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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.02.1992
Aktenzeichen: C-294/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 92
EWG-Vertrag Art. 93
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Eine Entscheidung der Kommission, in der die Rechtswidrigkeit einer Beihilfe eines Mitgliedstaats an ein Unternehmen festgestellt wird, weil diese unter Verstoß gegen eine vorhergehende Entscheidung gewährt wurde, die gewisse Beihilfen an dieses Unternehmen unter bestimmten Bedingungen genehmigte, und in der deren Rückforderung angeordnet wird, ist aufzuheben, wenn sie ohne Einhaltung des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 erlassen wurde.

Die Kommission hätte in einem solchen Fall nämlich entweder gemäß Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 unmittelbar beim Gerichtshof Klage erheben müssen, wenn sie der Ansicht war, der Mitgliedstaat habe bestimmte Bedingungen nicht eingehalten, die ihm aufgrund ihrer vorhergehenden Entscheidung oblagen, oder aber das besondere Verfahren zur Überprüfung gemäß Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 1 einleiten müssen, wenn sie der Ansicht war, der Mitgliedstaat habe neue Beihilfen gewährt, die nicht Gegenstand einer Überprüfung im Rahmen des Verfahrens gewesen seien, das mit dem Erlaß ihrer vorhergehenden Entscheidung abgeschlossen wurde.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 4. FEBRUAR 1992. - BRITISH AEROSPACE PUBLIC LTD COMPANY UND ROVER GROUP HOLDINGS PLC GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - STAATLICHE BEIHILFEN - ENTSCHEIDUNG UEBER DIE VEREINBARKEIT - NICHTDURCHFUEHRUNG - ENTSCHEIDUNG UEBER DIE RUECKFORDERUNG. - RECHTSSACHE C-294/90.

Entscheidungsgründe:

1 Die British Ärospace Public Limited Company und die Rover Group Holdings plc (Klägerinnen) haben mit Klageschrift, die am 24. September 1990 beim Gerichtshof eingegangen ist, die Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 17. Juli 1990 (ABl. 1991, C 21, S. 2) beantragt, soweit darin dem Vereinigten Königreich aufgegeben wird, einen als staatliche Beihilfe angesehenen Betrag von 44,4 Millionen UKL zurückzufordern.

2 In den Begründungserwägungen der streitigen Entscheidung nimmt die Kommission auf eine frühere Entscheidung 89/58/EWG vom 13. Juli 1988 betreffend die Beihilfe der britischen Regierung an den Kraftfahrzeughersteller Rover Group (ABl. L 25, S. 92) Bezug. Mit dieser Entscheidung genehmigte die Kommission im Rahmen des Erwerbs der Rover-Gruppe durch British Ärospace eine Beihilfe in Form einer Kapitalzuführung zur Tilgung bestimmter Schulden der Rover-Gruppe u. a. unter der Bedingung,

- daß die Regierung des Vereinigten Königreichs die vorgesehenen Verkaufsbedingungen, insbesondere diejenigen nicht ändert, daß der von der British Ärospace zu zahlende Kaufpreis 150 Millionen UKL beträgt und die British Ärospace alle zukünftigen Umstrukturierungskosten übernimmt;

- daß die Regierung der Rover-Gruppe keine weiteren Beihilfen in Form von Kapitalzuführungen oder sonstiger Ermessensbeihilfen mit Ausnahme eines Zuschusses im Rahmen der Regionalförderung gewährt.

3 Nach der Veröffentlichung eines Berichts und eines geheimen Memorandums des Comptroller and Auditor General of the United Kingdom National Audit Office stellte die Kommission fest, daß die Regierung des Vereinigten Königreichs der British Ärospace und der Rover-Gruppe eine Reihe finanzieller Zugeständnisse gemacht hatte, die von der Entscheidung 89/58 nicht gedeckt waren.

4 Die Kommission war der Ansicht, daß diese zusätzlichen Zugeständnisse Beihilfen im Sinne von Artikel 92 Absatz 2 EWG-Vertrag darstellten, die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar seien, da sie unter Verstoß gegen Artikel 1 der Entscheidung 89/58 gewährt worden seien. Die Kommission erließ deshalb die angefochtene Entscheidung, in der sie folgendes beschloß:

"Der der British Ärospace im Rahmen des Verkaufs der Rover-Gruppe gewährte Betrag von 44,4 Millionen UKL ist eine in Verletzung der Bestimmungen der Entscheidung 89/58/EWG unrechtmässig gewährte Beihilfe, die von den Begünstigten zurückgefordert werden muß; dieser Betrag gliedert sich wie folgt auf: 9,5 Millionen UKL zur Deckung der Kosten für den Erwerb einer Minderheitsbeteiligung, 33,4 Millionen UKL Gewinn zugunsten von British Ärospace aus dem Aufschub der Zahlung des Verkaufspreises und 1,5 Millionen UKL bestrittene Kosten für Beraterdienste zugunsten der Rover-Gruppe im Zusammenhang mit dem Verkauf".

