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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.11.2001
Aktenzeichen: C-270/99 P
Rechtsgebiete: EWG/WAGBeamtenStat


Vorschriften:

EWG/WAGBeamtenStat Art. 7 Anhang IX
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen sind keine Ausschlussfristen, sondern stellen Regeln guter Verwaltungsführung dar, deren Nichteinhaltung die Haftung des betreffenden Organs für etwaige den Betroffenen entstehende Schäden begründen kann, ohne für sich allein die Gültigkeit der nach ihrem Ablauf verhängten Disziplinarstrafe zu beeinträchtigen.

( vgl. Randnr. 21 )

2. Das Rechtsmittel kann nur auf Gründe gestützt werden, die sich auf die Verletzung von Rechtsvorschriften, nicht aber auf die Würdigung von Tatsachen beziehen. Das Gericht ist für die Feststellung der Tatsachen - sofern sich nicht aus den ihm unterbreiteten Prozessunterlagen ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind - und für ihre Würdigung allein zuständig. Hat das Gericht die Tatsachen festgestellt oder gewürdigt, so ist der Gerichtshof befugt, gemäß Artikel 225 EG die rechtliche Qualifizierung dieser Tatsachen und die rechtlichen Folgen, die das Gericht aus ihnen abgeleitet hat, nachzuprüfen.

( vgl. Randnr. 37 )

3. Es ist nicht auszuschließen, dass eine erhebliche Überschreitung der in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen in bestimmten Fällen gleichbedeutend sein kann mit einem Verstoß gegen einen auf diesem Gebiet anwendbaren allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts. Konkreter gesagt kann es vorkommen, dass eine solche Überschreitung die betreffende Person daran hindert, sich wirksam zu verteidigen, oder bei ihr das berechtigte Vertrauen darauf hervorruft, dass gegen sie keine Disziplinarstrafe verhängt wird.

Unter solchen außergewöhnlichen Umständen würde die Verzögerung, die beim Erlass eines Disziplinarbeschlusses eintritt, eine Verletzung der Verteidigungsrechte oder des Grundsatzes der Beachtung des berechtigten Vertrauens darstellen, die die Aufhebung dieses Beschlusses durch die Gemeinschaftsgerichte rechtfertigen würde.

( vgl. Randnrn. 43-44 )


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 27. November 2001. - Z gegen Europäisches Parlament. - Rechtsmittel - Beamte - Disziplinarverfahren - Überschreitung der in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften vorgesehenen Fristen. - Rechtssache C-270/99 P.

Parteien:

In der Rechtssache C-270/99 P

Z, Beamter des Europäischen Parlaments, wohnhaft in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigter: J.-N. Louis, avocat, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Rechtsmittelführer,

betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (Erste Kammer) vom 4. Mai 1999 in der Rechtssache T-242/97 (Z/Parlament, Slg. ÖD 1999, I-A-77 und II-401) wegen Aufhebung dieses Urteils, soweit das Gericht die Klage des Z gegen den Beschluss des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments vom 28. Oktober 1996, mit dem gegen ihn die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe verhängt wurde, abgewiesen hat,

anderer Verfahrensbeteiligter:

Europäisches Parlament, vertreten durch H. Krück als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagter im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin F. Macken, der Richterin N. Colneric sowie der Richter C. Gulmann, J.-P. Puissochet und V. Skouris (Berichterstatter),

Generalanwalt: F. G. Jacobs

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 1. Februar 2001,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. März 2001,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Z hat mit Rechtsmittelschrift, die am 19. Juli 1999 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung und den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel eingelegt, das auf die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz vom 4. Mai 1999 in der Rechtssache T-242/97 (Z/Parlament, Slg. ÖD 1999, I-A-77 und II-401, im Folgenden: angefochtenes Urteil), soweit das Gericht die Klage des Z gegen den Beschluss des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments vom 28. Oktober 1996, mit dem gegen ihn die Disziplinarstrafe der Einstufung in eine niedrigere Besoldungsgruppe verhängt wurde (im Folgenden: streitiger Beschluss), abgewiesen hat, sowie auf Aufhebung dieses Beschlusses abzielt.

