Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.12.1997
Aktenzeichen: C-284/96
Rechtsgebiete: EG-Vertrag


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 95
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Da Artikels 95 des Vertrages nur auf Erzeugnisse anwendbar ist, die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden, und gegebenenfalls auf Erzeugnisse, die aus Drittländern stammen und sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden, fällt ein Sachverhalt wie derjenige, der sich aus der Einfuhr eines Fahrzeugs unmittelbar aus einem Drittland in einen Mitgliedstaat ergibt, nicht in den Anwendungsbereich dieses Artikels.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 18. Dezember 1997. - Didier Tabouillot gegen Directeur des services fiscaux de Meurthe-et-Moselle. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de grande instance de Briey - Frankreich. - Artikel 95 des Vertrages - Gestaffelte Kraftfahrzeugsteuer. - Rechtssache C-284/96.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal de grande instance Briey hat mit Urteil vom 8. August 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 22. August 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 95 dieses Vertrages zwecks Beurteilung der Vereinbarkeit des französischen Besteuerungssystems für Kraftfahrzeuge mit diesem Artikel zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Tabouillot (im folgenden: Kläger) und der französischen Finanzverwaltung (im folgenden: Beklagte) über die Anwendung einer Methode zur Berechnung der steuerlichen Nutzleistung auf sein Fahrzeug aus ausländischer Produktion, die zu einer höheren Besteuerung als bei gleichartigen Fahrzeugen aus inländischer Produktion führt.

3 Der französische Gesetzgeber führte durch die Artikel 1599 C bis 1599 J des Code général des impôts die gestaffelte Steuer auf Kraftfahrzeuge ein. Im Wege der Gesetzgebung wurden Steuerstufen festgelegt, die je nach dem Hubraum mehrere Nutzleistungsstufen umfassen; jeder dieser Steuerstufen entspricht ein Koeffizient. Die Höhe der gestaffelten Steuer ergibt sich aus der Multiplikation eines Grundtarifs, den die Mitglieder der einzelnen Departementsräte jährlich festsetzen, mit den der betreffenden Steuerstufe entsprechenden Koeffizienten.

4 Der Kläger des Ausgangsverfahrens greift die Methode der Berechnung der steuerlichen Nutzleistung der Personenwagen an.

5 Zwei aufeinanderfolgende Rundschreiben regeln die Methode für die Berechnung der steuerlichen Nutzleistung von Personenwagen: das Rundschreiben vom 28. Dezember 1956 (Amtsblatt der Französischen Republik vom 22. Januar 1957, S. 910) und das Rundschreiben Nr. 77-191 vom 23. Dezember 1977 (Amtsblatt der Französischen Republik vom 8. Februar 1978, S. 1052). Sie haben durch Artikel 35 des Steuerberichtigungsgesetzes 1993 (Gesetz Nr. 93-859 vom 22. Juni 1993, Amtsblatt der Französischen Republik vom 23. Juni 1993, S. 8815) rückwirkend Gesetzeskraft erlangt.

6 Die Formel für die Berechnung der steuerlichen Nutzleistung, festgelegt durch das Rundschreiben vom 28. Dezember 1956, lautet wie folgt: P = K n D2 L ù. P bezeichnet die steuerliche Nutzleistung, ausgedrückt in Pferdestärken; n die Zylinderzahl; D den Zylinderdurchmesser in Zentimetern; L den Kolbenhub in Zentimetern; ù die Drehzahl und K einen Koeffizienten. Die Kommission hat unwidersprochen vorgetragen, diese lineare Formel lasse sich einfacher durch Multiplikation des Hubraums des Fahrzeugs, ausgedrückt in Litern, mit einem Koeffizienten von 5,7294 V bei Fahrzeugen mit Benzinmotor und von 4,0106 bei Fahrzeugen mit Dieselmotor ausdrücken; das Ergebnis der Anwendung dieser Formel auf die Fahrzeuge hängt daher ausschließlich vom Motorhubraum ab.

7 Durch das Rundschreiben vom 23. Dezember 1977 wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1978 eine neue Formel eingeführt, die wie folgt lautet: P = m (0,0458. C/K)1,48. In dieser Formel bezeichnet P die steuerliche Nutzleistung; m hat bei Benzinmotoren den Wert 1 und bei Dieselmotoren den Wert 0,7; C ist der Hubraum des Motors, ausgedrückt in Kubikzentimetern; K ist ein getriebespezifischer Parameter, der sich aus der Berechnung des "gewichteten arithmetischen Durchschnitts der in Stundenkilometern ausgedrückten Geschwindigkeiten, die das Fahrzeug theoretisch bei einer Motordrehzahl von tausend Umdrehungen je Minute in den verschiedenen Vorwärtsgängen des Getriebes erreicht", ergibt.

