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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 16.12.2004
Aktenzeichen: C-293/03
Rechtsgebiete: EG, Verordnung (EWG) Nr. 1612/68


Vorschriften:

EG Art. 2
EG Art. 3
EG Art. 17
EG Art. 18
EG Art. 39
EG Art. 40
EG Art. 42
EG Art. 283
Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 Art. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 16. Dezember 2004. - Gregorio My gegen Office national des pensions (ONP). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal du travail de Bruxelles - Belgien. - Beamte - Übertragung von Ruhegehaltsansprüchen - Anhang VIII Artikel 11 des Beamtenstatuts - Vorgezogene Altersrente - Anrechnung von Beschäftigungszeiten bei den Europäischen Gemeinschaften - Artikel 10 EG. - Rechtssache C-293/03.

Parteien:

In der Rechtssache C-293/03

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,eingereicht vom Tribunal du travail Brüssel (Belgien) mit Entscheidung vom

20. Mai 2003

, beim Gerichtshof eingegangen am

4. Juli 2003

, in dem Verfahren

Gregorio My

gegen

Office national des pensions (ONP)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter C. Gulmann, R. Schintgen (Berichterstatter), G. Arestis und J. Kluka,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: M. Múgica Arzamendi, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom

17. Juni 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Herrn My, vertreten durch C. Rosenfeld, avocat,

- des Office national des pensions, vertreten durch G. Perl und J.P. Lheureux als Bevollmächtigte,

- der griechischen Regierung, vertreten durch A. Samoni-Rantou und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

9. September 2004,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 2 EG, 3 EG, 17 EG, 18 EG, 39 EG, 40 EG, 42 EG und 283 EG sowie des Artikels 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2).

2. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn My und dem Office national des pensions (Landesrentamt, im Folgenden: ONP) über die Weigerung des ONP, für die Begründung eines Anspruchs auf eine vorgezogene Altersrente nach der belgischen Regelung die Zeiten beruflicher Tätigkeit zu berücksichtigen, die Herr My im Dienst eines Organs der Europäischen Gemeinschaften zurückgelegt hat.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsregelung

3. Artikel 11 Absätze 1 und 2 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: Statut) in der im Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

1. Scheidet ein Beamter aus dem Dienst aus, um

- in den Dienst einer Verwaltung oder einer innerstaatlichen oder internationalen Einrichtung zu treten, die mit den Gemeinschaften ein Abkommen getroffen hat,

- eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit auszuüben, für die er Ruhegehaltsansprüche in einem System geltend machen kann, dessen Verwaltungsorgane ein Abkommen mit den Gemeinschaften getroffen haben,

so ist er berechtigt, den versicherungsmathematischen Gegenwert seines bei den Gemeinschaften erworbenen Ruhegehaltsanspruchs auf die Pensionskasse dieser Verwaltung oder Einrichtung oder auf die Pensionskasse zu übertragen, bei der der Beamte aufgrund seiner unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit Ruhegehaltsansprüche geltend machen kann.

2. Ein Beamter, der in den Dienst der Gemeinschaft tritt

- nach Ausscheiden aus dem Dienst bei einer Verwaltung, einer innerstaatlichen oder internationalen Einrichtung oder

- nach dem Ausüben einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit,

kann bei seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit entweder den versicherungsmathematischen Gegenwert oder den pauschalen Rückkaufwert der Ruhegehaltsansprüche, die er aufgrund der genannten Tätigkeit erworben hat, an die Gemeinschaften zahlen lassen.

In diesem Fall bestimmt das Organ, bei dem der Beamte im Dienst steht, unter Berücksichtigung der Besoldungsgruppe, in der er als Beamter auf Lebenszeit ernannt worden ist, die Anzahl der ruhegehaltsfähigen Dienstjahre, die es ihm nach seiner eigenen Regelung für die frühere Dienstzeit unter Zugrundelegung des versicherungsmathematischen Gegenwerts oder des pauschalen Rückkaufwerts anrechnet.

