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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 03.05.2001
Aktenzeichen: C-28/99
Rechtsgebiete: Richtlinie 89/592/EWG, EGV


Vorschriften:

Richtlinie 89/592/EWG
EGV Art. 234
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 6 der Richtlinie 89/592 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insidergeschäfte steht der Anwendung von Vorschriften einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die strenger als die in dieser Richtlinie in Bezug auf das Verbot der Ausnutzung von Insiderinformationen vorgesehenen sind, sofern die Tragweite der für die Anwendung dieser Regelung verwendeten Definition der Insiderinformation für alle natürlichen oder juristischen Personen, die von dieser Regelung erfasst werden, gleich ist.

Wenn nationale Vorschriften gegen Artikel 6 verstoßen, da bestimmte natürliche oder juristische Personen eigens von einem strengeren als dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Verbot, Insiderinformationen auszunutzen, befreit sind, so muss das nationale Gericht diese strengeren Vorschriften gegenüber sämtlichen Personen, auf die sie Anwendung finden könnten, unangewendet lassen.

( vgl. Randnrn. 35, 38, Tenor 1-2 )


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 3. Mai 2001. - Strafverfahren gegen Jean Verdonck, Ronald Everaert und Edith de Baedts. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Rechtbank van eerste aanleg te Gent - Belgien. - Richtlinie 89/592/EWG - Nationale Regelung für Insidergeschäfte - Befugnis der Mitgliedstaaten, strengere Vorschriften zu erlassen - Allgemein geltende nationale Vorschrift. - Rechtssache C-28/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-28/99

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) von der Rechtbank van eerste aanleg Gent (Belgien) in dem bei dieser anhängigen Strafverfahren gegen

Jean Verdonck,

Ronald Everaert

und

Edith de Baedts

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insidergeschäfte (ABl. L 334, S. 30)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann, der Richter V. Skouris, J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und R. Schintgen sowie der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: P. Léger

Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Angeklagten Verdonck, Everaert und De Baedts, vertreten durch K. Geens, H. Gilliams, J.-M. Nelissen Grade und R. Verstringhe, jeweils advocaat,

- der belgischen Regierung vertreten durch A. Snoecx als Bevollmächtigte,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra als Bevollmächtigten,

- der portugiesischen Regierung, vertreten durch J. A. Texeira Santos do Rio und L. Fernandes als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Tufvesson und T. van Rijn als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Angeklagten Verdonck, Everaert und De Baedts, der belgischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 13. Juli 2000,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Oktober 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Rechtbank van eerste aanleg Gent hat mit Urteil vom 27. Januar 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Februar 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 6 der Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insidergeschäfte (ABl. L 334, S. 30) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Strafverfahren gegen die Herren Verdonck und Everaert sowie Frau De Baedts (im Folgenden: die Angeklagten), die gemäß den Artikeln 181 bis 183 und 189 des Gesetzes vom 4. Dezember 1990 über finanzielle Transaktionen und die Finanzmärkte (Moniteur belge vom 22. Dezember 1990, S. 23800, im Folgenden: das Gesetz von 1990) angeklagt sind, die den Straftatbestand des Insidergeschäfts vorsehen und mit Strafe bedrohen.

Das Gemeinschaftsrecht

3 Artikel 1 der Richtlinie 89/592 bestimmt:

Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Definitionen:

1. Insiderinformation: eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die einen oder mehrere Emittenten von Wertpapieren oder ein oder mehrere Wertpapiere betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieses Wertpapiers oder dieser Wertpapiere beträchtlich zu beeinflussen;

..."

4 In Artikel 2 der Richtlinie 89/592 ist bestimmt:

(1) Jeder Mitgliedstaat untersagt den Personen, die

- als Mitglieder eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Emittenten,

- durch ihre Beteiligung am Kapital des Emittenten

oder

- aufgrund ihrer Arbeit, ihres Berufs oder ihrer Aufgaben zu dieser Information Zugang haben,

über eine Insiderinformation verfügen, unter Ausnutzung derselben in Kenntnis der Sache für eigene oder fremde Rechnung entweder selbst oder indirekt die Wertpapiere des bzw. der von dieser Information betroffenen Emittenten zu erwerben oder zu veräußern.

