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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.09.1990
Aktenzeichen: C-265/89
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 97/69/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 97/69/EWG Art. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Durch die in Artikel 1 ihrer Verordnung Nr. 1388/85 getroffene Regelung, daß teilweise entzuckerte Zuckerrübenschnitzel, auch durch unmittelbares Pressen oder nach Zusatz eines Bindemittels ( bis zu etwa 3 Gewichtshundertteilen ) pelletiert, mit einem Gehalt an Saccharose ( einschließlich solcher, die gegebenenfalls aus dem Bindemittel stammt ), bezogen auf den Trockenstoff, von mehr als 10 Gewichtshundertteilen zur Tarifstelle 12.04 A des GZT gehören, hat die Kommission diese Tarifstelle geändert, indem sie Erzeugnisse in diese einbezogen hat, die letztlich nach der Zuckergewinnung aus Zuckerrüben übrigbleiben und als solche als ausgelaugte Zuckerrübenschnitzel im Sinne der Tarifstelle 23.03 B I anzusehen sind. Sie hat damit die Grenzen ihres Ermessensspielraums überschritten mit der Folge, daß der genannte Artikel ungültig ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 18. SEPTEMBER 1990. - GEBROEDERS VISMANS NEDERLAND BV GEGEN INSPECTEUR DER INVOERRECHTEN EN ACCIJNZEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TARIEFCOMMISSIE - NIEDERLANDE. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - TEILWEISE ENTZUCKERTE ZUCKERUEBENSCHNITZEL. - RECHTSSACHE C-265/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Tariefcommissie hat mit Beschluß vom 11. August 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 23. August 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung und der Gültigkeit der Verordnung ( EWG ) Nr. 1388/85 der Kommission vom 24. Mai 1985 zur Einreihung von Waren in die Tarifstelle 12.04 A des Gemeinsamen Zolltarifs ( ABl. L 140, S. 7 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Gebr. Vismans Nederland BV ( im folgenden : Vismans BV ) und dem Inspecteur der invoerrechten en accijnzen ( Inspecteur für Einfuhrzölle und Verbrauchsteuern; im folgenden : Inspecteur ) über die Tarifierung von Schnitzeln teilweise entzuckerter, mit einem Bindemittel zu Pellets gepresster Zuckerrüben.

Der rechtliche Rahmen

3 Die Tarifstellen 12.04 A und 23.03 B I des Gemeinsamen Zolltarifs ( GZT ) in ihrer in der entscheidungserheblichen Zeit geltenden Fassung (( Verordnung ( EWG ) Nr. 3618/86 des Rates vom 24. November 1986 ( ABl. L 345, S. 1 ) )) lauten folgendermassen :

- Tarifnummer 12.04 :

"Zuckerrüben, auch Schnitzel, frisch, getrocknet oder gemahlen; Zuckerrohr :

A. Zuckerrüben :

I. frisch

II. getrocknet oder gemahlen

B. Zuckerrohr";

- Tarifnummer 23.03 :

"Ausgelaugte Zuckerrübenschnitzel, Bagasse und Abfälle von der Zuckergewinnung; Treber, Schlempen und Abfälle aus Brauereien oder Brennereien; Rückstände von der Stärkegewinnung und ähnliche Rückstände :

A....

B. andere :

I. ausgelaugte Zuckerrübenschnitzel, Bagasse und Abfälle von der Zuckergewinnung ".

4 Aufgrund der Ermächtigung in den Artikeln 2 Absatz 3 und 3 der Verordnung ( EWG ) Nr. 97/69 des Rates vom 16. Januar 1969 über die zur einheitlichen Anwendung des Schemas des Gemeinsamen Zolltarifs erforderlichen Maßnahmen ( ABl. L 14, S. 1 ) in der durch die Verordnung ( EWG ) Nr. 2055/84 des Rates vom 16. Juli 1984 ( ABl. L 191, S. 1 ) geänderten Fassung erließ die Kommission die genannte Verordnung Nr. 1388/85. Artikel 1 dieser Verordnung bestimmt :

"Teilweise entzuckerte Zuckerrübenschnitzel, auch durch unmittelbares Pressen oder nach Zusatz eines Bindemittels ( bis zu etwa 3 Gewichtshundertteilen ) pelletiert, mit einem Gehalt an Saccharose ( einschließlich solcher, die gegebenenfalls aus dem Bindemittel stammt ), bezogen auf den Trockenstoff, von mehr als 10 Gewichtshundertteilen, gehören im Gemeinsamen Zolltarif zur Tarifstelle :

12.04 Zuckerrüben, auch Schnitzel, frisch, getrocknet oder gemahlen; Zuckerrohr :

A. Zuckerrüben."

Der Ausgangsrechtsstreit

5 Die Vismans BV führte ausgelaugte Zuckerrübenschnitzel, die nach der Zuckergewinnung übriggeblieben sind, in die Niederlande ein. Diese Rübenschnitzel wurden bei der Einfuhr in die Tarifstelle 23.03 B I des GZT eingeordnet. Aufgrund verschiedener Analysen wurde der Saccharosegehalt der Rübenschnitzel auf 12 % festgelegt, und der Inspecteur beschloß, sie der Tarifnummer 12.04 des GZT zuzuweisen.

