Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.02.1992
Aktenzeichen: C-280/90
Rechtsgebiete: Brüsseler Übereinkommen


Vorschriften:

Brüsseler Übereinkommen Art. 16 Nr. 1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist auf einen in einem Vertragsstaat geschlossenen Vertrag, durch den sich ein gewerblicher Reiseveranstalter mit Sitz in diesem Staat gegenüber einem Kunden mit Wohnsitz in demselben Staat verpflichtet, diesem für einige Wochen den Gebrauch einer in einem anderen Vertragsstaat belegenen, nicht in seinem Eigentum stehenden Ferienwohnung zu überlassen und die Reservierung der Reise zu übernehmen, nicht anzuwenden. Denn ein derartiger gemischter Vertrag, kraft dessen gegen einen vom Kunden gezahlten Gesamtpreis eine Gesamtheit von Dienstleistungen zu erbringen ist, liegt ausserhalb des Bereichs, in dem der in Artikel 16 Nr. 1 aufgestellte Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit seine Daseinsberechtigung hat, und ist kein eigentlicher Miet- oder Pachtvertrag im Sinne dieser Vorschrift.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 26. FEBRUAR 1992. - ELISABETH HACKER GEGEN EURO-RELAIS GMBH. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: LANDGERICHT KOELN - DEUTSCHLAND. - BRUESSELER UEBEREINKOMMEN - ZUSTAENDIGKEIT FUER KLAGEN, WELCHE DIE MIETE ODER PACHT VON UNBEWEGLICHEN SACHEN ZUM GEGENSTAND HABEN (ARTIKEL 16 NR. 1). - RECHTSSACHE C-280/90.

Entscheidungsgründe:

1 Das Landgericht Köln hat mit Beschluß vom 28. Juni 1990, beim Gerichtshof eingegangen am 14. September 1990, aufgrund des Protokolls vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (im folgenden: Übereinkommen) zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 16 Nr. 1 des Übereinkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Klägerin Hacker, die ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, und der beklagten Euro-Relais GmbH, einer gewerblichen Reiseveranstalterin mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland, die mit Prospekten wirbt. In dem Rechtsstreit geht es um einen als "Mietvertrag" bezeichneten Vertrag, der zwischen den Parteien am 5. April 1989 ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen wurde.

3 In diesem Vertrag verpflichtete sich die Beklagte, der Klägerin sowie sechs Mitreisenden ein nicht in ihrem Eigentum stehendes, auf Ameland in den Niederlanden belegenes Ferienhaus für die Zeit vom 29. Juli bis zum 12. August 1989 entgeltlich zum Gebrauch zu überlassen und gegen ein zusätzliches Entgelt die Buchung der Überfahrt nach Ameland für die Klägerin zu übernehmen, wobei diese die Kosten der Überfahrt selbst gesondert an das Fährunternehmen zu zahlen hatte.

4 Die Klägerin rügte, daß die Grundfläche des Ferienhauses geringer sei als im Katalog der Beklagten angegeben. Sie sei deshalb gezwungen gewesen, zunächst ein zusätzliches Zimmer anzumieten und dann ihre Ferien abzukürzen. Sie erhob beim Amtsgericht Köln Klage auf Minderung des gezahlten Preises, Schadensersatz für die Miete eines zusätzlichen Zimmers und Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude.

5 Das Amtsgericht wies die Klage ab. Die Klägerin legte daraufhin Berufung beim Landgericht Köln ein, nach dessen Auffassung die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung des Artikels 16 Nr. 1 des Übereinkommens abhängt. Es hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1) Liegt ein Mietvertrag im Sinne des Artikels 16 Nr. 1 des Übereinkommens vor, wenn ein Reiseveranstalter und ein Kunde, die beide ihren Sitz bzw. Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, in der Bundesrepublik Deutschland einen Vertrag schließen, der den Reiseveranstalter verpflichtet, dem Kunden für einige Wochen eine in den Niederlanden belegene Ferienwohnung, die nicht im Eigentum des Reiseveranstalters steht, zum Gebrauch zu überlassen sowie die Buchung für die Überfahrt zu besorgen?

2) Bejahendenfalls: Gilt Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens auch für Klagen, mit denen der Kunde des Reiseveranstalters folgende Ansprüche geltend macht:

a) einen Minderungsanspruch wegen eines angeblichen Mangels des Ferienhauses;

b) einen Schadensersatzanspruch, der darauf gestützt wird, daß wegen eines angeblichen Mangels des Ferienhauses ein zusätzliches Zimmer habe angemietet werden müssen;

c) einen Schadensersatzanspruch, mit dem Schadensersatz wegen vertanen Urlaubs begehrt wird?

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur ersten Frage

7 Artikel 16 des Übereinkommens lautete in der zur Zeit der Entstehung des Rechtsstreits geltenden Fassung wie folgt:

"Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig:

1. für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist;

..."

8 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 15. Januar 1985 in der Rechtssache 241/83 (Rösler, Slg. 1985, 99, Randnr. 19) ausgeführt hat, hat die in Artikel 16 Nr. 1 vorgesehene ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Vertragsstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, ihren Grund in der engen Verknüpfung von Miete und Pacht mit der rechtlichen Regelung des Eigentums an unbeweglichen Sachen und mit den im allgemeinen zwingenden Vorschriften, die seine Nutzung regeln, wie zum Beispiel den Rechtsvorschriften über die Kontrolle der Miet- und Pachthöhe und über den Schutz der Mieter und Pächter.