(2) Sofern es sich bei den in Absatz 1 genannten Personen um Gesellschaften oder andere juristische Personen handelt, gilt das dort ausgesprochene Verbot für die natürlichen Personen, die an dem Beschluss beteiligt sind, das Geschäft für Rechnung der betreffenden juristischen Person zu tätigen.

..."

5 In Artikel 6 der Richtlinie 89/592 heißt es:

Jeder Mitgliedstaat kann strengere Vorschriften als die in dieser Richtlinie vorgesehenen oder zusätzliche Vorschriften erlassen, sofern diese Vorschriften allgemein gelten..."

Das belgische Recht

6 Die Richtlinie 89/592 wurde durch die Artikel 181 bis 189 des Gesetzes von 1990 in das belgische Recht umgesetzt.

7 Artikel 181 dieses Gesetzes definiert den Begriff Insiderinformation" wie folgt:

Für die Zwecke der Anwendung dieses Buches sind Insiderinformationen nicht öffentlich bekannte hinreichend präzise Informationen, die einen oder mehrere Emittenten von Wertpapieren oder anderen Finanzierungspapieren oder ein oder mehrere Wertpapiere oder andere Finanzierungspapiere betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieses Wertpapiers, dieser Wertpapiere, dieses anderen Finanzierungspapiers oder dieser anderen Finanzierungspapiere beträchtlich zu beeinflussen.

Als Insiderinformationen gelten nicht Informationen, über die Holdinggesellschaften in Ausübung ihrer Funktionen bei der Verwaltung von Gesellschaften, an denen sie beteiligt sind, verfügen, sofern es sich dabei nicht um Informationen handelt, die aufgrund der Rechtsvorschriften über die Verpflichtungen zu veröffentlichen sind, die sich aus der Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse ergeben."

8 Artikel 182 Absatz 1 des Gesetzes von 1990 lautet:

Personen, die

1. als Mitglieder eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Emittenten,

2. durch ihre Beteiligung am Kapital des Emittenten oder

3. aufgrund ihrer Arbeit, ihres Berufs oder ihrer Aufgaben zu dieser Information Zugang haben,

über eine Information verfügen, von der ihnen bekannt ist oder vernünftigerweise bekannt sein müsste, dass es sich dabei um eine Insiderinformation handelt, ist es verboten, für eigene oder fremde Rechnung entweder selbst oder indirekt die Wertpapiere oder andere Finanzierungspapiere, die diese Information betrifft, zu erwerben oder zu veräußern."

9 Holdinggesellschaften sind in Artikel 1 der Königlichen Verordnung Nr. 64 vom 10. November 1967 zur Regelung der Stellung der Holdinggesellschaften (Moniteur belge vom 14. November 1967, S. 11815) definiert.

10 Nach dieser Bestimmung sind Holdinggesellschaften:

1. die Gesellschaften belgischen Rechts, die Beteiligungen an einer oder mehreren belgischen oder ausländischen Tochtergesellschaften besitzen, die ihnen rechtlich oder tatsächlich die Macht verleihen, deren Tätigkeit zu leiten, sofern

a) sich diese Gesellschaften oder alle oder bestimmte ihrer Tochter- oder Enkelgesellschaften in Belgien zum Zweck der Ausgabe oder des Absatzes ihrer Aktien oder Anteile an die Öffentlichkeit gewandt haben;

b) der Wert ihrer Beteiligungen insgesamt mindestens fünfhundert Millionen Franken erreicht oder mindestens die Hälfte ihrer Eigenmittel darstellt;

2. die Gesellschaften belgischen Rechts, die oder deren Tochter- oder Enkelgesellschaften sich in Belgien zum Zweck der Ausgabe oder des Absatzes ihrer Aktien oder Anteile an die Öffentlichkeit gewandt haben und die Tochter- oder Enkelgesellschaften ausländischer Gesellschaften oder Einrichtungen sind, die unmittelbar oder mittelbar an Gesellschaften belgischen Rechts Beteiligungen besitzen, deren Wert insgesamt mindestens fünfhundert Millionen Franken erreicht oder mindestens die Hälfte ihrer Eigenmittel darstellt."