Rechtlicher Rahmen

2 Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Statut) lautet:

Auf Grund der ihm vorgelegten Unterlagen und unter Berücksichtigung der etwaigen schriftlichen oder mündlichen Erklärungen des Beamten und der Zeugen sowie auf Grund der Ergebnisse der gegebenenfalls angestellten Ermittlungen gibt der Disziplinarrat mit Stimmenmehrheit eine mit Gründen versehene Stellungnahme darüber ab, welche Disziplinarstrafe seiner Auffassung nach die zur Last gelegten Handlungen nach sich ziehen müssen; er leitet der Anstellungsbehörde und dem Beamten die Stellungnahme innerhalb eines Monats zu; die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Fall bei ihm anhängig geworden ist. Die Frist beträgt drei Monate, wenn der Disziplinarrat die Durchführung von Ermittlungen veranlasst hat.

Wird der beschuldigte Beamte strafgerichtlich verfolgt, so kann der Disziplinarrat beschließen, die Abgabe seiner Stellungnahme so lange auszusetzen, bis die Entscheidung des Gerichts ergangen ist.

Die Anstellungsbehörde hat ihren Beschluss innerhalb einer Frist von höchstens einem Monat zu fassen; sie hat den Beamten vorher zu hören."

Vorgeschichte des Rechtsstreits vor dem Gericht

3 Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass der Rechtsmittelführer 1977 in den Dienst des Parlaments getreten ist. Zur Zeit der streitigen Ereignisse, also zwischen 1988 und 1995, war er für den Dienst Post der Mitglieder" zuständig, der zur Generaldirektion Kanzlei (GD I) in Brüssel gehörte. Er wurde mit Wirkung vom 1. Mai 1989 zum Verwaltungshauptsekretär der Besoldungsgruppe C 1 ernannt.

4 Im Dezember 1994 beschwerten sich Herr XB, Herr C und Herr D, die drei Beamten, die dem Dienst des Rechtsmittelführers angehörten und ihm unterstellt waren, über ihn beim Vorsitzenden der Personalvertretung des Parlaments. In dieser Beschwerde erhoben sie mehrere Anschuldigungen gegen den Rechtsmittelführer wegen seines Verhaltens in den dienstlichen Beziehungen. Auf die Beschwerde hin beauftragte der Generalsekretär des Parlaments mit Note vom 27. Januar 1995 den Personaldirektor mit der Durchführung einer behördlichen Untersuchung.

5 Im Untersuchungsbericht vom 2. Juni 1995 wurden gegen den Rechtsmittelführer folgende Vorwürfe erhoben:

- schikanöses Verhalten gegenüber ihm unterstellten Bediensteten,

- sexuelle Belästigung,

- Handel mit Gebrauchtwagen ohne vorherige Genehmigung und Benutzung von Einrichtungen des Organs (Telefon, Garage) für diese Zwecke,

- Desorganisation des Dienstes Post der Mitglieder" und

- Unterschlagung eines Teils der Post.

In diesem Bericht wurde dem Generalsekretär des Parlaments als Anstellungsbehörde empfohlen, ein Disziplinarverfahren einzuleiten.

6 Am 7. Juli 1995 wurde der Rechtsmittelführer, dem die im Untersuchungsbericht vom 2. Juni 1995 enthaltenen Vorwürfe mitgeteilt worden waren, gemäß Artikel 87 Absatz 2 des Statuts von der Anstellungsbehörde gehört. Das Anhörungsprotokoll wurde dem Rechtsmittelführer zugeleitet, der mit Schreiben von 20. Juli 1995 Stellung nahm.