6 Die Tariefcommissie, bei der die Vismans BV gegen diese endgültige Tarifierung Klage erhob, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 ) Fallen die genannten Waren, die zwar 12 % Saccharose enthalten, jedoch nach wirtschaftlichen Maßstäben als soweit wie möglich entzuckerte, zu Pellets gepresste 'ausgelaugte Zuckerrübenschnitzel' anzusehen sind, gleichwohl unter den Begriff 'teilweise entzuckerte Zuckerrübenschnitzel' des Artikels 1 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1388/85 der Kommission vom 24. Mai 1985?

2 ) Ist, wenn die erste Frage bejaht wird, die in dieser Frage genannte Verordnung gültig?"

7 In der Begründung des Vorlagebeschlusses stellt die Tariefcommissie fest, daß die eingeführten Erzeugnisse folgende objektive Eigenschaften aufwiesen : Sie sind aus Zuckerrübenschnitzeln hervorgegangen und bilden den Rückstand von einem vollständigen Zuckergewinnungsprozeß. Sie enthalten 12 % Saccharose, bezogen auf den Trockenstoff, einschließlich der Saccharose des Bindemittels. Sie sind zu Pellets gepresst, und sie können nach dem heutigen Stand der Technik nicht nochmals auf wirtschaftlich vertretbare Weise für eine weitergehende Entziehung von Zucker verwendet werden.

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, der anwendbaren Vorschriften sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

9 Mit der ersten Frage möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 1388/85 dahin auszulegen ist, daß sie auf Erzeugnisse, wie die von der Vismans BV eingeführten, anwendbar ist.

10 Für die Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die streitige Verordnung nach ihrer ersten Begründungserwägung die Tarifierung von teilweise entzuckerten Zuckerrübenschnitzeln, auch durch unmittelbares Pressen oder nach Zusatz eines Bindemittels ( bis zu etwa 3 Gewichtshundertteilen ) pelletiert, mit einem Gehalt an Saccharose ( einschließlich solcher, die gegebenenfalls aus dem Bindemittel stammt ), bezogen auf den Trockenstoff, von mehr als 10 Gewichtshundertteilen betrifft. Nach der vierten Begründungserwägung ist es erforderlich, für die Abgrenzung der Zuckerrübenschnitzel der Tarifstelle 12.04 A des GZT von den ausgelaugten Zuckerrübenschnitzeln der Tarifstelle 23.03 B I des GZT einen Gehalt an Saccharose von 10 Gewichtshundertteilen festzusetzen.

11 Sowohl aus dem Wortlaut des Artikels 1 der Verordnung Nr. 1388/85 als auch aus ihren Begründungserwägungen ergibt sich klar, daß Zuckerrübenschnitzel mit einem Gehalt an Saccharose, bezogen auf den Trockenstoff, von mehr als 10 Gewichtshundertteilen allein aufgrund dieser Tatsache in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen.

12 Auf die erste Frage ist also zu antworten, daß die Verordnung Nr. 1388/85 der Kommission vom 24. Mai 1985 zur Einreihung von Waren in die Tarifstelle 12.04 A des Gemeinsamen Zolltarifs dahin auszulegen ist, daß Erzeugnisse, die nach einem Zuckergewinnungsprozeß als Rückstand übriggeblieben sind und einen Saccharosegehalt von 12 Gewichtshundertteilen, bezogen auf den Trockenstoff, aufweisen, unter den Begriff "teilweise entzuckerte Zuckerrübenschnitzel" im Sinne von Artikel 1 dieser Verordnung fallen.

Zur zweiten Frage

13 Was die Auslegung des GZT angeht, so hat der Rat der Kommission, die eng mit den Zollsachverständigen der Mitgliedstaaten zusammenarbeitet, einen weiten Ermessensspielraum für die Erläuterung des Inhalts der Tarifpositionen, die für eine Tarifierung in Frage kommen, eingeräumt, unter dem alleinigen Vorbehalt, daß die von der Kommission erlassenen Bestimmungen den Wortlaut des Tarifs nicht ändern ( Urteile vom 19. Januar 1988 in der Rechtssache 141/86, Customs and Excise ex parte Imperial Tobacco, Slg. 1988, 57, und vom 11. November 1975 in der Rechtssache 37/75, Bagusat, Slg. 1975, 1339 ).

14 Im übrigen ist es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes im Interesse der Rechtssicherheit und leichten Nachprüfbarkeit erforderlich, daß das entscheidende Kriterium für die Tarifierung der Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften gesucht wird, wie sie im Wortlaut der Tarifpositionen des GZT und in den Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind ( siehe Urteile vom 28. Juni 1989 in der Rechtssache 164/88, Rispal, Slg. 1989, 2041, und vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C-233/88, Gijs van de Kolk, Slg. 1990, I-265 ).

15 Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob die Kommission mit dem Erlaß der Verordnung Nr. 1388/85 die Grenzen des ihr eingeräumten Ermessensspielraums überschritten hat.

