soweit es sich auf alle farbigen Folien bezieht, zur Gewährleistung der Sicherheit des Straßenverkehrs und der Verbrechensbekämpfung notwendig ist.

46 Wie die Kommission in der Verhandlung ausgeführt hat, gibt es ein großes Sortiment an farbigen Folien, das von transparenten bis zu praktisch undurchsichtigen Folien reicht. Diese Angabe, die von der Portugiesischen Republik nicht bestritten worden ist, bedeutet, dass zumindest bei einigen Folien, nämlich denjenigen, die einen ausreichenden Grad an Transparenz aufweisen, die gewünschte Sichtkontrolle des Innenraums von Kraftfahrzeugen möglich ist.

47 Infolgedessen ist dieses Verbot übermäßig und steht somit außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen.

48 Nach alledem ist festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 28 EG und 30 EG sowie aus den Art. 11 und 13 des EWR-Abkommens verstoßen hat, dass sie in Art. 2 Abs. 1 des Decreto Lei Nr. 40 /2003 die Befestigung von farbigen Folien an den Scheiben von Kraftfahrzeugen verboten hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

49 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Portugiesische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 28 EG und 30 EG sowie aus den Art. 11 und 13 des Abkommens vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum verstoßen, dass sie in Art. 2 Abs. 1 des Decreto-Lei Nr. 40/2003 die Befestigung von farbigen Folien an den Scheiben von Kraftfahrzeugen verboten hat.

2. Die Portugiesische Republik trägt die Kosten.



Ende der Entscheidung

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