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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 31.03.1992
Aktenzeichen: C-284/90
Rechtsgebiete: EG, EWG, EAG


Vorschriften:

EG Art. 230
EWG Art. 173
EAG Art. 146
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Artikel 7 des Beschlusses über die Eigenmittel der Gemeinschaften sieht ganz allgemein die Übertragung des etwa entstehenden Überschusses der eigenen Mittel der Gemeinschaften gegenüber den tatsächlichen Gesamtausgaben im Verlaufe eines Haushaltsjahres auf das folgende Haushaltsjahr vor, ohne sich auf eine bestimmte Einnahmenart oder einen besonderen Überschußbetrag zu beziehen; er erfasst somit den gesamten Überschuß, unabhängig von seiner Herkunft und nicht lediglich den Teil des Überschusses, der aus den aufgrund des Bruttosozialprodukts der Mitgliedstaaten festgesetzten Einnahmen stammt.

2. Der in Artikel 7 des Beschlusses über die Eigenmittel der Gemeinschaften und Artikel 32 der Haushaltsordnung enthaltene Grundsatz, wonach der Überschuß der Eigenmittel über die Ausgaben eines Haushaltsjahres nur auf das folgende Haushaltsjahr übertragen werden kann, bringt die beiden für das Haushaltsrecht wesentlichen Grundsätze zum Ausdruck, daß der Haushaltsplan jährlich zu verabschieden ist und daß sämtliche Ausgaben und Einnahmen in einem einzigen Haushaltsplan enthalten sein müssen. Nach diesen, in den Artikeln 199 und 202 EWG-Vertrag verankerten Grundsätzen ist es unerläßlich, daß alle der Gemeinschaft in einem Haushaltsjahr zur Verfügung stehenden Einnahmen in den Haushaltsplan für dieses Jahr eingesetzt werden. Daraus folgt, daß bei Nichteinsetzung eines Teils des Mehrbetrags aus einem Haushaltsjahr im folgenden Haushaltsjahr der Haushaltsplan für dieses folgende Haushaltsjahr nicht alle Einnahmen wiedergibt, über die die Gemeinschaft in diesem Haushaltsjahr verfügt und daß auf diese Weise die oben erwähnten Grundsätze verletzt werden. Der Berichtigungs- und Nachtragshaushaltsplan Nr. 2 für das Haushaltsjahr 1990 ist fehlerhaft, weil nur eine teilweise Übertragung des Überschusses erfolgt ist; die Feststellung des Präsidenten des Parlaments, daß dieser Haushaltsplan endgültig festgestellt worden sei, ist daher für nichtig zu erklären.

3. Die Pflicht zur Anwendung des Artikels 2 Absatz 4 des Beschlusses über die Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften, der die Festsetzung der Mehrwertsteuereinnahmen in Höhe eines Satzes von 1,4 % auf die Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage für die Mitgliedstaaten vorsieht, ist unter Berücksichtigung des mit diesem Beschluß verfolgten Zwecks auszulegen. Es ist daher zulässig, in einem Ausnahmefall, in dem die zwingende Anwendung des Grundsatzes der Übertragung des Mehrbetrags von einem Haushaltsjahr auf das folgende dazu führen würde, daß die Gemeinschaften in dem letztgenannten Haushaltsjahr über Mittel verfügen, die keineswegs den für notwendig gehaltenen Ausgaben entsprechen, einen niedrigeren Satz als 1,4 % festzulegen.

4. Aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen der Notwendigkeit, die Kontinuität des europäischen öffentlichen Dienstes sicherzustellen, darf die Gültigkeit von Zahlungen und Mittelbindungen und die Gültigkeit der Anforderung und der Einnahme von Eigenmitteln, zu denen es vor Erlaß des Nichtigkeitsurteils gekommen ist, nicht durch die Nichtigerklärung der vom Präsidenten des Parlaments getroffenen Feststellung, daß ein Berichtigungs- und Nachtragshaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften endgültig festgestellt worden ist, nicht berührt werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 31. MAERZ 1992. - RAT DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN EUROPAEISCHES PARLAMENT. - HAUSHALTSVERFAHREN - BERICHTIGUNGS- UND NACHTRAGSHAUSHALTSPLAN (BNHP) - UEBERTRAGUNG VON EINNAHMEN - HAUSHALTSAUSGLEICH. - RECHTSSACHE C-284/90.

