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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.05.2006
Aktenzeichen: C-286/05
Rechtsgebiete: Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95


Vorschriften:

Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 Art. 2 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Vierte Kammer)

4. Mai 2006(*)

"Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften - Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 - Rückzahlung von gemeinschaftlichen Beihilfen - Rückwirkende Anwendung weniger strenger verwaltungsrechtlicher Sanktionen"

Parteien:

In der Rechtssache C-286/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. Juni 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juli 2005, in dem Verfahren

Reinhold Haug

gegen

Land Baden-Württemberg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Schiemann sowie der Richter E. Juhász und M. Ilesic (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Léger,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn Haug, vertreten durch Rechtsanwalt F. Schulze,

- des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch N. Philippi als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Erlbacher und L. Visaggio als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts erlassenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Sache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1).

2 Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Landwirt Reinhold Haug und dem Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Landratsamt Tuttlingen, wegen der Aufhebung eines Bescheids über die Bewilligung einer Beihilfe und der Verpflichtung zur Rückzahlung des gesamten Beihilfebetrags.

Rechtlicher Rahmen

3 Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 bestimmt:

"Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe."

4 Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung lautet:

"Bei späterer Änderung der in einer Gemeinschaftsregelung enthaltenen Bestimmungen über verwaltungsrechtliche Sanktionen gelten die weniger strengen Bestimmungen rückwirkend."

5 Artikel 4 der Verordnung sieht vor:

"(1) Jede Unregelmäßigkeit bewirkt in der Regel den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils

- durch Verpflichtung zur Zahlung des geschuldeten oder Rückerstattung des rechtswidrig erhaltenen Geldbetrags;

...

(2) Die Anwendung der Maßnahmen nach Absatz 1 beschränkt sich auf den Entzug des erlangten Vorteils, zuzüglich - falls dies vorgesehen ist - der Zinsen, die pauschal festgelegt werden können.

...

(4) Die in diesem Artikel vorgesehenen Maßnahmen stellen keine Sanktionen dar."

6 In Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung heißt es:

"Unregelmäßigkeiten, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht werden, können zu folgenden verwaltungsrechtlichen Sanktionen führen:

...

b) Zahlung eines Betrags, der den rechtswidrig erhaltenen oder hinterzogenen Betrag, gegebenenfalls zuzüglich der Zinsen, übersteigt; dieser zusätzliche Betrag, der nach einem in den Einzelregelungen festzulegenden Prozentsatz zu bestimmen ist, darf die zur Abschreckung unbedingt erforderliche Höhe nicht übersteigen;

c) vollständiger oder teilweiser Entzug eines nach Gemeinschaftsrecht gewährten Vorteils auch dann, wenn der Wirtschaftsteilnehmer nur einen Teil dieses Vorteils rechtswidrig erlangt hat;

..."

7 Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 mit Durchführungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. L 391, S. 36) behandelt die Frage von Abweichungen zwischen der Fläche, die in dem Antrag auf Gewährung einer flächenbezogenen Beihilfe ("Beihilfe 'Flächen'") angegeben worden ist, und der Fläche, für die tatsächlich alle rechtlich vorgeschriebenen Voraussetzungen eingehalten worden sind ("ermittelte Fläche"). Die Bestimmung sieht vor:

"Wird festgestellt, dass die in einem Beihilfeantrag 'Flächen' angegebene Fläche über der ermittelten Fläche liegt, so wird der Beihilfeantrag auf der Grundlage der bei der Kontrolle tatsächlich ermittelten Fläche berechnet. Außer in Fällen höherer Gewalt wird die tatsächlich ermittelte Fläche jedoch wie folgt gekürzt:

- um das Doppelte der festgestellten Flächen, wenn diese über 2 % oder über 2 ha liegt und bis zu 10 % der ermittelten Fläche beträgt;

- um 30 %, wenn die Flächendifferenz über 10 % liegt und bis zu 20 % der ermittelten Fläche beträgt.

Liegt die festgestellte Differenz über 20 % der ermittelten Fläche, so wird keinerlei Beihilfe für Flächen gewährt.

...

Stillgelegte Flächen, die der Erzeugung von Rohstoffen für die Herstellung von Erzeugnissen für Nicht-Nahrungsmittelzwecke dienen und für welche der Betriebsinhaber nicht alle vorgeschriebenen Verpflichtungen erfüllt hat, gelten für die Anwendung dieses Artikels als bei der Kontrolle nicht vorgefundene Flächen.