7 Am 31. August 1995 beschloss die Anstellungsbehörde, ein Disziplinarverfahren gegen den Rechtsmittelführer einzuleiten und den Disziplinarrat zu befassen. Gleichzeitig wurde der Rechtsmittelführer gemäß Artikel 88 Absätze 1 und 2 des Statuts ohne Kürzung der Bezüge vorläufig seines Dienstes enthoben.

8 Am gleichen Tag übermittelte die Anstellungsbehörde dem Disziplinarrat die Verwaltungsakte. Am 11. Dezember 1995 richtete der Rechtsmittelführer ein Schreiben an den Disziplinarrat, in dem er den Untersuchungsbericht vom 2. Juni 1995 beanstandete. Der Disziplinarrat vernahm zwischen dem 18. Dezember 1995 und dem 23. April 1996 in Anwesenheit des Rechtsmittelführers und seines Verteidigers Zeugen. Der Rechtsmittelführer und sein Verteidiger wurden am 25. Juli 1996 gehört.

9 Am 3. September 1996 gab der Disziplinarrat seine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Darin stellte er fest, dass es für eine bestimmte Anzahl der gegen den Rechtsmittelführer erhobenen Anschuldigungen, darunter die des schikanösen Verhaltens, der sexuellen Belästigung, der Benutzung von Einrichtungen des Parlaments für den Handel mit Gebrauchtwagen und der Desorganisation des Dienstes Post der Mitglieder" hinreichende Beweise gebe. Deshalb empfahl der Disziplinarrat die Entfernung des Rechtsmittelführers aus dem Dienst gemäß Artikel 86 Absatz 2 Buchstabe f des Statuts, jedoch ohne Kürzung seiner Ruhegehaltsansprüche.

10 Nach Anhörung des Rechtsmittelführers am 3. Oktober 1996 gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs IX des Statuts erließ die Anstellungsbehörde am 28. Oktober 1996 den streitigen Beschluss. Mit diesem Beschluss wurde der Rechtsmittelführer in die Besoldungsgruppe C 5, Dienstaltersstufe 1, zurückgestuft.

Anfechtungsklage und angefochtenes Urteil

11 Mit Klageschrift, die am 22. August 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, erhob der Rechtsmittelführer Klage gegen den streitigen Beschluss. Er stützte sie auf mehrere Gründe, mit denen er angebliche Unregelmäßigkeiten im Ablauf des vordisziplinarischen, des disziplinarischen und des Verwaltungsverfahrens geltend machte. Zu diesen Klagegründen zählte der des Verstoßes gegen Artikel 7 Absätze 1 und 3 des Anhangs IX des Statuts wegen Nichteinhaltung einer angemessenen Frist zwischen den verschiedenen Verfolgungsmaßnahmen.

12 Zu diesem Klagegrund hat das Gericht in den Randnummern 39 bis 42 des angefochtenen Urteils ausgeführt:

39 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 4. Februar 1970 in der Rechtssache 13/69, Van Eick/Kommission, Slg. 1970, 3, Randnrn. 3 ff., vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, Slg. 1985, 275, Randnr. 30, und vom 19. April 1988 in den Rechtssachen 175/86 und 209/86, M./Rat, Slg. 1988, 1891, Randnr. 16) sind die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen keine Ausschlussfristen, sondern stellen Regeln guter Verwaltungsführung dar, deren Nichteinhaltung die Haftung des betreffenden Organs für etwaige den Betroffenen entstehende Schäden begründen kann, ohne für sich allein die Gültigkeit der nach ihrem Ablauf verhängten Disziplinarstrafe zu beeinträchtigen.

