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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 19.02.1991
Aktenzeichen: C-281/89
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1322/83 vom 26. Mai 1983, Verordnung (EWG) Nr. 2794/83 vom 6. Oktober 1983


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1322/83 vom 26. Mai 1983
Verordnung (EWG) Nr. 2794/83 vom 6. Oktober 1983 Art. 5 Abs. 2
Verordnung Nr. 2794/83 Art. 5 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Rechtskraft eines Urteils des Gerichtshofes erstreckt sich lediglich auf diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen, die tatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand dieses Urteils waren.

2. Auf dem Gebiet der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik durch den EAGFL ist es Sache der Kommission, das Vorliegen eines Verstosses gegen die Gemeinschaftsregelung nachzuweisen, wenn sie die Übernahme einer von einem Mitgliedstaat geltend gemachten Ausgabe ablehnen will. Hat sie das Vorliegen eines solchen Verstosses dargetan, so hat der betroffene Mitgliedstaat gegebenenfalls nachzuweisen, daß ihr bezueglich der daraus zu ziehenden finanziellen Konsequenzen ein Irrtum unterlaufen ist.

In dem besonderen Fall, daß eine Unterscheidung zwischen der Unregelmässigkeit und ihren finanziellen Folgen nicht möglich ist, da die Unregelmässigkeit sich aus den finanziellen Bedingungen ergibt, unter denen ein durch die Gemeinschaftsregelung vorgeschriebener Vorgang abgelaufen ist, hat der betroffene Mitgliedstaat, der für den Ablauf des Vorgang verantwortlich ist, nachzuweisen, daß er die für ihn geltenden Vorschriften eingehalten hat.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 19. FEBRUAR 1991. - ITALIENISCHE REPUBLIK GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - RECHNUNGSABSCHLUSS EAGFL - HAUSHALTSJAHR 1986 - KOSTEN FUER DIE FAERBUNG VON GETREIDE. - RECHTSSACHE C-281/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die Italienische Republik hat mit Klageschrift, die am 12. September 1989 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag Klage erhoben auf teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung 89/418/EWG der Kommission vom 26. Juni 1989 zur Änderung der Entscheidung 88/630/EWG über den

Rechnungsabschluß der Mitgliedstaaten für die vom Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds (nachstehend: EAGFL), Abteilung Garantie, im Haushaltsjahr 1986 finanzierten Ausgaben (ABl. L 192, S. 33).

2 Die Verordnung (EWG) Nr. 1322/83 des Rates vom 26. Mai 1983 über den Transfer von 550 000 Tonnen zur Brotherstellung geeigneten Weichweizens aus den Beständen der französischen und der deutschen Interventionsstelle sieht u. a. den Transfer von 450 000 Tonnen dieses Weizens von der französischen an die italienische Interventionsstelle zur Verwendung in der Viehfütterung vor.

3 Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2794/83 der Kommission vom 6. Oktober 1983 über den Verkauf auf dem Binnenmarkt von 450 000 Tonnen zur Brotherstellung geeigneten Weichweizens aus Beständen der italienischen Interventionsstelle und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1687/76 (ABl. L 274, S. 18) bestimmt: "Um die Kontrolle der Verwendung in der Tierernährung zu erleichtern, nimmt die betreffende Interventionsstelle... eine Färbung vor, anhand deren sich das Erzeugnis identifizieren lässt. Die Färbung muß möglichst kostengünstig durchgeführt werden."

4 Die italienische Interventionsstelle, die Azienda di Stato per gli interventi nel mercato agricolo (nachstehend: AIMA), schätzte die durch die in der Verordnung Nr. 2794/83 vorgeschriebene Färbung verursachten Kosten auf 6,15 ECU pro Tonne und forderte deren Erstattung durch den EAGFL (3 682 607 099 LIT für die Gesamtmenge).

