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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 03.07.1997
Aktenzeichen: C-269/95
Rechtsgebiete: Protokoll vom 3. Juni 1971, Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königre


Vorschriften:

Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königre Art. 13 Abs. 1
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königre Art. 14 Abs. 1
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königre Art. 17 Abs. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Im Rahmen der durch die Artikel 13 ff. des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geschaffenen besonderen Regelung fallen nur die Verträge, die eine Einzelperson zur Deckung ihres Eigenbedarfs zum privaten Verbrauch schließt, unter die Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers als des Beteiligten, der als der wirtschaftlich schwächere Vertragspartner angesehen wird. Dagegen ist der mit diesen Vorschriften angestrebte besondere Schutz nicht gerechtfertigt bei Verträgen, deren Zweck in einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit besteht, auch wenn diese erst für die Zukunft vorgesehen ist, weil die Tatsache, daß es sich um eine erst künftig aufzunehmende Tätigkeit handelt, nichts an ihrer beruflichen oder gewerblichen Natur ändert. Die betreffende Regelung gilt folglich nur für Verträge, die ohne Bezug zu einer gegenwärtigen oder zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen geschlossen werden, mit der Folge, daß ein Kläger, der einen Vertrag zum Zwecke der Ausübung einer nicht gegenwärtigen, sondern zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, nicht als Verbraucher im Sinne der Artikel 13 Absatz 1 und 14 Absatz 1 des Übereinkommens angesehen werden kann.

4 Ziel des Artikels 17 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist es, ein Gericht eines Vertragsstaats, das gemäß dem nach den in dieser Vorschrift geregelten strengen Formvoraussetzungen zum Ausdruck gebrachten übereinstimmenden Willen der Parteien ausschließlich zuständig sein soll, klar und eindeutig zu bestimmen. Dabei könnte es leicht zu einer Gefährdung der mit dieser Vorschrift angestrebten Rechtssicherheit kommen, wenn einer Vertragspartei die Möglichkeit eingeräumt würde, das Eingreifen dieser Vorschrift allein durch die Behauptung zu vereiteln, daß der gesamte Vertrag aus Gründen des anwendbaren materiellen Rechts unwirksam sei. Das Gericht eines Vertragsstaats, das in einer gemäß Artikel 17 Absatz 1 wirksam getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung als zuständiges Gericht bestimmt ist, ist folglich auch dann ausschließlich zuständig, wenn mit der Klage u. a. die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages begehrt wird, in dem diese Vereinbarung enthalten ist. Im übrigen ist es Sache des nationalen Gerichts, zu bestimmen, welche Streitigkeiten in den Anwendungsbereich der vor ihm geltend gemachten Klausel fallen, und somit zu entscheiden, ob sie auch Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Vertrages erfasst, in dem sie enthalten ist.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 3. Juli 1997. - Francesco Benincasa gegen Dentalkit Srl. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht München - Deutschland. - Brüsseler Übereinkommen - Begriff des Verbrauchers - Gerichtsstandsvereinbarung. - Rechtssache C-269/95.

Entscheidungsgründe:

1 Das Oberlandesgericht München hat mit Beschluß vom 5. Mai 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 9. August 1995, gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1, und - geänderte Fassung - S. 77; im folgenden: Übereinkommen) drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 13 Absatz 1, 14 Absatz 1 und 17 Absatz 1 dieses Übereinkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Dentalkit Srl (im folgenden: Beklagte) mit Sitz in Florenz und dem italienischen Staatsangehörigen Francisco Benincasa (im folgenden: Kläger) über die Gültigkeit eines zwischen ihnen geschlossenen Franchisevertrags.

3 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens geht hervor, daß die Beklagte 1987 in Italien eine Kette von Franchisegeschäften aufbaute, die auf den Verkauf von Produkten der Zahnhygiene spezialisiert sind. Der Kläger schloß 1992 in Florenz mit der Beklagten einen Franchisevertrag zur Einrichtung und zum Betrieb eines Geschäfts in München. Die Beklagte erlaubte in diesem Vertrag dem Kläger, das Ausschließlichkeitsrecht in bezug auf die Marke Dentalkit im Bereich eines bestimmten Verkaufsgebiets zu nutzen. Ausserdem verpflichtete sich die Beklagte, die mit dieser Marke versehenen Waren zu liefern, Unterstützung in bestimmten Bereichen zu leisten, die erforderliche Schulung sowie Verkaufsförderungs- und Werbeaktivitäten durchzuführen und kein Verkaufsgeschäft in dem exklusiv eingeräumten Verkaufsgebiet zu eröffnen.