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

11 Der Verwaltungsrat der Ter Beke NV (im Folgenden: Ter Beke) prüfte in seinen Sitzungen vom 22. August 1995 und vom 10. Oktober 1995 die Möglichkeiten eines Erwerbs der Firma Chilled Food Business, eines Geschäftsbereichs der Unilever Belgium NV (im Folgenden: Unilever). Am 14. September 1995 wurde ein Vorangebot abgegeben und am 19. Dezember 1995 billigte der Verwaltungsrat von Ter Beke ein Angebot auf Übernahme dieses Geschäftsbereichs.

12 Am 5. März 1996 unterzeichneten Ter Beke und Unilever eine Absichtserklärung, die am selben Tag veröffentlicht wurde, und in der der Wunsch der beiden Unternehmen zum Ausdruck gebracht wurde, die zwischen ihnen laufenden Verhandlungen exklusiv fortzusetzen. Nach der Veröffentlichung dieser Absichtserklärung, stieg der Kurs der Aktien von Ter Beke in der Zeit vom 5. bis zum 18. März 1996 von 2 800 BEF auf 3 230 BEF, d. h. um 15,3 %.

13 Am 14. Mai 1996 unterzeichneten Ter Beke und die Unilever die Vereinbarung über den Erwerb von Chilled Food Business.

14 Nach dem Vorlageurteil sind die Angeklagten Mitglieder des Verwaltungsrats von Ter Beke und der Angeklagte Verdonck ist ferner Mitglied der Geschäftsführung dieses Unternehmens. Die Angeklagten erteilten vom 6. bis 8. Februar 1996 Börsenaufträge, die zum Erwerb von Aktien von Ter Beke zum Kurs von 2 590 BEF führten.

15 Die Staatsanwaltschaft erhob gegen die Angeklagten bei der Rechtbank van eerste aanleg Gent Anklage mit der Begründung, sie hätten durch den Erwerb der Aktien von Ter Beke vor der Veröffentlichung der Absichtserklärung, die diese Gesellschaft gemeinsam mit Unilever abgegeben habe, unter Verstoß gegen die Artikel 181 bis 183 und 189 des Gesetzes von 1990 rechtswidrig eine Insiderinformation ausgenutzt.

16 Zu ihrer Verteidigung machen die Angeklagten insbesondere geltend, dass das Gesetz von 1990 mit der Richtlinie 89/592 unvereinbar sei. Das Gesetz von 1990 verstoße dadurch gegen Artikel 6 der Richtlinie 89/592 - der die Mitgliedstaaten nur dann ermächtige, strengere Vorschriften als die in dieser Richtlinie vorgesehenen zu erlassen, wenn diese Vorschriften allgemein gälten - dass es den Straftatbestand des Insidergeschäfts strenger definiere als die Richtlinie, dabei jedoch klarstelle, dass die Informationen, über die die Holdinggesellschaften verfügten, keine Insiderinformationen darstellten, die den Tatbestand des Insidergeschäfts erfuellten.

17 Die Rechtbank van eerste aanleg Gent ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung des Artikels 6 der Richtlinie 89/592 abhänge; sie hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Lässt Artikel 6 der Richtlinie 89/592/EWG vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insidergeschäfte, wonach [j]eder Mitgliedstaat... strengere Vorschriften als die in dieser Richtlinie vorgesehenen oder zusätzliche Vorschriften erlassen [kann], sofern diese Vorschriften allgemein gelten...", es zu, dass Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats den Tatbestand strenger definieren, aber für eine bestimmte Kategorie von Gesellschaften, nämlich Holdinggesellschaften, eine spezifische Ausnahme von dieser strengeren Definition vorsehen?

2. Steht die Durchführung der Richtlinie 89/592/EWG, in Belgien durch Artikel 181 des Gesetzes vom 4. Dezember 1990 über finanzielle Transaktionen und die Finanzmärkte umgesetzt, im Einklang mit Artikel 6 dieser Richtlinie?

