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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.07.2004
Aktenzeichen: C-27/04
Rechtsgebiete: EG, Verordnung (EG) Nr. 1467/97


Vorschriften:

EG Art. 104 Abs. 8
EG Art. 104 Abs. 9
Verordnung (EG) Nr. 1467/97
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Plenum) vom 13. Juli 2004. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Rat der Europäischen Union. - Nichtigkeitsklage - Artikel 104 EG - Verordnung (EG) Nr. 1467/97 - Stabilitäts- und Wachstumspakt - Übermäßige öffentliche Defizite - Entscheidungen des Rates nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG - Erforderliche Mehrheit nicht erreicht - Nicht angenommene Entscheidungen - Klage gegen 'Entscheidungen, die in den Empfehlungen der Kommission enthaltenen förmlichen Rechtsinstrumente nicht anzunehmen' - Unzulässigkeit - Klage gegen 'Schlussfolgerungen des Rates'. - Rechtssache C-27/04.

Parteien:

In der Rechtssache C-27/04

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Petite, A. van Solinge und P. Aalto als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch J.-C. Piris, T. Middleton und J. Monteiro als Bevollmächtigte,

Beklagter,

wegen Nichtigerklärung von Rechtsakten des Rates vom 25. November 2003, und zwar

- der Entscheidungen, in Bezug auf die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland die in Empfehlungen der Kommission enthaltenen förmlichen Rechtsinstrumente nicht nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG anzunehmen, und

- der in Bezug auf jeden dieser beiden Mitgliedstaaten angenommenen Schlussfolgerungen mit dem Titel Schlussfolgerungen des Rates zur Bewertung der Maßnahmen, die [die Französische Republik bzw. die Bundesrepublik Deutschland] auf die Empfehlungen des Rates nach Artikel 104 Absatz 7 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft hin getroffen hat, und zur Erwägung weiterer Maßnahmen für den Defizitabbau, um dem übermäßigen Defizit abzuhelfen, soweit diese Schlussfolgerungen die Aussetzung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, den Rückgriff auf ein im Vertrag nicht vorgesehenes Rechtsinstrument und die Änderung der vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG beschlossenen Empfehlungen umfassen,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Plenum )

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, C. Gulmann (Berichterstatter), J.-P. Puissochet und J. N. Cunha Rodrigues sowie des Richters R. Schintgen, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric, des Richters S. von Bahr, der Richterin R. Silva de Lapuerta und des Richters K. Lenaerts,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund der Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofes vom 13. Februar 2004, die Rechtssache gemäß Artikel 62a der Verfahrensordnung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 28. April 2004,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 27. Januar 2004 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 230 EG die Nichtigerklärung von Rechtsakten des Rates der Europäischen Union vom 25. November 2003 beantragt, und zwar

- der Entscheidungen, in Bezug auf die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland die in Empfehlungen der Kommission enthaltenen förmlichen Rechtsinstrumente nicht nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG anzunehmen, und

- der in Bezug auf jeden dieser beiden Mitgliedstaaten angenommenen Schlussfolgerungen mit dem Titel Schlussfolgerungen des Rates zur Bewertung der Maßnahmen, die [die Französische Republik bzw. die Bundesrepublik Deutschland] auf die Empfehlungen des Rates nach Artikel 104 Absatz 7 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft hin getroffen hat, und zur Erwägung weiterer Maßnahmen für den Defizitabbau, um dem übermäßigen Defizit abzuhelfen (im Folgenden: Schlussfolgerungen des Rates), soweit diese Schlussfolgerungen die Aussetzung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (im Folgenden: Defizitverfahren), den Rückgriff auf ein im Vertrag nicht vorgesehenes Rechtsinstrument und die Änderung der vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG beschlossenen Empfehlungen umfassen.

Rechtlicher Rahmen

2. Artikel 104 EG bestimmt:

(1) Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite.

(2) Die Kommission überwacht die Entwicklung der Haushaltslage und der Höhe des öffentlichen Schuldenstands in den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Feststellung schwerwiegender Fehler. Insbesondere prüft sie die Einhaltung der Haushaltsdisziplin...

...

(5) Ist die Kommission der Auffassung, dass in einem Mitgliedstaat ein übermäßiges Defizit besteht oder sich ergeben könnte, so legt sie dem Rat eine Stellungnahme vor.

(6) Der Rat entscheidet mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission und unter Berücksichtigung der Bemerkungen, die der betreffende Mitgliedstaat gegebenenfalls abzugeben wünscht, nach Prüfung der Gesamtlage, ob ein übermäßiges Defizit besteht.

(7) Wird nach Absatz 6 ein übermäßiges Defizit festgestellt, so richtet der Rat an den betreffenden Mitgliedstaat Empfehlungen mit dem Ziel, dieser Lage innerhalb einer bestimmten Frist abzuhelfen. Vorbehaltlich des Absatzes 8 werden diese Empfehlungen nicht veröffentlicht.

(8) Stellt der Rat fest, dass seine Empfehlungen innerhalb der gesetzten Frist keine wirksamen Maßnahmen ausgelöst haben, so kann er seine Empfehlungen veröffentlichen.

(9) Falls ein Mitgliedstaat den Empfehlungen des Rates weiterhin nicht Folge leistet, kann der Rat beschließen, den Mitgliedstaat mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, innerhalb einer bestimmten Frist Maßnahmen für den nach Auffassung des Rates zur Sanierung erforderlichen Defizitabbau zu treffen.

Der Rat kann in diesem Fall den betreffenden Mitgliedstaat ersuchen, nach einem konkreten Zeitplan Berichte vorzulegen, um die Anpassungsbemühungen des Mitgliedstaats überprüfen zu können.

(10) Das Recht auf Klageerhebung nach den Artikeln 226 und 227 kann im Rahmen der Absätze 1 bis 9 dieses Artikels nicht ausgeübt werden.

(11) Solange ein Mitgliedstaat einen Beschluss nach Absatz 9 nicht befolgt, kann der Rat beschließen, eine oder mehrere der nachstehenden Maßnahmen anzuwenden oder gegebenenfalls zu verschärfen, nämlich

- von dem betreffenden Mitgliedstaat verlangen, vor der Emission von Schuldverschreibungen und sonstigen Wertpapieren vom Rat näher zu bezeichnende zusätzliche Angaben zu veröffentlichen,

- die Europäische Investitionsbank ersuchen, ihre Darlehenspolitik gegenüber dem Mitgliedstaat zu überprüfen,

- von dem Mitgliedstaat verlangen, eine unverzinsliche Einlage in angemessener Höhe bei der Gemeinschaft zu hinterlegen, bis das übermäßige Defizit nach Ansicht des Rates korrigiert worden ist,

- Geldbußen in angemessener Höhe verhängen.

Der Präsident des Rates unterrichtet das Europäische Parlament von den Beschlüssen.