5 Die Kommission war der Auffassung, daß die Kosten der Färbung pauschal zu erstatten seien, und setzte mit Entscheidung vom 7. Juni 1985 den Betrag dieser Erstattung auf 1,17 ECU pro Tonne behandeltes

Getreide fest. Die italienische Regierung machte gegen dieses Erstattungsverfahren Einwendungen geltend und erhob vor dem Gerichtshof gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag Klage mit dem Antrag, diese Entscheidung für nichtig zu erklären. Mit Urteil vom 4. Februar 1988 in der Rechtssache 256/85 (Italien/Kommission, Slg. 1988, 521) gab der Gerichtshof der Klage statt und erklärte die Entscheidung insoweit für nichtig, als sie auf die in der Verordnung Nr. 2794/83 der Kommission genannte Färbung anwendbar war.

6 Um dieses Urteil durchzuführen, forderte die Kommission die Italienische Republik und die anderen beteiligten Mitgliedstaaten mit Fernschreiben vom 15. April 1988 auf, ihr bis zum 29. April 1988 die bei der Färbung des Getreides in den Wirtschaftsjahren 1983, 1984, 1985 und 1986 tatsächlich entstandenen Kosten mitzuteilen sowie den Nachweis dafür zu erbringen, daß das gewählte Färbungsverfahren das kostengünstigste war. Italien ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen.

7 Bei einem Besuch von Gemeinschaftsbeamten bei der AIMA Ende Oktober 1988 gelang es der Kommission jedoch, einige Auskünfte von den italienischen Behörden zu erhalten. Es stellte sich heraus, daß die Färbungen zwischen dem 26. Oktober 1983 und dem 6. Oktober 1986 vorgenommen worden waren. Sie waren jeweils einzeln von den für die Einlagerung Verantwortlichen für Rechnung der AIMA vorgenommen worden, und zwar in dem Masse, in dem die Erzeugnisse das Lager verließen, um von den Erwerbern übernommen zu werden. Die AIMA hatte mit der Kontrolle dieser einzelnen Vorgänge eine private Gesellschaft betraut, die für jede in den Handel gebrachte Partie eine Bescheinigung über die Färbung ausstellte. Die AIMA hatte zu keinem Zeitpunkt wegen der Durchführung der Färbung Verbindung mit anderen Unternehmen aufgenommen.

8 Am 26. November 1988 erteilten die italienischen Behörden der Kommission zusätzliche Auskünfte, die den von der AIMA bereits in zwei verschiedenen Fernschreiben vom 7. Januar und 5. Oktober 1984 übermittelten Informationen entsprachen und die Aufteilung der Färbungskosten betrafen.

9 Die Kommission war der Auffassung, daß diese Auskünfte insgesamt nicht den Beweis dafür erbrachten, daß das Verfahren, für das sich die AIMA entschieden hatte, das kostengünstigste gewesen war und daß daher die Erfordernisse des Artikels 5 der Verordnung Nr. 2794/83 nicht erfuellt waren. Trotz der Einwendungen der italienischen Behörden erließ die Kommission schließlich am 26. Juni 1989 die streitige Entscheidung, die den EAGFL mit den von der Italienischen Republik gemeldeten Ausgaben bis zu einem Betrag von 1,17 ECU pro Tonne gefärbtes Getreide belastet.

10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrens und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

11 Die italienische Regierung stützt ihre Klage auf zwei Gründe. Erstens habe die Kommission mit dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung eine Frage erneut aufgegriffen, die vom Gerichtshof in seinem vorerwähnten Urteil vom 4. Februar 1988 bereits endgültig entschieden worden sei, und somit den Grundsatz der Rechtskraft verletzt. In zweiter Linie macht die italienische Regierung geltend, sie habe den Beweis für tatsächlich entstandene Ausgaben erbracht; es sei Sache der Kommission, konkret nachzuweisen, aus welchen Gründen die gemeldeten Ausgaben nicht den geringstmöglichen Kosten entsprächen.