Artikel 181 lautet: Für die Zwecke der Anwendung dieses Buches sind Insiderinformationen: nicht öffentlich bekannte hinreichend präzise Informationen, die einen oder mehrere Emittenten von Wertpapieren oder anderen Finanzierungspapieren oder ein oder mehrere Wertpapiere oder andere Finanzierungspapiere betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieses Wertpapiers, dieser Wertpapiere, dieses anderen Finanzierungspapiers oder dieser anderer Finanzierungspapiere beträchtlich zu beeinflussen.

Als Insiderinformationen gelten nicht Informationen, über die Holdinggesellschaften in Ausübung ihrer Funktionen bei der Verwaltung von Gesellschaften, an denen sie beteiligt sind, verfügen, sofern es sich dabei nicht um Informationen handelt, die aufgrund der Rechtsvorschriften über die Verpflichtungen zu veröffentlichen sind, die sich aus der Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse ergeben.

Die Vorschriften dieses Buches gelten für Wertpapiere und andere Finanzierungspapiere im Sinne des Artikels 1."

3. Falls ein Mitgliedstaat die Richtlinie 89/592/EWG so umgesetzt hat, wie dies der belgische Gesetzgeber in Artikel 181 des Gesetzes vom 4. Dezember 1990 über finanzielle Transaktionen und die Finanzmärkte getan hat, und diese Umsetzung gegen die Richtlinie verstoßen sollte, ist die strengere Vorschrift dann als nicht zum nationalen Recht gehörend anzusehen oder ist sie weiter uneingeschränkt anzuwenden, und zwar auch auf Holdinggesellschaften?

Zu den ersten beiden Fragen

18 Mit seinen ersten beiden Fragen, die gemeinsam zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 6 der Richtlinie 89/592 so auszulegen ist, dass er der Anwendung von Vorschriften einer Regelung eines Mitgliedstaats, die strenger als die in dieser Richtlinie in Bezug auf das Verbot der Ausnutzung von Insinderinformationen vorgesehenen sind, nicht entgegensteht, wenn diese die Ausnutzung von Insiderinformationen verbieten, dabei jedoch diese Informationen in einer Weise definieren, die eine bestimmte Gruppe von Informationen, über die die Holdinggesellschaften verfügen, ausnimmt.

19 Die Angeklagten, die belgische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission sind sich darin einig, dass das Gesetz von 1990 insofern eine strengere Definition der verbotenen Ausnutzung von Insiderinformationen enthält, als sie sich aus Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592 ergibt, indem es nicht verlangt, dass der Insider die Insiderinformation, über die er verfügt, in Kenntnis der Sache ausnutzt, und auf diese Weise auch die unbeabsichtigte Ausnutzung einer derartigen Information erfasst.

20 Unterschiedliche Auffassungen bestehen jedoch zu der Frage, ob das Gesetz von 1990 im Einklang mit Artikel 6 der Richtlinie 89/592 steht, der strengere Vorschriften als die in der Richtlinie vorgesehenen nur unter der Voraussetzung zulässt, dass sie allgemein gelten.

21 Die Angeklagten und die portugiesische Regierung schlagen vor, die Frage nach der Vereinbarkeit des Gesetzes von 1990 mit Artikel 6 der Richtlinie 89/592 zu verneinen. Sie machen geltend, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen dieses Gesetzes, die sie als strenger erachteten, gälten nicht für eine bestimmte Kategorie von Gesellschaften und daher nicht allgemein im Sinne des Artikels 6 der Richtlinie.

22 Die belgische Regierung trägt vor, Artikel 181 Absatz 2 des Gesetzes von 1990 stelle nur für Holdinggesellschaften klar, welche der vertraulichen Informationen, über die diese Gesellschaften insbesondere in Bezug auf ihre Tochtergesellschaften verfügten, Insiderinformationen seien, und welche nicht. Wenn Artikel 181 des Gesetzes von 1990 festlege, dass Insiderinformationen diejenigen Informationen der Holdinggesellschaften seien, die nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Verpflichtungen zu veröffentlichen seien, die sich aus der Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse ergäben, so enthalte er damit nur eine Definition, die der allgemeinen Definition der Insiderinformation in Artikel 1 Nummer 1 der Richtlinie 89/592 entspreche. Denn die nach den genannten nationalen Rechtsvorschriften zu veröffentlichenden Informationen seien genau diejenigen, die im Sinne von Artikel 1 Nummer 1 dieser Richtlinie geeignet wären, den Kurs der betroffenen Wertpapiere beträchtlich zu beeinflussen.