(12) Der Rat hebt einige oder sämtliche Entscheidungen nach den Absätzen 6 bis 9 und 11 so weit auf, wie das übermäßige Defizit in dem betreffenden Mitgliedstaat nach Ansicht des Rates korrigiert worden ist. Hat der Rat zuvor Empfehlungen veröffentlicht, so stellt er, sobald die Entscheidung nach Absatz 8 aufgehoben worden ist, in einer öffentlichen Erklärung fest, dass in dem betreffenden Mitgliedstaat kein übermäßiges Defizit mehr besteht.

(13) Die Beschlussfassung des Rates nach den Absätzen 7 bis 9 sowie 11 und 12 erfolgt auf Empfehlung der Kommission mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gemäß Artikel 205 Absatz 2 gewogenen Stimmen der Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Stimmen des Vertreters des betroffenen Mitgliedstaats.

(14) Weitere Bestimmungen über die Durchführung des in diesem Artikel beschriebenen Verfahrens sind in dem diesem Vertrag beigefügten Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit enthalten.

Der Rat verabschiedet einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments sowie der EZB die geeigneten Bestimmungen, die sodann das genannte Protokoll ablösen.

...

3. Nach Artikel 104 Absätze 9 und 13 EG in Verbindung mit Artikel 122 Absätze 3 und 5 EG ruht, wenn der Rat seine in Absatz 9 genannten Beschlüsse fasst, das Stimmrecht der Mitgliedstaaten, die die einheitliche Währung nicht eingeführt haben.

4. Der Europäische Rat verständigte sich in seiner am 17. Juni 1997 in Amsterdam gefassten Entschließung über den Stabilitäts- und Wachstumspakt (ABl. C 236, S. 1, im Folgenden: Entschließung des Europäischen Rates vom 17. Juni 1997) nach dem Hinweis darauf, dass die Wahrung der Haushaltsdisziplin in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (im Folgenden: WWU) von entscheidender Bedeutung sei, auf Leitlinien für die Mitgliedstaaten, die Kommission und den Rat.

5. Als Leitlinien für den Rat werden in dieser Entschließung angeführt, dass er

1.... einer strikten und rechtzeitigen Durchführung aller in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Bestandteile des Stabilitäts- und Wachstumspaktes verpflichtet [ist]; er wird die erforderlichen Beschlüsse gemäß den Artikeln 103 und [104] so rasch wie möglich fassen;

...

3.... ersucht [wird], immer Sanktionen zu verhängen, wenn ein teilnehmender Mitgliedstaat nicht, wie vom Rat empfohlen, die zur Behebung des übermäßigen Defizits erforderlichen Schritte unternimmt;

...

6.... ersucht [wird], für den Fall, dass er in einem Stadium des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit oder des Verfahrens zur Überwachung des Haushalts nicht auf eine Empfehlung der Kommission hin tätig werden sollte, immer die Gründe dafür, dass er nicht tätig wird, schriftlich darzulegen und das Votum eines jeden Mitgliedstaats zu veröffentlichen.

6. Die Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (ABl. L 209, S. 6) bestimmt in ihren Abschnitten 2 und 3:

Abschnitt 2

Beschleunigung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit

Artikel 3

...

(3) Der Rat entscheidet gemäß Artikel [104] Absatz 6 innerhalb von drei Monaten nach den in Artikel 4 Absätze 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 3605/93 genannten Meldeterminen, ob ein übermäßiges Defizit besteht. Stellt der Rat gemäß Artikel [104] Absatz 6 fest, dass ein übermäßiges Defizit besteht, so spricht er gleichzeitig gemäß Artikel [104] Absatz 7 Empfehlungen an den betreffenden Mitgliedstaat aus.

(4) In der Empfehlung, die der Rat gemäß Artikel [104] Absatz 7 ausspricht, wird dem betreffenden Mitgliedstaat eine Frist von höchstens vier Monaten für das Ergreifen wirksamer Maßnahmen gesetzt. In der Empfehlung des Rates wird ferner eine Frist für die Korrektur des übermäßigen Defizits gesetzt; diese Korrektur sollte in dem Jahr erreicht werden, das auf die Feststellung eines übermäßigen Defizits folgt, sofern keine besonderen Umstände vorliegen.

Artikel 4

(1) Wurde festgestellt, dass keine wirksamen Maßnahmen im Sinne von Artikel [104] Absatz 8 getroffen wurden, und beschließt der Rat aufgrund dessen, seine Empfehlungen zu veröffentlichen, so ergeht dieser Beschluss unmittelbar nach Ablauf der gemäß Artikel 3 Absatz 4 dieser Verordnung gesetzten Frist.

...

Artikel 5

Beschließt der Rat, den betreffenden teilnehmenden Mitgliedstaat mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, Maßnahmen zum Defizitabbau gemäß Artikel [104] Absatz 9 zu treffen, so ergeht dieser Beschluss innerhalb eines Monats, nachdem der Rat gemäß Artikel [104] Absatz 8 festgestellt hat, dass keine wirksamen Maßnahmen ergriffen wurden.

Artikel 6

Sind diese Voraussetzungen für eine Anwendung des Artikels [104] Absatz 11 erfuellt, so verhängt der Rat Sanktionen gemäß Artikel [104] Absatz 11. Ein entsprechender Beschluss ergeht innerhalb von zwei Monaten nach dem Beschluss des Rates, den betreffenden teilnehmenden Mitgliedstaat gemäß Artikel [104] Absatz 9 mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, Maßnahmen zum Defizitabbau zu treffen.

Artikel 7

Kommt ein teilnehmender Mitgliedstaat den nacheinander getroffenen Beschlüssen des Rates gemäß Artikel [104] Absätze 7 und 9 nicht nach, so trifft der Rat den Beschluss, gemäß Artikel [104] Absatz 11 Sanktionen zu verhängen, innerhalb von zehn Monaten nach den in der Verordnung (EG) Nr. 3605/93 genannten Meldeterminen, auf die in Artikel 3 Absatz 3 der vorliegenden Verordnung Bezug genommen wird. Bei einem bewusst geplanten Defizit, das nach Feststellung des Rates übermäßig ist, wird ein Eilverfahren angewandt.

...

Abschnitt 3

Ruhen des Verfahrens und Überwachung

Artikel 9

(1) Das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit ruht,

- wenn der betreffende Mitgliedstaat gemäß den Empfehlungen nach Artikel [104] Absatz 7 tätig wird;

- wenn der betreffende teilnehmende Mitgliedstaat aufgrund einer Inverzugsetzung nach Artikel [104] Absatz 9 tätig wird.

(2) Der Zeitraum des Ruhens des Verfahrens wird weder in die in Artikel 7 dieser Verordnung genannte Frist von zehn Monaten noch in die in Artikel 6 dieser Verordnung genannte Frist von zwei Monaten einbezogen.

...