4 Der Kläger verpflichtete sich, auf eigene Rechnung Geschäftsräume einzurichten, das Geschäft ausschließlich mit Produkten der Beklagten auszustatten, Informationen und Unterlagen bezueglich der Beklagten geheimzuhalten, einen Betrag in Höhe von 8 Millionen LIT als Kostenerstattung für die technisch-kaufmännische Unterstützung bei der Eröffnung des Verkaufsgeschäfts an die Beklagte zu zahlen und 3 % des jährlichen Verkaufsumsatzes an sie abzuführen. Unter Bezugnahme auf die Artikel 1341 und 1342 des italienischen Codice Civile stimmten die Vertragsparteien durch gesonderte Unterschrift der folgenden Vertragsklausel zu: "Für jedwede Streitigkeit über die Interpretation, Ausführung oder Sonstiges des vorliegenden Vertrages ist der Gerichtsstand in Florenz zuständig".

5 Der Kläger richtete sein Geschäft ein, zahlte das Anfangsentgelt von 8 Millionen LIT und tätigte mehrere Einkäufe, die er allerdings nicht bezahlte. Er hat sein Geschäft inzwischen aufgegeben.

6 Der Kläger rief das Landgericht München I an und machte geltend, nach deutschem Recht sei der Vertrag insgesamt unwirksam; ausserdem erklärte er den Widerruf des Vertrages und focht den Vertrag an. Auch die aufgrund des Franchisevertrages nachfolgend abgeschlossenen Kaufverträge seien unwirksam.

7 Nach Auffassung des Klägers ist das Landgericht München I als Gericht des Erfuellungsorts im Sinne von Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens zuständig. Die im Franchisevertrag vereinbarte Gerichtsstandsklausel zugunsten der Gerichte in Florenz habe für seine Feststellungsklage keine Derogationswirkung, da mit der Klage die Feststellung der Unwirksamkeit des gesamten Vertrages, also einschließlich der Gerichtsstandsvereinbarung, begehrt werde. Zudem müsse er, da er noch nicht gewerblich tätig gewesen sei, als Verbraucher im Sinne der Artikel 13 Absatz 1 und 14 Absatz 1 des Übereinkommens angesehen werden.

8 In diesen Vorschriften heisst es:

Artikel 13

"Für Klagen aus einem Vertrag, den eine Person zu einem Zweck abgeschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person (Verbraucher) zugerechnet werden kann, bestimmt sich die Zuständigkeit, unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5, nach diesem Abschnitt,

1. wenn es sich um den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung handelt,

..."

Artikel 14

"Die Klage eines Verbrauchers gegen die andere Vertragspartei kann entweder vor den Gerichten des Vertragsstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet diese Vertragspartei ihren Wohnsitz hat, oder vor den Gerichten des Vertragsstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.

..."

9 Das Landgericht München I verneinte seine Zuständigkeit und nahm an, daß die Gerichtsstandsvereinbarung im Franchisevertrag wirksam sei und daß es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Verbrauchersache handele.

10 Auf die Berufung des Klägers gegen diese Entscheidung hat das Oberlandesgericht München das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist ein Kläger auch dann als Verbraucher im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 und Artikel 14 Absatz 1 des Übereinkommens anzusehen, wenn die Klage einen Vertrag betrifft, welchen der Kläger nicht zum Zwecke einer bereits ausgeuebten gewerblichen Tätigkeit, sondern einer erst künftig aufzunehmenden gewerblichen Tätigkeit abgeschlossen hat (hier: Franchisevertrag zur Begründung eigener gewerblicher Existenz)?

2. Falls die Frage 1 zu bejahen ist:

Schließt Artikel 13 Absatz 1 Nummer 1 des Übereinkommens (Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung) einen Franchisevertrag ein, bei dem es sich um die Verpflichtung des Klägers handelt, während eines mehrjährigen Zeitraums (drei Jahre) die zur Ausstattung und zum Betrieb eines Geschäfts erforderlichen Gegenstände und Waren bei dem Vertragspartner einzukaufen (ohne Teilzahlungsabrede) sowie eine Eintrittsvergütung und vom zweiten Jahr der Tätigkeit an eine Lizenzgebühr in Höhe von 3 % des Umsatzes zu zahlen?