23 Artikel 4 Absatz 1 Nummer 1 der Königlichen Verordnung Nr. 2331 vom 18. September 1990 über die Verpflichtungen aufgrund der Aufnahme von Wertpapieren in den ersten Markt einer belgischen Wertpapierbörse (Moniteur belge vom 22. September 1990, S. 18138) in der Fassung, die bei Vornahme der den Angeklagten zur Last gelegten Handlung gegolten habe, verpflichte die Gesellschaften, deren Wertpapiere zur offiziellen Notierung an einer Wertpapierbörse zugelassen worden seien, unverzüglich jede Tatsache oder jede Entscheidung zu veröffentlichen, von der sie Kenntnis haben und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs der Aktien an der Börse beträchtlich zu beeinflussen". Diese Bestimmung sei inzwischen in die Königliche Verordnung Nr. 1421 vom 3. Juli 1996 über die Verpflichtungen in Bezug auf die gelegentliche Information von Emittenten, deren Finanzierungspapiere in den ersten Markt und den neuen Markt einer Wertpapierbörse aufgenommen worden sind (Moniteur belge vom 6. Juli 1996, S. 18700), übernommen worden.

24 Bestimmte Besonderheiten der Holdinggesellschaften hätten den Gesetzgeber dazu veranlasst, die Definition der Insiderinformationen in Bezug auf diese Gesellschaften zu präzisieren, doch stellten diese Präzisierungen nur eine Erläuterung der allgemeinen Definition für eine besondere Kategorie von Gesellschaften dar.

25 Hilfsweise macht die belgische Regierung geltend, dass zwar die Definition der Insiderinformation in Bezug auf Holdinggesellschaften von derjenigen abweiche, die für die anderen Gesellschaften gelte, doch nehme dies Artikel 182 des Gesetzes von 1990 nicht seine allgemeine Bedeutung, denn er diene dem Verbot der Ausnutzung jeder Insiderinformation zum Zweck der Durchführung von Transaktionen mit Wertpapieren oder Finanzierungspapieren.

26 Weiter hilfsweise macht die belgische Regierung geltend, zwar schaffe Artikel 181 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 182 des Gesetzes von 1990 eine Ausnahme von einer Bestimmung, die strenger als die in der Richtlinie 89/592 vorgesehenen Bestimmungen sei, doch sei diese Ausnahme gerechtfertigt. Denn die Richtlinie berücksichtige selbst bestimmte besondere Sachverhalte und bestimmte Kategorien von Personen, die sich auf den Finanzmärkten betätigten, mit dem Ziel, sie ihren Bestimmungen nicht zu unterwerfen, damit nicht völlig übliche Transaktionen untersagt würden. Hierfür beruft sich die belgische Regierung auf die elfte und die zwölfte Begründungserwägung der Richtlinie 89/592 sowie auf Artikel 2 Absatz 4 der Richtlinie. Ohne Bestimmungen wie Artikel 181 Absatz 2 des Gesetzes von 1990 könnten die Holdinggesellschaften ihre Beteiligungen nicht verwalten. Die niederländische Regierung teilt insoweit den Standpunkt der belgischen Regierung. Nach Ansicht beider Regierungen befinden sich die Holdinggesellschaften in einer besonderen Lage, da sie notwendigerweise wegen der rechtlichen oder tatsächlichen Beherrschung ihrer Tochtergesellschaften über vertrauliche Informationen verfügten. Würden alle diese Informationen als Insiderinformationen betrachtet, wäre es diesen Gesellschaften daher unmöglich, ihre Tätigkeit auszuüben.

