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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.10.1995
Aktenzeichen: C-266/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, GWB


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 85
GWB § 26
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages ist so auszulegen, daß er es verbietet, daß der führende Kraftfahrzeughersteller eines Mitgliedstaats seinen in diesem Staat ansässigen Händlern die Verpflichtung auferlegt, eine Agenturtätigkeit im Leasinggeschäft ausschließlich für Rechnung seiner eigenen Leasinggesellschaft zu entfalten.

Zum einen bezwecken oder zumindest bewirken solche ausschließlichen Agenturverträge nämlich eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs, indem sie den Zugang von Leasinggesellschaften, die mit der Leasinggesellschaft dieses Herstellers in Wettbewerb stehen, zu Leasinggeschäften betreffend Fahrzeuge dieses Herstellers beschränken und dessen Händler daran hindern, im eigenen Namen und für eigene Rechnung eine Leasingtätigkeit aufzunehmen. Zum anderen beeinträchtigen solche Verträge den Handel zwischen Mitgliedstaaten, soweit diese Händler weder als Vermittler für in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Leasinggesellschaften auftreten noch für eigene Rechnung Leasingverträge mit in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Verbrauchern abschließen können.

2. Die Verordnung Nr. 123/85 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge ist so auszulegen, daß sie die vom führenden Kraftfahrzeughersteller eines Mitgliedstaats seinen in diesem Staat ansässigen Händlern auferlegte Verpflichtung, eine Agenturtätigkeit im Leasinggeschäft ausschließlich für Rechnung seiner eigenen Leasinggesellschaft zu entfalten, nicht freistellt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 24. OKTOBER 1995. - BUNDESKARTELLAMT GEGEN VOLKSWAGEN AG UND VAG LEASING GMBH. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESGERICHTSHOF - DEUTSCHLAND. - KRAFTFAHRZEUGLEASING - AUSSCHLIESSLICHE AGENTURTAETIGKEIT DER HAENDLER EINES HERSTELLERS FUER DESSEN DAS LEASINGGESCHAEFT BETREIBENDE TOCHTERGESELLSCHAFT - AUSLEGUNG DES ARTIKELS 85 ABSATZ 1 EWG-VERTRAG UND DER VERORDNUNG (EWG) NR. 123/85. - RECHTSSACHE C-266/93.

Entscheidungsgründe:

1 Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluß vom 19. Januar 1993, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Mai 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag und der Verordnung (EWG) Nr. 123/85 der Kommission vom 12. Dezember 1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge (ABl. 1985, L 15, S. 16) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Bundeskartellamt und der Volkswagen AG (im folgenden: V.A.G.) sowie der V.A.G. Leasing GmbH (im folgenden: V.A.G. Leasing), einer das Leasinggeschäft betreibenden Tochtergesellschaft der V.A.G., wegen einer vom Bundeskartellamt an diese Unternehmen gerichteten Anordnung, Verhaltensweisen, die seiner Auffassung nach gegen deutsches Wettbewerbsrecht verstießen, abzustellen.

3 Mit einem Marktanteil von 28,2 % im Jahre 1989 ist die V.A.G. der führende deutsche Kraftfahrzeughersteller. In Deutschland vertreibt sie die Fahrzeuge der Marken Volkswagen und Audi über ein Netz von mehr als 1 600 Vertragshändlern.

4 Grundlage der Beziehungen zwischen V.A.G. und den Händlern ist ein Händlervertrag, durch den V.A.G. diesen für ein bestimmtes Gebiet den Publikumsverkauf von Neuwagen und Ersatzteilen der Marken Volkswagen und Audi sowie den Kundendienst überträgt. Die Händler müssen ferner bestimmte Dienstleistungen anbieten, darunter Leasinggeschäfte, die im Rahmen des V.A.G.-Konzerns von der V.A.G. Leasing abgewickelt werden.

5 Seit ihrer Gründung im Jahre 1966 übt die V.A.G. Leasing, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der V.A.G., ihre Tätigkeit in Zusammenarbeit mit Händlern aus, und zwar namentlich aufgrund von ausschließlichen Agenturverträgen. In diese Praxis wurden 1989 alle deutschen Händler einbezogen, als V.A.G. und V.A.G. Leasing an diese ein Schreiben betreffend die "Agenturtätigkeit der V.A.G. Händler für die V.A.G. Leasing GmbH" richteten.