Nationale Regelung

4. Artikel 3 der Loi établissant certaines relations entre des régimes belges de pension et ceux d'institutions de droit international public (Gesetz über Beziehungen zwischen den belgischen Versorgungssystemen und denjenigen völkerrechtlicher Einrichtungen) vom 21. Mai 1991 ( Moniteur belge vom 20. Juni 1991, im Folgenden: Gesetz von 1991) bestimmt:

Jeder Beamte kann mit Zustimmung der Einrichtung beantragen, die Rente, die ihm für die Dienstverhältnisse und Dienstzeiten vor seinem Dienstantritt bei der Einrichtung zusteht, auf die Einrichtung zu übertragen.

5. Nach Artikel 9 dieses Gesetzes kann der Betroffene seinen Antrag auf Übertragung seiner Rentenansprüche nach dem belgischen System jedoch zurücknehmen. Eine solche Rücknahme ist endgültig und unwiderruflich.

6. Artikel 2 Absatz 1 Nummer 5 des Gesetzes von 1991 definiert den Begriff Beamter als jeder Bedienstete, für den das Versorgungssystem der Einrichtung gilt und für den die Übertragung der Rentenansprüche nicht durch eine besondere Verordnung oder ein besonderes Abkommen geregelt ist. Der Begriff Einrichtung umfasst nach der Definition in Artikel 2 Absatz 1 Nummer 1 die Gemeinschaftsorgane, die diesen für die Anwendung des Statuts der Beamten und sonstigen Bediensteten der Europäischen Union gleichgestellten Einrichtungen und die Einrichtungen mit gemeinschaftsbezogenem Aufgabenbereich, deren Versorgungssystem dem Beamten auf Lebenszeit die Möglichkeit eröffnet, die Übertragung seiner vor Eintritt in den Dienst der Einrichtung erworbenen Rentenansprüche zu beantragen.

7. Die Loi réglant le transfert des droits à pension entre des régimes belges de pensions et ceux d'institutions de droit international public (Gesetz über die Übertragung von Rentenansprüchen zwischen belgischen Versorgungssystemen und denjenigen völkerrechtlicher Einrichtungen) vom 10. Februar 2003 ( Moniteur belge vom 27. März 2003, im Folgenden: Gesetz von 2003) sieht nunmehr in Artikel 14 vor, dass ein Beamter, der aus dem Dienst der Europäischen Gemeinschaften ausscheidet, um in Belgien eine berufliche Tätigkeit auszuüben, die Übertragung entweder des versicherungsmathematischen Gegenwerts der Pensionsansprüche nach dem Gemeinschaftssystem oder des pauschalen Rückkaufwerts, der den nach diesem System gezahlten Beiträgen entspricht, auf das belgische System beantragen kann.

8. Gemäß seinem Artikel 29 tritt das Gesetz von 2003 am 1. Januar 2002 in Kraft und gilt für die ab diesem Datum gestellten Übertragungsanträge.

9. Außerdem bestimmt Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 1 des Arrêté royal portant exécution des articles 15, 16 et 17 de la loi du 26 juillet 1996 portant modernisation de la sécurité sociale et assurant la viabilité des régimes légaux des pensions (Königliche Verordnung zur Durchführung der Artikel 15, 16 und 17 des Gesetzes vom 26. Juli 1996 über die Modernisierung der sozialen Sicherheit und zur Gewährleistung der Lebensfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherungssysteme) vom 23. Dezember 1996 ( Moniteur belge vom 17. Januar 1997, im Folgenden: Königliche Verordnung):