Sachverhalt

Die Entscheidungen des Rates nach Artikel 104 Absätze 6 und 7 EG

7. Im November 2002 wurde gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Defizitverfahren eingeleitet. Mit der Entscheidung 2003/89/EG vom 21. Januar 2003 über das Bestehen eines übermäßigen Defizits in Deutschland - Anwendung von Artikel 104 Absatz 6 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 34, S. 16) stellte der Rat auf Empfehlung der Kommission fest, dass in diesem Mitgliedstaat ein übermäßiges Defizit bestehe. Gemäß den Artikeln 104 Absatz 7 EG und 3 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1467/97 empfahl er der deutschen Regierung, dieses Defizit durch verschiedene Maßnahmen so schnell wie möglich zu beenden. Er setzte eine Frist bis 21. Mai 2003, um die empfohlenen Maßnahmen zu treffen. Da die von der Bundesrepublik Deutschland getroffenen Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt als wirksam angesehen wurden, wurde das Defizitverfahren implizit ausgesetzt.

8. Im April 2003 wurde gegen die Französische Republik ein Defizitverfahren eingeleitet. Mit der Entscheidung 2003/487/EG vom 3. Juni 2003 zum Bestehen eines übermäßigen Defizits in Frankreich - Anwendung von Artikel 104 Absatz 6 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. L 165, S. 29) stellte der Rat auf Empfehlung der Kommission fest, dass in diesem Mitgliedstaat ein übermäßiges Defizit bestehe. Gemäß den Artikeln 104 Absatz 7 EG und 3 Absatz 4 der Verordnung Nr. 1467/97 empfahl er der französischen Regierung, diesem Defizit durch verschiedene Maßnahmen so schnell wie möglich, spätestens aber bis zum Haushaltsjahr 2004, ein Ende zu setzen. Er setzte eine Frist bis 3. Oktober 2003, um zweckdienliche Maßnahmen zu treffen.

Die Empfehlungen der Kommission gemäß Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG

9. Am 8. Oktober 2003 richtete die Kommission an den Rat eine Empfehlung für eine auf Artikel 104 Absatz 8 EG gestützte Entscheidung, mit der festgestellt wird, dass auf die Empfehlung des Rates nach Artikel 104 Absatz 7 EG hin von der Französischen Republik keine wirksamen Maßnahmen getroffen wurden.

10. Am 21. Oktober 2003 empfahl die Kommission dem Rat, gemäß Artikel 104 Absatz 9 EG zu beschließen, die Französische Republik mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, Maßnahmen zum Abbau ihres Defizits zu treffen. Sie empfahl ihm, diesen Mitgliedstaat insbesondere mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, dem übermäßigen Defizit bis spätestens 2005 ein Ende zu setzen und 2004 eine Reduzierung seines konjunkturbereinigten Haushaltsdefizits um 1 % seines Bruttoinlandsprodukts (im Folgenden: BIP) zu erreichen.

11. In Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland vertrat die Kommission letztlich die Auffassung, dass die aufgrund der Empfehlung des Rates nach Artikel 104 Absatz 7 EG getroffenen Maßnahmen ungeeignet seien. Am 18. November 2003 richtete sie deshalb an den Rat eine Empfehlung für eine auf Artikel 104 Absatz 8 EG gestützte Entscheidung, mit der festgestellt wird, dass sich die von der Bundesrepublik Deutschland getroffenen Maßnahmen als unangemessen erwiesen hätten, um dem übermäßigen Defizit abzuhelfen.

12. Am selben Tag empfahl sie dem Rat, gemäß Artikel 104 Absatz 9 EG zu beschließen, die Bundesrepublik Deutschland mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, Maßnahmen zum Abbau ihres Defizits zu treffen. Sie empfahl ihm, diesen Mitgliedstaat insbesondere mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, dem übermäßigen Defizit bis spätestens 2005 ein Ende zu setzen und 2004 eine Verbesserung seines konjunkturbereinigten Haushaltssaldos um 0,8 % seines BIP zu erreichen.

Die Tagung des Rates (Wirtschaft und Finanzen) vom 25. November 2003

13. Auf seiner Tagung vom 25. November 2003 stimmte der Rat über die von der Kommission vorgelegten Empfehlungen für Entscheidungen des Rates nach Artikel 104 Absatz 8 EG in Bezug auf die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland ab. Gemäß Artikel 104 Absatz 13 EG nahmen an diesen beiden Abstimmungen alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme des betroffenen Mitgliedstaats teil. Da die erforderliche Mehrheit nicht erreicht wurde, wurden die Entscheidungen nicht angenommen.

14. Der Rat stimmte ferner über die von der Kommission vorgelegten Empfehlungen für Entscheidungen des Rates nach Artikel 104 Absatz 9 EG in Bezug auf die genannten Mitgliedstaaten ab. Gemäß den Artikeln 104 Absatz 13 EG und 122 Absätze 3 und 5 EG nahmen an diesen beiden Abstimmungen nur die Mitgliedstaaten, die die einheitliche Währung eingeführt haben, mit Ausnahme des betroffenen Mitgliedstaats teil. Da die erforderliche Mehrheit nicht erreicht wurde, wurden die Entscheidungen nicht angenommen.

15. Am selben Tag nahm der Rat unter Anwendung der Abstimmungsregeln für Entscheidungen nach Artikel 104 Absatz 9 EG in Bezug auf jeden der beiden betroffenen Mitgliedstaaten im Wesentlichen übereinstimmende Schlussfolgerungen an.

16. In Nummer 1 dieser Schlussfolgerungen führt er die Erwägungen an, die er bei der Bewertung der Haushaltslage des betroffenen Mitgliedstaats berücksichtigt hat.

17. In Nummer 2 der Schlussfolgerungen nimmt er zur Kenntnis, dass der betroffene Mitgliedstaat im Anschluss an die nach Artikel 104 Absatz 7 EG an ihn gerichtete Empfehlung mehrere Maßnahmen getroffen habe.

18. In Nummer 3 begrüßt [er], dass [der betroffene Mitgliedstaat] sich öffentlich verpflichtet hat, alle notwendigen Maßnahmen umzusetzen, um zu gewährleisten, dass das Defizit... spätestens 2005 unter 3 % des BIP liegen wird.

19. In Nummer 4 gibt der Rat dem betroffenen Mitgliedstaat Empfehlungen im Lichte der Empfehlung der Kommission und der von [dem betroffenen Mitgliedstaat] übernommenen Verpflichtungen. Die Empfehlungen betreffen u. a. die Verringerung des Defizits in den Jahren 2004 und 2005 sowie die Fortsetzung der Bemühungen um eine Haushaltskonsolidierung nach 2005. Der Rat empfiehlt zudem, dem derzeitigen übermäßigen Defizit so schnell wie möglich, spätestens aber bis 2005 ein Ende zu setzen.

20. Die Nummern 5 und 6 lauten:

5. Der Rat hat im Lichte der vorerwähnten Empfehlungen und der von [dem betroffenen Mitgliedstaat] übernommenen Verpflichtungen beschlossen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht auf der Grundlage der Empfehlung der Kommission für eine Entscheidung des Rates nach Artikel 104 Absatz 9 tätig zu werden.

