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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.10.2006
Aktenzeichen: C-302/05
Rechtsgebiete: EG, Richtlinie 2000/35/EG


Vorschriften:

EG Art. 226
Richtlinie 2000/35/EG Art. 1
Richtlinie 2000/35/EG Art. 2
Richtlinie 2000/35/EG Art. 4 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)

26. Oktober 2006

"Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 2000/35/EG - Artikel 4 Absatz 1 - Eigentumsvorbehalt - Einwendbarkeit"

Parteien:

In der Rechtssache C-302/05

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 28. Juli 2005,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Schima und D. Recchia als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von M. Massella Ducci Teri, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter R. Schintgen, P. Kuris, J. Klucka (Berichterstatter) und G. Arestis,

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: R. Grass,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L 200, S. 35) verstoßen hat, indem sie vorsieht, dass die Eigentumsvorbehaltsklausel den Gläubigern des Käufers nur dann entgegengehalten werden kann, wenn sie auf den einzelnen Rechnungen bestätigt worden ist, die für die aufeinanderfolgenden Lieferungen ausgestellt worden sind, ein der Pfändung vorausgehendes sicheres Datum aufweisen und ordnungsgemäß in den Buchungsunterlagen verzeichnet sind.

Rechtlicher Rahmen

Das Gemeinschaftsrecht

2 Die Richtlinie 2000/35 bezweckt die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen, der die Lieferung von Gütern oder die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt betrifft.

3 Artikel 1 der Richtlinie sieht vor:

"Diese Richtlinie ist auf alle Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr zu leisten sind, anzuwenden."

4 In Artikel 2 der Richtlinie heißt es:

"Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1. 'Geschäftsverkehr' Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen, die zu einer Lieferung von Gütern oder Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt führen;

...

3. 'Eigentumsvorbehalt' die vertragliche Vereinbarung, nach der der Verkäufer bis zur vollständigen Bezahlung Eigentümer des Kaufgegenstands bleibt;

..."

5 Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35 bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten sehen in Einklang mit den anwendbaren nationalen Vorschriften, wie sie durch das internationale Privatrecht bestimmt werden, vor, dass der Verkäufer bis zur vollständigen Bezahlung das Eigentum an Gütern behält, wenn zwischen Käufer und Verkäufer vor der Lieferung der Güter ausdrücklich eine Eigentumsvorbehaltsklausel vereinbart wurde."

6 Die 21. Begründungserwägung der Richtlinie lautet:

"Es ist wünschenswert, dass sichergestellt ist, dass Gläubiger einen Eigentumsvorbehalt auf nichtdiskriminierender Grundlage in der ganzen Gemeinschaft geltend machen können, falls der Eigentumsvorbehalt gemäß den anwendbaren nationalen Vorschriften, wie sie durch das internationale Privatrecht bestimmt werden, rechtswirksam ist."

Das nationale Recht

7 Der Kauf unter Eigentumsvorbehalt ist im italienischen Recht im Codice civile (Zivilgesetzbuch), Buch IV, Titel III, Kapitel I, § 3, geregelt.

8 Artikel 1523 des Codice civile - Übergang des Eigentums und der Gefahren - lautet:

"Beim Teilzahlungskauf unter Eigentumsvorbehalt erwirbt der Käufer das Eigentum an der Sache mit der Zahlung der letzten Rate des Preises, trägt jedoch die Gefahren ab dem Zeitpunkt der Übergabe."

9 Nach Artikel 1524 Absatz 1 des Codice civile kann der Eigentumsvorbehalt den Gläubigern des Käufers nur entgegengehalten werden, wenn er sich aus einer Urkunde mit einem der Pfändung vorausgehenden sicheren Datum ergibt. Absätze 2 und 3 regeln die Voraussetzungen, unter denen die betreffende Klausel dritten Erwerbern entgegengehalten werden kann, wenn der Kauf entweder Maschinen im Wert von mehr als 30 000 ITL (ungefähr 16 Euro) zum Gegenstand hat oder bewegliche Sachen betrifft, die in einem öffentlichen Register eingetragen sind.

10 Artikel 11 Absatz 3 des Decreto legislativo Nr. 231 vom 9. Oktober 2002 (im Folgenden: Decreto legislativo) lautet:

"Der im Voraus schriftlich zwischen dem Käufer und dem Verkäufer vereinbarte Eigentumsvorbehalt im Sinne von Artikel 1523 des Codice civile kann Gäubigern des Käufers entgegengehalten werden, wenn er auf den einzelnen Rechnungen bestätigt worden ist, die für die aufeinanderfolgenden Lieferungen ausgestellt worden sind, ein der Pfändung vorausgehendes sicheres Datum aufweisen und ordnungsgemäß in den Buchungsunterlagen verzeichnet sind."