Die Möglichkeit, eine vorgezogene Altersrente nach Artikel 1 zu beziehen, hängt davon ab, dass der Betroffene eine mindestens 35 Kalenderjahre umfassende Berufstätigkeit nachweist, die nach der vorliegenden Königlichen Verordnung, dem Gesetz vom 20. Juli 1990, der Königlichen Verordnung Nr. 50, nach einem belgischen System für Arbeiter, Angestellte, Bergleute, Seeleute oder Selbständige, nach einem belgischen System für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder der Nationalen Gesellschaft der belgischen Eisenbahnen oder nach einem anderen gesetzlichen belgischen System Anspruch auf eine Rente begründet.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10. Der italienische Staatsangehörige My, geboren am 20. Februar 1941, leistete 19 Jahre lang Beiträge zum belgischen System der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer, bevor er vom 1. Juni 1974 bis 31. Mai 2001 als Beamter beim Rat der Europäischen Gemeinschaften arbeitete.

11. Im März 1992 stellte er nach dem Gesetz von 1991 beim ONP einen Antrag auf Übertragung der Rentenanwartschaften von dem belgischen System auf das der Europäischen Gemeinschaften. Im Oktober 1992 unterrichtete diese Behörde ihn über seine übertragbaren Anwartschaften.

12. Im Oktober 2000 teilte der Rat dem ONP jedoch mit, Herr My habe beschlossen, auf die Übertragung seiner nach belgischem Recht erworbenen Rentenansprüche zu verzichten, wie es Artikel 9 des Gesetzes von 1991 zulasse. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2000 an Herrn My bestätigte das ONP diesen Verzicht.

13. Am 20. Oktober 2000 beantragte Herr My die Gewährung einer vorgezogenen Rente nach Artikel 4 Absatz 2 der Königlichen Verordnung.

14. Mit Entscheidung vom 2. Mai 2001 wies das ONP diesen Antrag zurück, weil der Betroffene nicht die erforderlichen 35 Kalenderjahre im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Königlichen Verordnung für die Begründung eines Anspruchs auf eine vorgezogene Altersrente zurückgelegt habe. Die Behörde lehnte es insoweit ab, die von Herrn My als Beamter der Europäischen Gemeinschaften zurückgelegten 27 Jahre zu berücksichtigen, da das im Statut vorgesehene System in der belgischen Regelung nicht genannt sei.

15. Da es Zweifel daran hatte, ob das Gesetz von 1991 und das Statut, soweit sie nicht das Recht auf Übertragung der Pensionsansprüche vom Gemeinschaftssystem auf das nationale System gewährleisten, sowie Artikel 4 Absatz 2 der Königlichen Verordnung, soweit er keine Berücksichtigung der bei einem Gemeinschaftsorgan zurückgelegten Dienstzeiten ermöglicht, mit dem Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und dem Diskriminierungsverbot sowie mit den Rechten der Unionsbürger nach dem EG-Vertrag vereinbar sind, hat das Tribunal de travail Brüssel das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verstoßen nationale Rechtsvorschriften wie das Gesetz von 1991 und Artikel 4 Absatz 2 der Königlichen Verordnung oder Artikel 11 des Anhangs VIII des Statuts gegen die Artikel 2 EG, 3 EG, 17 EG, 18 EG, 39 EG, 40 EG, 42 EG und 283 EG und gegen Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68,

a) soweit sie einem Bürger der Europäischen Union wie dem Kläger, der seine berufliche Laufbahn zunächst in einem Unternehmen oder einem nationalen öffentlichen Dienst und anschließend im öffentlichen Dienst der Europäischen Union oder umgekehrt zurückgelegt hat, nicht erlauben, die Ruhegehaltsansprüche, die er nach dem jeweiligen nationalen oder europäischen System durch die Übertragung der im jeweils anderen System erworbenen Ansprüche beziehen würde, zu vergleichen und auf der Grundlage dieses Vergleichs die Übertragung der genannten Ansprüche entweder vom nationalen System auf das europäische System oder umgekehrt vom europäischen System auf das nationale System zu verlangen;

b) soweit diese Rechtsvorschriften den betroffenen Arbeitnehmer irreleiten oder irreleiten können, da sie vorsehen, dass er ausdrücklich auf die Übertragung vom belgischen System auf das europäische System verzichten muss, oder zu einer entsprechenden Verwaltungspraxis führen, ohne dass der genannte Vergleich durchgeführt worden wäre;

c) soweit diese nationalen Rechtsvorschriften für die Bewilligung einer nationalen vorgezogenen Altersrente die Anrechnung der als Beamter der Europäischen Union zurückgelegten Dienstjahre nicht zulassen?