Entscheidungsgründe:

1 Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 17. September 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag und Artikel 146 EAG-Vertrag beantragt, zum einen den vom Europäischen Parlament am 11. Juli 1990 festgestellten Berichtigungs- und Nachtragshaushaltsplan Nr. 2 für das Haushaltsjahr 1990 und zum anderen die vom Präsidenten des Europäischen Parlaments am 11. Juli 1990 getroffene Feststellung, daß dieser Berichtigungs- und Nachtragshaushaltsplan endgültig festgestellt worden ist (ABl. L 239, S. 1), für nichtig zu erklären.

2 Der Rat hat ferner beantragt, festzustellen, daß die Nichtigerklärung dieser Handlungen die Gültigkeit der Zahlungen oder Mittelbindungen und die Gültigkeit der Anforderung und der Einnahme von Eigenmitteln, zu denen es vor Ende des Haushaltsjahres 1990 kommt, nicht berührt.

3 Am 20. März 1990 legte die Kommission gemäß Artikel 15 der auf den allgemeinen Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften anwendbaren Haushaltsordnung vom 21. Dezember 1977 (ABl. L 356, S. 1), zuletzt geändert durch die Verordnung (Euratom, EGKS, EWG) Nr. 610/90 des Rates vom 13. März 1990 (ABl. L 70, S. 1), im folgenden: Haushaltsordnung) dem Rat den Vorentwurf des Berichtigungs- und Nachtragshaushaltsplan Nr. 2 für das Haushaltsjahr 1990 (im folgenden: Vorentwurf des BNH Nr. 2/90) vor. Dieser Vorentwurf des BNH hatte die Einsetzung eines Teils des Nettöinnahmenüberschusses aus dem Haushaltsjahr 1989 in den Haushaltsplan des Jahres 1990 zum Gegenstand und sah eine Anpassung der zugunsten des Vereinigten Königreichs vorgesehenen Berichtigung der Haushaltsungleichgewichte sowie eine Anpassung der Spanien und Portugal zu gewährenden Erstattungen vor.

4 In seinem am 7. Mai 1990 erstellten Entwurf des Berichtigungs- und Nachtragshaushaltsplans Nr. 2 für das Haushaltsjahr 1990 (im folgenden: Entwurf des BNH Nr. 2/90) wich der Rat vom Vorentwurf des BNH Nr. 2/90 ab. Er setzte den gesamten Einnahmenüberschuß des Haushaltsjahrs 1989 in seinen Entwurf ein. Er beschloß ferner, nicht auf die "vierte Eigeneinnahmequelle" zurückzugreifen, d. h. die Einnahmen, die sich ergeben aus der Anwendung eines Satzes auf den in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe d des Beschlusses 88/376/EWG, Euratom des Rates vom 24. Juni 1988 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften (ABl. L 185, S. 24; im folgenden: Beschluß über die Eigenmittel) genannten Gesamtbetrag der Bruttosozialprodukte aller Mitgliedstaaten (im folgenden: BSP-Einnahmen). Schließlich setzte der Rat entgegen dem Vorschlag der Kommission den Betrag der Eigeneinnahmen herab, wie er sich aus der Anwendung des einheitlichen Satzes auf die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c und Absatz 4 dieses Beschlusses erwähnte Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer (im folgenden: MwSt.-Einnahmen) ergeben würde.

5 Das Parlament änderte den Entwurf des BNH Nr. 2/90 u. a. durch die Änderung Nr. 2, die sich auf die Einnahmenseite bezog und den Zweck hatte, dem Entwurf des BNH die Form zu geben, die die Kommission schon in ihrem Vorentwurf des BNH gewählt hatte. Diese Änderung bezog sich also auf die Artikel 130 (Eigenmittel aus der Mehrwertsteuer), 140 (Eigenmittel nach Maßgabe des BSP) und 300 (aus dem vorhergehenden Haushalt verfügbarer Überschuß) des Entwurfs des BNH Nr. 2/90. Das Parlament setzte die MwSt.-Einnahmen zum Satz von 1,4 % ein, wie er in Artikel 2 Absatz 4 des Beschlusses über die Eigenmittel vorgesehen ist. Sodann setzte es die BSP-Eigenmittel nur im Hinblick auf die Finanzierung des zugunsten des Vereinigten Königreichs vorgesehenen Korrekturbetrags ein. Schließlich übernahm es nur einen Teil des aus dem Haushaltsjahr 1989 herrührenden Mehrbetrags in den Haushaltsplan 1990.

