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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.11.1993
Aktenzeichen: C-285/92
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 177
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Unter Etikettierung im Sinne des Artikels 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 79/112 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür sind Angaben, Kennzeichnungen und andere ein Lebensmittel betreffende Daten zu verstehen, die besonders dazu dienen sollen, den Verbraucher über die Eigenheiten des fraglichen Erzeugnisses zu unterrichten.

Eine nationale Käsemarke, die ein von den öffentlichen Stellen vorgeschriebenes Zeichen darstellt und diesen die Prüfung ermöglichen soll, ob die Herstellungsvorschriften eingehalten wurden, und die ausser der Angabe des Herstellungslandes und der Käsesorte auch einen oder zwei nach der Herstellungsregion unterschiedliche Buchstaben, eine Ordnungsnummer und eine Kombination von Buchstaben oder von Buchstaben und Zahlen enthält, dient nicht diesem Zweck und stellt somit keine Etikettierung im vorgezeichneten Sinne dar. Eine solche Marke fällt daher nicht in den Anwendungsbereich der genannten Richtlinie.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 17. NOVEMBER 1993. - STRAFVERFAHREN GEGEN COOEPERATIEVE ZUIVELINDUSTRIE "TWEE PROVINCIEN" WA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: ARRONDISSEMENTSRECHTBANK LEEUWARDEN - NIEDERLANDE. - NATIONALE REGELUNG AUF DEM KAESESEKTOR - ETIKETTIERUNG. - RECHTSSACHE C-285/92.

Entscheidungsgründe:

1 Die Arrondissementsrechtbank Leeuwarden (Niederlande) hat mit Beschluß vom 15. Juni 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juni 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. 1979, L 33, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich im Rahmen eines gegen die Verantwortlichen der Coöperatieve Zuivelindustrie "Twee Provinciën" WA anhängig gemachten Strafverfahrens, in dem es um den Vorwurf geht, sie hätten auf dem von ihnen hergestellten Käse die nationale Käsemarke nicht angebracht, die für diese in der niederländischen Regelung über die Qualität landwirtschaftlicher Erzeugnisse vorgeschrieben sei.

3 Den Akten ist zu entnehmen, daß für die Herstellung und Vermarktung von Käse in den Niederlanden eine aufgrund der Landbouwkwaliteitswet vom 8. April 1971 (Gesetz über die Qualität landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Stb. 371) erlassene Regelung gilt. Artikel 2 dieses Gesetzes bestimmt, daß zur Förderung des Absatzes in oder aufgrund einer Verordnung Vorschriften über die Qualität von Erzeugnissen festgelegt werden können, die sich auf die Eigenschaften, die Zusammensetzung, die Aufmachung, die Form und die Fertigstellung der Erzeugnisse beziehen. Gemäß Artikel 7 können Marken, Zeichen oder Kontrolldokumente vorgeschrieben werden, wenn Bestimmungen über die Kontrolle landwirtschaftlicher Erzeugnisse vorhanden sind.

4 Zur Durchführung dieses Gesetzes erging insbesondere der Landbouwkwaliteitsbesluit kaasprodukten vom 2. Dezember 1981 (landwirtschaftliche Qualitätsverordnung für Käseprodukte, Stb. 726). Seinem Artikel 8 zufolge kann der Minister die in Artikel 7 des Gesetzes genannten Marken, Zeichen und Kontrolldokumente bestimmen.

5 Demgemäß erging am 28. Dezember 1981 die Landbouwkwaliteitsbeschikking kaasprodukten (landwirtschaftlicher Qualitätserlaß für Käseprodukte, Stcrt. 251). Nach ihrem Artikel 14 müssen die Hersteller von Käse, für den eine nationale Marke vorgeschrieben ist, darauf bei der Herstellung die im Keuringsreglement (Kontrollregelung) vorgesehene Marke anbringen. Gemäß Artikel 11 Absatz 2 des Qualitätserlasses enthalten die nationalen Marken auch ° entsprechend den Bestimmungen der Kontrollregelung ° regional unterschiedliche Angaben. Artikel 12 zufolge ist die nationale Käsemarke ein Kontrollzeichen, mit dem belegt werden soll, daß der Käse den allgemeinen und besonderen, für die fragliche Käsesorte festgelegten Anforderungen entspricht.