Zur Vorabentscheidungsfrage

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

16. Erstens ist die niederländische Regierung der Auffassung, das Vorabentscheidungsersuchen sei wegen mangelnder Angaben in der Vorlageentscheidung sowohl zu den tatsächlichen Umständen als auch zum rechtlichen Rahmen des Ausgangsverfahrens unzulässig.

17. In dieser Hinsicht ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung eine dem nationalen Gericht dienliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts nur möglich ist, wenn dieses den Sachverhalt und die Rechtslage, in denen sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese Fragen beruhen, erläutert, um dem Gerichtshof sachdienliche Antworten zu ermöglichen sowie den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, gemäß Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes Erklärungen abzugeben (vgl. insbesondere Urteil vom 11. April 2000 in den Rechtssachen C51/96 und C191/97, Deliège, Slg. 2000, I2549, Randnrn. 30 und 31).

18. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Erklärungen der Parteien des Ausgangsverfahrens, der griechischen Regierung, der niederländischen Regierung selbst und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, dass die in der Vorlageentscheidung enthaltenen Angaben ihnen die Möglichkeit gegeben haben, sachdienlich zu der Vorlagefrage Stellung zu nehmen. Außerdem sind die in der Vorlageentscheidung enthaltenen Angaben durch die von dem nationalen Gericht übersandten Akten und die beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen ergänzt worden. Die Gesamtheit dieser Informationen, zusammengefasst im Sitzungsbericht, ist den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten im Hinblick auf die mündliche Verhandlung zur Kenntnis gegeben worden, in der diese ihre Erklärungen gegebenenfalls ergänzen konnt en.

19. Der Einwand der niederländischen Regierung ist daher zurückzuweisen.

20. Zweitens ist das ONP der Auffassung, das Vorabentscheidungsersuchen sei deshalb unzulässig, weil es seit Inkrafttreten des Gesetzes von 2003 insoweit gegenstandslos geworden sei, als dieses Gesetz für Beamte der Europäischen Gemeinschaften die Möglichkeit vorsehe, eine Übertragung der nach dem Gemeinschaftssystem erworbenen Pensionsansprüche auf das belgische System zu beantragen, so dass die Dienstzeiten als Beamter eines Gemeinschaftsorgans im Hinblick auf die Begründung eines Anspruchs auf eine nationale vorgezogene Altersrente berücksichtigt werden könnten.

21. Selbst wenn jedoch das Gesetz von 2003, wie das ONP in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, die Berücksichtigung der Beitragszeiten im Gemeinschaftssystem ermöglichen sollte, obwohl die betreffende Person, wie im Ausgangsverfahren, keine Übertragung ihrer Pensionsansprüche vom Gemeinschaftssystem auf das belgische System beantragt hat, so ergibt sich aus den Akten, dass Herr My seinen Antrag auf vorgezogene Altersrente am 20. Oktober 2000, also mehr als ein Jahr vor Inkrafttreten des Gesetzes von 2003, gestellt hat. Nach seinem Artikel 29 ist dieses Gesetz am 1. Januar 2002 in Kraft getreten und gilt nur für nach diesem Zeitpunkt gestellte Übertragungsanträge.

