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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.02.2007
Aktenzeichen: C-292/05
Rechtsgebiete: Brüsseler Übereinkommen


Vorschriften:

Brüsseler Übereinkommen Art. 1 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

15. Februar 2007

"Brüsseler Übereinkommen - Art. 1 Abs. 1 Satz 1 - Anwendungsbereich - Zivil- und Handelssachen - Begriff - Schadensersatzklage, die in einem Vertragsstaat von den Hinterbliebenen der Opfer von Kriegsmassakern gegen einen anderen Vertragsstaat wegen des Verhaltens seiner Streitkräfte erhoben wird"

Parteien:

In der Rechtssache C-292/05

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof, eingereicht vom Efeteio Patron (Griechenland) mit Entscheidung vom 8. Juni 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juli 2005, in dem Verfahren

Eirini Lechouritou,

Vasileios Karkoulias,

Georgios Pavlopoulos,

Panagiotis Brátsikas,

Dimitrios Sotiropoulos,

Georgios Dimopoulos

gegen

Dimosio tis Omospondiakis Dimokratias tis Germanias

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter R. Schintgen (Berichterstatter) und J. Klucka, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie des Richters J. Makarczyk,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Frau Lechouritou, Herrn Karkoulias, Herrn Pavlopoulos, Herrn Brátsikas, Herrn Sotiropoulos und Herrn Dimopoulos, vertreten durch I. Stamoulis, dikigoros, und Rechtsanwalt J. Lau,

- der deutschen Regierung, vertreten durch R. Wagner als Bevollmächtigten im Beistand von Professor B. Heß,

- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Aiello, avvocato dello Stato,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und M. de Grave als Bevollmächtigte,

- der polnischen Regierung, vertreten durch T. Nowakowski als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Condou-Durande und A.-M. Rouchaud-Joët als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. November 2006

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch die Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderter Text - S. 77), vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Hellenischen Republik (ABl. L 388, S. 1) und vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Lechouritou, Herrn Karkoulias, Herrn Pavlopoulos, Herrn Brátsikas, Herrn Sotiropoulos und Herrn Dimopoulos - die Kläger des Ausgangsverfahrens, die griechische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Griechenland sind - sowie der Bundesrepublik Deutschland wegen Ersatzes des materiellen und immateriellen Schadens, den die Kläger durch das Verhalten der deutschen Streitkräfte erlitten haben, dem ihre Eltern während der Besetzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen.

Rechtlicher Rahmen

3 Art. 1 des Brüsseler Übereinkommens, der dessen Titel I ("Anwendungsbereich") bildet, bestimmt:

"Dieses Übereinkommen ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Es erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.

Es ist nicht anzuwenden auf:

1. den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen, die ehelichen Güterstände, das Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts;

2. Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren;

3. die soziale Sicherheit;

4. die Schiedsgerichtsbarkeit."

4 Die Zuständigkeitsvorschriften des Brüsseler Übereinkommens finden sich in den Art. 2 bis 24, die seinen Titel II bilden.

5 Art. 2, der zum 1. Abschnitt ("Allgemeine Vorschriften") von Titel II gehört, formuliert in Abs. 1 den Grundsatz des Brüsseler Übereinkommens wie folgt:

"Vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens sind Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen."

6 Art. 3 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens, der ebenfalls im 1. Abschnitt steht, lautet:

"Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaats nur gemäß den Vorschriften des 2. bis 6. Abschnitts verklagt werden."

7 Die Art. 5 bis 18 des Brüsseler Übereinkommens, die die Abschnitte 2 bis 6 seines Titels II bilden, enthalten Vorschriften über besondere, zwingende oder ausschließliche Zuständigkeiten.

8 Art. 5 im 2. Abschnitt ("Besondere Zuständigkeiten") von Titel II des Brüsseler Übereinkommens lautet:

"Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:

...

3. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist;

4. wenn es sich um eine Klage auf Schadensersatz oder auf Wiederherstellung des früheren Zustandes handelt, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestützt wird, vor dem Strafgericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben ist, soweit dieses Gericht nach seinem Recht über zivilrechtliche Ansprüche erkennen kann;

..."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9 Nach den Akten, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof übermittelt hat, geht es im Ausgangsverfahren um das Massaker an Angehörigen der Zivilbevölkerung, das Soldaten der deutschen Streitkräfte am 13. Dezember 1943 begingen und dem 676 Einwohner der Ortschaft Kalavrita (Griechenland) zum Opfer fielen.

10 Im Jahr 1995 erhoben die Kläger des Ausgangsverfahrens beim Polymeles Protodikeio Kalavriton eine Klage, mit der sie die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland zum Ersatz des materiellen Schadens sowie zur finanziellen Wiedergutmachung des immateriellen Schadens und des seelischen Leids begehrten, die ihnen durch das Verhalten der deutschen Streitkräfte entstanden sind.

11 Das Polymeles Protodikeio Kalavriton, vor dem die Bundesrepublik Deutschland nicht erschien, wies die Klage 1998 mit der Begründung ab, dass den griechischen Gerichten die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Klage fehle, weil der Beklagte als souveräner Staat gemäß Art. 3 Abs. 2 der griechischen Zivilprozessordnung Immunität genieße.

12 Gegen dieses Urteil legten die Kläger des Ausgangsverfahrens im Januar 1999 Berufung beim Efeteio Patron ein, das die Berufung im Jahr 2001 für förmlich zulässig erklärte und anschließend das Verfahren aussetzte, um die Entscheidung des Anotato Eidiko Dikastirio (oberstes Sondergericht) in einem Parallelverfahren zur Auslegung der völkerrechtlichen Regeln über die Immunität souveräner Staaten von der Gerichtsbarkeit und zu ihrer Einstufung als von der internationalen Gemeinschaft allgemein anerkannte Regeln abzuwarten. In diesem Verfahren war im Einzelnen zum einen zu klären, ob Art. 11 des am 16. Mai 1972 in Basel unterzeichneten Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität - dem die Hellenische Republik nicht angehört -, als allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts anzusehen ist. Art. 11 bestimmt: "Ein Vertragsstaat kann vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaats Immunität von der Gerichtsbarkeit nicht beanspruchen, wenn das Verfahren den Ersatz eines Personen- oder Sachschadens betrifft, das schädigende Ereignis im Gerichtsstaat eingetreten ist und der Schädiger sich bei Eintritt des Ereignisses in diesem Staat aufgehalten hat." Zum anderen ging es um die Frage, ob diese Ausnahme von der Immunität der Vertragsstaaten nach Völkergewohnheitsrecht Ansprüche auf Schadensersatz für rechtswidrige Handlungen erfasst, die zwar während eines bewaffneten Konflikts begangen wurden, jedoch Personen einer konkreten Gruppe oder eines bestimmten Ortes trafen, die nichts mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zu tun hatten und an den Kriegshandlungen nicht beteiligt waren.

13 Im Jahr 2002 entschied das Anotato Eidiko Dikastirio hierzu in dem bei ihm damals anhängigen Verfahren, dass "nach dem aktuellen Stand des Völkerrechts weiterhin die allgemein anerkannte Regel gilt, dass vor den Gerichten eines Staates eine Schadensersatzklage gegen einen anderen Staat wegen rechtswidriger Handlungen, die im Hoheitsgebiet des Gerichtsstaats stattgefunden haben und an denen Streitkräfte des beklagten Staates in irgendeiner Weise in Friedens- oder Kriegszeiten beteiligt waren, nicht wirksam erhoben werden kann", dass also der beklagte Staat in diesem Fall Immunität genieße.