6 Die Kontrollregelung wurde am 14. April 1982 von der Stichting Centraal Orgaan Zuivelcontrole (Zentrale Kontrollstelle für Milcherzeugnisse) erlassen.

7 Ihr Artikel 2 bestimmt, daß die nationalen Marken unter dem Wort "Holland" eine laufende Nummer enthalten müssen sowie unter dieser Nummer eine zumindest zwei Buchstaben umfassende Kombination aus Buchstaben oder aus Buchstaben und Zahlen, der unmittelbar vorangestellt wird

° der Buchstabe F bei nationalen Marken für in den Provinzen Groningen, Friesland, Drenthe und Overijssel industriell hergestellten Käse,

° die Buchstaben HB für in den Provinzen Zuid-Holland, Utrecht, Gelderland, Limburg, Noord-Brabant und Zeeland industriell hergestellten Käse,

° die Buchstaben NH für den in der Provinz Noord-Holland industriell hergestellten Käse,

° der Buchstabe Z für Käse vom Bauernhof.

8 Da die Angeklagte geltend machte, die Verpflichtung in die nationale Käsemarke je nach der Herstellungsregion einen oder zwei Buchstaben aufzunehmen, sei mit der Richtlinie 79/112 nicht vereinbar, hielt es die Arrondissementsrechtbank Leeuwarden für notwendig, vor Erlaß eines Urteils in dem bei ihm anhängigen Strafverfahren den Gerichtshof um Vorabentscheidung über folgende Frage zu ersuchen:

Ist eine innerstaatliche Regelung, die die Hersteller von Käse zum Anbringen einer Käsemarke verpflichtet, die nicht nur eine Angabe des Herstellungslandes und der Käsesorte, sondern auch eine Buchstabenangabe enthält, die sich nach der Herstellungsregion richtet, ohne daß von nennenswerten regionalen Qualitätsunterschieden die Rede wäre, in bezug auf die letztgenannte Angabe mit der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, insbesondere mit ihrem Artikel 15, vereinbar?

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Vorweg ist darauf hinzuweisen, daß es im Rahmen des Artikels 177 des Vertrages nicht Sache des Gerichtshofes ist, über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden; er ist jedoch befugt, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung dieses Rechts zu geben, die es diesem Gericht ermöglichen, für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens die Frage der Vereinbarkeit zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C-369/89, Piageme, Slg. 1991, I-2971, Randnr. 7).

11 Die vorgelegte Frage ist also so zu verstehen, daß im wesentlichen geklärt werden soll, ob die Richtlinie 79/112 dahin auszulegen ist, daß sie einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, nach der die Käsehersteller zur Anbringung einer Käsemarke verpflichtet sind, die nicht nur die Angabe des Herstellungslandes und der Käsesorte, sondern auch die Angabe eines oder zweier Buchstaben je nach der Herstellungsregion enthält, obwohl es keine nennenswerten Qualitätsunterschiede je nach Region gibt.

12 Für die Antwort auf die Vorlagefrage ist zunächst zu prüfen, ob eine nationale Käsemarke, die ausser der Angabe des Herstellungslandes und der Käsesorte auch einen oder zwei nach der Herstellungsregion unterschiedliche Buchstaben, eine Ordnungsnummer und eine Kombination von Buchstaben oder von Buchstaben und Zahlen enthält, eine Etikettierung im Sinne der Richtlinie 79/112 darstellt und somit in deren Anwendungsbereich fällt.