Zur Rechtskraft

12 Nach Ansicht der italienischen Regierung hätte die Kommission die Höhe der gemeldeten Ausgaben in dem Verfahren beanstanden müssen, das zum vorerwähnten Urteil vom 4. Februar 1988 geführt habe. Sie könne ihr Versäumnis nicht dadurch wettmachen, daß sie nunmehr die Angemessenheit dieser Ausgaben bestreite. Die Rechtskraft erfasse nämlich nicht nur das tatsächliche Parteivorbringen, sondern auch diejenigen Angriffs- und Verteidigungsmittel, die nicht geltend gemacht worden seien, obwohl sie hätten geltend gemacht werden können.

13 Nach Auffassung der Kommission ist dieser Klagegrund nicht stichhaltig, da es in der Rechtssache 256/85 darum gegangen sei, ob die Kommission befugt gewesen sei, die Färbungskosten auf pauschaler Grundlage zu erstatten. Erst nachdem diese Frage verneint worden sei, habe die Kommission die Frage aufwerfen können, ob die Färbung möglichst kostengünstig vorgenommen worden sei. Unter Randnummer 18 des vorerwähnten Urteils vom 4. Februar 1988 sei diese Frage im übrigen ausdrücklich offengelassen worden.

14 Es ist festzustellen, daß sich die Rechtskraft lediglich auf diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen erstreckt, die tatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand der betreffenden gerichtlichen Entscheidung waren. Das vorgenannte Urteil hat jedoch nur die Frage entschieden, ob die streitigen Ausgaben nach den für die Finanzierung der im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik vorgenommenen Interventionen geltenden allgemeinen Regeln pauschal erstattet werden durften oder vollständig erstattet werden mussten.

15 Der vorliegende Rechtsstreit betrifft dagegen ein anderes Problem, nämlich die Höhe der gemeldeten Ausgaben, zu der sich das Urteil vom 4. Februar 1988 nicht geäussert hat.

16 Der Klagegrund des Verstosses gegen den Grundsatz der Rechtskraft greift daher nicht durch.

Zur Beweislast

17 Die Klägerin trägt vor, die italienische Verwaltung habe ordnungsgemäß erklärt, daß ihr tatsächliche Ausgaben entstanden seien, die den auf dem betroffenen italienischen Markt obwaltenden besonderen Umständen entsprächen. Es sei infolgedessen Sache der Kommission, die genauen Gründe dafür darzulegen, aus denen diese Ausgaben nicht hätten gutgeheissen werden können, und insbesondere zu beweisen, daß sie nicht die geringstmöglichen Kosten darstellten. Der blosse Hinweis auf den Unterschied zwischen den von Italien und den von anderen Mitgliedstaaten gemeldeten Kosten sei kein gültiger Beweis.

18 Die Kommission ist demgegenüber der Auffassung, die Färbungen seien in Italien nicht im Einklang mit den Gemeinschaftsvorschriften vorgenommen worden. Artikel 5 der vorerwähnten Verordnung Nr. 2794/83 erlege nämlich den Mitgliedstaaten eine genau umschriebene Erfolgspflicht auf: Die Färbung müsse möglichst kostengünstig durchgeführt werden. Die Beachtung dieser Vorschrift setze notwendigerweise voraus, daß ein Vergleich vorgenommen werde. Vorliegend hätten die italienischen Behörden jedoch keinerlei Vergleich vorgenommen. Angesichts einer derartigen Unregelmässigkeit sei die Kommission nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes befugt, jede Erstattung abzulehnen. Sie habe es jedoch aus Billigkeitsgründen vorgezogen, diejenigen Ausgaben zu berücksichtigen, die bei einer zweckdienlicheren Durchführung der Färbung entstanden wären.