40 Das Gericht hat zwar in den beiden Urteilen De Compte/Parlament und D/Kommission entschieden, dass die Überschreitung dieser Fristen ,auch die Nichtigkeit der nach Fristablauf getroffenen Maßnahme zur Folge haben kann; doch lässt sich diese Rechtsprechung nicht dahin auslegen, dass sie jede Fristüberschreitung automatisch mit der Nichtigkeit bestraft. Im Übrigen hat das Gericht in den beiden Rechtssachen gerade von einer Aufhebung abgesehen (vgl. auch Urteil des Gerichts vom 18. Dezember 1997 in der Rechtssache T-12/94, Daffix/Kommission, Slg. ÖD 1997, II-1197, Randnrn. 130 bis 133).

41 Demnach kann die Gültigkeit einer nach Fristablauf verhängten Disziplinarstrafe nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen in speziellen Fällen beeinträchtigt sein. Der Kläger beschränkt sich jedoch auf die Darlegung, dass tatsächlich eine Fristüberschreitung vorliege. Das Parlament macht hingegen, ohne dass der Kläger dem widersprochen hätte, Ausführungen zur Komplexität des abgelaufenen Disziplinarverfahrens, zu der - im Übrigen mit dem Anwalt des Klägers vereinbarten - großen Zahl der vernommenen Zeugen sowie zu den Schwierigkeiten und Zwängen, denen der Disziplinarrat ausgesetzt gewesen sei....

42 Hinzu kommt, dass der Kläger zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anstellungsbehörde die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn beschloss, ohne Kürzung der Bezüge seines Dienstes vorläufig enthoben war. Nach dem Erlass des angefochtenen Beschlusses wurde er in eine andere Generaldirektion umgesetzt. Der Kläger behielt somit während des gesamten Disziplinarverfahrens seine finanziellen Ansprüche gemäß seiner Besoldungsgruppe C 1, ohne in seiner ehemaligen Dienststelle erscheinen zu müssen, wodurch er sich ohne finanzielle Einbußen einem Klima entziehen konnte, das für ihn schwierig werden konnte. Nach Abschluss dieses Verfahrens war er aufgrund seiner Umsetzung nicht gehalten, in seine Dienststelle zurückzukehren, sondern hatte Gelegenheit, in eine neue berufliche Umgebung zu gelangen und sich ein neues Ansehen zu erwerben."

13 Aufgrund dieser Erwägungen ist das Gericht in Randnummer 43 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass die Überschreitung der in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen im vorliegenden Fall nicht die Aufhebung des streitigen Beschlusses rechtfertige. Daher hat es den vom Rechtsmittelführer geltend gemachten Klagegrund der Überschreitung der in diesem Artikel 7 vorgesehenen Fristen zurückgewiesen.

Das Rechtsmittel

14 Der Rechtsmittelführer macht zur Begründung seines Rechtsmittels geltend, dem Gericht sei dadurch ein Rechtsfehler unterlaufen, dass es im vorliegenden Fall nicht die Rechtswidrigkeit der Überschreitung der in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen beanstandet habe.

15 Dieser Rechtsmittelgrund umfasst zwei Teile, die getrennt zu prüfen sind. Der Rechtsmittelführer trägt vor, das angefochtene Urteil habe die Tragweite des Artikels 7 des Anhangs IX des Statuts verkannt und außerdem die den Disziplinarbehörden vorgeschriebenen Regeln des Wohlverhaltens und der ordnungsgemäßen Verwaltung außer Acht gelassen.

Würdigung durch den Gerichtshof

Zum ersten Teil des Rechtsmittelgrundes

16 Für den ersten Teil seines Rechtsmittelgrundes macht der Rechtsmittelführer im Wesentlichen geltend, dem Gericht sei dadurch ein Rechtsfehler unterlaufen, dass es nicht davon ausgegangen sei, dass die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen zwingend seien und genau eingehalten werden müssten.