3. Ist das in einer Gerichtsstandsvereinbarung bestimmte Gericht eines Mitgliedstaats gemäß Artikel 17 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens auch dann ausschließlich zuständig, wenn mit der Klage u. a. die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages begehrt wird, in welchem die Gerichtsstandsvereinbarung selbst enthalten ist mit dem folgenden Wortlaut (Übersetzung): "Für jedwede Streitigkeit über die Interpretation, Ausführung oder Sonstiges des vorliegenden Vertrages ist der Gerichtsstand in Florenz zuständig", gesondert angenommen unter Hinweis auf Artikel 1341 und 1342 des italienischen Codice Civile?

Zur ersten Frage

11 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob die Artikel 13 Absatz 1 und 14 Absatz 1 des Übereinkommens so auszulegen sind, daß ein Kläger, der einen Vertrag zur Ausübung einer nicht gegenwärtigen, sondern zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit abgeschlossen hat, als Verbraucher angesehen werden kann.

12 Nach dem in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz (vgl. u. a. Urteile vom 21. Juni 1978 in der Rechtssache 150/77, Bertrand, Slg. 1978, 1431, Randnrn. 14 bis 16 und 19, und vom 19. Januar 1993 in der Rechtssache C-89/91, Shearson Lehmann Hutton, Slg. 1993, I-139, Randnr. 13) sind die im Übereinkommen verwendeten Begriffe - die nach dem innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten eine unterschiedliche Bedeutung haben können - autonom auszulegen, um die einheitliche Anwendung des Übereinkommens in allen Vertragsstaaten zu gewährleisten; dabei müssen in erster Linie die Systematik und die Zielsetzungen des Übereinkommens berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für den Begriff des Verbrauchers im Sinne der Artikel 13 ff. des Übereinkommens als entscheidendes Anknüpfungskriterium für die gerichtliche Zuständigkeit.

13 Des weiteren gilt nach ständiger Rechtsprechung im System des Übereinkommens der allgemeine Grundsatz, daß die Gerichte des Vertragsstaats zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, und daß das Übereinkommen nur als Ausnahme von diesem Grundsatz abschließend die Fälle aufführt, in denen eine Person vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaats - je nach Lage des Falles - verklagt werden kann oder muß. Infolgedessen sind die von diesem allgemeinen Grundsatz abweichenden Zuständigkeitsregeln einer Auslegung nicht zugänglich, die über die in dem Übereinkommen vorgesehenen Fälle hinausgeht (Urteil Shearson Lehmann Hutton, a. a. O., Randnrn. 14 bis 16).

14 Eine solche Auslegung ist um so mehr geboten bei einer Zuständigkeitsvorschrift wie derjenigen des Artikels 14 des Übereinkommens, die es einem Verbraucher im Sinne des Artikels 13 des Übereinkommens ermöglicht, eine Person vor den Gerichten des Vertragsstaats zu verklagen, in dessen Hoheitsgebiet der Kläger seinen Wohnsitz hat. Mit Ausnahme der ausdrücklich vorgesehenen Fälle lehnt das Übereinkommen eine Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Klägers nämlich eindeutig ab (vgl. Urteil vom 11. Januar 1990 in der Rechtssache C-220/88, Dumez France und Tracoba, Slg. 1990, I-49, Randnrn. 16 und 19, und Urteil Shearson Lehmann Hutton, a. a. O., Randnr. 17).

15 Artikel 13 Absatz 1 des Übereinkommens definiert den Verbraucher als eine Person, die "zu einem Zweck [tätig wird], der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person... zugerechnet werden kann". Nach ständiger Rechtsprechung bezieht sich diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut und ihrem Zweck nur auf den nicht berufs- oder gewerbebezogen handelnden privaten Endverbraucher (Urteil Shearson Lehmann Hutton, a. a. O., Randnrn. 20 und 22).