6 In der Sitzung vom 25. und 26. Juni 1990 wies der Rat diese vom Parlament vorgenommene Änderung Nr. 2 ausdrücklich zurück und hob dabei hervor, dies bedeute nicht, daß die Handlung des Parlaments als eine Änderung angesehen werden könne, weil Änderungen gemäß Artikel 203 EWG-Vertrag nur nichtobligatorische Ausgaben, nicht aber die Einnahmenseite beträfen. Er bestätigte damit den im Entwurf des BNH Nr. 2/90 enthaltenen Einnahmenansatz, wie er durch zwei Berichtigungsbriefe geändert worden war.

7 Das Parlament beriet am 11. Juli 1990 über die vom Rat am Entwurf des BNH vorgenommenen Änderungen und stellte dann den Berichtigungs- und Nachtragshaushaltsplan für das Jahr 1990 (im folgenden: BNH Nr. 2/90) in der Form endgültig fest, die in der erwähnten Änderung Nr. 2 vorgesehen war.

8 Der Präsident des Parlaments stellte am 11. Juli 1990 fest, daß der BNH Nr. 2/90 endgültig festgestellt ist, und unterrichtete darüber den Rat in einem Schreiben vom 12. Juli 1990.

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zulässigkeit

10 Das Europäische Parlament hält die Klage für unzulässig, soweit sie auf die Nichtigerklärung des vom Parlament am 11. Juli 1990 festgestellten BNH Nr. 2/90 abziele sowie auf die Feststellung, daß die Gültigkeit aller zur Durchführung des Haushaltsplans getroffenen Handlungen unberührt bleibe.

11 Nach Auffassung des Parlaments ist die endgültige Feststellung des BNH Nr. 2/90 keine Handlung, die Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein könne. Es verweist auf den Tenor des Urteils vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache 34/86 (Rat/Parlament, Slg. 1986, S. 2155) und folgert daraus, nur die Feststellung des Präsidenten des Parlaments vom 11. Juli 1990, daß dieser BNH endgültig festgestellt sei, könne Gegenstand einer solchen Klage sein. Folglich sei der Antrag des Rates, diesen BNH für nichtig zu erklären, als unzulässig zurückzuweisen.

12 Hierzu ist festzustellen, daß eine etwaige Nichtigerklärung der Feststellung des Präsidenten des Parlaments vom 11. Juli 1990 wegen der vom Rat geltend gemachten Fehlerhaftigkeit des BNH Nr. 2/90 zur Folge hätte, daß dieser BNH ungültig wäre (vgl. Randnr. 46 des erwähnten Urteils Rat/Parlament).

13 Somit ist der auf die Nichtigerklärung des BNH Nr. 2/90 gerichtete Antrag des Rates wie auch der vom Parlament dazu erhobene Einwand der Unzulässigkeit gegenstandslos.

14 Auf das Vorbringen des Parlaments zu den Klageanträgen, die sich auf die im Falle der Nichtigerklärung der Feststellung des Präsidenten des Parlaments vom 11. Juli 1990 zu ergreifenden Maßnahmen beziehen, wird nach Prüfung der Begründetheit der Klage eingegangen.

Begründetheit

15 Zur Begründung seiner Klage macht der Rat zwei Rügen geltend. Der BNH Nr. 2/90 sei fehlerhaft zum einen im Hinblick auf Artikel 7 des Beschlusses über die Eigenmittel und Artikel 32 der Haushaltsordnung und zum anderen in Anbetracht der dem Parlament zustehenden Befugnisse.