6 Nach diesem Schreiben sollten die Händler Leasingverträge für die V.A.G. Leasing aushandeln. Sie sollten die entsprechenden Fahrzeuge in eigenem Namen und für eigene Rechnung bei der V.A.G. erwerben und dann das Eigentum an diesen zum Einstandspreis auf die V.A.G Leasing übertragen. Für den Abschluß eines Leasingvertrags sollten sie von der V.A.G. Leasing eine Vermittlungsprovision in Höhe der Handelsspanne bei einem normalen Verkaufsgeschäft erhalten. Nach Ablauf des Leasingvertrags sollte ihnen das Fahrzeug wieder überstellt werden, und sie sollten es entsprechend den Verträgen und den in den allgemeinen Richtlinien vorgesehenen Bedingungen veräussern. Wie sich aus dem Vorlagebeschluß und dem an die Händler ausgegebenen Leasing-Taschenbuch ergibt, kaufen diese das Fahrzeug hierzu von der V.A.G. Leasing zurück.

7 Das Schreiben verpflichtete die Händler ferner zu einer ausschließlichen Aquisitions- und Agenturtätigkeit für die V.A.G. Leasing. Allerdings ergibt sich aus dem Vorlagebeschluß, daß diese Ausschließlichkeitsklausel die Händler nicht daran hindert, Leasingverträge für eine konkurrierende Leasinggesellschaft auszuhandeln, wenn der Kunde deren Einschaltung wünscht oder wenn er den Händlern von einer solchen Gesellschaft vermittelt wurde.

8 Dem Schreiben zufolge führte die Einschaltung der V.A.G. Leasing in das V.A.G. Vertriebssystem notwendig zu direkten Rechtsbeziehungen zwischen der V.A.G. und den V.A.G.-Händlern. Sie wurden daher aufgefordert, durch Unterzeichnung und Rücksendung des dem Schreiben beigefügten Duplikats zu erklären, daß sie bereit seien, mit der V.A.G. Leasing zusammenzuarbeiten.

9 Das Leasinggeschäft macht 18 % des Inlandsumsatzes der V.A.G. aus. Nach ihren Angaben wickelt die V.A.G. Leasing etwa 80 % der Leasinggeschäfte betreffend Fahrzeuge der Marken Volkswagen und Audi ab, was ungefähr 20 % des deutschen Kraftfahrzeugleasingmarktes entspricht. Auf dem deutschen Markt sind etwa 400 Leasingunternehmen tätig, darunter Tochterunternehmen anderer Hersteller und solcher Unternehmen, die mit Kraftfahrzeughändlern oder grossen Kreditinstituten verbunden sind. Nach einer Studie, die von einer der grössten herstellerunabhängigen Leasinggesellschaften, der Auto-Leasing D, veröffentlicht wurde, beläuft sich der Marktanteil der von den Kraftfahrzeugherstellern abhängigen Gesellschaften auf 60 %, wobei die V.A.G. Leasing den ersten Platz auf dem Markt einnimmt.

10 Das Bundeskartellamt gelangte zu der Auffassung, die ausschließliche Bindung der V.A.G.-Händler an die V.A.G. Leasing stelle eine unbillige Behinderung der Geschäftstätigkeit dieser Händler und der unabhängigen Leasinggesellschaften dar; mit Beschluß vom 25. Juli 1990 untersagte es daher der V.A.G. und der V.A.G. Leasing, die Händler zu veranlassen, Leasingverträge ausschließlich für die V.A.G. Leasing zu vermitteln. Es untersagte der V.A.G. weiterhin, ihren Händlern zu verbieten, neue Kraftfahrzeuge an unabhängige Leasinggesellschaften zu verkaufen, soweit diese Händler Leasingverträge vermittelt haben.

11 Das Bundeskartellamt stützte sich hierbei auf § 26 Absatz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), wonach marktbeherrschende Unternehmen ein anderes Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, weder unmittelbar noch mittelbar ohne sachlich gerechtfertigten Grund behindern dürfen. Dasselbe Verbot gilt für Unternehmen, von denen kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, daß ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen.