19 Hierzu ist zunächst auf die für die Beweislast auf dem Gebiet der Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik geltenden allgemeinen Grundsätze hinzuweisen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist es Sache der Kommission, das Vorliegen einer Verletzung der Regeln der gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte nachzuweisen (vgl. Urteile vom 24. März 1988 in der Rechtssache 347/85, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1988, 1749, vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 262/87, Niederlande/Kommission, Slg. 1989, 225, und vom 10. Juli 1990 in der Rechtssache C-335/87, Griechenland/Kommission, Slg. 1990, I-2875). Hat die Kommission das Vorliegen einer solchen Verletzung dargetan, so hat der betroffene Mitgliedstaat gegebenenfalls nachzuweisen, daß der Kommission bezueglich der daraus zu ziehenden finanziellen Konsequenzen ein Irrtum unterlaufen ist.

20 Sodann ist zu bemerken, daß diese Rechtsprechung voraussetzt, daß zwischen dem Vorliegen der eventuell begangenen Unregelmässigkeit und ihren finanziellen Folgen unterschieden werden kann. Eine solche Unterscheidung ist jedoch hier nicht möglich, da der Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 2 letzter Satz der vorerwähnten Verordnung Nr. 2794/83 in unmittelbarem Zusammenhang mit der Methode der Finanzierung der fraglichen Vorgänge und daher mit deren finanziellen Folgen steht. Wie der Generalanwalt unter Nummer 16 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, liegt der Verstoß gerade darin, daß die Kosten des streitigen Vorgangs nicht so gering wie möglich gewesen sind. Da dem betroffenen Mitgliedstaat sämtliche Informationen über die Bedingungen zur Verfügung stehen, unter denen der in Rede stehende Vorgang abgelaufen ist, trifft ihn die Beweislast für die Beachtung der Gemeinschaftsbestimmung.

21 Es ist daher zu prüfen, ob die italienische Verwaltung nachgewiesen hat, daß die in Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2794/83 vorgesehene Färbung möglichst kostengünstig durchgeführt wurde. Ein solcher Beweis muß zumindest dartun, daß das gewählte Färbungsverfahren weniger kostspielig war als andere Verfahren oder daß es unmöglich war, ein anderes Verfahren zu wählen.

22 Ausweislich der Akten hat die italienische Verwaltung den Beweis dafür erbracht, daß die Färbung tatsächlich vorgenommen worden war, und eine Liste der Positionen vorgelegt, aus denen sich die Kosten dieses Vorgangs zusammensetzen: Typ und Kosten des verwendeten Farbstoffs, Kosten der Verdünnung, Kosten der Ausrüstung und Bescheinigungen sowie Kosten der Auslagerung aus den Silos. Sie hat jedoch der Kommission keinerlei Tatsachen vorgetragen, die dargetan hätten, daß die so entstandenen Kosten des Vorgangs die geringstmöglichen gewesen wären. Sie hat in der Tat weder nachgewiesen, daß das für die Färbung gewählte Verfahren das kostengünstigste war, noch, daß es trotz gewisser praktischer Vorteile, die es aufwies, unter den gegebenen Umständen das einzig mögliche war.

23 Es ist daher nicht dargetan, daß die sich aus Artikel 5 Absatz 2 letzter Satz der Verordnung Nr. 2794/83 ergebende Verpflichtung eingehalten wurde.

24 Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes hervorgeht, war die Kommission unter diesen Umständen befugt, die Belastung des EAGFL mit den gemeldeten Ausgaben abzulehnen oder nur einen Teil dieser Ausgaben zu erstatten (vgl. Urteile vom 25. November 1987 in der Rechtssache 342/85, Italien/Kommission, Slg. 1987, 4677, und vom 24. März 1988, Vereinigtes Königreich/Kommission, a. a. O.). Die Kommission verfügt in solchen Fällen über ein Ermessen bei der Schätzung des Ausgabenbetrags, mit dem der EAGFL zu belasten ist. Vorliegend war die Kommission befugt, die Kosten auf 1,17 ECU pro Tonne festzusetzen. Dieser Betrag entspricht dem gewogenen Durchschnitt der von den anderen Mitgliedstaaten gemeldeten Ausgaben.

25 Auch der zweite Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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