6. Der Rat kommt überein, das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit hinsichtlich [des betroffenen Mitgliedstaats] vorerst auszusetzen. Der Rat hält sich bereit, auf der Grundlage der Empfehlung der Kommission eine Entscheidung nach Artikel 104 Absatz 9 zu treffen, falls [der betroffene Mitgliedstaat] nicht gemäß den in diesen Schlussfolgerungen dargelegten Verpflichtungen handeln sollte, was aus der Bewertung aufgrund von Nummer 7 hervorgehen würde.

21. In Nummer 7 ersucht der Rat den betroffenen Mitgliedstaat um die Vorlage von Berichten, ohne einen konkreten Zeitplan aufzustellen, und befürwortet eine Bewertung der von diesem Staat erzielten Fortschritte durch den Rat und die Kommission.

Anträge der Parteien

22. Die Kommission beantragt,

- die Entscheidungen des Rates, die in den Empfehlungen der Kommission enthaltenen förmlichen Rechtsinstrumente nicht nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG anzunehmen, und die Schlussfolgerungen des Rates für nichtig zu erklären, soweit diese Schlussfolgerungen die Aussetzung des Defizitverfahrens, den Rückgriff auf ein im Vertrag nicht vorgesehenes Rechtsinstrument und die Änderung der vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG beschlossenen Empfehlungen umfassen;

- dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

23. Der Rat beantragt,

- die Klage für unzulässig zu erklären;

- hilfsweise, sie abzuweisen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit der Klage

24. Der Rat hält die Klage der Kommission für unzulässig, soweit mit ihr die Nichtigerklärung sowohl der Nichtannahme der in den Empfehlungen der Kommission enthaltenen förmlichen Rechtsinstrumente nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG durch den Rat als auch der Schlussfolgerungen des Rates in Bezug auf die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland beantragt wird.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Nichtannahme der in den Empfehlungen der Kommission enthaltenen förmlichen Rechtsinstrumente nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG durch den Rat

Vorbringen der Parteien

25. Der Rat trägt vor, durch die Nichtannahme der Empfehlungen der Kommission habe er keine mit einer Klage anfechtbare Entscheidung getroffen, und zwar auch nicht implizit. Nach dem Vertrag sei das Verfahren, um ein Gemeinschaftsorgan zum Tätigwerden zu zwingen, die in Artikel 232 EG vorgesehene Untätigkeitsklage. Nach dieser Bestimmung sei die Kommission befugt, beim Gerichtshof Klage auf Feststellung zu erheben, dass der Rat dadurch den Vertrag verletzt habe, dass er es unterlassen habe, einen Beschluss zu fassen. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Rechtsbehelfs lägen hier jedoch nicht vor. Zum einen sei der Rat von der Kommission nicht zuvor zum Tätigwerden aufgefordert worden. Zum anderen sei er rechtlich nicht zum Erlass der in Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG erwähnten Entscheidungen verpflichtet gewesen. Ihm könne jedenfalls keine Untätigkeit vorgeworfen werden, da er über die Empfehlungen der Kommission abgestimmt habe.

26. Das Urteil vom 30. September 2003 in der Rechtssache C76/01 P (Eurocoton u. a./Rat, Slg. 2003, I-10091), mit dem der Gerichtshof entschieden habe, dass die Nichtannahme eines Vorschlags der Kommission für eine Verordnung zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls durch den Rat Rechtswirkungen für den Einzelnen erzeuge und eine anfechtbare Handlung darstelle, sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Das Antidumpingverfahren wirke sich, anders als das Defizitverfahren, unmittelbar auf bestimmte Wirtschaftsteilnehmer aus, für die gewährleistet werden müsse, dass die ihnen durch die Gemeinschaftsregelung verliehenen Verfahrensgarantien Wirkung entfalteten. Im Übrigen sei der Rat im Rahmen des Antidumpingverfahrens nach Ablauf der dafür vorgesehenen Frist nicht mehr befugt, den Vorschlag der Kommission anzunehmen. Dies sei bei Empfehlungen, die die Kommission nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG an den Rat richte, nicht der Fall. Da keine zwingende Ausschlussfrist abgelaufen sei, sei der Rat weiterhin zur Annahme der genannten Empfehlungen befugt, und die Kommission sei weiterhin befugt, um die Annahme ihrer Empfehlungen nachzusuchen oder neue Empfehlungen auszuarbeiten.

27. Die Kommission erwidert, in dem durch Artikel 104 EG geschaffenen System stelle die Abstimmung, mit der der Rat zur Empfehlung der Kommission, die in Absatz 8 dieses Artikels vorgesehene Feststellung zu treffen oder den Mitgliedstaat gemäß Absatz 9 in Verzug zu setzen, Stellung nehme, jedenfalls eine - je nach Abstimmungsergebnis positive oder negative - Entscheidung dar und sei somit nach dem Urteil Eurocoton u. a./Rat eine anfechtbare Handlung.

28. Durch die Weigerung, das Fehlen wirksamer Maßnahmen der Französischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland festzustellen, habe der Rat im Ergebnis - wenn auch implizit - entschieden, dass diese beiden Länder entgegen dem Standpunkt der Kommission tatsächlich wirksame Maßnahmen getroffen hätten.

Würdigung durch den Gerichtshof

29. Nach Artikel 104 Absatz 13 EG erfolgt die Beschlussfassung des Rates nach den Absätzen 7 bis 9 dieses Artikels, unbeschadet des Artikels 122 Absätze 3 und 5 EG, auf Empfehlung der Kommission mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gemäß Artikel 205 Absatz 2 EG gewogenen Stimmen der Mitgliedstaaten mit Ausnahme der Stimmen des Vertreters des betroffenen Mitgliedstaats.

30. Daher kann eine Entscheidung des Rates im Sinne von Artikel 104 Absatz 8 EG, seine Empfehlungen zu veröffentlichen, wenn er feststellt, dass diese keine wirksamen Maßnahmen ausgelöst haben, nur dann gegeben sein, wenn sie mit der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Mehrheit ergeht. Das Gleiche gilt für den Beschluss des Rates im Sinne von Artikel 104 Absatz 9 EG, den betroffenen Mitgliedstaat mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, innerhalb einer bestimmten Frist Maßnahmen für den nach Auffassung des Rates zur Sanierung erforderlichen Defizitabbau zu treffen.

31. Empfiehlt die Kommission dem Rat die Annahme von Entscheidungen nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG und wird im Rat die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, so kommt daher keine Entscheidung im Sinne dieser Bestimmungen zustande.

32. Im Übrigen gibt es im Gemeinschaftsrecht keine Bestimmung, die eine Frist vorsähe, nach deren Ablauf eine implizite Entscheidung gemäß Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG als ergangen gelten würde, und die den Inhalt dieser Entscheidung festlegte.