12 Auf die Beschwerden der V.A.G. und der V.A.G. Leasing hob das Kammergericht am 15. März 1991 die Verfügung des Bundeskartellamts auf, weil die nach § 26 Absatz 2 GWB erforderlichen Eingriffsvoraussetzungen nicht gegeben seien. Die V.A.G. und die V.A.G. Leasing hätten keine beherrschende Stellung auf dem Kraftfahrzeugmarkt. Ausserdem seien die Händler keine kleinen oder mittleren Unternehmen. Hiergegen legte das Bundeskartellamt beim Bundesgerichtshof Rechtsbeschwerde ein.

13 Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs wäre die ausschließliche vertragliche Bindung der V.A.G.-Händler an die V.A.G. Leasing zwangsläufig eine unbillige Behinderung im Sinne des § 26 Absatz 2 GWB, wenn festgestellt würde, daß sie gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstösst. Daher fragt er zunächst nach der Tragweite dieser Vertragsbestimmung. Für den Fall, daß die streitigen Verträge sich als mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages unvereinbar erweisen würden, stelle sich die Frage, ob sie nicht durch die Verordnung Nr. 123/85 freigestellt seien. Falls die streitigen Verträge mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vereinbar seien oder zwar gegen diesen verstossen würden, aber nach der Verordnung Nr. 123/85 freigestellt seien, sei schließlich zu fragen, ob die eine oder die andere dieser gemeinschaftsrechtlichen Regeln der Anwendung strengerer Vorschriften des deutschen Wettbewerbsrechts entgegenstehe.

14 Aus diesen Gründen hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Der führende inländische Hersteller von Kraftfahrzeugen verbietet den inländischen Vertragshändlern seines selektiven Vertriebsbindungssystems, an Leasingunternehmen ° mit Ausnahme der unternehmenseigenen Leasinggesellschaft ° Leasingverträge zu vermitteln oder an sie neue Kraftfahrzeuge zu verkaufen, wenn die Fahrzeuge der Abwicklung von Leasingverträgen dienen sollen, die von den Vertragshändlern vermittelt wurden. Ist anzunehmen, daß ein solches Verbot und seine Befolgung durch die inländischen Vertragshändler im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, oder ist eine solche Eignung zu vermuten?

2) Wird das unter 1 umschriebene Verhalten von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag erfasst, wenn es geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen?

3) Falls Frage 2 zu bejahen ist: Wird das unter 1 umschriebene Verhalten durch die Verordnung (EWG) Nr. 123/85 von der Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 EWG-Vertrag freigestellt?

4) Stehen die genannten Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts einer Entscheidung der nationalen Kartellbehörde entgegen, die ein Verhalten der unter 1 umschriebenen Art untersagt?

15 Der Gerichtshof geht davon aus, daß die Vorlagefragen sich, wie in der Rechtssache C-70/93, auf Verkäufe an Kraftfahrzeugleasinggesellschaften beziehen, bei denen kein Eigentumsübergang auf die Leasingnehmer vorgesehen ist.

Zu den ersten beiden Fragen betreffend die Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages

16 Die ersten beiden Fragen des vorlegenden Gerichts gehen im wesentlichen dahin, ob Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages so auszulegen ist, daß er es verbietet, daß der führende Kraftfahrzeughersteller eines Mitgliedstaats seinen in diesem Staat ansässigen Händlern die Verpflichtung auferlegt, eine Agenturtätigkeit im Leasinggeschäft ausschließlich für Rechnung seiner eigenen Leasinggesellschaft zu entfalten.

17 Nach ständiger Rechtsprechung, begründet durch die Urteile vom 30. Juni 1966 in der Rechtssache 56/65 (Société technique minière [LTM], Slg. 1966, 337) und vom 13. Juli 1966 in den verbundenen Rechtssachen 56/64 und 58/64 (Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 429), können Vereinbarungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern, die auf verschiedenen Wirtschaftsstufen tätig sind, sogenannte vertikale Vereinbarungen, Vereinbarungen im Sinne des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages sein und unter das in dieser Bestimmung aufgestellte Verbot fallen.