8 Das Rundschreiben vom 23. Dezember 1977 gilt "für Personenwagen mit weniger als neun Plätzen, ausgestattet mit Viertakt-Verbrennungsmotoren und einem Getriebe, das zu einem der in der in der Anlage beschriebenen Typen gehört..., deren Bauartzulassung nach dem 1. Januar 1978 erfolgt ist". Sein Anwendungsbereich wurde durch das Rundschreiben Nr. 87-56 vom 24. Juni 1987 (im folgenden: Rundschreiben Nr. 87-56) geändert. Danach sollten - "um bestimmten Verzerrungen zu begegnen, die bei gleichwertigen, im Wege der Bauartzulassung oder einzeln zugelassenen Modellen eingetreten sind" - die Vorschriften des Rundschreibens vom 23. Dezember 1977 "auch für einzeln zugelassene Personenwagen gelten, die einer zugelassenen Bauart entsprechen oder - im Hinblick auf die Berechnung der steuerlichen Nutzleistung - als einer zugelassenen Bauart, deren steuerliche Nutzleistung nach dem vorliegenden Rundschreiben berechnet worden ist, gleichwertig anzusehen sind".

9 Im Rundschreiben Nr. 87-56 heisst es: "Andere als die vorgenannten Personenwagen unterliegen weiter dem Rundschreiben von 1956."

10 Folglich gibt es in Frankreich seit dem 1. Januar 1978 ein Nebeneinander von zwei unterschiedlichen Methoden für die Berechnung der steuerlichen Nutzleistung.

11 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, daß die grosse Mehrzahl der in Frankreich zugelassenen Fahrzeuge unter die im Rundschreiben vom 23. Dezember 1977 vorgesehene Formel fällt. Die im Rundschreiben vom 28. Dezember 1956 enthaltene Formel ist jedoch weiterhin anwendbar als Auffangtatbestand für

- Personenwagen, die die der Bauart nach oder einzeln zugelassen wurden, wenn die Bauart in Frankreich vor dem 1. Januar 1978 zugelassen wurde;

- Fahrzeuge, die einzeln zur Zulassung vorgestellt wurden und nicht einer in Frankreich nach dem 1. Januar 1978 zugelassenen Bauart entsprechen;

- Personenwagen, die einer nach dem 1. Januar 1978 zugelassenen Bauart entsprechen, jedoch nicht im Hinblick auf die steuerliche Nutzleistung als einer zugelassenen Bauart, deren steuerliche Nutzleistung nach dem Rundschreiben vom 23. Dezember 1977 (Rundschreiben Nr. 87-56) berechnet wurde, gleichwertig anzusehen sind.

12 Der Kläger ist Eigentümer eines Chevrolet Corvette mit einem Hubraum von 5 735 cm3, der erstmals am 1. Januar 1980 in Betrieb genommen wurde und in Frankreich erstmals am 29. Mai 1992 aufgrund einer im Kraftfahrzeugschein vermerkten ministeriellen Ausnahmegenehmigung vom 5. Mai 1992 zugelassen wurde.

13 Die Finanzverwaltung setzte die steuerliche Nutzleistung dieses Fahrzeugs unter Anwendung der im Rundschreiben vom 28. Dezember 1956 vorgesehenen Berechnungsmethode auf 33 CV [Steuer-PS] fest.

14 Am 10. September 1994 erhielt der Kläger eine Verwarnung, weil an der Windschutzscheibe seines Fahrzeugs nicht die Steuervignette für den Besteuerungszeitraum 1993/94 angebracht war. Von ihm wurden 6 031 FF für die Vignette und 11 710 FF als Geldbusse gemäß Artikel 1840 N quater des Code général des impôts, insgesamt also 17 741 FF, verlangt, die auf 17 152 FF ermässigt wurden.

15 Da diese Steuer nach Auffassung des Klägers gegen Artikel 95 des Vertrages verstieß, legte er bei der Finanzverwaltung Einspruch ein mit der Begründung, die Erhebung dieser Beträge sei rechtswidrig. Dieser Einspruch wurde am 25. September 1995 zurückgewiesen.

16 Mit Klageschrift vom 14. November 1995 hat der Kläger gegen den Directeur des services fiscaux de Meurthe et Moselle Klage beim Tribunal de grande instance Briey erhoben. Seiner Auffassung nach sind die steuerlichen Vorschriften über die gestaffelte Kraftfahrzeugsteuer für Fahrzeuge mit mehr als 16 CV nämlich wegen Unvereinbarkeit mit Artikel 95 des Vertrages für unanwendbar zu erklären.

17 Zur Stützung seiner Klage hat der Kläger unter anderem vorgetragen, die gleichzeitige Anwendung von zwei Verfahren zur Ermittlung der steuerlichen Nutzleistung, von denen das eine auf das Rundschreiben vom 28. Dezember 1956 und das andere auf das Rundschreiben vom 23. Dezember 1977 zurückgehe, habe nachteilige Auswirkungen auf Fahrzeuge, die im Ausland gekauft und nach Frankreich eingeführt würden, und könne daher den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen.