9 In diesem Urteil hat der Gerichtshof weiterhin festgestellt, daß Artikel 16 Nr. 1 eine zweckmässige Zuständigkeitsverteilung dadurch gewährleisten soll, daß er dem durch die Nähe zu der unbeweglichen Sache bestimmten Gericht für die Zuständigkeit den Vorzug gibt, da dieses eher in der Lage ist, sich eine unmittelbare Kenntnis von den sich auf den Abschluß und die Durchführung von Miet- oder Pachtverträgen über unbewegliche Sachen beziehenden Sachverhalten zu verschaffen (Randnr. 20).

10 Der Gerichtshof hat aus diesen Erwägungen gefolgert, daß die in Frage stehende Vorschrift für alle Verträge über die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen unabhängig von ihren besonderen Merkmalen gilt (Randnr. 24).

11 Andererseits hat der Gerichtshof zuvor im Urteil vom 14. Dezember 1977 in der Rechtssache 73/77 (Sanders, Slg. 1977, 2383, Randnrn. 15 und 16) entschieden, daß diese Erwägungen zwar erklären, warum für Klagen, die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen im eigentlichen Sinn zum Gegenstand haben, den Gerichten des Landes, in dem die Sache belegen ist, eine ausschließliche Zuständigkeit eingeräumt wurde, daß sie jedoch nicht gelten, wenn der Hauptgegenstand des Vertrags anderer Natur ist.

12 Nach diesem Urteil hat der Umstand, daß im Interesse eines sachgerechten Rechtsschutzes den Gerichten eines Vertragsstaats im Rahmen des Artikels 16 des Übereinkommens eine ausschließliche Zuständigkeit gewährt wird, ausserdem zur Folge, daß den Parteien die ihnen sonst mögliche Wahl des Gerichtsstands genommen wird und sie in gewissen Fällen vor einem Gericht zu verklagen sind, das für keine von ihnen das Gericht des Wohnsitzes ist (Randnr. 17). Diese Überlegung veranlasst dazu, die Vorschriften des Artikels 16 nicht weiter auszulegen, als dies ihr Ziel erforderlich macht (Randnr. 18).

13 Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof entschieden, daß Artikel 16 Nr. 1 nicht auf einen Vertrag über die Verpachtung eines Ladengeschäfts anwendbar ist.

14 Eine entsprechende Situation liegt bei einem Vertrag wie dem des Ausgangsverfahrens vor, der zwischen einem gewerblichen Reiseveranstalter und seinem Kunden an dem Ort geschlossen wird, an dem sie ihren Sitz bzw. Wohnsitz haben. Unabhängig von seiner Bezeichung bringt ein solcher Vertrag nämlich, wenn auch die darin vorgesehene Leistung in der Überlassung des Gebrauchs einer Ferienwohnung für einen kurzen Zeitraum besteht, weitere Leistungen mit sich, etwa Auskünfte und Ratschläge, wenn der Reiseveranstalter dem Kunden eine Reihe von Ferienangeboten unterbreitet, weiter die Reservierung einer Wohnung für den vom Kunden gewählten Zeitraum, die Reservierung von Plätzen für die Beförderung, den Empfang am Ort und gegebenenfalls eine Reiserücktrittsversicherung.

15 Ein derartiger gemischter Vertrag, kraft dessen gegen einen vom Kunden gezahlten Gesamtpreis eine Gesamtheit von Dienstleistungen zu erbringen ist, liegt ausserhalb des Bereichs, in dem der in Artikel 16 Nr. 1 aufgestellte Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit seine Daseinsberechtigung hat, und ist kein eigentlicher Miet- oder Pachtvertrag im Sinne dieser Vorschrift in ihrer Auslegung durch das genannte Urteil vom 14. Dezember 1977.

16 Deshalb ist auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß Artikel 16 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens auf einen in einem Vertragsstaat geschlossenen Vertrag, durch den sich ein gewerblicher Reiseveranstalter mit Sitz in diesem Staat gegenüber einem Kunden mit Wohnsitz in demselben Staat verpflichtet, diesem für einige Wochen den Gebrauch einer in einem anderen Vertragsstaat belegenen, nicht in seinem Eigentum stehenden Ferienwohnung zu überlassen und die Reservierung der Reise zu übernehmen, nicht anzuwenden ist.

Zur zweiten Frage

17 Aufgrund der Beantwortung der ersten Frage erübrigt sich die Antwort auf die zweite Frage des vorlegenden Gerichts.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der Bundesrepublik Deutschland, des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem beim nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Landgericht Köln mit Beschluß vom 28. Juni 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 16 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens ist auf einen in einem Vertragsstaat geschlossenen Vertrag, durch den sich ein gewerblicher Reiseveranstalter mit Sitz in diesem Staat gegenüber einem Kunden mit Wohnsitz in demselben Staat verpflichtet, diesem für einige Wochen den Gebrauch einer in einem anderen Vertragsstaat belegenen, nicht in seinem Eigentum stehenden Ferienwohnung zu überlassen und die Reservierung der Reise zu übernehmen, nicht anzuwenden.

Ende der Entscheidung

Zurück