18 Die V.A.G. und die V.A.G. Leasing machen jedoch geltend, als Vermittler der V.A.G. Leasing bildeten die deutschen V.A.G.-Händler mit ihnen eine wirtschaftliche Einheit; da es somit an einer Mehrheit von Unternehmen fehle, seien die ausschließlichen Agenturverträge der Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages entzogen.

19 Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Vertreter können ihre Eigenschaft als selbständiger Wirtschaftsteilnehmer nur verlieren, wenn sie keines der Risiken aus den für den Geschäftsherrn vermittelten Geschäften tragen und als Hilfsorgan in das Unternehmen des Geschäftsherrn eingegliedert sind (Urteil vom 16. Dezember 1975 in den verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Coöperatieve Vereniging "Suiker Unie" u. a., Slg. 1975, 1663, Randnr. 539). Die deutschen V.A.G.-Händler übernehmen jedoch zumindest teilweise die finanziellen Risiken aus den für die V.A.G. Leasing durchgeführten Geschäften, soweit sie von dieser die Fahrzeuge nach Ablauf der Leasingverträge zurückkaufen. Ausserdem gehen sie in der Hauptsache weitgehend unabhängig einer Verkaufs- und Kundendiensttätigkeit im eigenen Namen und für eigene Rechnung nach.

20 Da die ausschließlichen Agenturverträge, durch die alle deutschen V.A.G.-Händler an die V.A.G. Leasing gebunden sind, Vereinbarungen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages sind, ist zu prüfen, ob sie eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken und ob sie geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

21 Was die Frage der wettbewerbswidrigen Wirkung der streitigen ausschließlichen Agenturverträge angeht, so bauen diese auf den V.A.G.-Vertriebsverträgen auf, von denen feststeht, daß sie gegen Artikel 85 Absatz 1 verstossen, jedoch durch die Verordnung Nr. 123/85 freigestellt sind. Die Händler sind nämlich aufgrund ihrer Eigenschaft als V.A.G.-Vertragshändler gezwungen worden, Vertreter der V.A.G. Leasing zu werden. Zum einen waren sie bereits durch die Vertriebsverträge verpflichtet, der Kundschaft die Dienstleistungen der V.A.G. Leasing anzubieten. Zum anderen knüpft das Rundschreiben über die Agenturtätigkeit im Leasingbereich diese Tätigkeit ausdrücklich an die den Händlern durch den Händlervertrag auferlegte Verpflichtung, die Interessen der V.A.G., der VW- und Audi-Vertriebsorganisation sowie deren Marken zu vertreten und in jeder Weise zu fördern (§ 2 Nr. 6 des Händlervertrags).

22 Des weiteren binden die ausschließlichen Agenturverträge alle deutschen V.A.G.-Händler, und diese haben in ihrem Vertragsgebiet das ausschließliche Recht zum Verkauf von Neufahrzeugen der Marken Volkswagen und Audi.

23 Unter diesen Umständen stellt sich das an die Händler gerichtete Verbot, für Leasinggesellschaften, die mit der V.A.G. Leasing in Wettbewerb stehen, Kunden zu werben und als Vermittler tätig zu werden, als eine Beschränkung des Zugangs dieser Gesellschaften zu Leasinggeschäften betreffend Fahrzeuge der Marken Volkswagen und Audi dar. Diese können nämlich nicht den privilegierten Zugang zu den potentiellen Kunden nutzen, den das Netz der V.A.G.-Händler bietet.

24 Darüber hinaus ist die im Agenturvertrag enthaltene Ausschließlichkeitsklausel unter einem zweiten Gesichtspunkt wettbewerbsbeschränkend: Sie hindert die V.A.G.-Händler daran, im eigenen Namen und für eigene Rechnung eine Leasingtätigkeit aufzunehmen. Insoweit schränkt sie die Handlungsfreiheit von Wirtschaftsteilnehmern ein, die von der V.A.G. zu unterscheiden sind, und soll deren Einbeziehung in die Vertriebsstrategie des Herstellers vertiefen.

25 In Anbetracht der Marktführerschaft der V.A.G. auf dem Inlandsmarkt für Neuwagen und der V.A.G. Leasing auf dem Inlandsmarkt für Kraftfahrzeugleasing ist festzustellen, daß die streitigen ausschließlichen Agenturverträge eine spürbare Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder zumindest bewirken.