Das Vorverfahren

11 Bei der Kommission wurde eine Beschwerde eingereicht, in der der Beschwerdeführer rügte, dass Artikel 4 der Richtlinie 2000/35 nicht ordnungsgemäß in italienisches Recht umgesetzt worden sei. Artikel 11 Absatz 3 des Decreto legislativo verpflichte den Verkäufer, hohe Verwaltungslasten zu tragen.

12 Nachdem die Kommission die Italienische Republik durch ein Mahnschreiben aufgefordert hatte, zu dieser Bestimmung des nationalen Rechts im Hinblick auf Artikel 4 der Richtlinie Stellung zu nehmen, richtete sie am 18. Oktober 2004 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an den betreffenden Mitgliedstaat und forderte ihn auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen.

13 Da die Kommission keine Antwort erhielt, hat sie beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

Zur Klage

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

14 Nach Ansicht der Kommission verstößt Artikel 11 Absatz 3 des Decreto legislativo gegen Inhalt und Geist von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35.

15 Mit der Verpflichtung, auf den einzelnen Rechnungen die Eigentumsvorbehaltsklausel zu bestätigen, damit sie den Gläubigern des Käufers entgegengehalten werden könne, werde im Ergebnis eine zusätzliche Bedingung zu Lasten des Verkäufers aufgestellt, der nach der Richtlinie 2000/35, um bis zur vollständigen Zahlung des Preises Eigentümer der Güter zu bleiben, mit dem Käufer nur diese Klausel vor der Lieferung der betreffenden Güter vereinbart haben müsse.

16 Außerdem verstoße auch der Umstand, dass die Rechnungen gemäß Artikel 11 Absatz 3 des Decreto legislativo ein der Pfändung vorausgehendes sicheres Datum aufweisen müssten, gegen Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35, der auf den vorherigen Abschluss einer zwischen Käufer und Verkäufer ausdrücklich getroffenen Vereinbarung abstelle.

17 Darauf entgegnet die italienische Regierung, dass die Eigentumsvorbehaltsklausel als Nebenabrede zum Kaufvertrag konzipiert sei, deren Gültigkeit oder Wirksamkeit keinem besonderen Formerfordernis unterliege, da einzige Bedingung für die Gültigkeit sei, dass diese Klausel zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags vereinbart werde.

18 Artikel 11 Absatz 3 des Decreto legislativo sei zur Ergänzung der Bestimmungen des Codice civile erlassen worden und betreffe nur die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Eigentumsvorbehaltsklausel den Gläubigern des Käufers entgegengehalten werden könne, und nicht, wann dies gegenüber dritten Erwerbern möglich sei. Er ergänze ausschließlich Artikel 1524 Absatz 1 des Codice civile. Die mit Artikel 11 Absatz 3 des Decreto legislativo vorgenommene Änderung beziehe sich nur auf bestimmte Arten von Kaufverträgen, insbesondere den Teillieferungskauf, bei dem die Lieferungen zeitlich gestaffelt sein und Waren betreffen könnten, die einzeln bewertet werden und erheblichen wirtschaftlichen Wert haben könnten. Darüber hinaus betreffe diese Vorschrift bestimmte Formen gemischter Verträge, bei denen der Verkäufer zahlreiche, ebenfalls zeitlich gestaffelte Rechnungen ausstellen müsse.

19 Die Verpflichtung, die Eigentumsvorbehaltsklausel in den Belegen für die spätere Erfüllung des ursprünglichen Vertrages zu bestätigen, diene insbesondere der Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit und dem Schutz des Vertrauens Dritter, die mit dem Besitzer einer im Eigentum eines anderen stehenden Sache Geschäftsbeziehungen aufnähmen.

20 Schließlich beruft sich die italienische Regierung auf die im Codice civile vorgesehenen Beweisregeln. Nach der Rechtsprechung der Corte di cassazione könne der Beweis für die vorherige Abfassung eines Dokuments anhand jeder beliebigen Tatsache erbracht werden. Hierzu zähle die betreffende Rechtsprechung u. a. die Kenntnis des Dokuments durch denjenigen, dem es entgegengehalten werden solle.

21 In Bezug auf den zuletzt genannten Punkt nimmt die Kommission zur Kenntnis, dass leicht bewiesen werden könne, ob ein Datum sicher sei, erhält aber ihren Vorwurf aufrecht, dass die in Artikel 11 Absatz 3 des Decreto legislativo vorgesehenen Bedingungen mit Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35 unvereinbar seien.