14 Nach Art. 100 Abs. 4 der griechischen Verfassung sind die Urteile des Anotato Eidiko Dikastirio unanfechtbar. Außerdem gilt nach Art. 54 Abs. 1 des Gesetzbuchs über das Anotato Eidiko Dikastirio ein Urteil dieses Gerichts zu der Frage, ob eine völkerrechtliche Regel als allgemein anerkannt anzusehen ist, "erga omnes". Ein Urteil des Anotato Eidiko Dikastirio, mit dem ein Zweifel bezüglich der Frage geklärt wird, ob eine bestimmte Regel des Völkerrechts als allgemein anerkannt anzusehen ist, und die Beurteilung, die das Urteil hierzu enthält, binden demnach nicht nur das Gericht, das die Frage dem Anotato Eidiko Dikastirio vorgelegt hat, und die Parteien, die den dem Urteil zugrunde liegenden Rechtsbehelf eingelegt haben, sondern auch jedes Gericht oder Organ der Hellenischen Republik, bei dem diese Rechtsfrage aufgeworfen wird.

15 Die Kläger des Ausgangsverfahrens beriefen sich auf das Brüsseler Übereinkommen, insbesondere auf seinen Art. 5 Nrn. 3 und 4, der ihrer Ansicht nach die Staatenimmunität in allen Fällen aufgehoben hat, in denen rechtswidrige Handlungen im Hoheitsgebiet des Staates des angerufenen Gerichts begangen werden. Das vorlegende Gericht ist sich jedoch nicht sicher, ob das bei ihm eingelegte Rechtsmittel in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt, und führt dazu aus, dass von der Antwort auf streitige Rechtsfragen abhänge, ob der beklagte Staat Immunität genieße und den griechischen Gerichten damit die Zuständigkeit für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits fehle.

16 Vor diesem Hintergrund hat das Efeteio Patron das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Fallen in den sachlichen Anwendungsbereich gemäß Art. 1 des Brüsseler Übereinkommens Schadensersatzklagen, die von natürlichen Personen gegen einen Vertragsstaat als zivilrechtlich Verantwortlichen für Handlungen oder Unterlassungen seiner Streitkräfte erhoben werden, wenn diese Handlungen oder Unterlassungen während der militärischen Besetzung des Wohnstaats der Kläger nach einem von dem Beklagten geführten Angriffskrieg geschehen sind und sich in offensichtlichem Widerspruch zum Kriegsrecht befinden und auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen werden können?

2. Ist die Berufung des beklagten Staates auf die Einrede der Immunität mit dem System des Brüsseler Übereinkommens mit der Folge vereinbar, dass, wenn diese Frage bejaht wird, die Anwendung des Übereinkommens automatisch ausgeschlossen wird, und zwar für Handlungen und Unterlassungen der Streitkräfte des Beklagten, die vor dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens, d. h. in den Jahren 1941 bis 1944, geschehen sind?

Verfahren vor dem Gerichtshof

17 Mit am 28. November 2006 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schreiben haben die Kläger des Ausgangsverfahrens zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Stellung genommen und beantragt, "nach Art. 16 der Satzung des Gerichtshofs festzustellen, dass die vorliegende Rechtssache 'von außergewöhnlicher Bedeutung' ist, und sie an das Plenum oder die Große Kammer zu verweisen".

18 Zunächst sehen weder die Satzung des Gerichtshofs noch seine Verfahrensordnung vor, dass die Beteiligten Stellungnahmen zu den Schlussanträgen des Generalanwalts abgeben können. Ein entsprechender Antrag ist daher nach der Rechtsprechung zurückzuweisen (vgl. u. a. Beschluss vom 4. Februar 2000, Emesa Sugar, C-17/98, Slg. 2000, I-665, Randnrn. 2 und 19).

19 Sodann tagt der Gerichtshof nach Art. 16 Abs. 3 seiner Satzung "als Große Kammer, wenn ein am Verfahren beteiligter Mitgliedstaat oder ein am Verfahren beteiligtes Gemeinschaftsorgan dies beantragt".

20 Bereits aus dem Wortlaut von Art. 16 Abs. 3 ergibt sich, dass der Einzelne nicht befugt ist, einen derartigen Antrag zu stellen. Ein am Verfahren beteiligter Mitgliedstaat oder ein am Verfahren beteiligtes Gemeinschaftsorgan hat im vorliegenden Fall nicht beantragt, die Rechtssache an die Große Kammer zu verweisen.