26 Die Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels schließlich ergibt sich schon daraus, daß die ausschließlichen Agenturverträge alle deutschen V.A.G.-Händler binden. Wie der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, haben wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen, die sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, schon ihrem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem sie die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindern (Urteil vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 42/84, Remia u. a./Kommission, Slg. 1985, 2545, Randnr. 22). Praktisch können die deutschen V.A.G.-Händler weder als Vermittler für in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Leasinggesellschaften auftreten noch für eigene Rechnung Leasingverträge mit in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Verbrauchern abschließen.

27 Auf die ersten beiden Fragen ist daher zu antworten, daß Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag so auszulegen ist, daß er es verbietet, daß der führende Kraftfahrzeughersteller eines Mitgliedstaats seinen in diesem Staat ansässigen Händlern die Verpflichtung auferlegt, eine Agenturtätigkeit im Leasinggeschäft ausschließlich für Rechnung seiner eigenen Leasinggesellschaft zu entfalten.

Zur dritten Frage betreffend die Verordnung Nr. 123/85

28 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob die Verordnung Nr. 123/85 so auszulegen ist, daß sie die den in einem Mitgliedstaat ansässigen Händlern vom führenden Kraftfahrzeughersteller dieses Mitgliedstaats auferlegte Verpflichtung, eine Agenturtätigkeit im Leasinggeschäft ausschließlich für Rechnung seiner eigenen Leasinggesellschaft zu entfalten, freistellt.

29 Die Verordnung Nr. 123/85 stellt Vereinbarungen, durch die der Lieferant den (autorisierten) Händler beauftragt, den Vertrieb der Vertragswaren in einem bestimmten Gebiet zu fördern, und sich verpflichtet, innerhalb dieses Gebietes nur ihn mit Kraftfahrzeugen und Ersatzteilen zu beliefern, von der Anwendung des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages frei (Artikel 1). Sie stellt hiervon auch die den Händlern auferlegte Verpflichtung frei, keine Kraftfahrzeuge konkurrierender Marken zu verkaufen (Artikel 3 Nr. 3) und keine Vertragswaren an Wiederverkäufer zu liefern, die nicht zum Vertriebsnetz gehören (Artikel 3 Nr. 10), sofern es sich nicht um Vermittler handelt, d. h. um Unternehmer, die im Namen und für Rechnung von Endverbrauchern tätig werden und hierzu einen schriftlichen Auftrag erhalten (Artikel 3 Nr. 11).

30 Dagegen enthält keine Vorschrift der Verordnung eine ausdrückliche Regelung für Leasingverträge. Nur Artikel 13, der die in der Verordnung verwendeten Begriffe definiert, bestimmt in Nr. 12: "' Vertreiben' und 'verkaufen' umfasst andere Formen des Absatzes wie zum Beispiel Leasing."

31 Unter Berufung auf diese Vorschrift in Verbindung mit Artikel 3 Nr. 10 Buchstabe a der Verordnung, wonach der Hersteller seinen Händlern untersagen darf, Vertragswaren an einen Wiederverkäufer zu liefern, der nicht zum Vertriebsnetz gehört, setzen die V.A.G. und die V.A.G. Leasing die herstellerunabhängigen Leasinggesellschaften mit Wiederverkäufern gleich, die nicht dem V.A.G. Vertriebsnetz angehören. Da es somit zulässig sei, den Händlern die Belieferung von herstellerunabhängigen Leasinggesellschaften zu untersagen, könne ihnen erst recht das Aushandeln von Leasingverträgen für solche Gesellschaften untersagt werden. Die streitigen ausschließlichen Agenturverträge seien daher durch die Verordnung Nr. 123/85 gedeckt.

32 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

33 Zunächst dürfen in Anbetracht des allgemeinen Verbotes wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen in Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages in einer Gruppenfreistellungsverordnung enthaltene Ausnahmevorschriften nicht extensiv und nicht so ausgelegt werden, daß die Wirkungen der Verordnung über das hinausgehen, was zum Schutz der Interessen, deren Wahrung sie dienen soll, erforderlich ist.