Als ermittelte Fläche im Sinne dieses Artikels gilt die Fläche, bei der alle vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt sind."

8 Die Verordnung Nr. 3887/92 wurde durch Artikel 53 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 der Kommission vom 11. Dezember 2001 mit Durchführungsbestimmungen zum mit der Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates eingeführten integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. L 327, S. 11) aufgehoben. Nach Artikel 53 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 2419/2001 galt die Verordnung Nr. 3887/92 "jedoch weiter für Beihilfeanträge, die sich auf vor dem 1. Januar 2002 beginnende Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume beziehen".

9 In Artikel 31 der Verordnung Nr. 2419/2001, der die Überschrift "Berechnungsgrundlage" trägt, heißt es:

"...

(2) Liegt die in einem Beihilfeantrag Flächen angegebene Fläche über der bei Verwaltungskontrollen oder Vor-Ort-Kontrollen ermittelten Fläche derselben Kulturgruppe, so wird die Beihilfe unbeschadet der Kürzungen und Ausschlüsse gemäß den Artikeln 32 bis 35 auf der Grundlage der für diese Kulturgruppe ermittelten Fläche berechnet.

(3) Die Berechnung der Höchstfläche, die für die Flächenzahlungen an die Erzeuger von Kulturpflanzen in Betracht kommt, erfolgt auf der Grundlage der ermittelten Stilllegungsfläche und entsprechend dem Anteil der einzelnen Kulturen. Zahlungen an Erzeuger von Kulturpflanzen werden jedoch gemäß Artikel 6 Absatz 7 der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999 [des Rates vom 17. Mai 1999 zur Einführung einer Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen, ABl. L 160, S. 1] im Hinblick auf die ermittelte Stilllegungsfläche nur bis zu einem Niveau gekürzt, das der Fläche entspricht, die für die Erzeugung von 92 Tonnen Getreide erforderlich ist."

10 Artikel 32 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2419/2001, der die Überschrift "Kürzungen und Ausschlüsse in Fällen von Übererklärungen" trägt, sieht vor:

"Liegt die angegebene Fläche einer Kulturgruppe über der gemäß Artikel 31 Absatz 2 ermittelten Fläche, so wird die Beihilfe auf der Grundlage der ermittelten Fläche, gekürzt um das Doppelte der festgestellten Differenz, berechnet, wenn die Differenz über 3 % oder 2 ha liegt, aber nicht mehr als 20 % der ermittelten Fläche ausmacht.

Liegt die festgestellte Differenz über 20 % der ermittelten Fläche, so wird für die betreffende Kulturgruppe keine flächenbezogene Beihilfe gewährt."

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

11 Am 22. März 2000 beantragte Herr Haug Flächenzahlungen für bestimmte landwirtschaftliche Kulturpflanzen, und zwar für den Anbau von Raps auf einer Fläche und den von Getreide auf einer anderen. Er gab dabei den stillgelegten Teil seiner Nutzfläche an, auf dem folglich nicht unmittelbar für den Verbrauch bestimmte Pflanzen anzubauen waren. Mit Bescheid vom 18. Dezember 2000 bewilligte das Amt für Landwirtschaft, Landwirtschafts- und Bodenkultur (ALLB) Tuttlingen Herrn Haug nach der gemeinschaftlichen Kulturpflanzenregelung eine Flächenzahlung in Höhe von insgesamt 17 772,57 DM. Diese Zahlung gliederte sich in drei Teilbeträge für Raps, für Getreide und für die stillgelegten Flächen. In dem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass die mit der Antragstellung eingegangenen Verpflichtungen als Auflagen einzuhalten seien.

12 Mit Schreiben vom 13. Dezember 2000 forderte das ALLB Tuttlingen Herrn Haug im Rahmen einer allgemeinen Plausibilitätsprüfung auf, die Wiege- oder Annahmescheine der Konsumrapslieferung zuzusenden. Mit Antwortschreiben vom 21. Dezember 2000 teilte Herr Haug dem ALLB mit, dass seinem Sohn bei der Ablieferung des Rapses ein Fehler unterlaufen sei, denn er habe einen Teil des Rapses, den er als nachwachsenden Rohstoff habe abliefern sollen, versehentlich als Konsumraps abgegeben.