17 Zur Begründung dieser Ansicht trägt der Rechtsmittelführer zwei Argumente vor.

18 Er beruft sich erstens auf Artikel 6 Absatz 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), die nach seiner Auffassung gemäß Artikel F Absätze 1 und 2 des Vertrages über die Europäische Union (nach Änderung jetzt Artikel 6 Absätze 1 und 2 EU) in der Gemeinschaftsrechtsordnung anwendbar ist. Nach Artikel 6 Absatz 1 EMRK habe jedermann Anspruch auf einen gerechten, in billiger Weise und innerhalb angemessener Frist durchgeführten Prozess. Ein Prozess kann diese Voraussetzungen nach Ansicht des Rechtsmittelführers nur dann erfuellen, wenn er in einem System stattfinde, in dem die Verfahrensfristen unabdingbar seien und genau eingehalten werden müssten.

19 Im Übrigen stellten die in Anhang IX des Statuts vorgesehenen spezifischen Fristen eine vollständige Regelung dar, die die Disziplinarbehörden zu beachten hätten, um dem Grundsatz der Rechtssicherheit Genüge zu tun und jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung zu vermeiden.

20 Der Rechtsmittelführer macht zweitens geltend, dass seine Ansicht durch die ständige Rechtsprechung bestätigt werde, wonach die strikte Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Verfahrensfristen dem Erfordernis der Rechtssicherheit und der Notwendigkeit entspreche, jede Diskriminierung oder willkürliche Behandlung bei der Rechtspflege zu vermeiden (vgl. u. a. Urteile vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 209/83, Ferriera Valsabbia/Kommission, Slg. 1984, 3089, und vom 26. November 1985 in der Rechtssache 42/85, Cockerill-Sambre/Kommission, Slg. 1985, 3749).

21 Erstens ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen keine Ausschlussfristen sind, sondern Regeln guter Verwaltungsführung darstellen, deren Nichteinhaltung die Haftung des betreffenden Organs für etwaige den Betroffenen entstehende Schäden begründen kann, ohne für sich allein die Gültigkeit der nach ihrem Ablauf verhängten Disziplinarstrafe zu beeinträchtigen (vgl. u. a. Urteile Van Eick/Kommission, Randnrn. 3 bis 7, F./Kommission, Randnr. 30, und M./Rat, Randnr. 16).

22 Zweitens ist zu bemerken, dass diese Rechtsprechung durch das Vorbringen des Rechtsmittelführers nicht in Frage gestellt werden kann.

23 In Bezug auf das Argument zu Artikel 6 Absatz 1 EMRK ist, ohne dass auf die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf die Disziplinarverfahren nach dem Statut eingegangen zu werden braucht, festzustellen, dass nach diesem Artikel jedermann Anspruch darauf hat, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Wie aus seinem Wortlaut eindeutig hervorgeht, schreibt Artikel 6 Absatz 1 EMRK keine konkreten Fristen vor und bestimmt nicht, dass die in einem Rechtstext festgelegten Fristen wie die des Artikels 7 des Anhangs IX des Statuts zwingend als Ausschlussfristen anzusehen sind.

24 Was die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts angeht, wonach jedermann Anspruch auf Durchführung eines Prozesses innerhalb angemessener Frist hat (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C-185/95 P, Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I-8417, Randnr. 21), so geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ebenso wie aus der des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hervor, dass die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den Umständen jeder einzelnen Rechtssache und insbesondere nach dem, was für den Betroffenen in dem Verfahren auf dem Spiel steht, nach der Komplexität der Rechtssache sowie nach dem Verhalten des Betroffenen und dem der zuständigen Behörden zu beurteilen ist (vgl. Urteil Baustahlgewebe/Kommission, Randnr. 29, sowie EGMR, Urteile Erkner und Hofauer vom 23. April 1987, Serie A Nr. 117, § 66, Kemmache vom 27. November 1991, Serie A Nr. 218, § 60, X/Frankreich vom 31. März 1992, Serie A Nr. 234-C, § 32, Phocas/Frankreich vom 23. April 1996, Recueil des arrêts et décisions 1996-II, S. 546, § 71, und Garyfallou AEBE/Griechenland vom 27. September 1997, Recueil des arrêts et décisions 1997-V, S. 1821, § 39).