34 Ferner können Leasinggesellschaften, die keine Kaufoption anbieten, nicht als Wiederverkäufer von Neufahrzeugen ° nur diese werden von der Verordnung Nr. 123/85 erfasst ° angesehen werden, soweit sie sich darauf beschränken, Fahrzeuge zu kaufen, um die Aufträge ihrer Kunden zu erfuellen, und keine Lagerbestände bilden, die sie einer hierdurch angezogenen Kundschaft anbieten.

35 Wie schließlich die Kommission zutreffend ausführt, betrifft die in Artikel 13 Nr. 12 enthaltene Definition ausschließlich die Beziehungen zwischen Hersteller und Händler. Diese Vorschrift soll nämlich den Händler daran hindern, dadurch einige seiner vertraglichen Verpflichtungen zu umgehen, daß er sich des Leasings bedient. Artikel 13 Nr. 12 soll also verhindern, daß der Händler sich seiner Verpflichtung entzieht, keine Fahrzeuge einer anderen Marke zu verkaufen (Artikel 3 Nr. 3 der Verordnung), indem er Fahrzeuge einer Konkurrenzmarke verleast. Er gewährleistet weiter die Einhaltung der Verpflichtung des Händlers, nicht ausserhalb des ihm zugewiesenen Gebiets aktiv Kunden zu werben (Artikel 3 Nr. 8 der Verordnung), indem er ihn daran hindert, Vertragswaren ausserhalb seines Gebietes zu verleasen. Artikel 13 Nr. 12 ist daher für die Beurteilung der Frage, ob herstellerunabhängige Leasinggesellschaften im Sinne des Artikels 3 Nr. 10 Buchstabe a der Verordnung Wiederverkäufer sind, die nicht zum Vertriebsnetz gehören, unerheblich.

36 Die ausschließlichen Agenturverträge sind auch nicht aufgrund von Artikel 3 Nr. 3 der Verordnung freigestellt, wonach der Händler verpflichtet werden kann, keine neuen Konkurrenzkraftfahrzeuge zu verkaufen. Die streitigen Vereinbarungen betreffen nämlich das Leasing von Fahrzeugen der Marken Volkswagen und Audi, nicht aber von Fahrzeugen einer Konkurrenzmarke.

37 Auf die dritte Frage des vorlegenden Gerichts ist daher zu antworten, daß die Verordnung Nr. 123/85 so auszulegen ist, daß sie die den in einem Mitgliedstaat ansässigen Händlern vom führenden Kraftfahrzeughersteller dieses Mitgliedstaats auferlegte Verpflichtung, eine Agenturtätigkeit im Leasinggeschäft ausschließlich für Rechnung seiner eigenen Leasinggesellschaft zu entfalten, nicht freistellt.

Zur vierten Frage betreffend das Verhältnis von gemeinschaftlichem und nationalem Wettbewerbsrecht

38 Da die vierte Frage nur für den Fall gestellt ist, daß die streitigen ausschließlichen Agenturverträge mit Artikel 85 Absatz 1 vereinbar sind, oder für den Fall, daß sie zwar gegen diese Bestimmung verstossen, aber aufgrund der Verordnung Nr. 123/85 freigestellt sind, braucht sie nicht behandelt zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 19. Januar 1993 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag ist so auszulegen, daß er es verbietet, daß der führende Kraftfahrzeughersteller eines Mitgliedstaats seinen in diesem Staat ansässigen Händlern die Verpflichtung auferlegt, eine Agenturtätigkeit im Leasinggeschäft ausschließlich für Rechnung seiner eigenen Leasinggesellschaft zu entfalten.

2) Die Verordnung (EWG) Nr. 123/85 der Kommission vom 12. Dezember 1984 über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages auf Gruppen von Vertriebs- und Kundendienstvereinbarungen über Kraftfahrzeuge ist so auszulegen, daß sie die den in einem Mitgliedstaat ansässigen Händlern vom führenden Kraftfahrzeughersteller dieses Mitgliedstaats auferlegte Verpflichtung, eine Agenturtätigkeit im Leasinggeschäft ausschließlich für Rechnung seiner eigenen Leasinggesellschaft zu entfalten, nicht freistellt.

Ende der Entscheidung

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