33. Es ist zwar richtig, dass nach der sechzehnten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1467/97 der Ernst der Lage bei einem übermäßigen Defizit in der dritten Stufe gebietet, dass alle Beteiligten umgehend handeln, und dass diese Verordnung Fristen vorsieht, die eingehalten werden müssen, doch hindert der Ablauf dieser Fristen den Rat nicht daran, die von der Kommission empfohlenen Rechtsakte anzunehmen. Wie sich aus der zwölften Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1467/97 ergibt, sollen die in dieser Verordnung gesetzten Fristen eine zügige und wirksame Anwendung des Defizitverfahrens gewährleisten. Es würde diesem Ziel zuwiderlaufen, wenn aus dem Ablauf der Fristen geschlossen würde, dass die Befugnis des Rates zur Annahme der von der Kommission im Rahmen des genannten Verfahrens empfohlenen Rechtsakte erlischt. Ein solches Erlöschen würde es gegebenenfalls erforderlich machen, mit dem Verfahren neu zu beginnen.

34. Demgemäß ist festzustellen, dass die Nichtannahme der in Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG vorgesehenen und von der Kommission empfohlenen Rechtsakte durch den Rat nicht zu anfechtbaren Handlungen im Sinne von Artikel 230 EG geführt hat.

35. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wenn der Rat die von ihr empfohlenen förmlichen Rechtsinstrumente nicht nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG annimmt, auf den in Artikel 232 EG vorgesehenen Rechtsbehelf zurückgreifen kann, wobei sie die dort festgelegten Voraussetzungen beachten muss.

36. Nach alledem ist die Klage unzulässig, soweit sie darauf gerichtet ist, die Nichtannahme der in den Empfehlungen der Kommission enthaltenen förmlichen Rechtsinstrumente nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG durch den Rat für nichtig zu erklären.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Schlussfolgerungen des Rates in Bezug auf die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland

Vorbringen der Parteien

37. Der Rat trägt vor, seine Schlussfolgerungen seien Texte politischer Natur und keine Handlungen, die Rechtswirkungen entfalteten. Die Schlussfolgerungen griffen in keiner Weise in die Befugnisse der Kommission ein. Ihr einziges Ziel und ihre einzige Wirkung bestuenden darin, den Stand der laufenden Defizitverfahren im Anschluss an die Prüfung durch den Rat und dessen Nichtannahme der Empfehlungen der Kommission festzustellen.

38. Das Ruhen der gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik eingeleiteten Defizitverfahren ergebe sich keineswegs aus den Schlussfolgerungen selbst. Es ergebe sich automatisch daraus, dass der Rat die Empfehlungen der Kommission nicht angenommen habe, ohne dass er insoweit eine ausdrückliche und rechtlich bindende Entscheidung habe treffen müssen.

39. Nur Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1467/97 sehe ein Ruhen des Defizitverfahrens vor. Diese Vorschrift beschränke sich darauf, ein Ruhen in zwei bestimmten Fällen vorzusehen, ohne dass angegeben werde, unter welchen anderen Umständen ein Ruhen möglich oder unzulässig sei, und ohne dass eine Regelung zur Feststellung oder Erklärung des Ruhens des Verfahrens getroffen werde. Das Ruhen eines laufenden Verfahrens ergebe sich implizit. Es folge aus dem Ablauf der Frist, die in einem auf der Grundlage von Artikel 104 Absatz 7 oder 9 EG ergangenen Rechtsakt festgelegt worden sei.

40. Die Tatsache, dass der Rat dieses Ruhen in seinen politischen Schlussfolgerungen ausdrücklich angesprochen habe, ändere jedenfalls nichts daran, dass diese keine Rechtswirkungen entfalteten. Folglich würde ihre etwaige Nichtigerklärung nichts an der Sach- oder Rechtslage der laufenden Defizitverfahren ändern.

41. Die Kommission führt aus, wenn das Ruhen der laufenden Verfahren gegen die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland die automatische Folge der Nichtannahme der von ihr empfohlenen Entscheidungen gewesen wäre, hätte sich der Rat auf dessen Feststellung beschränken können, ohne das Ruhen förmlich zu beschließen und mit neuen Empfehlungen zu versehen.

42. Tatsächlich sei das Ruhen des Defizitverfahrens nur in den beiden in Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1467/97 festgelegten Fällen möglich. Da es der Rat abgelehnt habe, das Fehlen wirksamer Maßnahmen der betroffenen Mitgliedstaaten festzustellen, und damit entschieden habe, dass sie die Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7 EG beachtet hätten, hätte er die laufenden Defizitverfahren nur durch Entscheidungen nach den im Rahmen der letztgenannten Bestimmung geltenden Verfahrens- und Abstimmungsregeln ruhen lassen können. Die Schlussfolgerungen des Rates seien aber nach den im Rahmen von Artikel 104 Absatz 9 EG geltenden Verfahrens- und Abstimmungsregeln angenommen worden.

43. Die Schlussfolgerungen des Rates stellten Rechtsakte sui generis dar, deren hauptsächliche Rechtswirkung darin bestehe, den Rat und die betroffenen Mitgliedstaaten von dem zwingenden rechtlichen Rahmen des Artikels 104 EG und der Verordnung Nr. 1467/97 zu befreien und diesen Rahmen durch neue Leitlinien für die Beurteilung der Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 104 Absatz 9 EG und einen neuen Rahmen zur Überwachung der übermäßigen Defizite der betroffenen Mitgliedstaaten zu ersetzen.

Würdigung durch den Gerichtshof

44. Nach ständiger Rechtsprechung muss die Nichtigkeitsklage gegen alle von den Organen erlassenen Bestimmungen, die Rechtswirkungen entfalten sollen, unabhängig von ihrer Rechtsnatur oder ihrer Form gegeben sein (vgl. Urteile vom 31. März 1971 in der Rechtssache 22/70, Kommission/Rat, AETR, Slg. 1971, 263, Randnr. 42, und vom 2. März 1994 in der Rechtssache C316/91, Parlament/Rat, Slg. 1994, I625, Randnr. 8).

45. Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die Schlussfolgerungen des Rates solche Wirkungen entfalten sollen.

46. In Nummer 6 seiner Schlussfolgerungen führt der Rat aus, er sei übereingekommen, die Defizitverfahren vorerst auszusetzen, und halte sich bereit, eine Entscheidung nach Artikel 104 Absatz 9 EG zu treffen, falls der betroffene Mitgliedstaat die von ihm übernommenen, in diesen Schlussfolgerungen dargelegten Verpflichtungen nicht einhalten sollte.

47. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass sich die Entscheidungen, die laufenden Defizitverfahren auszusetzen, entgegen dem Vorbringen des Rates nicht darauf beschränken, ein tatsächliches Ruhen aufgrund der Nichtannahme der von der Kommission im Rahmen von Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG empfohlenen Rechtsakte zu bestätigen, da sie unter dem Vorbehalt stehen, dass die betroffenen Mitgliedstaaten die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen einhalten.

48. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die fraglichen Verpflichtungen einseitige Verpflichtungen sind, die von den beiden betroffenen Mitgliedstaaten außerhalb des Rahmens der zuvor nach Artikel 104 Absatz 7 EG beschlossenen Empfehlungen eingegangen wurden. Der Rat macht somit eine etwaige Entscheidung, nach Artikel 104 Absatz 9 EG tätig zu werden, von einer Beurteilung abhängig, die als Bezugsparameter nicht mehr den Inhalt der nach Artikel 104 Absatz 7 EG angenommenen Empfehlungen, sondern die einseitigen Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaats hat.