Würdigung durch den Gerichtshof

22 Um die Begründetheit der Klage der Kommission zu beurteilen, ist Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35 zu prüfen und zu untersuchen, ob diese Bestimmung die Regeln berührt, durch die ein Mitgliedstaat festgelegt hat, ob Eigentumsvorbehaltsklauseln Dritten entgegengehalten werden können.

23 Zunächst ist festzustellen, dass die Richtlinie keine Harmonisierung aller Vorschriften im Zusammenhang mit dem Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr vornimmt, da sie nur ganz bestimmte Vorschriften zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs enthält, nämlich über die Zinsen bei Zahlungsverzug (Artikel 3), den Eigentumsvorbehalt (Artikel 4) und die Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen (Artikel 5).

24 Zudem verweist die Richtlinie in mehreren Punkten auf das nationale Recht. Das gilt insbesondere, wie sich aus ihrer fünfzehnten und ihrer neunzehnten Begründungserwägung ergibt, für die verschiedenen Verfahren der Zwangsvollstreckung eines vollstreckbaren Titels, die Bedingungen, unter denen die Zwangsvollstreckung eines solchen Titels eingestellt oder ausgesetzt werden kann, und die Regelung des Vertragsabschlusses.

25 Was die Eigentumsvorbehaltsklauseln angeht, für die auf das nationale Recht verwiesen wird, bestimmt Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35, dass die Mitgliedstaaten in Einklang mit den anwendbaren nationalen Vorschriften, wie sie durch das internationale Privatrecht bestimmt werden, vorsehen, dass der Verkäufer bis zur vollständigen Bezahlung das Eigentum an den Gütern behält, wenn zwischen Käufer und Verkäufer vor der Lieferung der Güter ausdrücklich eine Eigentumsvorbehaltsklausel vereinbart wurde.

26 Dem Wortlaut dieser Bestimmung ist zu entnehmen, dass sie die Wirkungen der Eigentumsvorbehaltsklausel für den Käufer und den Verkäufer regelt, nämlich dass der Verkäufer bis zur vollständigen Bezahlung das Eigentum an den Gütern behält. Sie legt außerdem als Bedingung für die Gültigkeit einer solchen Klausel fest, dass sie zwischen Käufer und Verkäufer vor der Lieferung der Güter ausdrücklich vereinbart worden sein muss.

27 Hinzuzufügen ist, dass der Verweis in Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35 auf die anwendbaren nationalen Vorschriften, wie sie durch das internationale Privatrecht bestimmt werden, die Bedingungen für die Gültigkeit der Eigentumsvorbehaltsklausel betrifft.

28 Nach dieser Bestimmung in Verbindung mit der 21. Begründungserwägung der Richtlinie 2000/35 hält es der Gemeinschaftsgesetzgeber nämlich für wünschenswert, dass sichergestellt ist, dass Gläubiger einen Eigentumsvorbehalt auf nichtdiskriminierender Grundlage in der ganzen Gemeinschaft geltend machen können, falls der Eigentumsvorbehalt gemäß den anwendbaren nationalen Vorschriften, wie sie durch das internationale Privatrecht bestimmt werden, rechtswirksam ist. Die Möglichkeit der Gläubiger, eine solche Klausel zu verwenden, ist somit ein spezifischer Beitrag zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr.

29 Angesichts des Wortlauts von Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35 und des Zieles der Richtlinie kann dieser Bestimmung jedoch nicht entnommen werden, dass sie auf andere Vorschriften als diejenigen gerichtet ist, die ausdrücklich vorsehen, dass der Verkäufer und der Käufer vor der Lieferung ausdrücklich eine Eigentumsvorbehaltsklausel vereinbaren können und dass der Verkäufer bis zur vollständigen Bezahlung das Eigentum an den Gütern behalten kann.

30 Daher unterliegt die Ausgestaltung der im vorliegenden Fall streitigen Vorschriften, die regeln, unter welchen Voraussetzungen die Eigentumsvorbehaltsklauseln Dritten entgegengehalten werden können, deren Rechte nicht von der Richtlinie 2000/35 berührt sind, weiterhin ausschließlich dem jeweiligen nationalen Recht der Mitgliedstaaten.

31 Somit hat die Italienische Republik nicht gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2000/35 verstoßen, indem sie vorsieht, dass die Eigentumsvorbehaltsklausel den Gläubigern des Käufers nur dann entgegengehalten werden kann, wenn sie auf den einzelnen Rechnungen bestätigt worden ist, die für die aufeinanderfolgenden Lieferungen ausgestellt worden sind, ein der Pfändung vorausgehendes sicheres Datum aufweisen und ordnungsgemäß in den Buchungsunterlagen verzeichnet sind.

32 Die Klage der Kommission ist somit abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

33 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik die Verurteilung der Kommission beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten.

Ende der Entscheidung

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