16 Zur ersten Rüge macht der Rat geltend, Artikel 7 des Beschlusses über die Eigenmittel und Artikel 32 der Haushaltsordnung (im folgenden: Grundsatz der Übertragung des Mehrbetrags) verlangten die Übertragung des gesamten Mehrbetrags aus dem Haushaltsjahr 1989 auf das Haushaltsjahr 1990. Diese Vorschriften ließen keinerlei Wahl hinsichtlich des auf das folgende Haushaltsjahr zu übertragenden Überschußbetrags. Soweit diese Übertragung auch ohne Anforderung der BSP-Einnahmen zu einem Überschuß der Einnahmen gegenüber den tatsächlichen, für das Haushaltsjahr 1990 vorgesehenen Ausgaben führen würde, hätte im Hinblick auf den in Artikel 199 Absatz 2 EWG-Vertrag verankerten Grundsatz, daß der Haushaltsplan auszugleichen ist, der für die MwSt.-Einnahmen geltende einheitliche Satz niedriger festgesetzt werden müssen, als es sich aus der vom Parlament für richtig gehaltenen einfachen Anwendung von Artikel 2 Absatz 4 des Beschlusses über die Eigenmittel ergeben hätte.

17 Demgegenüber macht das Parlament zunächst geltend, es ergebe sich aus der Logik des Haushaltssystems und namentlich einer vergleichenden Untersuchung der Artikel 2 und 7 des Beschlusses über die Eigenmittel und der entsprechenden Artikel der früheren Beschlüsse vom 21. April 1970 (ABl. L 94, S. 19) und 7. Mai 1985 (ABl. L 128, S. 15), daß der Einnahmenüberschuß, von dem Artikel 7 dieses Beschlusses handle, nur aus den BSP-Einnahmen herrühren könne und nicht aus den natürlichen Eigenmitteln, zu denen insbesondere die MwSt.-Einnahmen gehörten.

18 Dieser Ansicht des Parlaments kann nicht gefolgt werden.

19 Der Wortlaut von Artikel 7 des Beschlusses über die Eigenmittel macht keinen Unterschied zwischen den Einnahmen der Gemeinschaften. Zwar sieht Artikel 4 Absatz 5 des erwähnten Beschlusses vom 21. April 1970 vor, daß der Grundsatz der Übertragung des Mehrbetrags erst gilt nach der vollständigen Anwendung des sich auf die MwSt.-Einnahmen beziehenden Absatzes 1 Unterabsatz 2 dieses Artikels; Absatz 5 spricht aber ganz allgemein von dem "etwa entstehenden Überschuß der eigenen Mittel der Gemeinschaften gegenüber den tatsächlichen Gesamtausgaben im Verlaufe eines Haushaltsjahres" und bezieht sich keineswegs auf eine bestimmte Einnahmenart oder einen besonderen Überschußbetrag. Jedenfalls erwähnt Artikel 7 des Beschlusses über die Eigenmittel wie übrigens auch der entsprechende Artikel 6 des erwähnten Beschlusses vom 7. Mai 1985 keineswegs die MwSt.-Einnahmen.

20 Das Parlament macht ferner geltend, gemäß Artikel 2 Absatz 4 Buchstabe a des Beschlusses über die Eigenmittel entspreche der MwSt.-Satz dem Satz, der sich ergebe aus der "Anwendung eines Satzes von 1,4 % auf die MwSt.-Bemessungsgrundlage für die Mitgliedstaaten". Da der MwSt.-Satz auf diese Weise unveränderbar festgesetzt worden sei, stuenden die MwSt.-Einnahmen endgültig der Gemeinschaft zu und könnten daher nicht zurückerstattet werden.

21 Die Kommission ist der Meinung, im Haushaltsjahr 1989 sei ein solcher Überschuß entstanden, daß es sich bei der Feststellung des Haushaltsplans für das Jahr 1990 als unmöglich erwiesen habe, gleichzeitig Artikel 199 Absatz 2 EWG-Vertrag, wonach der Haushaltsplan auszugleichen sei, Artikel 2 Absatz 4 des Beschlusses über die Eigenmittel, mit dem der MwSt.-Satz auf 1,4 % festgesetzt worden sei, und den in Artikel 7 dieses Beschlusses enthaltenen Grundsatz, daß, wie Artikel 32 der Haushaltsordnung im einzelnen vorschreibe, der Mehrbetrag in den Haushaltsplan des folgenden Jahres einzusetzen sei, anzuwenden. Sie meint, die beiden zuerst genannten Vorschriften dürften wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung nicht durch die Anwendung der in Artikel 7 erwähnten, im wesentlichen technischen Vorschrift zunichte gemacht werden.