49. Schließlich ist festzustellen, dass der Rat mit dieser Vorgehensweise auch die zuvor nach Artikel 104 Absatz 7 EG angenommenen Empfehlungen inhaltlich ändert, indem er insbesondere in seinen Schlussfolgerungen die Frist für die Verringerung des öffentlichen Defizits auf unter 3 % des BIP verlängert und damit das Ausmaß der geforderten Sanierungsmaßnahmen ändert.

50. Somit zielen die Schlussfolgerungen des Rates zumindest insofern auf die Entfaltung von Rechtswirkungen ab, als die laufenden Defizitverfahren ausgesetzt und die zuvor vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG angenommenen Empfehlungen inhaltlich geändert werden.

51. Folglich ist die Klage zulässig, soweit sie sich gegen diese Schlussfolgerungen richtet.

Begründetheit

52. Die Kommission beantragt, die Schlussfolgerungen des Rates in Bezug auf jeden der beiden betroffenen Mitgliedstaaten für nichtig zu erklären, soweit sie die Aussetzung des Defizitverfahrens, den Rückgriff auf ein im Vertrag nicht vorgesehenes Rechtsinstrument und die Änderung der vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG beschlossenen Empfehlungen umfassen.

Vorbringen der Parteien

53. Die Kommission trägt vor, der mit Empfehlungen für Entscheidungen nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG befasste Rat habe Schlussfolgerungen angenommen; ein solcher Rechtsakt sei im Vertrag und insbesondere in Artikel 104 EG nicht vorgesehen. Der Rat habe keine anderen als die in der letztgenannten Bestimmung vorgesehenen Rechtsinstrumente, d. h. verbindliche Rechtsakte in Form von Entscheidungen, erlassen dürfen. Er habe dies umso weniger tun dürfen, als die Schlussfolgerungen Elemente einer Entscheidung, wie die Aussetzung der Verfahren, sowie Empfehlungen an die betroffenen Mitgliedstaaten enthielten.

54. Soweit mit den Schlussfolgerungen des Rates das Defizitverfahren ausgesetzt werde, verstießen sie gegen Artikel 9 Absatz 1 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1467/97, wonach dieses Verfahren ruhe, wenn der betroffene Mitgliedstaat gemäß den Empfehlungen des Rates nach Artikel 104 Absatz 7 EG tätig werde. Aus den Aussetzungsentscheidungen gehe nämlich nicht hervor, dass diese Voraussetzung erfuellt gewesen sei. Vielmehr ergebe sich aus den Schlussfolgerungen des Rates, dass er die Einschätzung der Kommission geteilt habe, die zwangsläufig zu dem Ergebnis geführt habe, dass diese Voraussetzung nicht erfuellt gewesen sei. Zudem seien die Aussetzungsentscheidungen nicht unter Beachtung der in Artikel 104 Absatz 13 EG vorgesehenen Abstimmungsregeln ergangen, da sie von den Mitgliedstaaten der Euro-Zone mit Ausnahme des betroffenen Mitgliedstaats und nicht von allen Mitgliedstaaten außer dem betroffenen Mitgliedstaat getroffen worden seien. Da eine etwaige Aussetzung nur im Stadium des Artikels 104 Absatz 7 EG zulässig gewesen wäre, hätten nach dem Grundsatz der Parallelität der Formen die in diesem Stadium geltenden Abstimmungsregeln angewandt werden müssen.

55. Was die Entscheidungen zur Änderung der vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG beschlossenen Empfehlungen betreffe, so bestreite die Kommission nicht, dass sie in wirtschaftlicher Hinsicht und insbesondere in Bezug auf die Verlängerung der Frist, innerhalb deren die übermäßigen Defizite abgebaut werden müssten, sachlich begründet seien. Sie sei jedoch der Ansicht, dass der Rat die im Vertrag vorgesehenen Verfahren einhalten müsse, wenn er Empfehlungen annehme, die den zuvor angenommenen zuwiderliefen.

56. Der Rat verweist auf die Ausführungen, die er im Rahmen seiner Einrede der Unzulässigkeit zur politischen und außerjuristischen Natur seiner Schlussfolgerungen gemacht hat, und insbesondere auf seine dort vorgetragene Auffassung, dass sich die Aussetzung der laufenden Verfahren automatisch aus der Nichtannahme der von der Kommission empfohlenen Rechtsakte ergeben habe.

57. Die etwaige Nichtigerklärung seiner Schlussfolgerungen ändere nichts an der Sach- oder Rechtslage der laufenden Defizitverfahren. Dies werde durch die von der Kommission akzeptierte Feststellung bestätigt, dass diese Verfahren nicht abgeschlossen seien und dass es der Kommission weiterhin freistehe, jederzeit in Ausübung ihres Initiativrechts dem Rat Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7, 8 oder 9 EG nach Maßgabe ihrer aktuellen Bewertung der Situation vorzulegen.

58. Außerdem macht der Rat geltend, dass die von ihm zuvor nach Artikel 104 Absatz 7 EG angenommenen Empfehlungen zumindest teilweise obsolet geworden seien. Sie seien aufgrund der Entwicklung der Wirtschaftslage überholt gewesen. Verschiedene Faktoren, insbesondere eine ungünstigere Entwicklung der Wirtschaftslage als bei Annahme der Empfehlungen vorhersehbar, hätten es den betroffenen Mitgliedstaaten unmöglich gemacht, ihre Defizite innerhalb der vorgesehenen Fristen zu bereinigen.

59. Eine andere Vorgehensweise hätte in der Annahme neuer Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7 EG durch den Rat bestanden. Dies sei jedoch unmöglich gewesen, da die Kommission beschlossen habe, den Rat nicht mit neuen auf diese Bestimmung gestützten Empfehlungen zu befassen.

60. Daher habe es der Rat für angebracht gehalten, die angefochtenen Schlussfolgerungen anzunehmen, mit denen die Entwicklung der Wirtschaftslage sowie die von jedem der beiden betroffenen Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen und eingegangenen Verpflichtungen festgestellt und diese Mitgliedstaaten darauf hingewiesen worden seien, was sie nach Ansicht des Rates tun müssten, um ihr übermäßiges Defizit abzubauen.

61. Diese Vorgehensweise habe mehrere Vorteile gehabt:

- Es sei klargestellt worden, dass die Defizitverfahren nicht abgeschlossen, sondern im Anschluss an die Nichtannahme der von der Kommission empfohlenen Entscheidungen nur ausgesetzt worden seien.

- Die Maßnahmen, zu denen sich die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hätten, und die Ziele, deren Erreichung sie zugesagt hätten, seien festgestellt worden.

- Die Absicht des Rates, künftig im Rahmen von Artikel 104 Absatz 9 EG tätig zu werden, falls die betroffenen Staaten ihre Verpflichtungen nicht einhielten, sei bekräftigt worden.

- Die Bindung des Rates an die Grundsätze und Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts sei klargestellt worden.