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

6 Die Klägerinnen machen einen Verstoß gegen die Artikel 92 und 93 EWG-Vertrag, das Vorliegen eines Berechnungsfehlers hinsichtlich des zurückzufordernden Betrags, die Nichtbeachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit sowie das Fehlen einer hinreichenden Begründung geltend.

7 Sie führen an, wenn die Kommission der Ansicht gewesen sei, die der British Ärospace und der Rover-Gruppe gewährten Vorteile stellten mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen dar, so hätte sie das Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag eröffnen und so den Beteiligten Gelegenheit zur Äusserung geben müssen. Die Kommission könne nicht bestreiten, daß die streitige Entscheidung gegenüber der Entscheidung 89/58 autonomen Charakter habe, da sie die streitigen Vorteile als staatliche Beihilfen einstufe, deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt feststelle, deren Betrag berechne und deren Rückforderung anordne.

8 Die Kommission hält dem entgegen, die streitige Entscheidung habe gegenüber der Entscheidung 89/58, in der eine Gesamtheit von Bedingungen niedergelegt worden sei, von denen die Genehmigung der zum damaligen Zeitpunkt vom Vereinigten Königreich mitgeteilten Beihilfen abhängig gemacht worden sei, keinen autonomen Charakter und sei unmittelbar vollstreckbar.

9 Bei der Prüfung dieses Arguments ist von der Regelung des Artikels 93 Absatz 2 EWG-Vertrag und den Befugnissen auszugehen, die der Kommission aufgrund dieser Bestimmung zukommen.

10 Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 1 EWG-Vertrag überträgt der Kommission die Befugnis, vorbehaltlich der Kontrolle des Gerichtshofes ein besonderes Verfahren zur fortlaufenden Überprüfung und zur Überwachung der Beihilfen durchzuführen, die die Mitgliedstaaten einzuführen beabsichtigen (vgl. Urteil vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87, Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307). Die Feststellung einer Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt kann erst nach Abschluß dieses Verfahrens erfolgen, in dem die Kommission insbesondere die Verpflichtung hat, den Betroffenen eine Frist zur Äusserung zu setzen.

11 Wenn der Staat einer Entscheidung der Kommission, in der die Unvereinbarkeit der beabsichtigten Beihilfen festgestellt wird, nicht nachkommt oder nicht die Bedingungen einhält, von denen die Kommission die Genehmigung dieser Beihilfen abhängig gemacht hat, kann diese gemäß Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 in Abweichung von den Artikeln 169 und 170 EWG-Vertrag den Gerichtshof unmittelbar anrufen.

12 Hieraus folgt, daß die Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 unmittelbar beim Gerichtshof Klage gegen das Vereinigte Königreich hätte erheben müssen, wenn sie der Ansicht war, das Vereinigte Königreich habe bestimmte Voraussetzungen der Entscheidung 89/58 nicht eingehalten.

13 War die Kommission hingegen der Ansicht, daß das Vereinigte Königreich neue Beihilfen gewährt habe, die nicht Gegenstand einer Überprüfung im Rahmen des Verfahrens gewesen seien, das mit dem Erlaß der Entscheidung 89/58 abgeschlossen wurde, so war sie verpflichtet, das besondere Verfahren des Artikels 93 Absatz 2 Unterabsatz 1 einzuleiten und den Beteiligten eine Frist zur Äusserung zu setzen.

14 Zwar hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 3. Oktober 1991 in der Rechtssache C-261/89 (Italien/Kommission, Slg. 1991, I-4437, Randnr. 20) entschieden, daß die Kommission, wenn sie in einem solchen Fall die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt prüft, alle einschlägigen Umstände gegebenenfalls einschließlich des bereits in einer vorhergehenden Entscheidung beurteilten Zusammenhangs sowie die Verpflichtungen prüfen müsse, die einem Mitgliedstaat durch diese vorhergehende Entscheidung auferlegt wurden. Bei dieser Prüfung müssen aber die im EWG-Vertrag vorgesehenen Verfahren eingehalten werden.

15 Demgemäß ist die Entscheidung der Kommission vom 17. Juli 1990 insoweit aufzuheben, als darin dem Vereinigten Königreich aufgegeben wird, einen als staatliche Beihilfe angesehenen Betrag von 44,4 Millionen UKL zurückzufordern, ohne daß eine Untersuchung der weiteren Klagegründe erforderlich wäre.

Kostenentscheidung:

Kosten

16 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Entscheidung der Kommission vom 17. Juli 1990 wird insoweit aufgehoben, als darin dem Vereinigten Königreich aufgegeben wird, einen als staatliche Beihilfe angesehenen Betrag von 44,4 Millionen UKL zurückzufordern.

2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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