21 Darüber hinaus besitzt mit Ausnahme der in Art. 16 Abs. 4 genannten Fälle nach Art. 16 Abs. 5 allein der Gerichtshof die Befugnis, nach Anhörung des Generalanwalts zu entscheiden, dass eine Rechtssache an das Plenum verwiesen wird, wenn er zu der Auffassung gelangt, dass sie von außergewöhnlicher Bedeutung ist.

22 Im vorliegenden Fall hält der Gerichtshof eine solche Verweisung nicht für erforderlich.

23 Der in Randnr. 17 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Antrag ist daher zurückzuweisen.

24 Gleiches müsste auch dann gelten, wenn der Antrag der Kläger des Ausgangsverfahrens als Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens anzusehen wäre.

25 Der Gerichtshof kann nach Art. 61 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auch auf Antrag der Verfahrensbeteiligten anordnen, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Verfahrensbeteiligten nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. u. a. Urteile vom 19. Februar 2002, Wouters u. a., C-309/99, Slg. 2002, I-1577, Randnr. 42, vom 14. Dezember 2004, Radlberger Getränkegesellschaft und S. Spitz, C-309/02, Slg. 2004, I-11763, Randnr. 22, und vom 29. Juni 2006, SGL Carbon/Kommission, C-308/04 P, Slg. 2006, I-5977, Randnr. 15).

26 Der Gerichtshof ist jedoch nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er über sämtliche Informationen verfügt, die er für die Beantwortung der vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen benötigt, und dass diese Informationen im Verfahren vor ihm erörtert worden sind.

Vorlagefragen

Erste Frage

27 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Brüsseler Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass eine Klage, die natürliche Personen in einem Vertragsstaat gegen einen anderen Vertragsstaat erheben und die auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, den die Hinterbliebenen der Opfer des Verhaltens von Streitkräften im Rahmen von Kriegshandlungen im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates erlitten haben, eine "Zivilsache" im Sinne dieser Bestimmung ist.

28 Das Brüsseler Übereinkommen stellt zwar in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 den Grundsatz auf, dass sein Anwendungsbereich auf "Zivil- und Handelssachen" beschränkt ist, es legt aber weder den Inhalt noch die Reichweite dieses Begriffs fest.

29 Da sichergestellt werden muss, dass sich aus dem Brüsseler Übereinkommen für die Vertragsstaaten und die betroffenen Personen so weit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben, können die in dieser Bestimmung verwendeten Ausdrücke nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht des einen oder anderen beteiligten Staates verstanden werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Begriff "Zivil- und Handelssachen" daher als autonomer Begriff anzusehen, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik des Brüsseler Übereinkommens sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtsordnungen ergeben, berücksichtigt werden müssen (vgl. u. a. Urteile vom 14. Oktober 1976, LTU, 29/76, Slg. 1976, 1541, Randnrn. 3 und 5, vom 16. Dezember 1980, Rüffer, 814/79, Slg. 1980, 3807, Randnr. 7, vom 14. November 2002, Baten, C-271/00, Slg. 2002, I-10489, Randnr. 28, vom 15. Mai 2003, Préservatrice foncière TIARD, C-266/01, Slg. 2003, I-4867, Randnr. 20, und vom 18. Mai 2006, CEZ, C-343/04, Slg. 2006, I-4557, Randnr. 22).

30 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs führt diese Auslegung dazu, dass bestimmte Klagen und gerichtliche Entscheidungen wegen der Natur der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen oder wegen des Gegenstands des Rechtsstreits vom Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens ausgeschlossen sind (vgl. Urteile LTU, Randnr. 4, Rüffer, Randnr. 14, Baten, Randnr. 29, Préservatrice foncière TIARD, Randnr. 21, CEZ, Randnr. 22, und vom 1. Oktober 2002, Henkel, C-167/00, Slg. 2002, I-8111, Randnr. 29).