27 Die Kommission macht geltend, die Ausnahme für Holdinggesellschaften führe dazu, dass diese Kategorie von Gesellschaften nicht nur vom Verbot, Insiderinformationen unabsichtlich auszunutzen, sondern auch vom Verbot, derartige Informationen in Kenntnis der Sache auszunutzen, ausgenommen werde. Die Ausnahme für Holdinggesellschaften weiche mit anderen Worten sowohl von dem strengeren Verbot im Gesetz von 1990 als auch vom Verbot im Sinne der Richtlinie 89/592 ab. Die Ausnahme gemäß Artikel 181 Absatz 2 des Gesetzes von 1990 unterscheide sich dagegen rechtlich von der strengeren Definition des Verbotes der Ausnutzung von Insiderinformationen, die durch Artikel 182 dieses Gesetzes eingeführt worden sei, so dass diese nationale Bestimmung trotz der Ausnahme für Holdinggesellschaften allgemein anwendbar im Sinne von Artikel 6 der Richtlinie bleibe.

28 Vorab sei darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof im Rahmen der Anwendung des Artikels 177 des Vertrages nicht zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Bestimmung mit dem Gemeinschaftsrecht oder zur Auslegung innerstaatlicher Bestimmungen befugt ist. Er ist jedoch befugt, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand zu geben, die es diesem ermöglichen, über die Vereinbarkeit der genannten Normen mit der Gemeinschaftsregelung zu befinden (u. a. Urteile vom 30. April 1986 in den Rechtssachen 209/84 bis 213/84, Asjes u. a., Slg. 1986, 1425, Randnr. 12, und vom 25. Juni 1997 in den Rechtssachen C-304/94, C-330/94, C-342/94 und C-224/95, Tombesi u. a., Slg. 1997, I-3561, Randnr. 36).

29 Gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592 müssen die Mitgliedstaaten den Personen, die aufgrund ihrer Arbeit, ihres Berufes oder ihrer Beteiligung am Kapital des Emittenten über eine Insiderinformation verfügen, untersagen, unter deren Ausnutzung in Kenntnis der Sache für eigene Rechnung oder fremde Rechnung entweder selbst oder indirekt die Wertpapiere des bzw. der von dieser Information betroffenen Emittenten zu erwerben oder zu veräußern.

30 Artikel 6 der Richtlinie 89/592 ermächtigt die Mitgliedstaaten u. a. dazu, strengere Vorschriften als die in dieser Richtlinie vorgesehenen zu erlassen, sofern die Vorschriften allgemein gelten.

31 Die belgische Regierung räumt ein, dass der nationale Gesetzgeber von der Ermächtigung Gebrauch gemacht habe, strengere Vorschriften in Bezug auf das Verbot im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/592 zu erlassen, indem er nicht die Voraussetzung einer Ausnutzung [eine Insiderinformation] in Kenntnis der Sache" übernommen habe. Denn Artikel 182 Absatz 1 des Gesetzes von 1990 untersage es den von dieser Bestimmung erfassten Personen, die über eine Information verfügten, von der ihnen bekannt sei oder vernünftigerweise bekannt sein müsste, dass es sich dabei um eine Insiderinformation handele, Wertpapiere zu erwerben oder zu veräußern, deren Kurs von dieser Information beträchtlich beeinflusst werden könnte.

32 Im Übrigen hat der belgische Gesetzgeber in die Definition der Insiderinformationen in Artikel 181 des Gesetzes von 1990 zusätzliche Erläuterungen im Vergleich zur Definition der Insiderinformation in Artikel 1 der Richtlinie 89/592 eingefügt, der für nicht öffentlich bekannte präzise Informationen gilt, die einen oder mehrere Emittenten von Wertpapieren oder ein oder mehrere Wertpapiere betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieses Wertpapiers oder dieser Wertpapiere beträchtlich zu beeinflussen". Die zusätzlichen Erläuterungen, die Artikel 181 des Gesetzes von 1990 enthält, betreffen jedoch nur Informationen, die einer besonderen Kategorie von an den Finanzmärkten Beteiligten, nämlich Holdinggesellschaften, vorliegen, und sie betreffen nicht allgemein eine bestimmte Art von Informationen, die den Kurs von Wertpapieren oder anderen Finanzierungspapieren unabhängig von der Stellung oder der Eigenschaft der natürlichen oder juristischen Person, die über sie verfügt, beeinflussen können.

33 Eine derartige Bestimmung ist daher geeignet, unter Verstoß gegen Artikel 6 der Richtlinie 89/592 eine Sonderregelung für eine Kategorie von an den Finanzmärkten Beteiligten einzuführen, sofern die vorgenommenen Erläuterungen nicht lediglich die allgemeine Definition der Insiderinformation für diese Gruppe von Beteiligten verdeutlichen, ohne den Bereich dieser Definition zu verändern.