13 Mit Bescheid vom 16. Februar 2001 hob das ALLB Tuttlingen daraufhin seinen Bescheid vom 18. Dezember 2000 über die Flächenzahlung in Höhe von 17 772,57 DM auf und forderte diesen Betrag zuzüglich 354,83 DM Zinsen zurück. Zur Begründung wies es darauf hin, dass Herr Haug die mit der Antragstellung eingegangenen Verpflichtungen nicht eingehalten habe. Da die in dem Antrag angegebenen Flächen um mehr als 20 % von den ermittelten Flächen abwichen, könne nach Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 keine Beihilfe gewährt werden.

14 Herr Haug legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Er wandte sich vor allem gegen die Höhe des zurückgeforderten Betrages, der in keiner Relation zu seinem Versehen stehe. Dass die sich auf die stillgelegte Fläche beziehende Bedingung nicht eingehalten worden sei, könne nur zu einer Kürzung der Beihilfe führen. Nach Artikel 31 Absatz 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 2419/2001 nämlich seien Zahlungen an Erzeuger von Kulturpflanzen gemäß Artikel 6 Absatz 7 der Verordnung Nr. 1251/1999 im Hinblick auf die ermittelte Stilllegungsfläche nur bis zu einem Niveau zu kürzen, das der Fläche entspreche, die für die Erzeugung von 92 Tonnen Getreide erforderlich sei. Wegen Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 sei diese Vorschrift im vorliegenden Fall anzuwenden.

15 Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2002 wies das Regierungspräsidium Freiburg den Widerspruch von Herrn Haug zurück. Dessen dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Freiburg mit Urteil vom 23. November 2004 ab. Herr Haug hat gegen das Urteil Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingelegt.

16 Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat das Verfahren vor dem dargelegten Hintergrund ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 auch dann anwendbar, wenn im Hinblick auf eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 dieser Verordnung lediglich die Rückerstattung einer zu Unrecht bewilligten Beihilfe (Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2988/95) verlangt wird und die zu Unrecht gewährte Beihilfe aufgrund einer später in Kraft getretenen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung in einem geringeren Umfang zurückzuerstatten wäre als nach denjenigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, die zum Zeitpunkt der Begehung der Unregelmäßigkeit galten?

Falls Frage 1 bejaht wird:

2. Findet Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 auch im Hinblick auf die für die Zahlung von Zinsen maßgeblichen Regelungen Anwendung, wenn gegenüber dem betroffenen Betriebsinhaber keine verwaltungsrechtliche Sanktion im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 dieser Verordnung ausgesprochen, sondern von diesem lediglich die Rückzahlung einer zu Unrecht erhaltenen Beihilfe im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 dieser Verordnung verlangt wird?

Zu den Vorlagefragen

17 Im Rahmen des durch Artikel 234 EG eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof ist es Aufgabe des Gerichtshofes, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegte Frage gegebenenfalls umzuformulieren (vgl. u. a. Urteile vom 28. November 2000 in der Rechtssache C-88/99, Roquette Frères, Slg. 2000, I-10465, Randnr. 18, und vom 20. Mai 2003 in der Rechtssache C-469/00, Ravil, Slg. 2003, I-5053, Randnr. 27).

18 Wie aus den Gründen des Vorlagebeschlusses hervorgeht, ist zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens unstreitig, dass die in Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 normierte Regel der rückwirkenden Anwendung der weniger strengen Bestimmungen ausdrücklich auf verwaltungsrechtliche Sanktionen beschränkt ist und somit nicht für Maßnahmen nach Artikel 4 dieser Verordnung gilt.

19 Wie dem Vorlagebeschluss weiter und den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen zu entnehmen ist, geht es im Ausgangsrechtsstreit um die Frage, ob die sich aus der Feststellung, dass die ermittelte Fläche im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 um mehr als 20 % überschritten wurde, ergebende Verpflichtung zur Rückzahlung der gesamten ursprünglich gewährten Flächenzahlung zuzüglich Zinsen eine Maßnahme im Sinne von Artikel 4 der Verordnung Nr. 2988/95 oder eine Sanktion im Sinne von Artikel 5 dieser Verordnung darstellt. Außerdem ist zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens die Frage streitig, ob Artikel 31 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2419/2001, auf den sich Herr Haug als weniger strenge Bestimmung im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 beruft, Sanktionscharakter hat.