25 Zu dem auf die in Randnummer 20 des vorliegenden Urteils erwähnte Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile Ferriera Valsabbia/Kommission, Randnr. 14, und Cockerill-Sambre/Kommission, Randnr. 10) gestützten Argument des Rechtsmittelführers ist festzustellen, dass diese Rechtsprechung nicht einschlägig ist. Sie bezieht sich auf Fristen für die Einleitung gerichtlicher Verfahren vor dem Gerichtshof und dem Gericht. Diese Fristen haben jedoch einen anderen Charakter als die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen und sind daher mit diesen nicht vergleichbar.

26 Angesichts dieser Erwägungen ist der erste Teil des Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil des Rechtsmittelgrundes

27 Mit dem zweiten Teil seines Rechtsmittelgrundes trägt der Rechtsmittelführer vor, dass die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen, auch wenn sie keine Ausschlussfristen seien, jedenfalls erkennen ließen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Disziplinarbehörden eine Regel guter Verwaltungsführung habe vorschreiben wollen, wonach sie das Disziplinarverfahren mit Umsicht betreiben und so vorgehen müssten, dass jede Verfolgungsmaßnahme innerhalb einer Frist erfolge, die gegenüber der vorhergehenden Maßnahme angemessen sei.

28 Der Rechtsmittelführer führt für diese Argumentation das Urteil des Gerichts vom 17. Oktober 1991 in der Rechtssache T-26/89 (De Compte/Parlament, Slg. 1991, II-781) an. Er beruft sich darauf, dass nach dieser Rechtsprechung die Nichteinhaltung der in Rede stehenden Fristen - die nur nach den besonderen Umständen des Falles beurteilt werden könne - nicht nur die Haftung des betreffenden Organs begründen, sondern auch die Nichtigkeit der nach Fristablauf getroffenen Maßnahme zur Folge haben könne.

29 Nach Ansicht des Rechtsmittelführers hat das Gericht im angefochtenen Urteil gegen seine Verpflichtung verstoßen, die besonderen Umstände des Falles zu beurteilen, als es über einen auf die Überschreitung der in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen gestützten Klagegrund entschieden habe. Es habe sich darauf beschränkt, die Rechtmäßigkeit des Ablaufs des Disziplinarverfahrens sowie das tatsächliche Vorliegen und die Schwere der von der Anstellungsbehörde erhobenen Vorwürfe zu prüfen. Statt das Verfahren eingehend zu analysieren, habe es sich bloß das in den Randnummern 36 bis 38 des angefochtenen Urteils dargelegte Vorbringen des Parlaments zu Eigen gemacht, das auf eine Rechtfertigung der vorliegenden Überschreitung der in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen gerichtet gewesen sei.

30 Der Rechtsmittelführer beanstandet dieses Vorbringen und gelangt zu dem Ergebnis, dass sich das Parlament auf keinen außergewöhnlichen Umstand berufen habe, um eine Überschreitung der Fristen zu rechtfertigen. Folglich habe das Gericht gegen die in seiner Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze verstoßen.

Zur Zulässigkeit

31 Das Parlament bestreitet die Zulässigkeit dieses zweiten Teils des Rechtsmittelgrundes mit zwei Argumenten.

32 Es vertritt erstens die Ansicht, dass, soweit sich der Rechtsmittelführer auf die angebliche Außerachtlassung der den Disziplinarbehörden vorgeschriebenen Regeln des Wohlverhaltens und der ordnungsgemäßen Verwaltung" als unabhängigen und gesonderten Rechtsmittelgrund zu berufen scheine, dieser Rechtsmittelgrund als unzulässig zurückzuweisen sei, da zu seiner Begründung keine speziellen Argumente vorgetragen worden seien.