34 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob die Erläuterungen, die der Gesetzgeber in Artikel 181 des Gesetzes von 1990 in Bezug auf Holdinggesellschaften vorliegende Informationen vorgenommen hat, in Verbindung mit sämtlichen nationalen Bestimmungen, die ihre Anwendung regeln, zu einer Einschränkung des Bereiches der als Insiderinformationen für Holdinggesellschaften geltenden im Vergleich zum Bereich der Informationen führen, die anhand der allgemeinen Definition in derselben Bestimmung als Insiderinformation gelten. So kann das nationale Gericht bestimmen, ob für die Holdinggesellschaften und die Personen, die Zugang zu deren Informationen haben, eine günstigere Regelung als für die anderen an den Finanzmärkten Beteiligten im Hinblick auf das Verbot, Insiderinformationen im Sinne der Definition der Richtlinie 89/152 auszunutzen, und insbesondere im Hinblick auf die durch das Gesetz von 1990 eingeführten Bestimmungen gilt, die strenger als die der Richtlinie sind.

35 Daher ist auf die ersten beiden Fragen zu antworten, dass Artikel 6 der Richtlinie 89/592 der Anwendung von Vorschriften einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die strenger als die in dieser Richtlinie in Bezug auf das Verbot der Ausnutzung von Insiderinformationen vorgesehenen sind, sofern die Tragweite der für die Anwendung dieser Regelung verwendeten Definition der Insiderinformation für alle natürlichen oder juristischen Personen, die von dieser Regelung erfasst werden, gleich ist.

Zur dritten Frage

36 Das nationale Gericht möchte für den Fall, dass das Bestehen nationaler Vorschriften, die strenger als die in der Richtlinie 89/592 vorgesehenen sind, mit Artikel 6 dieser Richtlinie unvereinbar sein sollte, da sie nicht allgemein gelten, wissen, ob diese strengeren Bestimmungen als nichtig zu betrachten sind oder ob sie auf alle an den Finanzmärkten Beteiligten einschließlich derjenigen anzuwenden sind, die von ihnen durch die für mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar befundene nationale Regelung ausgenommen sind.

37 Hierzu genügt die Feststellung, dass Vorschriften der Regelung eines Mitgliedstaats, die strenger als die in der Richtlinie 89/592 vorgesehenen sind, wenn sie mit Artikel 6 dieser Richtlinie unvereinbar sind, gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen und daher auf keinen an den Finanzmärkten Beteiligten angewandt werden können.

38 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass das nationale Gericht, wenn nationale Vorschriften gegen Artikel 6 der Richtlinie 89/592 verstoßen, da bestimmte natürliche oder juristische Personen eigens von einem strengeren als dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Verbot, Insiderinformationen auszunutzen, befreit sind, diese strengeren Vorschriften gegenüber sämtlichen Personen, auf die sie Anwendung finden könnten, unangewendet lassen muss.

Kostenentscheidung:

Kosten

39 Die Auslagen der belgischen, der niederländischen und der portugiesischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm von der Rechtbank van eerste aanleg Gent mit Urteil vom 27. Januar 1999 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Artikel 6 der Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insidergeschäfte steht der Anwendung von Vorschriften einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die strenger als die in dieser Richtlinie in Bezug auf das Verbot der Ausnutzung von Insiderinformationen vorgesehenen sind, sofern die Tragweite der für die Anwendung dieser Regelung verwendeten Definition der Insiderinformation für alle natürlichen oder juristischen Personen, die von dieser Regelung erfasst werden, gleich ist.

2. Wenn nationale Vorschriften gegen Artikel 6 der Richtlinie 89/592 verstoßen, da bestimmte natürliche oder juristische Personen eigens von einem strengeren als dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Verbot, Insiderinformationen auszunutzen, befreit sind, so muss das nationale Gericht diese strengeren Vorschriften gegenüber sämtlichen Personen, auf die sie Anwendung finden könnten, unangewendet lassen.

Ende der Entscheidung

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