31 So können zwar bestimmte Verfahren, in denen sich eine Behörde und eine Privatperson gegenüberstehen, unter das Brüsseler Übereinkommen fallen, doch verhält es sich anders, wenn die Behörde einen Rechtsstreit im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse führt (vgl. Urteile LTU, Randnr. 4, Rüffer, Randnr. 8, Henkel, Randnr. 26, Baten, Randnr. 30, Préservatrice foncière TIARD, Randnr. 22, und vom 21. April 1993, Sonntag, C-172/91, Slg. 1993, I-1963, Randnr. 20).

32 Diesem Grundsatz entsprechend hat der Gerichtshof entschieden, dass eine öffentliche - staatliche oder internationale - Stelle, die Gebühren beitreibt, die eine Privatperson für die Inanspruchnahme ihrer Dienste und Einrichtungen schuldet, den Rechtsstreit im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse führt, insbesondere wenn die Inanspruchnahme zwingend und ausschließlich ist und die Gebührensätze, die Art ihrer Berechnung und das Erhebungsverfahren einseitig gegenüber den Benutzern festgesetzt werden (Urteil LTU, Randnr. 4).

33 Ferner hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Begriff "Zivil- und Handelssachen" im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Brüsseler Übereinkommens einen Rechtsstreit nicht umfasst, den der für die Verwaltung der öffentlichen Wasserstraßen zuständige Staat gegen den kraft Gesetzes Haftpflichtigen anstrengt, um von diesem Ersatz der Kosten für die in Erfüllung einer völkerrechtlichen Verpflichtung erfolgte Beseitigung eines Wracks zu erlangen, die der Verwalter in Ausübung hoheitlicher Befugnisse vorgenommen hat oder hat vornehmen lassen (Urteil Rüffer, Randnrn. 9 und 16).

34 Streitigkeiten dieser Art entspringen einer Wahrnehmung von Hoheitsrechten durch eine der Parteien des Rechtsstreits, da diese Befugnisse ausübt, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Regeln abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteile Sonntag, Randnr. 22, Henkel, Randnr. 30, Préservatrice foncière TIARD, Randnr. 30, und vom 5. Februar 2004, Frahuil, C-265/02, Slg. 2004, I-1543, Randnr. 21).

35 Diese Betrachtungsweise gilt erst recht in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens.

36 Die Schadensersatzklage der Kläger des Ausgangsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland hat nämlich ihren Grund in Operationen, die während des Zweiten Weltkriegs von Streitkräften durchgeführt wurden.

37 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 54 bis 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind Operationen von Streitkräften insbesondere deswegen ein typischer Ausdruck staatlicher Souveränität, weil sie von den zuständigen staatlichen Stellen einseitig und zwingend beschlossen werden und sich als mit der Außen- und Verteidigungspolitik von Staaten untrennbar verknüpft zeigen.

38 Handlungen wie diejenigen, die dem von den Klägern des Ausgangsverfahrens geltend gemachten Schaden und damit ihrer Schadensersatzklage bei den griechischen Gerichten zugrunde liegen, sind folglich als Ergebnis der Ausübung von Hoheitsgewalt durch den betreffenden Staat zum Zeitpunkt ihrer Begehung zu verstehen.

39 In Anbetracht der oben in Randnr. 30 angeführten Rechtsprechung fällt somit ein Verfahren wie das beim vorlegenden Gericht anhängige nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens, wie er in dessen Art. 1 Abs. 1 Satz 1 definiert ist.

40 Diese Auslegung kann durch das Vorbringen der Kläger des Ausgangsverfahrens, dass zum einen ihre Klage bei den griechischen Gerichten gegen die Bundesrepublik Deutschland als Klage wegen zivilrechtlicher Haftung zu verstehen sei, die von Art. 5 Nrn. 3 und 4 des Brüsseler Übereinkommens erfasst werde, und dass zum anderen Handlungen iure imperii keine rechtswidrigen oder unzulässigen Übergriffe einschlössen, nicht in Frage gestellt werden.