62. Damit sei verhindert worden, dass nach der Nichtannahme der von der Kommission empfohlenen Entscheidungen nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG ein Schweigen des Rates die Glaubwürdigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Frage gestellt und die Wirtschaftsteilnehmer sowie die Devisenmärkte in Ungewissheit gelassen habe, was nachteilige Folgen gehabt hätte.

63. Der Vertrag enthalte keine Bestimmung, die eine solche Vorgehensweise verbiete.

64. Im Übrigen blieben die am 21. Januar 2003 in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland und am 3. Juni 2003 in Bezug auf die Französische Republik angenommenen Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7 EG in Kraft.

Würdigung durch den Gerichtshof

65. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission ungeachtet des Wortlauts ihrer Klageschrift in der Sache die Nichtigerklärung der Schlussfolgerungen des Rates nur insoweit beantragt, als sie die Entscheidung enthalten, das Defizitverfahren auszusetzen, und eine Entscheidung, mit der die zuvor an den betroffenen Mitgliedstaat gerichteten Empfehlungen geändert werden.

66. Ihr förmlicher Antrag, diese Schlussfolgerungen auch insoweit für nichtig zu erklären, als sie den Rückgriff auf ein im Vertrag nicht vorgesehenes Rechtsinstrument umfassen, ist in Wirklichkeit kein eigenständiger Antrag, sondern eine Argumentation zur Stützung des in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Antrags auf Nichtigerklärung.

67. Vor der Prüfung dieses letztgenannten Antrags ist zunächst die Systematik des Defizitverfahrens herauszuarbeiten.

Systematik des Defizitverfahrens

68. Nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 EG umfasst die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten beruht, und parallel dazu die Einführung der WWU. Nach Artikel 4 Absatz 3 EG setzt diese Tätigkeit die Einhaltung der folgenden richtungweisenden Grundsätze voraus: stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz.

69. Nach Artikel 104 Absatz 1 EG müssen die Mitgliedstaaten übermäßige öffentliche Defizite vermeiden.

70. Das Ziel des in Artikel 104 Absätze 2 bis 13 EG vorgesehenen Defizitverfahrens besteht darin, den betroffenen Mitgliedstaat zu veranlassen und, wenn nötig, zu zwingen, ein etwa festgestelltes Defizit abzubauen.

71. Die in Artikel 104 EG aufgestellten Vorschriften werden durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt präzisiert und verstärkt, der u. a. aus der Entschließung des Europäischen Rates vom 17. Juni 1997 und der Verordnung Nr. 1467/97 besteht.

72. In der Entschließung des Europäischen Rates vom 17. Juni 1997 wird hervorgehoben, dass die Wahrung der Haushaltsdisziplin in der dritten Stufe der WWU von entscheidender Bedeutung ist. Im Licht dieser Feststellung wird der Rat nachdrücklich ersucht, sich zu einer strikten und rechtzeitigen Durchführung aller in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Bestandteile des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu verpflichten und die Fristen für die Anwendung des Defizitverfahrens als Hoechstgrenzen zu betrachten.

73. In der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1467/97 wird festgestellt, dass die Haushaltsdisziplin in der dritten Stufe der WWU eine Voraussetzung für die Sicherung der Preisstabilität ist. In der sechzehnten Begründungserwägung der Verordnung heißt es, dass der Ernst der Lage bei einem übermäßigen Defizit in dieser dritten Stufe gebietet, dass alle Beteiligten umgehend handeln.

74. In diesem Zusammenhang, der durch die Bedeutung, die die Verfasser des Vertrages der Wahrung der Haushaltsdisziplin beimessen, und durch die Zielsetzung der zur Umsetzung dieser Disziplin vorgesehenen Vorschriften gekennzeichnet ist, ist den genannten Vorschriften eine Auslegung zu geben, die ihre volle praktische Wirksamkeit sichert.

75. Nach Artikel 104 Absatz 10 EG können die Kommission und die Mitgliedstaaten ihr Recht, nach den Artikeln 226 EG und 227 EG eine Vertragsverletzungsklage gegen einen Mitgliedstaat zu erheben, im Rahmen von Artikel 104 Absätze 1 bis 9 EG nicht ausüben.

76. Wie die Kommission hervorgehoben hat, liegt die Verantwortung für die Wahrung der Haushaltsdisziplin durch die Mitgliedstaaten im Wesentlichen beim Rat.

77. Das Defizitverfahren ist ein mehrstufiges Verfahren, das zur Verhängung von Sanktionen gemäß Artikel 104 Absatz 11 EG führen kann.

78. Artikel 104 EG regelt die Einzelheiten des Verfahrensablaufs auf jeder Stufe sowie die Rolle und die Befugnisse der einzelnen Gemeinschaftsorgane. Die einstimmig auf der Grundlage von Artikel 104 Absatz 14 Unterabsatz 2 EG erlassene Verordnung Nr. 1467/97 legt einen strikten Rahmen von Fristen fest, die beim Ablauf des Defizitverfahrens einzuhalten sind, damit, wie es in ihrer zwölften Begründungserwägung heißt, dessen zügige und wirksame Anwendung gewährleistet ist. Sie sieht in Artikel 9 das Ruhen des Defizitverfahrens vor, wenn der betroffene Mitgliedstaat gemäß den Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7 EG oder aufgrund einer Inverzugsetzung nach Artikel 104 Absatz 9 EG tätig wird. Ferner sieht sie in Artikel 10 eine Überwachung der Durchführung der Maßnahmen vor, die der betroffene Mitgliedstaat ergreift.

79. Jeder Verfahrensstufe, auf der es zu einer Befassung des Rates kommt, entspricht ein Rechtsakt, den die Kommission dem Rat zur Annahme empfiehlt. Jede Stufe setzt voraus, dass der Rat prüft, ob der Mitgliedstaat die ihm nach Artikel 104 EG obliegenden Verpflichtungen und insbesondere die Verpflichtungen aufgrund der zuvor vom Rat angenommenen Empfehlungen und Entscheidungen erfuellt hat.

80. Wie die Kommission einräumt, verfügt der Rat über ein Ermessen. Da er mit Empfehlungen der Kommission und nicht mit Vorschlägen im Sinne von Artikel 250 EG befasst wird, kann er, insbesondere aufgrund einer abweichenden Beurteilung der einschlägigen Wirtschaftsdaten, der zu treffenden Maßnahmen und des von dem betroffenen Mitgliedstaat einzuhaltenden Zeitplans, den von der Kommission empfohlenen Rechtsakt mit der für dessen Annahme erforderlichen Mehrheit ändern.

81. Aus dem Wortlaut und der Systematik der durch den Vertrag geschaffenen Regelung ergibt sich jedoch, dass sich der Rat nicht von den Vorschriften in Artikel 104 EG und denjenigen, die er sich in der Verordnung Nr. 1467/97 selbst gesetzt hat, lösen darf. Somit kann er nicht auf ein alternatives Verfahren zurückgreifen, um z. B. einen anderen Rechtsakt als eben die auf einer bestimmten Stufe vorgesehene Entscheidung anzunehmen oder einen Rechtsakt unter anderen als den nach den anwendbaren Bestimmungen geltenden Voraussetzungen zu erlassen.