20 Um dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens sachdienliche Antwort zu geben, sind die Vorlagefragen wie folgt umzuformulieren:

Ist Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 auch in einem Fall anwendbar, in dem wegen einer Überschreitung der ermittelten Fläche im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 um mehr als 20 % die Rückzahlung des gesamten Betrages der ursprünglich gewährten gemeinschaftlichen Beihilfe zuzüglich Zinsen verlangt wird, obgleich der betroffene Wirtschaftsteilnehmer geltend macht, dass die Beihilfe nach Artikel 31 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2419/2001 nur um einen geringeren Betrag zu kürzen wäre?

21 Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, bildet die unzutreffende Angabe der zu berücksichtigenden Fläche in einem Beihilfeantrag gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 eine Unregelmäßigkeit im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 und ist die Streichung der Beihilfe nach Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 wegen der Abweichung zwischen der angegebenen und der tatsächlich ermittelten Fläche eine verwaltungsrechtliche Sanktion im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 (Urteile vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-354/95, National Farmers' Union u. a., Slg. 1997, I-4559, Randnrn. 40 und 41, vom 19. November 2002 in der Rechtssache C-304/00, Strawson und Gagg & Sons, Slg. 2002, I-10737, Randnr. 46, und vom 16. März 2006 in der Rechtssache C-94/05, Emsland-Stärke, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 63; vgl. analog auch Urteil vom 1. Juli 2004 in der Rechtssache C-295/02, Gerken, Slg. 2004, I-6369, Randnr. 50).

22 Insbesondere entspricht eine solche Streichung, die durch die Rückzahlung des vollen Betrages der ursprünglich gewährten gemeinschaftlichen Beihilfe zuzüglich Zinsen umgesetzt wird, dem "vollständige[n] ... Entzug eines nach Gemeinschaftsrecht gewährten Vorteils" im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 2988/95, der in dieser Bestimmung, wenn er wegen einer vorsätzlich begangenen oder durch Fahrlässigkeit verursachten Unregelmäßigkeit erfolgt, ausdrücklich als eine verwaltungsrechtliche Sanktion qualifiziert wird.

23 Folglich könnte Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 eingreifen, wenn im Hinblick auf eine Überschreitung der ermittelten Fläche im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 um mehr als 20 % eine Rückzahlung des gesamten Betrages der ursprünglich gewährten gemeinschaftlichen Beihilfe zuzüglich Zinsen verlangt wird, obwohl eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift, die die in Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 festgelegte Sanktion später geändert hätte, nur eine geringere Rückzahlung vorsieht.

24 Insoweit ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Artikel 31 der Verordnung Nr. 2419/2001 im Gegensatz zu Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 keine Sanktion normiert. Wie sich aus der Überschrift und dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, legt sie lediglich eine Berechnungsgrundlage fest, und zwar unbeschadet der Kürzungen und Ausschlüsse gemäß den Artikeln 32 bis 35 der Verordnung Nr. 2419/2001. Diese Bestimmung kann daher keine Änderung der in Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 vorgesehenen Sanktion enthalten. Dies wird im Übrigen durch Artikel 32 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 2419/2001 bestätigt, der der Regelung des Artikels 9 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 im Wesentlichen entspricht.

25 Daher ist auf die vom Gerichtshof umformulierten Fragen zu antworten, dass in einem Fall, in dem wegen einer Überschreitung der ermittelten Fläche im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3887/92 um mehr als 20 % die Rückzahlung des gesamten Betrages der ursprünglich gewährten gemeinschaftlichen Beihilfe zuzüglich Zinsen verlangt wird, obgleich der betroffene Wirtschaftsteilnehmer geltend macht, dass die Beihilfe nach Artikel 31 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2419/2001 nur um einen geringeren Betrag zu kürzen wäre, Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 2988/95 nicht anwendbar ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

In einem Fall, in dem wegen einer Überschreitung der ermittelten Fläche im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 mit Durchführungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen um mehr als 20 % die Rückzahlung des gesamten Betrages der ursprünglich gewährten gemeinschaftlichen Beihilfe zuzüglich Zinsen verlangt wird, obgleich der betroffene Wirtschaftsteilnehmer geltend macht, dass die Beihilfe nach Artikel 31 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 der Kommission vom 11. Dezember 2001 mit Durchführungsbestimmungen zum mit der Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates eingeführten integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen nur um einen geringeren Betrag zu kürzen wäre, ist Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften nicht anwendbar.



Ende der Entscheidung

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