22 Auch dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

23 Zunächst ist festzustellen, daß das Problem, das sich aus der gleichzeitigen Anwendung der in Randnummer 21 dieses Urteils erwähnten haushaltsrechtlichen Vorschriften ergibt, in einer Weise zu lösen ist, die im Einklang mit den das Haushaltssystem der Gemeinschaft beherrschenden Grundsätzen steht.

24 Was Artikel 199 Absatz 2 EWG-Vertrag anbelangt, so zieht keiner der Verfahrensbeteiligten die Verpflichtung in Zweifel, beim Haushaltsplan des Jahres 1990 den Grundsatz zu beachten, daß er auszugleichen ist.

25 Was die Verpflichtung angeht, den Grundsatz der Übertragung des Mehrbetrags anzuwenden, ist darauf hinzuweisen, daß nach dem Wortlaut des Artikels 7 des Beschlusses über die Eigenmittel und des Artikels 32 der Haushaltsordnung der Mehrbetrag eines Haushaltsjahrs nur auf das folgende Haushaltsjahr übertragen werden kann.

26 In dieser Vorschrift kommen die beiden für das Haushaltsrecht wesentlichen Grundsätze zum Ausdruck, daß der Haushaltsplan jährlich zu verabschieden ist und daß sämtliche Ausgaben und Einnahmen in einem einzigen Haushaltsplan enthalten sein müssen. Nach diesen, in den Absätzen 1 der Artikel 199 und 202 EWG-Vertrag verankerten Grundsätzen ist es unerläßlich, daß alle der Gemeinschaft in einem Haushaltsjahr zur Verfügung stehenden Einnahmen in den Haushaltsplan für dieses Jahr eingesetzt werden.

27 Daraus folgt, daß bei Nichteinsetzung eines Teils des Mehrbetrags aus einem Haushaltsjahr im folgenden Haushaltsjahr, d. h. bei der vom Parlament und von der Kommission befürworteten Lösung, der Haushaltsplan für dieses folgende Haushaltsjahr nicht alle Einnahmen wiedergibt, über die die Gemeinschaft in diesem Haushaltsjahr verfügt, und daß auf diese Weise die oben erwähnten Grundsätze verletzt werden.

28 Was die Verpflichtung zur Anwendung des Artikels 2 Absatz 4 des Beschlusses über die Eigenmittel angeht, wonach der MwSt.-Satz auf 1,4 % festgesetzt ist, so ist diese Bestimmung nach dem mit diesem Beschluß verfolgten Zweck auszulegen.

29 Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der Beschluß über die Eigenmittel und die ihm vorausgegangenen Beschlüsse, wie der Generalanwalt in den Nummern 31 bis 34 seiner Schlussanträge dargelegt hat, von der Annahme ausgehen, daß die vorhandenen Einnahmen nicht ausreichen. Zur Lösung dieses Problems wurde mit dem Eigenmittelbeschluß nach der in der zweiten und zehnten Begründungserwägung getroffenen Feststellung, daß der Hoechstsatz von 1,4 % bei der Mehrwertsteuer zur Deckung der Ausgabenansätze der Gemeinschaft nicht ausreicht, eine neue Art von Einnahmen eingeführt, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf das BSP ergibt und deren Umfang von der Notwendigkeit abhängt, die Einnahmen und Ausgaben gemäß Artikel 199 Absatz 2 EWG-Vertrag auszugleichen.

30 In der vierten Begründungserwägung des Beschlusses über die Eigenmittel heisst es: "Die Gemeinschaft muß über stabile und garantierte Einnahmen verfügen, um die derzeitige Lage zu sanieren und die gemeinsamen Politiken durchzuführen. Diesen Einnahmen müssen die hierfür als erforderlich erachteten Ausgaben zugrunde liegen..."