33 Insoweit ergibt sich aus Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes und Artikel 112 § 1 Absatz 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung, dass in der Rechtsmittelschrift die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, auf die dieser Antrag gestützt wird, genau angegeben werden müssen (vgl. insbesondere Beschlüsse vom 6. März 1997 in der Rechtssache C-303/96 P, Bernardi/Parlament, Slg. 1997, I-1239, Randnr. 37, und vom 9. Juli 1998 in der Rechtssache C-317/97 P, Smanor u. a./Kommission, Slg. 1998, I-4269, Randnr. 20, sowie Urteil vom 9. September 1999 in der Rechtssache C-257/98 P, Lucaccioni/Kommission, Slg. 1999, I-5251, Randnr. 61).

34 Im vorliegenden Fall wirft der Rechtsmittelführer, wie in den Randnummern 27 bis 30 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dem Gericht vor, dass es die in seiner eigenen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze nicht beachtet habe. Unter Hinweis darauf, dass nach dieser Rechtsprechung die Nichteinhaltung der in Rede stehenden Fristen - die nur nach den besonderen Umständen des Falles beurteilt werden könne - nicht nur die Haftung des betreffenden Organs begründen, sondern auch die Nichtigkeit der nach Fristablauf getroffenen Maßnahme zur Folge haben könne, macht der Rechtsmittelführer geltend, dass das Gericht gegen seine Verpflichtung zur Beurteilung der besonderen Umstände des Falles und folglich auch gegen die Verpflichtung, den streitigen Beschluss aufzuheben, verstoßen habe.

35 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der zweite Teil des Rechtsmittelgrundes die beanstandeten Teile des angefochtenen Urteils und die rechtlichen Argumente, auf die der Antrag auf Aufhebung dieses Urteils gestützt wird, genau angibt.

36 Das Parlament trägt zweitens vor, die Kritik des Rechtsmittelführers am Vorbringen des Parlaments vor dem Gericht ziele auf die vom Gericht vorgenommene Würdigung der Tatsachen ab und sei somit im Rechtsmittelverfahren unzulässig. Ebenso seien die Rügen des Rechtsmittelführers in Bezug auf die Beurteilung der besonderen Umstände des Falles durch das Gericht, da sie darauf hinausliefen, den Gerichtshof um eine erneute Tatsachenwürdigung zu ersuchen, im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens, das gemäß Artikel 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes auf Rechtsfragen beschränkt sei, zwangsläufig unzulässig.

37 Insoweit ist daran zu erinnern, dass das Rechtsmittel nur auf Gründe gestützt werden kann, die sich auf die Verletzung von Rechtsvorschriften, nicht aber auf die Würdigung von Tatsachen beziehen. Das Gericht ist für die Feststellung der Tatsachen - sofern sich nicht aus den ihm unterbreiteten Prozessunterlagen ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind - und für ihre Würdigung allein zuständig. Hat das Gericht die Tatsachen festgestellt oder gewürdigt, so ist der Gerichtshof befugt, gemäß Artikel 225 EG die rechtliche Qualifizierung dieser Tatsachen und die rechtlichen Folgen, die das Gericht aus ihnen abgeleitet hat, nachzuprüfen (vgl. u. a. Urteile vom 1. Juni 1994 in der Rechtssache C-136/92 P, Kommission/Brazzelli Lualdi u. a., Slg. 1994, I-1981, Randnrn. 48 und 49, und vom 16. März 2000 in der Rechtssache C-284/98 P, Parlament/Bieber, Slg. 2000, I-1527, Randnr. 31).

38 Wie aus den Randnummern 27 bis 30 des vorliegenden Urteils eindeutig hervorgeht, ist die Kritik des Rechtsmittelführers am Vorbringen des Parlaments vor dem Gericht darauf gerichtet, die rechtliche Qualifizierung der tatsächlichen Umstände durch das Gericht, auf die sich das Parlament zur Rechtfertigung der Überschreitung der betreffenden Fristen bezogen hat, in Frage zu stellen. Gerade im Hinblick auf diese Umstände hat das Gericht nämlich entschieden, dass die in seiner eigenen Rechtsprechung aufgestellten Aufhebungsvoraussetzungen nicht erfuellt seien.