22. Folglich ist der durch das ONP erhobene Einwand ebenfalls zurückzuweisen.

23. Schließlich ist die Kommission der Ansicht, die ersten beiden Teile der Frage, die sich auf die Übertragung von Rentenansprüchen als solche bezögen, wiesen keinen Bezug zum Ausgangsrechtsstreit auf, der ausschließlich die Berücksichtigung der von dem Betroffenen zurückgelegten 27 Jahre im Dienst des Rates für die Begründung eines Anspruchs auf eine vorgezogene Altersrente nach belgischem Recht betreffe. Nur dieser letzte Teil erfordere somit eine Antwort des Gerichtshofes.

24. Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen der durch Artikel 234 EG geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. insbesondere Urteil vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C415/93, Bosman, Slg. 1995, I4921, Randnr. 59, und vom 19. Februar 2002 in der Rechtssache C35/99, Arduino, Slg. 2002, I1529, Randnr. 24).

25. Der Gerichtshof hat jedoch auch darauf hingewiesen, dass es ihm in Ausnahmefällen obliegt, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem innerstaatlichen Gericht angerufen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 1981 in der Rechtssache 244/80, Foglia, Slg. 1981, 3045, Randnr. 21). Er kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. insbesondere Urteile Bosman, Randnr. 61, und Arduino, Randnr. 25).

26. Wie bereits festgestellt worden ist, hat Herr My im Ausgangsverfahren zu keinem Zeitpunkt eine Übertragung der im Gemeinschaftssystem erworbenen Pensionsansprüche auf das belgische Versorgungssystem beantragt, sondern ausschließlich die Gewährung einer nationalen vorgezogenen Altersrente. Herr My wendet sich insoweit gegen die Weigerung des ONP, für die Berechnung der in Artikel 4 Absatz 2 der Königlichen Verordnung vorgesehenen 35 Kalenderjahre einer Berufstätigkeit, von denen die Begründung eines Anspruchs auf diese Rente abhängt, die 27 Arbeitsjahre zu berücksichtigen, die er als Beamter des Rates zurückgelegt hat.

27. Folglich betrifft der Rechtsstreit im Ausgangsverfahren nur die Frage, ob das Gemeinschaftsrecht die belgischen Behörden verpflichtet, sowohl die von Herrn My im belgischen Rentensystem zurückgelegten als auch die von ihm im Gemeinschaftssystem zurückgelegten Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen.

28. Unter diesen Umständen besteht kein Anlass zu einer Beantwortung der beiden ersten Teile der Vorlagefrage.

Zur Berücksichtigung der Beschäftigungszeiten bei den Europäischen Gemeinschaften

Zu den Artikeln 2 EG, 3 EG, 40 EG und 283 EG

29. Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat (Urteile vom 29. September 1987 in der Rechtssache 126/86, Giménez Zaera, Slg. 1987, 3697, Randnr. 11, und vom 11. März 1992 in den Rechtssachen C78/90 bis C83/90, Compagnie commerciale de l'Ouest u. a., Slg. 1992, I1847, Randnrn. 17 und 18) nennen die Artikel 2 EG und 3 EG allgemeine Ziele, die in anderen Bestimmungen des Vertrages genauer bestimmt werden. Sie können neben den in der Vorlagefrage genannten spezielleren Vorschriften des Vertrages keine selbständige Anwendung finden.

30. Auch stellen die Artikel 40 EG und 283 EG eine bloße Rechtsgrundlage für den Erlass der erforderlichen Maßnahmen zur Herstellung der durch Artikel 39 EG gewährleisteten Freizügigkeit der Arbeitnehmer zum einen und zum Erlass des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften zum anderen dar.

31. Deshalb sind die Artikel 2 EG, 3 EG, 40 EG und 283 EG im Rahmen der vorliegenden Rechtssache nicht einschlägig.

Zu den Artikeln 17 EG und 18 EG

32. Artikel 17 EG, der die Unionsbürgerschaft einführt, beschränkt sich darauf, vorzusehen, dass die Unionsbürger die im Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten haben. Er kann daher neben den besonderen Bestimmungen des Vertrages über die Rechte und Pflichten der Unionsbürger keine selbständige Anwendung finden.