16 Es steht fest, daß der GZT kein Kriterium für die Abgrenzung zwischen Zuckerrüben, auch Schnitzel, der Tarifstelle 12.04 A und ausgelaugten Zuckerrübenschnitzeln der Tarifstelle 23.03 B I enthält.

17 Es wird nicht bestritten, daß die Kommission, als sie den Saccharosegehalt als Kriterium für die Abgrenzung zwischen den Erzeugnissen festlegte, die in die beiden fraglichen Tarifstellen einzureihen sind, von denen die eine zu Kapitel 12, "Ölsaaten und ölhaltige Früchte; verschiedene Samen und Früchte; Pflanzen zum Gewerbe - oder Heilgebrauch; Stroh und Futter", und die andere zu Kapitel 23, "Rückstände und Abfälle der Lebensmittelindustrie; zubereitetes Futter", des GZT gehört, ein wesentliches Merkmal und eine objektive Eigenschaft der Zuckerrüben gewählt hat, die leicht nachzuprüfen sind.

18 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ( Urteil vom 8. Mai 1974 in der Rechtssache 183/73, Osram, Slg. 1974, 477 ) sind ausserdem die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens heranzuziehen, wonach "ausgelaugte Zuckerrübenschnitzel" im Sinne der Tarifstelle 23.03 B I des GZT "der Rückstand von der Zuckergewinnung aus Zuckerrüben" sind.

19 Hierzu ist festzustellen, daß sich die Begriffe "Rückstände" und "Abfälle" im Sinne der Tarifstelle 23.03 B I beide auf Stoffe beziehen, die nach einem Extraktionsprozeß letztlich übrigbleiben.

20 Aus den Akten ergibt sich, daß es zwar technisch möglich ist, Zuckerrüben oder Schnitzeln davon den Zucker vollständig zu entziehen, daß aber, was auch die Kommission einräumt, bei einer wirtschaftlich vertretbaren Entziehung der Zuckergehalt der Zuckerrübenschnitzel normalerweise nur auf 6 bis 7 Gewichtshundertteile und unter ungünstigen Umständen auf 10 bis 12 Gewichtshundertteile, bezogen auf den Trockenstoff, verringert werden kann.

21 Im übrigen steht fest, daß es nach dem heutigen Stand der Technik praktisch ausgeschlossen ist, daß die Zuckerindustrie entzuckerte Zuckerrübenschnitzel mit einem Gehalt an Saccharose, einschließlich solcher, die gegebenenfalls aus dem Bindemittel stammt ( bis zu etwa 3 Gewichtshundertteilen ), bezogen auf den Trockenstoff, von 10 bis 12 Gewichtshundertteilen noch für die Zuckergewinnung verwendet. In diesem Zusammenhang hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß ihr kein einziger Fall bekannt sei, in dem die Zuckerindustrie noch Zucker aus teilweise entzuckerten Zuckerrübenschnitzeln gewonnen habe.

22 Somit stellen solche Schnitzel ein Erzeugnis dar, das letztlich nach der Zuckergewinnung aus Zuckerrüben übrigbleibt, und sind als solche als ausgelaugte Zuckerrübenschnitzel im Sinne der Tarifstelle 23.03 B I des GZT anzusehen.

23 Die Kommission hat also dadurch, daß sie beschlossen hat, daß teilweise entzuckerte Zuckerrübenschnitzel, auch durch unmittelbares Pressen oder nach Zusatz eines Bindemittels ( bis zu etwa 3 Gewichtshundertteilen ) pelletiert, mit einem Gehalt an Saccharose ( einschließlich solcher, die gegebenenfalls aus dem Bindemittel stammt ), bezogen auf den Trockenstoff, von mehr als 10 Gewichtshundertteilen zur Tarifstelle 12.04 A des GZT gehören, diese Tarifstelle geändert. Sie hat damit die Grenzen ihres Ermessensspielraums überschritten.

24 Die zweite Frage der Tariefcommissie ist demgemäß dahin zu beantworten, daß Artikel 1 der Verordnung Nr. 1388/85 der Kommission vom 24. Mai 1985 zur Einreihung von Waren in die Tarifstelle 12.04 A des Gemeinsamen Zolltarifs ungültig ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

25 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

auf die ihm von der Tariefcommissie mit Beschluß vom 11. August 1989 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Die Verordnung ( EWG ) Nr. 1388/85 der Kommission vom 24. Mai 1985 zur Einreihung von Waren in die Tarifstelle 12.04 A des Gemeinsamen Zolltarifs ist dahin auszulegen, daß Erzeugnisse, die nach einem Zuckergewinnungsprozeß als Rückstand übriggeblieben sind und einen Saccharosegehalt von 12 Gewichtshundertteilen, bezogen auf den Trockenstoff, aufweisen, unter den Begriff "teilweise entzuckerte Zuckerrübenschnitzel" im Sinne von Artikel 1 dieser Verordnung fallen.

2 ) Artikel 1 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1388/85 der Kommission vom 24. Mai 1985 zur Einreihung von Waren in die Tarifstelle 12.04 A des Gemeinsamen Zolltarifs ist ungültig.

Ende der Entscheidung

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