16 Nach alledem ist die Frage, ob eine Person die Verbrauchereigenschaft besitzt, wobei dieser Begriff eng auszulegen ist, nach der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrages in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach der subjektiven Stellung dieser Person zu beantworten. Wie der Generalanwalt in Nummer 38 seiner Schlussanträge zu Recht ausgeführt hat, kann ein und dieselbe Person im Rahmen bestimmter Vorgänge als Verbraucher und im Rahmen anderer Vorgänge als Unternehmer angesehen werden.

17 Folglich fallen nur die Verträge, die eine Einzelperson zur Deckung ihres Eigenbedarfs beim privaten Verbrauch schließt, unter die Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers als des Beteiligten, der als der wirtschaftlich schwächere Vertragspartner angesehen wird. Der mit diesen Vorschriften angestrebte besondere Schutz ist nicht gerechtfertigt bei Verträgen, deren Zweck in einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit besteht, auch wenn diese erst für die Zukunft vorgesehen ist, da die Tatsache, daß es sich um eine erst künftig aufzunehmende Tätigkeit handelt, nichts an ihrer beruflichen oder gewerblichen Natur ändert.

18 Die geprüften Vorschriften sind daher im Einklang mit ihrem Wortlaut, ihrem Geist und ihrer Zielsetzung so zu verstehen, daß die durch sie geschaffene besondere Schutzregelung nur für Verträge gilt, die ohne Bezug zu einer gegenwärtigen oder zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen geschlossen werden.

19 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die Artikel 13 Absatz 1 und 14 Absatz 1 des Übereinkommens dahin auszulegen sind, daß ein Kläger, der einen Vertrag zum Zwecke der Ausübung einer nicht gegenwärtigen, sondern zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, nicht als Verbraucher angesehen werden kann.

Zur zweiten Frage

20 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht diese Frage nicht beantwortet zu werden.

Zur dritten Frage

21 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob das in einer gemäß Artikel 17 Absatz 1 des Übereinkommens wirksam getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung bestimmte Gericht eines Vertragsstaats auch dann ausschließlich zuständig ist, wenn mit der Klage u. a. die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages begehrt wird, in dem diese Vereinbarung enthalten ist.

22 Das vorlegende Gericht wirft damit die Frage auf, ob eine nach den Vorschriften des Übereinkommens wirksam getroffene Gerichtsstandsvereinbarung, die in einen Hauptvertrag eingefügt ist, autonom und unabhängig von dem die Wirksamkeit des Vertrages im übrigen betreffenden Vorbringen zu prüfen ist.

23 Artikel 17 Absatz 1 des Übereinkommens bestimmt:

"Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, vereinbart, daß ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muß schriftlich... geschlossen werden..."

24 Insoweit ist zunächst zwischen einer Gerichtsstandsvereinbarung und den materiellen Bestimmungen des Vertrages, in den diese Vereinbarung eingefügt ist, zu unterscheiden.

25 Für die Gerichtsstandsvereinbarung, die einem prozessualen Zweck dient, gelten nämlich die Vorschriften des Übereinkommens, dessen Ziel die Schaffung einheitlicher Regeln für die internationale gerichtliche Zuständigkeit ist. Dagegen unterliegen gilt für die materiellen Bestimmungen des Hauptvertrages, der die Vereinbarung enthält, sowie die Streitigkeiten über die Wirksamkeit dieses Vertrages der lex causä, die durch das internationale Privatrecht des Gerichtstaats bestimmt wird.

26 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes gehört es zu den Zielen des Übereinkommens, die Zuständigkeitsregeln für die Gerichte der Vertragsstaaten zu vereinheitlichen, wobei soweit wie möglich eine Häufung der Gerichtsstände in bezug auf ein und dasselbe Rechtsverhältnis verhindert werden soll; weiter bezweckt das Übereinkommen, den Rechtsschutz für die in der Gemeinschaft niedergelassenen Personen dadurch zu verbessern, daß ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und einem verständigen Beklagten erkennbar wird, vor welchem Gericht er verklagt werden kann (Urteile vom 4. März 1982 in der Rechtssache 38/81, Effer, Slg. 1982, 825, Randnr. 6, und vom 13. Juli 1993 in der Rechtssache C-125/92, Mulox IBC, Slg. 1993, I-4075, Randnr. 11).