18 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das auf dem Gesetz Nr. 87-1061 vom 30. Dezember 1987 und den nachfolgenden Rundschreiben beruhende französische System der gestaffelten Kraftfahrzeugsteuer sei mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wie im übrigen der Conseil d'État in einem Urteil vom 20. März 1992 entschieden habe.

19 Das Tribunal de grande instance Briey hat dem Gerichtshof aufgrund dessen die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 95 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß er der Anwendung einer Methode zur Ermittlung der steuerlichen Nutzleistung von Fahrzeugen entgegensteht, die dazu führt, daß bei bestimmten Fahrzeugen eine höhere steuerliche Nutzleistung angesetzt wird und die Verbraucher deshalb von ihrem Kauf abgehalten werden, wenn die Fahrzeuge in den am höchsten besteuerten Kategorien ausschließlich eingeführte Fahrzeuge sind, die in unmittelbarem Wettbewerb mit gleichartigen in Frankreich verkauften Fahrzeugen stehen, die günstigeren Steuerkategorien angehören?

2. Ist Artikel 95 EWG-Vertrag dahin auszulegen, daß er der gleichzeitigen Anwendung von zwei Verfahren zur Ermittlung der steuerlichen Nutzleistung von Fahrzeugen entgegensteht, von denen das eine - ungünstigere - insbesondere auf Fahrzeuge angewandt wird, die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt wurden, und zur Folge hat, daß die französischen Verbraucher zugunsten gleichartiger in Frankreich verkaufter Fahrzeuge von ihrem Kauf abgehalten werden?

20 Mit Schreiben vom 8. Dezember 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Dezember 1997, d. h. nach dem Vortrag der Schlussanträge des Generalanwalts, hat der Kläger Erklärungen zu bestimmten Punkten der Schlussanträge betreffend die Zulässigkeit der Vorabentscheidungsfrage abgegeben und den Gerichtshof ersucht, das Vorabentscheidungsersuchen für zulässig zu erklären.

21 Hierzu ist festzustellen, daß die insoweit vorgetragenen Argumente eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach Artikel 61 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes nicht erforderlich machen.

22 In Beantwortung einer vom Gerichtshof gestellten Frage hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers klargestellt, daß dessen Fahrzeug direkt aus den USA nach Frankreich eingeführt worden ist.

23 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. Urteile vom 10. Oktober 1978 in der Rechtssache 148/77, Hansen, Slg. 1978, 1787, Randnr. 23, vom 9. Juni 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-228/90 bis C-234/90, C-339/90 und C-353/90, Simba u. a., Slg. 1992, I-3713, Randnr. 14, und vom 13. Juli 1994 in der Rechtssache C-130/92, OTO, Slg. 1994, I-3281, Randnr. 18) ist Artikel 95 nur auf Erzeugnisse anwendbar, die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden, und gegebenenfalls auf Erzeugnisse, die aus Drittländern stammen und sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden. Daher ist diese Bestimmung auf unmittelbar aus Drittländern eingeführte Erzeugnisse unanwendbar.

24 Unter diesen Umständen ist Artikel 95 des Vertrages auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar.

25 Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung allerdings vorgetragen, der Gerichtshof müsse gleichwohl auf die vorgelegten Fragen antworten, da der Kläger sich im Rahmen des innerstaatlichen Rechts auf diese Entscheidung nach dem Grundsatz der Gleichheit der französischen Steuerpflichtigen und Bürger in steuerlicher Hinsicht und vor dem Gesetz berufen könne.

26 Hierzu ist festzustellen, daß sich aus dem Vorlageurteil keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Vorabentscheidungsfragen auf eine dahin gehende Antwort abzielten. Das vorlegende Gericht hat vielmehr, wie der Generalanwalt in Nummer 30 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, diese Fragen in der Annahme vorgelegt, daß das streitige Fahrzeug aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt wurde.

27 Aufgrund dessen ist auf die Vorabentscheidungsfragen zu antworten, daß ein Sachverhalt wie derjenige, der sich aus der Einfuhr eines Fahrzeugs unmittelbar aus einem Drittland in einen Mitgliedstaat ergibt, nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 95 des Vertrages fällt.

Kostenentscheidung:

Kosten

28 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Tribunal de grande instance Briey mit Urteil vom 8. August 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Ein Sachverhalt wie derjenige, der sich aus der Einfuhr eines Fahrzeugs unmittelbar aus einem Drittland in einen Mitgliedstaat ergibt, fällt nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 95 EG-Vertrag.

Ende der Entscheidung

Zurück