39 Im Licht dieser Erwägungen ist der Schluss zu ziehen, dass der zweite Teil des Rechtsmittelgrundes zulässig ist.

Zur Begründetheit

40 Zur Begründetheit ist zu bemerken, dass in der in Randnummer 21 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung, wonach die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen keine Ausschlussfristen sind, lediglich festgestellt wird, dass eine Überschreitung dieser Fristen allein nicht zwangsläufig die Aufhebung des nach ihrem Ablauf erlassenen Disziplinarbeschlusses zur Folge hat.

41 Wie sich nämlich eindeutig aus dieser Rechtsprechung (Urteile Van Eick/Kommission, Randnr. 1, F./Kommission, Randnr. 29, und M./Rat, Randnr. 15) ergibt, hat der Gerichtshof dort lediglich über den Rechtsmittelgrund entschieden, wonach eine nach Ablauf der in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen erlassene Disziplinarmaßnahme aufzuheben sei.

42 Demnach hat sich der Gerichtshof in diesen Urteilen nicht zu der Frage geäußert, ob eine erhebliche Überschreitung der in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehenen Fristen, die einen Verstoß gegen die Regeln guter Verwaltungsführung darstellt, in bestimmten Fällen zur Aufhebung einer nach deren Ablauf erlassenen Disziplinarentscheidung führen kann.

43 Insoweit ist nicht auszuschließen, dass eine erhebliche Überschreitung dieser Fristen in bestimmten Fällen gleichbedeutend sein kann mit einem Verstoß gegen einen auf diesem Gebiet anwendbaren allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts. Konkreter gesagt kann es vorkommen, dass eine solche Überschreitung die betreffende Person daran hindert, sich wirksam zu verteidigen, oder bei ihr das berechtigte Vertrauen darauf hervorruft, dass gegen sie keine Disziplinarstrafe verhängt wird.

44 Unter solchen außergewöhnlichen Umständen würde die Verzögerung, die beim Erlass eines Disziplinarbeschlussess eintritt, eine Verletzung der Verteidigungsrechte oder des Grundsatzes der Beachtung des berechtigten Vertrauens darstellen, die die Aufhebung dieses Beschlusses durch die Gemeinschaftsgerichte rechtfertigen würde.

45 Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Zwar ist die Überschreitung der in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts für die Stellungnahme des Disziplinarausschusses im Fall von Ermittlungen vorgesehenen Dreimonatsfrist um etwa neun Monate erheblich, doch hat der Rechtsmittelführer weder ein rechtliches Argument noch einen tatsächlichen Umstand zum Nachweis dafür geltend gemacht, dass ihn diese Überschreitung an einer wirksamen Verteidigung gehindert oder bei ihm das berechtigte Vertrauen darauf hervorgerufen hat, dass gegen ihn keine Disziplinarstrafe verhängt wird. Ebenso wenig hat der Rechtsmittelführer irgendein derartiges Argument in Bezug auf die Überschreitung der Einmonatsfrist vorgetragen, über die die Anstellungsbehörde für den Erlass ihres Beschlusses verfügt.

46 Angesichts dieser Erwägungen ist der zweite Teil des Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.

47 Unter diesen Umständen ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

48 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren anzuwenden ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen in den Streitsachen zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst. Nach Artikel 122 Absatz 2 der Verfahrensordnung ist Artikel 70 jedoch nicht auf Rechtsmittel anwendbar, die von Beamten oder sonstigen Bediensteten eines Organs gegen dieses Organ eingelegt worden sind. Da das Parlament die Verurteilung des Rechtsmittelführers beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Z trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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