82. Im Licht dieser Feststellung ist zu prüfen, ob die Schlussfolgerungen des Rates für nichtig zu erklären sind, soweit sie die Entscheidung enthalten, das Defizitverfahren auszusetzen, und eine Entscheidung, mit der die zuvor vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG angenommenen Empfehlungen geändert werden.

Ruhen des Defizitverfahrens

83. In der siebzehnten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1467/97 heißt es, dass das Defizitverfahren ruhen sollte, wenn der betroffene Mitgliedstaat geeignete Maßnahmen aufgrund einer Empfehlung nach Artikel 104 Absatz 7 EG oder einer Inverzugsetzung nach Artikel 104 Absatz 9 EG ergreift, damit die Mitgliedstaaten einen Anreiz erhalten, entsprechend zu handeln.

84. Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1467/97 bestimmt, dass das Defizitverfahren ruht, wenn der Mitgliedstaat gemäß einer Empfehlung oder aufgrund einer Inverzugsetzung des Rates tätig wird.

85. Weder Artikel 104 EG noch die Verordnung Nr. 1467/97 sieht vor, dass in anderen Fällen ein Ruhen des Verfahrens beschlossen werden kann.

86. Nach dem Vorbringen des Rates kann sich ein tatsächliches Ruhen aus dem Umstand ergeben, dass der mit einer Empfehlung der Kommission befasste Rat nicht zur Annahme einer Entscheidung gelangt, weil die erforderliche Mehrheit nicht zustande kommt.

87. Im vorliegenden Fall heißt es in den angefochtenen Schlussfolgerungen jedoch ausdrücklich, dass der Rat überein[kommt], das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit hinsichtlich [des betroffenen Mitgliedstaats]... auszusetzen, und dass er sich bereit[hält], auf der Grundlage der Empfehlung der Kommission eine Entscheidung nach Artikel 104 Absatz 9 zu treffen, falls [der betroffene Mitgliedstaat] nicht gemäß den in diesen Schlussfolgerungen dargelegten Verpflichtungen handeln sollte.

88. Mit diesen Äußerungen beschränkt sich der Rat nicht auf die Feststellung eines tatsächlichen Ruhens des Defizitverfahrens, das sich aus dem Unvermögen ergibt, eine von der Kommission empfohlene Entscheidung anzunehmen, wobei diesem Unvermögen jederzeit abgeholfen werden könnte. Soweit die Schlussfolgerungen des Rates die Aussetzung unter den Vorbehalt stellen, dass der betroffene Mitgliedstaat seine Verpflichtungen einhält, schränken sie die Befugnis des Rates ein, den Mitgliedstaat nach Artikel 104 Absatz 9 EG auf der Grundlage der früheren Empfehlung der Kommission in Verzug zu setzen, solange die Verpflichtungen als eingehalten angesehen werden. Damit sehen sie zudem vor, dass die Beurteilung, die der Rat im Hinblick auf eine Entscheidung über die Inverzugsetzung, d. h. auf die Fortsetzung des Defizitverfahrens vornimmt, als Bezugsparameter nicht mehr den Inhalt der bereits nach Artikel 104 Absatz 7 EG an den betroffenen Mitgliedstaat gerichteten Empfehlungen, sondern einseitige Verpflichtungen dieser Staaten hat.

89. Eine solche Aussetzungsentscheidung verletzt Artikel 104 EG und Artikel 9 der Verordnung Nr. 1467/97.

90. Hinzuzufügen ist, dass der Gerichtshof, indem er anerkennt, dass sich ein tatsächliches Ruhen des Verfahrens aus dem bloßen Umstand ergeben kann, dass es dem Rat nicht gelingt, eine von der Kommission empfohlene Entscheidung anzunehmen, nicht zu der Frage Stellung nimmt, ob der Rat nach Artikel 104 Absatz 9 EG verpflichtet sein könnte, eine Entscheidung anzunehmen, falls der Mitgliedstaat seinen Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7 EG weiterhin nicht Folge leistet; zur Beantwortung dieser Frage ist der Gerichtshof im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht aufgerufen.

Änderung der vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG angenommenen Empfehlungen

91. Gemäß Artikel 104 Absatz 13 EG können Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7 EG nur auf Empfehlung der Kommission angenommen werden. Wie bereits ausgeführt, ist der Rat befugt, eine andere als die von der Kommission empfohlene Entscheidung anzunehmen.

92. Nimmt der Rat jedoch Empfehlungen nach Artikel 104 Absatz 7 EG an, so kann er sie später nicht ohne erneute Empfehlung der Kommission ändern, da diese, wie der Rat anerkennt, im Rahmen des Defizitverfahrens über ein Initiativrecht verfügt.

93. Im vorliegenden Fall hat der Rat solche Empfehlungen am 21. Januar 2003 an die Bundesrepublik Deutschland und am 3. Juni 2003 an die Französische Republik gerichtet.

94. Den Schlussfolgerungen des Rates waren keine Empfehlungen der Kommission vorausgegangen, wonach auf der Grundlage von Artikel 104 Absatz 7 EG andere als die zuvor ergangenen Empfehlungen des Rates angenommen werden sollten.

95. Außerdem wurden die in den Schlussfolgerungen des Rates enthaltenen Empfehlungen nicht gemäß den für Empfehlungen des Rates nach Artikel 104 Absatz 7 EG geltenden Abstimmungsregeln, sondern gemäß den für eine Entscheidung nach Artikel 104 Absatz 9 EG geltenden Regeln angenommen, d. h. unter Teilnahme allein der Mitgliedstaaten der Euro-Zone an der Abstimmung.

96. Die gegen Artikel 104 Absätze 7 und 13 EG verstoßende Entscheidung über die Annahme dieser Empfehlungen des Rates ist daher rechtswidrig.

97. Die in Bezug auf die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland angenommenen Schlussfolgerungen des Rates sind folglich für nichtig zu erklären, soweit sie die Entscheidung enthalten, das Defizitverfahren auszusetzen, und eine Entscheidung, mit der die zuvor vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG angenommenen Empfehlungen geändert werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

98. Nach Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt oder wenn ein außergewöhnlicher Grund gegeben ist. Da die Parteien mit ihrem Vorbringen teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, hat jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Plenum)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ist unzulässig, soweit sie darauf gerichtet ist, die Nichtannahme der in den Empfehlungen der Kommission enthaltenen förmlichen Rechtsinstrumente nach Artikel 104 Absätze 8 und 9 EG durch den Rat der Europäischen Union für nichtig zu erklären.

2. Die in Bezug auf die Französische Republik und die Bundesrepublik Deutschland angenommenen Schlussfolgerungen des Rates vom 25. November 2003 werden für nichtig erklärt, soweit sie die Entscheidung enthalten, das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit auszusetzen, und eine Entscheidung, mit der die zuvor vom Rat nach Artikel 104 Absatz 7 EG angenommenen Empfehlungen geändert werden.

3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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