31 Da es sich im vorliegenden Fall um einen Einnahmenüberschuß handelt, der nach der Übertragung auf das Haushaltsjahr 1990 keineswegs den in diesem Haushaltsjahr für notwendig gehaltenen Ausgaben entspricht, sondern auf die zwingende Anwendung des Grundsatzes der Übertragung des Mehrbetrags zurückgeht, schließt es also der mit dem Beschluß über die Eigenmittel verfolgte Zweck nicht aus, daß in einem solchen Ausnahmefall und zur Beachtung des Grundsatzes, daß der Haushaltsplan auszugleichen ist, ein niedrigerer MwSt.-Satz als der in Artikel 2 Absatz 4 vorgesehene Satz von 1,4 % festgesetzt wird und daß demgemäß MwSt.-Einnahmen nur insoweit angefordert werden, als dies zur Deckung der für dieses Haushaltsjahr vorgesehenen Ausgaben erforderlich ist.

32 Aus alledem ergibt sich, daß der Rat zu Recht geltend gemacht hat, der BNH Nr. 2/90 sei deswegen im Hinblick auf Artikel 7 des Beschlusses über die Eigenmittel und Artikel 32 der Haushaltsordnung fehlerhaft, weil er nur einen Teil des Überschusses aus dem vorhergehenden Haushaltsjahr als Einnahmen in den Haushaltsplan 1990 eingesetzt hat.

33 Ohne daß auf die andere vom Rat erhobene Rüge einzugehen ist, ist daher wegen der Fehlerhaftigkeit des BNH Nr. 2/90 des Parlaments die Feststellung des Präsidenten des Parlaments, dieser BNH sei endgültig festgestellt worden, für nichtig zu erklären und festzustellen, daß daraus die Ungültigkeit des BNH Nr. 2/90 folgt.

Zu den Wirkungen der Nichtigerklärung

34 In seiner Klageschrift beantragt der Rat festzustellen, daß die Nichtigerklärung der vom Parlamentspräsidenten getroffenen Feststellung die Gültigkeit von Zahlungen oder Mittelbindungen und die Gültigkeit der Anforderung und der Einnahme von Eigenmitteln nicht berührt, zu denen es bis zum Ende des Haushaltsjahrs 1990 gekommen ist.

35 Das Parlament ist der Auffassung, der Rat könne kein Interesse daran haben, sowohl die Nichtigerklärung dieser Handlung als auch die vollständige Aufrechterhaltung ihrer Wirkungen zu beantragen, so daß beide Anträge als unzulässig anzusehen seien.

36 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Hierzu genügt der Hinweis darauf, daß es Sache des Gerichtshofes ist, der insoweit nicht an die von den Parteien gemachten Vorschläge gebunden ist, über die Folgen einer Nichtigerklärung zu befinden, und daß der Rat auch dann ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit hat, wenn die Wirkungen des für nichtig erklärten Aktes vollständig aufrechterhalten werden sollten.

37 Die vom Präsidenten des Parlaments getroffene Feststellung wird erst nach Abschluß des Haushaltsjahres für nichtig erklärt. Unter diesen Umständen ist es aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen der Notwendigkeit, die Kontinuität des europäischen öffentlichen Dienstes sicherzustellen, geboten, zu entscheiden, daß durch die Nichtigerklärung die Gültigkeit von Zahlungen und Mittelbindungen und die Gültigkeit der Anforderung und der Einnahme von Eigenmitteln, zu denen es vor Erlaß dieses Urteils gekommen ist, nicht berührt wird.

Kostenentscheidung:

Kosten

38 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Der Rat hat nicht beantragt, dem Parlament die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Jede Partei hat daher ihre eigenen Kosten zu tragen. Gemäß Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung trägt die Streithelferin ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die am 11. Juli 1990 vom Präsidenten des Europäischen Parlaments getroffene Feststellung, daß der Berichtigungs- und Nachtragshaushaltsplan Nr. 2 der Europäischen Gemeinschaften für das Haushaltsjahr 1990 endgültig festgestellt ist, wird für nichtig erklärt.

2) Die Nichtigerklärung dieser Handlung des Präsidenten des Parlaments vom 11. Juli 1990 berührt nicht die Gültigkeit der Zahlungen und der Mittelbindungen und die Gültigkeit der Anforderung und der Einnahme von Eigenmitteln, zu denen es vor Erlaß dieses Urteils in Durchführung des im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Berichtigungs- und Nachtragshaushalt Nr. 2 gekommen ist.

3) Die Parteien und die Streithelferin tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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