13 Mit der Richtlinie 79/112 wurden allgemeine Gemeinschaftsbestimmungen über die Etikettierung, die Aufmachung und die Werbung festgesetzt, die für solche Lebensmittel gelten, die ohne weitere Verarbeitung an den Endverbraucher abgegeben werden sollen (vgl. dritte Begründungserwägung und Artikel 1 Absatz 1). Die Richtlinie gilt auch für Lebensmittel, die an Gaststättenbetriebe, Krankenhäuser, Kantinen und ähnliche gemeinschaftliche Einrichtungen abgegeben werden soll (Artikel 1 Absatz 2). Unter Etikettierung sind "alle Angaben, Kennzeichnungen, Hersteller- oder Handelsmarken, Abbildungen oder Zeichen [zu verstehen], die sich auf ein Lebensmittel beziehen und auf jeglicher Art von Verpackung, Schriftstück, Tafel, Etikett, Ring oder Verschluß angebracht sind und dieses Lebensmittel begleiten oder sich auf dieses Lebensmittel beziehen" (Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a).

14 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 14. Juli 1988 in der Rechtssache 298/87 (Smanor, Slg. 1988, 4489, Randnr. 29) hervorgehoben hat, müssen die genaue Bedeutung und Tragweite des Artikels 5 der Richtlinie 79/112 unter Berücksichtigung des Zusammenhangs beurteilt werden, in den er sich einfügt, insbesondere der allgemeinen Ziele und des Aufbaus der Richtlinie. Diese Überlegung gilt für alle Vorschriften der Richtlinie.

15 Sowohl der sechsten Begründungserwägung dieser Richtlinie als auch dem Wortlaut ihres Artikels 2 Absatz 1 ist zu entnehmen, daß die Richtlinie der Unterrichtung und dem Schutz des Endverbrauchers von Lebensmitteln dienen soll, vor allem was Art, Identität, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart dieser Erzeugnisse betrifft (vgl. Urteil Smanor, a. a. O., Randnr. 30).

16 Unter Etikettierung im Sinne des Artikels 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 79/112 sind somit Angaben, Kennzeichnungen und andere ein Lebensmittel betreffende Daten zu verstehen, die besonders dazu dienen sollen, den Verbraucher über die Eigenheiten des fraglichen Erzeugnisses zu unterrichten.

17 Eine nationale Käsemarke wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, dient nicht diesem Zweck. Sie enthält eine fortlaufende, von 00001 bis 99999 gehende Nummer und darunter eine Kombination von Buchstaben oder von Buchstaben und Zahlen, der ein oder zwei nach Herstellungsregion unterschiedliche Buchstaben vorausgehen. Eine solche nationale Marke kann aber nicht dazu dienen, den Verbraucher über die Eigenheiten des betreffenden Erzeugnisses zu unterrichten. Sie stellt vielmehr ein von den niederländischen öffentlichen Stellen vorgeschriebenes Zeichen dar, das die Prüfung ermöglicht, ob der Käse vorschriftsgemäß hergestellt worden ist. Wie in der mündlichen Verhandlung verdeutlicht worden ist, erlauben es nämlich die Zahlen und Buchstaben der nationalen Marke bei stichprobenweise in den Niederlanden durchgeführten Kontrollen, den Herstellungsort, den Erzeuger, den Herstellungszeitpunkt und die Partie oder Ladung zu bestimmen, zu der ein bestimmter Käse gehört.

18 Auf die Vorlagefrage ist demnach zu antworten, daß die Richtlinie 79/112 dahin auszulegen ist, daß eine nationale Käsemarke, die ausser der Angabe des Herstellungslandes und der Käsesorte auch einen oder zwei nach der Herstellungsregion unterschiedliche Buchstaben, eine Ordnungsnummer und eine Kombination von Buchstaben oder von Buchstaben und Zahlen enthält, keine Etikettierung im Sinne von Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie darstellt und somit nicht in deren Anwendungsbereich fällt.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen der niederländischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm von der Arrondissementsrechtbank Leeuwarden (Niederlande) mit Beschluß vom 15. Juni 1992 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür ist dahin auszulegen, daß eine nationale Käsemarke, die ausser der Angabe des Herstellungslandes und der Käsesorte auch einen oder zwei nach der Herstellungsregion unterschiedliche Buchstaben, eine Ordnungsnummer und eine Kombination von Buchstaben oder von Buchstaben und Zahlen enthält, keine Etikettierung im Sinne von Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie darstellt und somit nicht in deren Anwendungsbereich fällt.

Ende der Entscheidung

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