33. Artikel 18 EG, in dem das Recht jedes Unionsbürgers, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, in allgemeiner Form niedergelegt ist, hat in Artikel 39 EG einen besonderen Ausdruck in Bezug auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gefunden. Da das vorlegende Gericht den Gerichtshof auch nach der Auslegung dieser Bestimmung fragt, ist zunächst hierüber zu entscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. November 2002 in der Rechtssache C100/01, Oteiza Olazabal, Slg. 2002, I10981, Randnr. 26).

Zu Artikel 42 EG

34. Artikel 42 EG überträgt dem Rat die Aufgabe, ein System einzuführen, das den Arbeitnehmern eine Überwindung der Hindernisse ermöglicht, die sich für sie aus den nationalen Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit ergeben können. Dieser Aufgabe hat sich der Rat grundsätzlich mit Erlass der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung entledigt.

35. Wie aber der Gerichtshof im Urteil vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache C411/98 (Ferlini, Slg. 2000, I8081, Randnr. 41) entschieden hat, können die Beamten der Europäischen Gemeinschaften nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 angesehen werden, weil sie nicht nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit unterliegen, wie es Artikel 2 Absatz 1 dieser Verordnung verlangt, der deren persönlichen Geltungsbereich bestimmt.

36. Folglich sind weder Artikel 42 noch die Verordnung Nr. 1408/71 auf die Lage von Herrn My anwendbar.

Zu Artikel 39 EG und Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68

37. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Beamter der Europäischen Gemeinschaften ein Wanderarbeitnehmer. Ein Gemeinschaftsangehöriger, der in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsstaat arbeitet, verliert nämlich die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne von Artikel 39 Absatz 1 EG nicht deshalb, weil er bei einer internationalen Organisation beschäftigt ist, selbst wenn die Bedingungen seiner Einreise in das Beschäftigungsland und seines Aufenthalts in diesem Land durch ein internationales Übereinkommen besonders geregelt sind (Urteile vom 15. März 1989 in den Rechtssachen 389/87 und 390/87, Echternach u. a., Slg. 1989, 723, Randnr. 11, vom 27. Mai 1993 in der Rechtssache C310/91, Schmid, Slg. 1993, I3011, Randnr. 20, und Ferlini, Randnr. 42).

38. Einem Arbeitnehmer, der wie Herr My Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, dürfen deshalb nicht die Rechte und sozialen Vergünstigungen versagt werden, die ihm Artikel 39 EG und die Verordnung Nr. 1612/68 gewähren (Urteile vom 13. Juli 1983 in der Rechtssache 152/82, Forcheri, Slg. 1983, 2323, Randnr. 9, Echternach u. a., Randnr. 12, Schmid, Randnr. 22, und Ferlini, Randnr. 43).

39. Allerdings ergibt sich aus den Akten, dass Herr My, der im Alter von neun Jahren nach Belgien gekommen ist, seinen gesamten Berufsweg in Belgien zurückgelegt hat, zunächst als Arbeitnehmer verschiedener belgischer Gesellschaften, dann bis zum Erreichen des Pensionsalters als Beamter im Generalsekretariat des Rates.

40. Nun aber sind die Bestimmungen des Vertrages über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und insbesondere Artikel 39 EG nicht auf rein interne, auf einen Mitgliedstaat beschränkte Sachverhalte anwendbar (Urteil vom 5. Juni 1997 in den Rechtssachen C64/96 und C65/96, Uecker und Jacquet, Slg. 1997, I3171, Randnr. 16, und die dort zitierte Rechtsprechung).

41. Um dennoch einen Zusammenhang mit einer der in Artikel 39 EG genannten Situationen herzustellen, hat die Kommission geltend gemacht, die Zeit der Beschäftigung in einem internationalen öffentlichen Dienst wie dem der Europäischen Union sei einer im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Zeit gleichzustellen.