41 Zunächst hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Umstand, dass der Klage des Klägers ein Anspruch zugrunde liegt, der seinen Ursprung in einem hoheitlichen Akt hat, genügt, um die Geltendmachung dieses Anspruchs unabhängig von der Art des Verfahrens, das das nationale Recht hierfür bereithält, als vom Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens ausgenommen anzusehen (vgl. Urteil Rüffer, Randnrn. 13 und 15). Dass die Klage beim vorlegenden Gericht zivilrechtlichen Charakter haben soll, da sie auf finanziellen Ersatz des den Klägern des Ausgangsverfahrens entstandenen materiellen und immateriellen Schadens gerichtet ist, ist folglich unbeachtlich.

42 Sodann geht der Verweis auf die besonderen Zuständigkeitsvorschriften in Art. 5 Nrn. 3 und 4 des Brüsseler Übereinkommens ins Leere, da die Frage, ob dieses auf den Ausgangsrechtsstreit Anwendung findet, logisch eine Vorfrage ist und das angerufene Gericht, wenn sie wie im vorliegenden Fall verneint wird, die materiellen Bestimmungen des Übereinkommens nicht zu prüfen braucht.

43 Schließlich betrifft die Frage, ob die hoheitlichen Handlungen, die der Klage des Ausgangsverfahrens zugrunde liegen, rechtmäßig sind, die Natur dieser Handlungen, nicht aber den Bereich, zu dem sie gehören. Fällt dieser Bereich als solcher nicht in den Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens, so kann die Rechtswidrigkeit derartiger Handlungen keine andere Auslegung rechtfertigen.

44 Die von den Klägern des Ausgangsverfahrens hierzu vertretene Ansicht würde außerdem materielle Vorfragen aufwerfen, noch bevor der Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens mit Sicherheit bestimmt werden könnte. Derartige Schwierigkeiten wären sicherlich nicht mit System und Zweck des Übereinkommens vereinbar, das - wie aus seinen Erwägungsgründen sowie aus dem Jenard-Bericht zum Brüsseler Übereinkommen (ABl. 1979, C 59, S. 1) hervorgeht - auf dem gegenseitigen Vertrauen der Vertragsstaaten in ihre Rechtssysteme und Rechtspflegeorgane beruht und Rechtssicherheit gewährleisten soll, indem einheitliche Regeln für Kompetenzkonflikte auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts sowie eine Vereinfachung der Förmlichkeiten zum Zweck der raschen Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen aus den Vertragsstaaten vorgesehen werden.

45 Im Übrigen präzisiert, gleichfalls für den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. L 143, S. 15), die nach ihrem Art. 2 Abs. 1 ebenfalls in "Zivil- und Handelssachen" anzuwenden ist, in derselben Bestimmung, dass sie "nicht ... die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte ('acta [i]ure imperii') [erfasst]", ohne insoweit danach zu unterscheiden, ob die betreffenden Handlungen oder Unterlassungen rechtmäßig sind oder nicht. Dieselbe Regelung enthält Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399, S. 1).

46 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Brüsseler Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass eine Klage, die natürliche Personen in einem Vertragsstaat gegen einen anderen Vertragsstaat erheben und die auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, den die Hinterbliebenen der Opfer des Verhaltens von Streitkräften im Rahmen von Kriegshandlungen im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates erlitten haben, keine "Zivilsache" im Sinne dieser Bestimmung ist.

Zweite Frage

47 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

Kostenentscheidung:

Kosten

48 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch die Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Hellenischen Republik und vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Klage, die natürliche Personen in einem Vertragsstaat gegen einen anderen Vertragsstaat erheben und die auf Ersatz des Schadens gerichtet ist, den die Hinterbliebenen der Opfer des Verhaltens von Streitkräften im Rahmen von Kriegshandlungen im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates erlitten haben, keine "Zivilsache" im Sinne dieser Bestimmung ist.



Ende der Entscheidung

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