27 Solchen Erwägungen der Rechtssicherheit entspricht es auch, daß das nationale Gericht in der Lage sein muß, anhand der Normen des Übereinkommens ohne Schwierigkeiten über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden, ohne in eine Sachprüfung eintreten zu müssen.

28 Dieses Bestreben, die Rechtssicherheit dadurch zu gewährleisten, daß sich mit Gewißheit vorhersehen lässt, welches Gericht zuständig sein wird, ist im Rahmen des Artikels 17 des Übereinkommens, der dem Willen der Vertragsparteien den Vorrang einräumt und eine ausschließliche Zuständigkeit begründet, wobei auf jeden objektiven Zusammenhang zwischen dem streitigen Rechtsverhältnis und dem vereinbarten Gericht verzichtet wird, durch die Festlegung strenger Formvoraussetzungen zum Ausdruck gekommen (vgl. dazu Urteil vom 20. Februar 1997 in der Rechtssache C-106/95, MSG, Slg. 1997, Slg. 1997, I-0000, Randnr. 34).

29 Ziel des Artikels 17 des Übereinkommens ist es, ein Gericht eines Vertragsstaats, das gemäß dem nach den in dieser Vorschrift geregelten strengen Formvoraussetzungen zum Ausdruck gebrachten übereinstimmenden Willen der Parteien ausschließlich zuständig sein soll, klar und eindeutig zu bestimmen. Es könnte leicht zu einer Gefährdung der mit dieser Vorschrift angestrebten Rechtssicherheit kommen, wenn einer Vertragspartei die Möglichkeit eingeräumt würde, das Eingreifen dieser Vorschrift des Übereinkommens allein durch die Behauptung zu vereiteln, daß der gesamte Vertrag aus Gründen des anwendbaren materiellen Rechts unwirksam sei.

30 Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache Effer (a. a. O.), wonach dem Kläger der Gerichtsstand des Erfuellungsorts nach Artikel 5 Nummer 1 des Übereinkommens auch dann zur Verfügung steht, wenn das Zustandekommen des Vertrages, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, zwischen den Parteien streitig ist, wie auch mit dem Urteil vom 14. Dezember 1977 in der Rechtssache 73/77 (Sanders, Slg. 1977, 2383, Randnr. 15), in dem der Gerichtshof im Rahmen des Artikels 16 Absatz 1 des Übereinkommens festgestellt hat, daß bei der Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen die Zuständigkeit der Gerichte des Landes, in dem die Sache belegen ist, auch dann fortbesteht, wenn Streitgegenstand das Bestehen des Miet- oder Pachtvertrags ist.

31 Ausserdem ist die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der in ihren Geltungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes Sache des nationalen Gerichts, vor dem sie geltend gemacht wird (Urteil vom 10. März 1992 in der Rechtssache C-214/89, Powell Duffryn, Slg. 1992, I-1745, Randnr. 37). Im vorliegenden Fall hat daher dieses Gericht zu entscheiden, ob die vor ihm geltend gemachte Klausel, die "jedwede Streitigkeit" über die Interpretation, Ausführung oder "Sonstiges" des Vertrages betrifft, auch Einwendungen gegen die Wirksamkeit dieses Vertrages erfasst.

32 Auf die dritte Frage ist somit zu antworten, daß das Gericht eines Vertragsstaats, das in einer gemäß Artikel 17 Absatz 1 des Übereinkommens wirksam getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung als zuständiges Gericht bestimmt ist, auch dann ausschließlich zuständig ist, wenn mit der Klage u. a. die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages begehrt wird, in dem diese Vereinbarung enthalten ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Oberlandesgericht München mit Beschluß vom 5. Mai 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Artikel 13 Absatz 1 und 14 Absatz 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland sind dahin auszulegen, daß ein Kläger, der einen Vertrag zum Zwecke der Ausübung einer nicht gegenwärtigen, sondern zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit geschlossen hat, nicht als Verbraucher angesehen werden kann.

2. Das Gericht eines Vertragsstaats, das in einer gemäß Artikel 17 Absatz 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 wirksam getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung als zuständiges Gericht bestimmt worden ist, ist auch dann ausschließlich zuständig, wenn mit der Klage u. a. die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages begehrt wird, in dem diese Vereinbarung enthalten ist.

Ende der Entscheidung

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