42. Eine solche rechtliche Fiktion kann, wie sich aus den Nummern 85 bis 89 der Schlussanträge des Generalanwalts ergibt, nicht auf die Bestimmungen des Vertrages über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gestützt werden.

43. Deshalb sind auch die Artikel 39 EG und 7 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht auf die Lage von Herrn My anwendbar.

Zu Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts und Artikel 10 EG

44. Das System der Übertragung von Rentenansprüchen gemäß Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts bezweckt durch eine Koordinierung der nationalen Versorgungssysteme mit dem gemeinschaftlichen Versorgungssystem, das Überwechseln von Tätigkeiten im öffentlichen oder privaten nationalen Bereich zur Gemeinschaftsverwaltung zu erleichtern und so den Gemeinschaften möglichst gute Möglichkeiten zu eröffnen, qualifiziertes und bereits ausreichend berufserfahrenes Personal einzustellen (Urteil vom 20. Oktober 1981 in der Rechtssache 137/80, Kommission/Belgien, Slg. 1981, 2393, Randnrn. 11 und 12).

45. Insbesondere hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat durch seine Weigerung, die Maßnahmen zu ergreifen, die zu der in Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs des Statuts vorgesehenen Übertragung des versicherungsmathematischen Gegenwerts oder des pauschalen Rückkaufwerts der im nationalen Versorgungssystem erworbenen Ruhegehaltsansprüche auf das gemeinschaftliche Versorgungssystem notwendig sind, auch die Einstellung von nationalen Beamten mit einem gewissen Dienstalter durch die Gemeinschaften erschweren könnte, da das Überwechseln vom nationalen Dienst in den Gemeinschaftsdienst zu einem Verlust derjenigen Versorgungsansprüche führen würde, die ihnen zustünden, wenn sie nicht in den Dienst der Gemeinschaft träten (Urteil Kommission/Belgien, Randnr. 19).

46. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn ein Mitgliedstaat sich weigert, für die Begründung eines Anspruchs auf eine vorgezogene Altersrente nach seinem System die im Gemeinschaftssystem zurückgelegten Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen.

47. Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsfall in Rede stehende kann nämlich eine Berufstätigkeit bei einem Organ der Europäischen Union behindern und somit davon abschrecken, weil ein Arbeitnehmer, der zuvor einem nationalen Versorgungssystem angehört hat, durch die Annahme einer Stelle bei einem solchen Organ Gefahr läuft, eine Altersleistung nach diesem System nicht mehr in Anspruch nehmen zu können, auf die er Anspruch gehabt hätte, wenn er diese Stelle nicht angenommen hätte.

48. Derartige Folgen können angesichts der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit und Unterstützung, die den Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft obliegt und die ihren Ausdruck in der Verpflichtung des Artikels 10 EG findet, ihr die Erfüllung ihrer Aufgabe zu erleichtern, nicht hingenommen werden.

49. Folglich ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 10 EG in Verbindung mit dem Statut so auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es nicht erlaubt, für die Begründung eines Anspruchs auf eine vorgezogene Altersrente nach dem nationalen System die Beschäftigungsjahre zu berücksichtigen, die ein Gemeinschaftsangehöriger im Dienst eines Gemeinschaftsorgans zurückgelegt hat.

50. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen erübrigt sich eine Beantwortung der Vorlagefrage in Bezug auf die Auslegung von Artikel 18 EG.

Kostenentscheidung:

Kosten

51. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Artikel 10 EG in Verbindung mit dem Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften ist so auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es nicht erlaubt, für die Begründung eines Anspruchs auf eine vorgezogene Altersrente nach dem nationalen System die Beschäftigungsjahre zu berücksichtigen, die ein Gemeinschaftsangehöriger im Dienst eines Gemeinschaftsorgans zurückgelegt hat.

Ende der Entscheidung

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